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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Röder, über die Revision des M F in W, vertreten durch die Lerch Nagel Heinzle Rechtsanwälte GmbH in 6890 Lustenau, Millenium Park 6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. Februar 2022, Zl. VGW-102/012/10543/2021-19, betreffend Richtlinienbeschwerde nach § 89 Abs. 4 SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Spruchpunkte V. und VI. (Einstellung des Beschwerdeverfahrens samt Kostenentscheidung zulasten des Revisionswerbers) wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Angefochtenes Erkenntnis
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers wegen Verletzung der Richtlinien-Verordnung (RLV) durch Organe der Landespolizeidirektion Wien (LPD, belangte Behörde) am 27. Mai 2021 in W durch die Inanspruchnahme seiner freiwilligen Mitwirkung durch Aufforderung, an Geschicklichkeitstests im Rahmen einer Verkehrskontrolle teilzunehmen, obwohl sich dieser der Freiwilligkeit nicht bewusst gewesen sei, gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen, festgestellt, dass § 4 RLV nicht verletzt worden sei (I.), und der Revisionswerber verpflichtet, dem Bund näher bezeichneten Schriftsatz-, Vorlage- und Verhandlungsaufwand zu ersetzen (II.).
2 Der Beschwerde des Revisionswerbers wegen Verletzung der RLV durch die Inanspruchnahme seiner freiwilligen Mitwirkung durch Aufforderung, eine Erklärung zu unterfertigen, sowie durch die Verweigerung der Bekanntgabe der Dienstnummer wurde stattgegeben, festgestellt, dass § 4 bzw. § 9 Abs. 1 RLV verletzt worden sei (III.), und der Bund verpflichtet, dem Revisionswerber als obsiegender Partei näher bezeichneten zweifachen Schriftsatzaufwand sowie näher bezeichneten einfachen Verhandlungsaufwand zu ersetzen (IV.).
3 Betreffend die Beschwerde des Revisionswerbers wegen Verletzung der RLV durch Voreingenommenheit wurde das Beschwerdeverfahren (in Beschlussform) gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt (V.) und der Revisionswerber verpflichtet, dem Bund näher bezeichneten Schriftsatz-, Vorlage- und Verhandlungsaufwand zu ersetzen (VI.).
4 Eine Revision wurde für unzulässig erklärt („IV.“).
5 Begründend stellte das Verwaltungsgericht zu den Spruchpunkten I. und II. (Freiwilligkeit nach § 4 RLV und Kostenentscheidung) im Wesentlichen fest, der Revisionswerber sei in W einer Verkehrskontrolle unterzogen worden. Dabei habe der Revisionswerber aus terminlichen Gründen auf eine rasche Abwicklung der Amtshandlung gedrängt. Bei der Kontrolle sei der Verdacht entstanden, dass der Revisionswerber seinen Pkw unter Drogeneinfluss gelenkt habe, weil bei ihm große, offene Pupillen festgestellt worden seien. Aus diesem Grund seien ihm routinemäßig Tests zur Prüfung der Fahrtauglichkeit (Geschicklichkeitstests) angeboten worden, um seine Fahrtüchtigkeit beweisen zu können und ihm die Vorführung vor den Amtsarzt „zu ersparen“. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber die Mitwirkung in irgendeiner Weise abgelehnt habe, sondern er habe bereitwillig an diversen Geschicklichkeitstests und einem Test der Pupillenreaktion mitgewirkt. In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht (nach teilweiser Wiederholung der Feststellungen) aus, für die Polizeibeamten habe im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen können, dass sich der Revisionswerber der Freiwilligkeit der Teilnahme an den angebotenen Tests bewusst gewesen sei. Er habe nichts Gegenteiliges geäußert und auf die Beschleunigung der Amtshandlung gedrängt. Daher sei die „Richtlinienbeschwerde in diesem Punkt“ als unbegründet abzuweisen gewesen. Der Aufwandersatz ergebe sich aus § 53 iVm § 35 VwGVG und der VwG-Aufwandersatzverordnung.
6 Zu Spruchpunkt IV. (Kostenentscheidung zulasten des Bundes) verwies das Verwaltungsgericht ebenso auf § 53 iVm § 35 VwGVG.
7 Zu den Spruchpunkten V. und VI. (Einstellung des Beschwerdeverfahrens samt Kostenentscheidung zulasten des Revisionswerbers) führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe seine Beschwerde wegen Verletzung der RLV durch Voreingenommenheit zurückgezogen, weshalb das Verfahren einzustellen sei. Zur Kostenentscheidung verwies das Verwaltungsgericht ebenso auf § 53 iVm § 35 VwGVG.
