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82/04 Apotheken Arzneimittel;Norm
AMG 1983 §22 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 2. Juni 1995, Zl. 2.921.726/7-II/C/16b/95, betreffend Zulassung einer Arzneispezialität, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 2. Juni 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Arzneispezialität "Ukrain" gemäß § 22 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, i.d.F.
BGBl. Nr. 748/1988 und BGBl. Nr. 107/1994 (AMG) abgewiesen. Bei diesem Präparat handelt es sich nach den Angaben des Beschwerdeführers um ein neues carzinostatisches Mittel.
In der Begründung ihres Bescheides gab die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens den Inhalt einer Stellungnahme der Bundesanstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen vom 24. Februar 1995 wieder. In dieser Stellungnahme bemängelte die Bundesanstalt, das vom Beschwerdeführer vorgelegte Publikationsmanuskript "Comparison of the chemo- and X-ray therapy with Ukrain monotherapy for colorectal cancer" von Zemskov et al. weise eine Reihe - näher dargelegter - Mängel auf, weshalb es als Nachweis für die Wirksamkeit von Ukrain nicht geeignet sei. Bis zum Nachweis der Wirksamkeit von Ukrain in Form von kontrollierten klinischen Studien, die der Guten Klinischen Praxis (GCP) und den EU-Richtlinien für die Durchführung klinischer Prüfungen entsprächen, müsse sich die Bundesanstalt weiterhin gegen die Zulassung von Ukrain aussprechen.
Weiters gab die belangte Behörde eine Stellungnahme der Bundesanstalt für chemische und pharmazeutische Untersuchungen vom 27. März 1995 wieder. Darin wird im wesentlichen ausgeführt, die vorliegenden Unterlagen seien noch immer teilweise unvollständig, teilweise ungeeignet und ermöglichten keine Prüfung der Frage, ob die Arzneispezialität den Zulassungsbedingungen des AMG entspreche.
In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, die vom Beschwerdeführer seit dem Jahr 1976 vorgelegten Unterlagen hätten den Aussagen der als Sachverständigen herangezogenen Bundesanstalten zufolge niemals ausgereicht, um die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Ukrain im erforderlichen Sicherheitsausmaß nachzuweisen.
Im weiteren Begründungsverlauf ging die belangte Behörde auf die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Stellungnahmen der Bundesanstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen und der Bundesanstalt für chemische und pharmakologische Untersuchungen ein und führte im Anschluß daran zusammenfassend aus, der wesentliche Mangel aus der Sicht der Bundesanstalt für chemische und pharmakologische Untersuchungen sei der nach wie vor fehlende Qualitätsbeweis inklusive Strukturbeweis des Wirkstoffes Ukrain. Für die Qualität des Fertigproduktes fehle vollständig die Spezifikation (Laufzeitbestimmung, Prüfvorschriften, etc.), was jedoch als Folgemangel anzusehen sei. Die Zulassung von Ukrain müsse daher entsprechend den Bestimmungen des AMG verweigert werden, da einerseits die Qualität der Arzneispezialität nicht nachgewiesen und daher nicht gesichert sei und andererseits auch die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weder durch klinische Studien noch durch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial habe erwiesen werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Beschwerdeführer bringt vor, soweit die belangte Behörde eine klinische Untersuchung vermisse, sei ihr entgegenzuhalten, daß in den Verwaltungsakten eine solche erliege, und zwar die Studie "Comparison of the chemo- and X-ray therapy with Ukrain monotherapy for colorectal cancer" von Zemskov et al. Darüber hinaus gebe es eine Fülle wissenschaftlicher Untersuchungen, die der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorgelegt habe.
