TE Vfgh Erkenntnis 2022/9/26 A27/2021

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Veröffentlicht am 26.09.2022
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Index

20/13 Sonstiges

Norm

B-VG Art137 / Klagen
VersicherungsvertragsG §5c, §176, §191c
ZPO §43
AHG §6
2. Richtlinie 90/619/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (2. Lebensversicherungs-RL) Art15
3. Richtlinie 92/96/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (3. Lebensversicherungs-RL) Art31, Anhang II
Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II-RL) Art185, Art186
VfGG §7 Abs1, §35, §41, §65a
  1. B-VG Art. 137 heute
  2. B-VG Art. 137 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 137 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 137 gültig von 01.01.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/1997
  5. B-VG Art. 137 gültig von 01.01.1991 bis 31.12.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  6. B-VG Art. 137 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  7. B-VG Art. 137 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  8. B-VG Art. 137 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. ZPO § 43 heute
  2. ZPO § 43 gültig ab 01.01.1985 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 501/1984
  1. AHG § 6 heute
  2. AHG § 6 gültig ab 01.03.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2013
  3. AHG § 6 gültig von 01.08.1989 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 343/1989
  4. AHG § 6 gültig von 01.01.1975 bis 31.07.1989 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 422/1974
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Abweisung einer – auf Ersatz der Prozesskosten eingeschränkten und dem Grunde nach zu Recht erhobenen – unionsrechtlichen Staatshaftungsklage gegen den Bund wegen Obsiegens mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teil des Anspruchs; qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht und die Vorgaben des EuGH durch eine Bestimmung des VersicherungsvertragsG betreffend die Beschränkung der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung auf den Rückkaufswert im Falle eines Rücktritts von einem Lebensversicherungsvertrag; keine Möglichkeit einer "Sanierung" im Auslegungsweg durch die ordentlichen Gerichte; kein Verstoß gegen Unionsrecht auf der Ebene der Vollziehung; Wirksamkeit des unionsrechtlichen Rücktrittsrechts bei fehlender oder rechtswidriger Belehrung vor Vertragsabschluss durch Tragung des wirtschaftlichen Risikos durch die Versicherungsnehmer beeinträchtigt

Spruch

Das auf Ersatz der Prozesskosten eingeschränkte Klagebegehren wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Klage und Vorverfahren

1. Mit ihrer am 31. Dezember 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten und auf Art137 B-VG gestützten Klage gegen den Bund begehrt die klagende Partei die Fällung des folgenden Urteiles:

"1. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger EUR 1.630.002,44 samt 4 % Zinsen ab Klagseinbringung sowie die Prozesskosten gemäß §19a RAO zu Handen der Klagevertreterin binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei dem Kläger für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem legislativen Unrecht – nämlich der mangelhaften Umsetzung aller oder auch nur einer der in der Klage genannten RL und der damit verbundenen Verletzung der gemeinschaftlichen Grundrechte – haftet."

2. Begründend führt die klagende Partei zu dem von ihr behaupteten Anspruch in der Klage Folgendes aus (ohne die Hervorhebungen im Original):

"A. VORBEMERKUNG

Gegenstand der Klage sind auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichtete europarechtliche Staatshaftungsansprüche gegen den Bund aus abgetretenem Recht wegen des qualifizierten Verstoßes des VersVGÄG gegen die 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie sowie die Solvabilität II Richtlinie.

Die Klage rügt den Entzug des aus den Richtlinien gewährten wirtschaftlichen Werts des individuellen Rücktrittsrechts der Zedenten aufgrund Nicht- oder Falschbelehrung im Wege einer 'Legalenteignung' durch legislatives Unrecht.

Der Kläger macht hierfür im Wege der Inkassozession abgetretene Ansprüche von Konsumenten aus Lebensversicherungen aus Rücktrittsbelehrungsfehlern über eine Sammelklage nach österreichischem Recht geltend.

Sämtliche Zedenten sind Bürger der Europäischen Union. Sie haben mit österreichischen Versicherungen Lebensversicherungen nach dem Recht der Republik Österreich geschlossen, die nicht ihren Bedürfnissen entsprachen und wurden bei Vertragsschluss nicht richtig und vollständig über [ihr] Recht zum Rücktritt [vom] Versicherungsantrag belehrt.