8 Gegen die Spruchpunkte I. und II. (Freiwilligkeit nach § 4 RLV samt Kostenentscheidung zulasten des Revisionswerbers), IV. (Kostenentscheidung zulasten des Bundes) sowie V. und VI. (Einstellung des Beschwerdeverfahrens samt Kostenentscheidung zulasten des Revisionswerbers) dieses Erkenntnisses richtet sich - dem Begehren nach § 28 Abs. 1 Z 6 VwGG zufolge - die vorliegende außerordentliche Revision.
9 Die belangte Behörde erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung.
Zulässigkeit
Zu Spruchpunkt IV. (Kostenentscheidung zulasten des Bundes):
10 Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Revision ist unter anderem das objektive Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers an der Kontrolle der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof (Beschwer; vgl. etwa VwGH 6.8.2020, Ro 2020/18/0002, mwN). Eine derartige Beschwer liegt vor, wenn das angefochtene verwaltungsgerichtliche Handeln vom Antrag des Revisionswerbers zu dessen Nachteil abweicht (formelle Beschwer) oder mangels Antrages das Verwaltungsgericht den Revisionswerber durch seine Entscheidung belastet (vgl. VwGH 27.2.2018, Ra 2017/05/0208).
11 Mit dem hier angefochtenen Spruchpunkt IV. erging eine Kostenentscheidung zulasten des Bundes, sodass der Revisionswerber durch diese Entscheidung nicht beschwert sein konnte.
12 Die Revision war daher in diesem Punkt gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
Zu den Spruchpunkten I. und II. (Freiwilligkeit nach § 4 RLV und Kostenentscheidung):
13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit dazu im Wesentlichen vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des § 4 RLV bei Verkehrskontrollen auf Suchtgiftbeeinträchtigung nach § 5 Abs. 1 und 9 StVO.
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Inanspruchnahme der Freiwilligkeit nach § 4 RLV nicht vor, wenn sich die Amtshandlung bereits auf eine andere gesetzliche Ermächtigung stützen kann. Zum Inhalt des § 4 RLV hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass nach dieser Richtlinie die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, wenn ein Mensch an einer Amtshandlung freiwillig mitwirken oder sie freiwillig dulden soll, diese Freiwilligkeit nur in Anspruch nehmen dürfen, wenn nach den Umständen des Falles kein Zweifel daran besteht, dass der Betroffene sich der Freiwilligkeit bewusst ist. Nach dieser Rechtsprechung kommt es darauf an, ob bei objektiver ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel des einschreitenden Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes kein Zweifel daran besteht, dass sich der Betroffene der Freiwilligkeit der begehrten Mitwirkung bewusst ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. zu allem VwGH 31.8.2020, Ra 2019/01/0135, mwN).
15 Insoweit liegen bereits ausreichende Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls vor. Eine krasse Fehlbeurteilung des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht wird durch die Revision nicht aufgezeigt:
16 Die von der Revision in Zusammenhang mit den getroffenen Feststellungen gerügte Beweiswürdigung ist nicht unvertretbar (vgl. zum Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes bei der Kontrolle der Beweiswürdigung im Revisionsmodell für viele etwa VwGH 20.7.2022, Ra 2022/01/0187, mwN).
17 Auf Grundlage dieser Feststellungen kam das Verwaltungsgericht in vertretbarer Weise und in Beachtung der oben angeführten Leitlinien der Rechtsprechung zu § 4 RLV zum Ergebnis, dass aus dem Blickwinkel des einschreitenden Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes kein Zweifel daran bestanden habe, dass sich der Revisionswerber der Freiwilligkeit der begehrten Mitwirkung bewusst gewesen sei.
18 Die von der Revision (in jedem Fall) geforderte explizite Aufklärung über die Freiwilligkeit bestimmter Mitwirkungen (und die Folgenlosigkeit der Mitwirkung) findet sich weder in § 4 RLV noch in der maßgeblichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (arg.: „nach den Umständen des Falles“).
19 Die Revision argumentiert weiter damit, Freiwilligkeit sei nicht vorgelegen, weil bei Verkehrskontrollen auf Alkohol- und Suchtgiftbeeinträchtigung jede Nichtbefolgung einer Anordnung des Kontrollorgans als Verweigerung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO ausgelegt werden könnte.