Zu den Äußerungen der als Gutachter beigezogenen Bundesanstalten habe der Beschwerdeführer Stellungnahmen abgegeben und darin auch beantragt, einen anderen
- unbefangenen - Gutachter heranzuziehen, weil die Stellungnahmen der Bundesanstalten den Eindruck erweckten, daß die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen nicht einmal gelesen würden. Auf diesen Antrag sei die belangte Behörde nicht eingegangen. Es fehle auch jede ernstliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des Beschwerdeführers.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Beschwerdeführer hat eine Replik erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 22 Abs. 1 AMG hat der Bundesminister für Gesundheit und Konsumentenschutz einem Antrag auf Zulassung einer Arzneispezialität dann nicht stattzugeben, wenn
1. der Antragsteller gemäß § 14 zur Antragstellung nicht berechtigt ist,
2. der Antrag unrichtige oder unvollständige Angaben enthält oder die gemäß §§ 15 bis 18 beizubringenden Zulassungsunterlagen unrichtige Angaben enthalten, sich als unvollständig oder für die Beurteilung der Arzneispezialität als nicht zureichend erweisen,
3. nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und nach den praktischen Erfahrungen nicht als gesichert erscheint, daß die Arzneispezialität auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine schädliche Wirkung hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgeht,
4. die Arzneispezialität Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthält, deren Unbedenklichkeit durch wissenschaftliche Erkenntnisse und durch praktische Erfahrungen nicht gesichert erscheint,
5. die Arzneispezialität in ihrer Qualität dem jeweiligen Stand der Wissenschaft nicht entspricht,
6. die Arzneispezialität einer Verordnung gemäß § 5 nicht entspricht,
7. die Bezeichnung der Arzneispezialität oder die Angaben in den Zulassungsunterlagen zur Irreführung geeignet sind,
8. die Wirksamkeit der Arzneispezialität nicht ausreichend nachgewiesen ist,
9. die Arzneispezialität im Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Zusammensetzung, Stärke, Beschaffenheit, Arzneiform, Dosierung, Haltbarkeit, Anwendungsart oder ihr Anwendungsgebiet keine zweckmäßige Zubereitung darstellt,
10. die für die Arzneispezialität vorgesehenen Handelspackungen im Hinblick auf die Zusammensetzung, Stärke, Beschaffenheit, Arzneiform, Dosierung, Haltbarkeit, Anwendungsart oder das Anwendungsgebiet der Arzneispezialität gesundheitlich bedenklich oder unzweckmäßig sind,
11. der Entwurf der Kennzeichnung nicht dem § 7 oder einer gemäß § 7 Abs. 6 erlassenen Verordnung entspricht,
12. der Entwurf der Gebrauchsinformation nicht den §§ 8 und 9 oder einer gemäß § 8 Abs. 4 erlassenen Verordnung entspricht,
13. der Entwurf der Fachinformation nicht den §§ 10 oder einer gemäß § 10 Abs. 10 erlassenen Verordnung entspricht,
14.
die angegebene Wartezeit nicht ausreicht,
15.
die nichtklininischen Prüfungen, deren Ergebnisse dem Antrag beigefügt sind, nicht entsprechend dem jeweiligen Stand der Wissenschaften oder einer gemäß § 48 erlassenen Verordnung durchgeführt wurden oder
16. die klinischen Daten für die Beurteilung der Arzneispezialität nicht geeignet sind oder nicht dem jeweiligen Stand der Wissenschaften entsprechen.
Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid damit, die vom Beschwerdeführer seit 1976 vorgelegten Unterlagen hätten nie ausgereicht, um Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Ukrain im erforderlichen Sicherheitsausmaß nachzuweisen.
Die von der belangten Behörde wiedergegebenen Gutachten der Bundesanstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen vom 24. Februar 1995 und der Bundesanstalt für chemische und pharm. Untersuchungen vom 27. März 1995 beschäftigen sich mit vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und zeigen auf, welche Mängel diesen Unterlagen zum Zeitpunkt der Begutachtung anhafteten. Aus den Gutachten ist zu schließen, daß bei Beseitigung dieser Mängel und bei Beantwortung der aufgeworfenen Fragen die Voraussetzungen für die Prüfung der Zulassung vorliegen.
Der Beschwerdeführer ist in seinen Stellungnahmen zu beiden Gutachten auf die Fragen und die aufgezeigten Mängel eingegangen. Er hat dabei zum Teil versucht, die gestellten Fragen zu beantworten und Angaben zu liefern, die - seiner Meinung nach - die in den Gutachten angesprochenen Mängel der vorgelegten Unterlagen beseitigten, zum Teil versuchte er darzulegen, daß den vorgelegten Unterlagen die von den Gutachten aufgezeigten Mängeln nicht anhafteten.