Der Bund haftet den Zedenten für die schuldhafte und rechtswidrige Verletzung von Unionsrecht. Wie in dieser Klage gezeigt wird, ist das VersVGÄG aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) offenkundig unionsrechtswidrig, da es das Recht der Zedenten[,] von den von ihnen geschlossenen Lebensversicherungsverträgen zurückzutreten[,] wirtschaftlich entwertet.

Aufgrund des europarechtlich wirksamen und zulässigen VersVGÄG tritt die europarechtliche Staatshaftung des Bundes an die Stelle des entzogenen individuellen zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs der Zedenten.

Tatsächlich dürfen die Zedenten zwar von ihren Lebensversicherungen zurücktreten, sie sollen aber nach dem Willen des Gesetzgebers als Rechtsfolge eines Rücktritts entweder keine oder nur noch eine Zahlung unterhalb dessen erhalten[,] was der EuGH für zulässig erachtet. Damit entzieht der Bund dem Rücktritt der Zedenten entgegen dem acquis communautaire jegliche praktische Wirksamkeit und gefährdet unter Verstoß gegen d[en] effet utile die Verwirklichung der Ziele der Union aus den genannten Richtlinien.

Wie diese Klage darlegen wird, hat der Bund das europarechtlich zulässige und wirksame VersV[G]ÄG im Zuge mehrerer Gesetzgebungsverfahren trotz ausdrücklicher Warnung des Klägers vor einer dadurch ausgelösten europarechtlichen Staatshaftungsklage mit der Absicht verabschiedet, um die Kosten und die Veranlagungsverluste unerwünschter Lebensversicherungen entgegen des acquis communautaire auf den Bürger abzuwälzen.

Damit hat der Bund durch das VersVGÄG den in der Geschichte der Europäischen Union einmaligen Fall des reinen Legislativunrechts geschaffen.

Im Einzelnen:

B. BEZUGNAHME

[…]

C. SACHVERHALT

Gemäß §15 Abs2 VfGG stellt die Klage nachfolgend den für Herleitung des Antrags erforderlichen Sachverhalt dar.

Der Bund hat die wirtschaftliche Entwertung des Rücktrittsrechtes in Absprache mit der Versicherungswirtschaft seit 2017 geplant und trotz der Warnungen des Klägers 2018 in Kraft gesetzt. Er tat dies in der erklärten Absicht, Rechtssicherheit zu schaffen und die Versicherungswirtschaft zu schützen.

Da nach Einschätzung des Bundes potenziell sämtliche Lebensversicherungsverträge seit 1994 unrichtige Belehrungen enthalten, wollte er durch Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes Sorge dafür tragen, dass die Versicherungswirtschaft keiner Rücktrittswelle ausgesetzt wird.

I. Versicherungsverträge der Zedenten

Die Zedenten haben ihre Lebensversicherungsverträge sämtlich in den Jahren von 1995 bis 2020 geschlossen. Ansprüche der Zedenten aus einer fehlerhaften Belehrung bei Abschluss der jeweiligen Lebensversicherung wurden im Geltungszeitraum des VersVGÄG nicht gerichtlich geltend gemacht und sind auch nicht rechtshängig.

Für das Bestehen der Polizzen und den Abschlusszeitraum der Lebensversicherungen der Zedenten wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf das Konvolut der Vertragsdaten in Beilage ./A verwiesen. Darin wird jedem Zedenten über seine Laufnummer unter der Ordnungszahl 3 seine Polizze zugeordnet.

[…]

Beweis: […]

Die Klage nimmt insoweit Bezug auf den Inhalt der Ordnungszahl 3 der Beilage ./A.

II. Initiativantrag vom 20. September 2017

Am 20. September 2017 brachten die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Dr. Johannes Jarolim sowie Kolleginnen und Kollegen einen Antrag zu einem Bundesgesetz ein, mit dem das Versicherungsvertragsgesetz und das Konsumentenschutzgesetz geändert werden sollten. Der Nationalrat solle insbesondere Änderungen verschiedener Normen des Versicherungsvertragsgesetzes beschließen.

Der ausdrücklich als Initiativantrag der Regierungsparteien eingebrachte Entwurf umging die Begutachtungsfrist.

Danach sollte der §5c VersVG wie folgt geändert werden:

'§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.

(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:

1. den Versicherungsschein (§3),

2. die Versicherungsbedingungen,

3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie

4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).