20 Gemäß § 5 Abs. 5 iVm Abs. 9 StVO sind die Organe der Straßenaufsicht berechtigt, Personen, von denen vermutet werden kann, dass sie sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befinden, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Landespolizeidirektion tätigen, bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden oder im Sinne des § 5a Abs. 4 StVO ausgebildeten und von der Landesregierung hierzu ermächtigten Arzt zu bringen (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0049, mwN, vgl. zur Beeinträchtigung durch Suchtgift nach § 5 Abs. 1 StVO VwGH 4.7.2022, Ra 2021/02/0247, und VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0080, jeweils mwN).
21 Wer zum Zweck der Feststellung, ob er sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, zum Arzt gebracht wird, hat sich der Untersuchung zu unterziehen (§ 5 Abs. 9 StVO) und im Fall der Feststellung einer Beeinträchtigung die Blutabnahme vornehmen zu lassen (§ 5 Abs. 10 StVO). Gemäß § 99 Abs. 1 lit. b und c StVO ist sowohl die Verweigerung der ärztlichen Untersuchung nach § 5 Abs. 9 StVO als auch die Verweigerung der Blutabnahme nach § 5 Abs. 10 StVO strafbar, wobei für die Strafbarkeit des zuerst genannten Verhaltens die Frage einer möglichen Blutabnahme ohne Relevanz ist (vgl. zu allem VwGH 25.2.2020, Ro 2019/11/0006, mwN; vgl. auch VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0049, mwN). Die von der Revision ins Treffen geführten Bestimmungen der StVO erfassen daher entgegen dem Revisionsvorbringen nicht jede Anordnung des Kontrollorgans bei Verkehrskontrollen auf Alkohol- und Suchtgiftbeeinträchtigung.
22 In der Revision werden somit im Hinblick auf § 4 RLV keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
23 Insoweit sich die Revision gegen die mit der Abweisung der Richtlinienbeschwerde zu § 4 RLV verbundene Kostenentscheidung wendet, macht sie als Revisionspunkt geltend, der Revisionswerber sei durch das angefochtene Erkenntnis „im Recht auf gesetzmäßige Anwendung der Kostenersatzvorschrift des § 53 iVm § 35 VwGVG“ verletzt.
24 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision (u.a.) die Bezeichnung der Rechte, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte), zu enthalten. Durch die vom Revisionswerber vorgenommene Bezeichnung der Revisionspunkte wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses gebunden ist. Danach hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt wurde, sondern nur, ob jenes verletzt wurde, dessen Verletzung dieser behauptet. Der in § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geforderten Angabe der Revisionspunkte kommt für den Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Revisionswerber jenes subjektive Recht herauszuheben hat, dessen behauptete Verletzung die Legitimation zur Revisionserhebung erst begründet. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. etwa VwGH 24.2.2021, Ra 2021/06/0012, mwN).
25 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird weder mit einem Recht auf „rechtsrichtige Rechtsanwendung“ oder auf „Einhaltung von Verfahrensvorschriften“ noch mit einem „Recht auf richtige Anwendung des Gesetzes“ oder auf eine „gesetzmäßige Anwendung“ bestimmter Vorschriften ein tauglicher Revisionspunkt bezeichnet (vgl. etwa VwGH 20.10.2020, Ra 2020/05/0194-0195, mwN: vgl. zum „Recht auf gesetzmäßige Anwendung der Bestimmung des § 76 Allgemeines Verwaltungsgesetz 1991 über die Vorschreibung von Kosten im Verwaltungsverfahren [Sachverständigengebühren im Bauverfahren]“ als untauglichem Revisionspunkt VwGH 24.2.2021, Ra 2021/06/0012, mwN).
26 Mit dem „Recht auf gesetzmäßige Anwendung der Kostenersatzvorschrift des § 53 iVm § 35 VwGVG“ wird somit kein tauglicher Revisionspunkt bezeichnet. Die Revision erweist sich daher in diesem Punkt als unzulässig.
27 Die Revision war somit in diesem Punkt ebenso in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zu den Spruchpunkten V. und VI. (Einstellung des Beschwerdeverfahrens samt Kostenentscheidung zulasten des Revisionswerbers):
28 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit in diesem Punkt vor, dem Verwaltungsgericht sei für diese Spruchpunkte keine Zuständigkeit zugekommen, weil ein Entscheidungsverlangen nach § 89 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) gefehlt habe. Daher sei das Verwaltungsgericht von der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 26.6.2013, 2012/01/0085, mwN) abgewichen bzw. es fehle Rechtsprechung zu § 89 Abs. 4 SPG in der Fassung BGBl. I Nr. 161/2013.