Daß die Stellungnahmen des Beschwerdeführers von vornherein ungeeignet gewesen seien, die seinen Unterlagen anhaftenden Mängel zu beseitigen bzw. zu dokumentieren, daß diese Mängel nicht vorlagen, ist ohne nähere, auf Sachverständigenaussagen gestützte Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seinen Stellungnahmen nicht zu erkennen. Die belangte Behörde hat sich zwar zu den Stellungnahmen des Beschwerdeführers geäußert; ihre Begründung ist aber zu pauschal und erschöpft sich in Behauptungen, deren Grundlage nicht erkennbar ist. Zum Teil ist auch nicht erkennbar, was die belangte Behörde mit ihren Ausführungen belegen will, so z.B., wenn sie ausführt, zum Punkt "Spezifikationen für Thio-Tepa" habe der Beschwerdeführer nunmehr angegeben, daß nun die Qualität gemäß dem amerikanischen Arzneibuch verwendet werde. Die belangte Behörde vermißt mehrmals "entsprechende" Unterlagen, legt aber nicht dar, welche dies sein sollen und weshalb sie erforderlich sind. Die mangelnde Konkretisierung läßt auch nicht erkennen, ob es sich dabei um Unterlagen handelt, zu deren Beibringung der Beschwerdeführer bereits aufgefordert wurde. War dies nicht der Fall, wäre er zu ihrer Beibringung aufzufordern gewesen.
Was die von der belangten Behörde angesprochenen Publikationen betrifft, geht aus der Begründung des angefochtenen Bescheides deren Bedeutung nicht hervor. Aus den Gutachten der Bundesanstalten ist nicht zu entnehmen, daß solche Publikationen gefordert wurden. Der Beschwerdeführer ist auf die Fragen der Bundesanstalt für experimentell-pharmakologische und balneologische Untersuchungen betreffend die Studie "Comparison of the chemoand X-ray Therapy with Ukrain monotherapie for colorectal cancer" eingegangen. Warum die Beantwortung dieser Fragen die aufgezeigten Mängel nicht beseitigt hat, wäre darzulegen gewesen.
Zur Erfassung der Gesamtalkaloide hat die Bundesanstalt für chemische und pharm. Untersuchungen eine bestimmte Methode vorgeschlagen; der Beschwerdeführer hat in seiner Stellungnahme erklärt, zur Erfassung der Gesamtalkaloide werde eine andere Methode verwendet und hat bezüglich dieser Methode auf eine Fachpublikation verwiesen. Wenn die belangte Behörde der Meinung war, dies stelle keine ausreichende Dokumentation dieser Methode dar, dann hätte sie den Beschwerdeführer zur Beibringung der erforderlichen Unterlagen auffordern müssen.
Worauf sich die Behauptung der belangten Behörde stützt, hinsichtlich der Bestimmung des Glührückstandes habe die Wertangabe eine zu große Breite, die wissenschaftlich unüblich sei und daher nicht akzeptiert werden könne - eine ein Sachverhaltselement betreffende Behauptung, zu der dem Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt wurde - ist nicht ersichtlich.
Welche Art von "Interpretation" die belangte Behörde vermißt, wenn sie ausführt, zur Struktur für den Ukrain-Wirkstoff habe der Beschwerdeführer zwar eine Erklärung vorgelegt, jedoch keine Interpretation, bleibt unklar.
Als "Hauptkritikpunkt" bezeichnet die belangte Behörde das Fehlen des Strukturbeweises für den Ukrain-Wirkstoff.
Was diesen Strukturbeweis betrifft, so hat der Beschwerdeführer auf Unterlagen (Patente) verwiesen, aus denen dieser Strukturbeweis hervorgehe und - mit näherer Begründung - die Auffassung vertreten, weitere Strukturbeweise seien nicht erforderlich. Zu beidem - nämlich zu dem Hinweis auf den Strukturbeweis in den vorliegenden Unterlagen und der Behauptung, weitere Strukturbeweise seien für Zwecke der Zulassung der Arzneispezialität nicht erforderlich - fehlt eine nähere Auseinandersetzung im angefochtenen Bescheid. Es wäre Sache der belangten Behörde gewesen, unter Beiziehung von Sachverständigen darzutun, aus welchen Gründen jene Unterlagen, von denen der Beschwerdeführer behauptet, sie enthielten den Strukturbeweis für den Ukrain-Wirkstoff, nicht ausreichten bzw. aus welchen Gründen weitere Strukturbeweise zu erbringen seien.
Auch bezüglich der Aussagen des angefochtenen Bescheides über die Spezifikation für die Qualität des Fertigproduktes gilt, daß ohne nähere Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar ist, ob die Annahme der belangten Behörde, diese Spezifikation fehle vollständig, zutrifft.
Aus den dargestellten Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995100124.X00Im RIS seit
20.11.2000