29 Die Revision ist in diesem Punkt zulässig und berechtigt.
30 § 89 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013, (SPG) lautet:
„Beschwerden wegen Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten
§ 89. (1) Insoweit mit einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht die Verletzung einer gemäß § 31 festgelegten Richtlinie behauptet wird, hat das Landesverwaltungsgericht sie der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde in dieser Sache zuständigen Behörde zuzuleiten.
(2) Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim Landesverwaltungsgericht (Abs. 1), eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 erlassene Richtlinie verletzt worden, haben Anspruch darauf, daß ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.
...
(4) Jeder, dem gemäß Abs. 2 mitgeteilt wurde, daß die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, hat das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs. 2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Das Landesverwaltungsgericht hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist.“
31 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Rechtslage des § 89 Abs. 4 SPG idF BGBl. I Nr. 146/1999 festgehalten, dass dem unabhängigen Verwaltungssenat überhaupt keine Entscheidungskompetenz zukommt, wenn es an einem Entscheidungsverlangen nach dieser Bestimmung fehlt. Eine Abweisung der Richtlinienbeschwerde und die damit verbundene Kostenentscheidung ohne zugrunde liegenden entsprechenden Antrag sind daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben (vgl. zu allem VwGH 26.6.2013, 2012/01/0085, mwN).
32 § 89 SPG wurde durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-Inneres (VwGAnpG-Inneres), BGBl. I Nr. 161/2013, novelliert und der Begriff „unabhängiger Verwaltungssenat“ durch „Landesverwaltungsgericht“ ersetzt. Nach den Erläuterungen sollte eine Anpassung der einfachgesetzlichen Regelungen an die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, erfolgen (vgl. den Allgemeinen Teil der Erläuterungen in RV 2211 BlgNR 24. GP 5). Darüber hinaus gehende (inhaltliche) Änderungen erfolgten nicht.
33 Verfassungsrechtlich ist die Richtlinienbeschwerde im (neuen) System der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine „Verhaltensbeschwerde“ nach Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG (vgl. VfGH 24.6.2015, G 193/2014 ua = VfSlg. 19.986). Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat zu dieser Rechtslage des § 89 SPG bereits festgehalten:
„Das Verfahren über eine Richtlinienbeschwerde ist demnach so konzipiert, dass das Landesverwaltungsgericht zunächst nur die Verpflichtung trifft, die bei ihr eingebrachte Beschwerde der zuständigen Aufsichtsbehörde zuzuleiten, eine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Richtlinienverletzung kommt ihr in diesem Verfahrensstadium nicht zu [...]. Erst ab einem Entscheidungsverlangen nach § 89 Abs. 4 SPG trifft es die Pflicht zur Entscheidung, ob das Verhalten des Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Richtlinie verletzt hat“
(vgl. VfGH 24.6.2021, G 363/2020).
34 Daher ist die oben angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 89 Abs. 4 SPG weiterhin maßgeblich:
Fehlt es an einem Entscheidungsverlangen nach § 89 Abs. 4 SPG, so kommt dem Verwaltungsgericht überhaupt keine Entscheidungskompetenz zu. Davon sind jede Entscheidung über die Richtlinienbeschwerde und eine damit verbundene Kostenentscheidung erfasst. Entscheidet das Verwaltungsgericht dennoch, so belastet es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG.
35 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber nach der Aktenlage seine Beschwerde wegen Verletzung der RLV durch Voreingenommenheit nicht - wie vom Verwaltungsgericht festgestellt - zurückgezogen, sondern mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2021 „das Beschwerdebegehren um“ diesen Punkt „eingeschränkt“ und somit in diesem Punkt nicht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts verlangt.
36 Somit fehlt es in diesem Punkt an einem notwendigen Entscheidungsverlangen und hat das Verwaltungsgericht die Spruchpunkte V. und VI. (Einstellung des Beschwerdeverfahrens samt Kostenentscheidung zulasten des Revisionswerbers) aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes belastet.
Ergebnis
37 Das angefochtene Erkenntnis war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
38 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 18. Oktober 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010226.L00Im RIS seit
17.11.2022Zuletzt aktualisiert am
17.11.2022