(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:

1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,

2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,

3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.

Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.

(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form zu erklären. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird.

(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.

(6) Hat der Versicherer Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.

(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG.'

Ferner sollte der §176 VersVG wie folgt geändert werden:

'(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung vor dem Ablauf von zehn Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von zehn Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von zehn Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen. […]'

Dem §191c sollten folgende Absätze angefügt werden:

'(18) §5c, §15a Abs2, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr xx/2017 treten mit 23. Februar 2018 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a VersVG treten mit Ablauf des 22. Februar 2018 außer Kraft. §5c und die Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 22. Februar 2018 geschlossen werden. §176 Abs5 und 6 sind auf Versicherungsverträge anzuwenden[,] die nach dem 1. Jänner 2019 geschlossen werden.

(19) Für einen Rücktritt von einer kapitalbildenden Lebensversicherung nach den §§5b, 5c und 165a VersVG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I. Nr xx/2017, der nach Ablauf des Tages der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl I. Nr xx/2017 erklärt wird, gilt Folgendes:

1. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat, nachdem der Vertrag von beiden Seiten vollständig erfüllt wurde.

2. Trägt der Versicherungsnehmer selbst das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.

3. Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Frist erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer innerhalb von fünf Jahren ab Vertragsabschluss der Rückkaufswert gemäß §176 Abs1, von dem jedoch weder ein Abzug der Abschlusskosten noch ein Abzug gemäß §176 Abs4 vorzunehmen ist. Bei Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren gebührt dem Versicherungsnehmer der Rückkaufswert gemäß §176 Abs1, ohne dass ein Abzug nach §176 Abs4 vorzunehmen ist.'

Beweis: […]

Der Kläger versendete am 2. Oktober 2017 namentlich einen offenen Brief an die Mitglieder des Finanzausschusses des Nationalrats der Republik Österreich und warnte vor einem drohenden Verstoß gegen die 3. Lebensversicherungsrichtlinie.

Beweis: […]

Der Antrag wurde ua aufgrund der Eingabe des Klägers von der Tagesordnung des Finanzausschusses genommen.

III. Sitzung des Nationalrates vom 21. März 2018

Im ersten Halbjahr 2018 prüfte der Bund einen weiteren Entwurf zur Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes. Der Entwurf war inhaltsgleich mit dem des Initiativantrages vom 20. September 2017.

Im Stenographischen Protokoll der 15. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich in der XXVI. Gesetzgebungsperiode vom Mittwoch, 21. März 2018[,] stellte der Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen *************** die Motive des Bundes wie folgt dar:

'[…] Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist jedenfalls das Erlöschen des Rücktrittsrechts nach einem Jahr – trotz fehlerhafter Belehrung über das Rücktrittsrecht – europarechtswidrig. Die Rechtsfolgen des Rücktritts, Herr Kollege, sind höchstgerichtlich noch nicht geklärt.

Es gibt dazu zwei Extrempositionen, und eine dieser Extrempositionen vertreten Sie. Die eine Extremposition ist, dass der Versicherungsnehmer nur den Rückkaufswert bekommt, also die Anlageverluste trägt. Die andere Extremposition, die Sie vertreten, die aber genauso nicht höchstgerichtlich abgesichert ist, ist, dass die Prämien plus 4 Prozent – […]

Irgendwann muss es Rechtsfrieden und damit auch Rechtssicherheit geben, Herr Abgeordneter. (Abg. Kolba: Die Rechtssicherheit ...!) Da potenziell sämtliche Lebensversicherungsverträge seit 1994 unrichtige Belehrungen enthalten, müssen wir dafür Sorge tragen, dass eine Rücktrittswelle nicht die Stabilität der Versicherungswirtschaft gefährdet. (Abg. Kolba: Darum geht’s! Ja, die Gewinne müssen bleiben ...! – Weitere Zwischenrufe bei der Liste Pilz.) Es braucht eine ausgewogene Lösung, Herr Abgeordneter (Abg. Kolba: Ja, ja!), zwischen der Versicherungswirtschaft einerseits und den Rechten der Konsumenten andererseits, das ist ganz wichtig. […]'

[…]

Beweis: […]

Hiergegen versendete der Kläger am 19. März 2018 namentlich einen offenen Brief an die Mitglieder des Nationalrats der Republik und warnte den Bund ua ausdrücklich vor der damit verbundenen europarechtlichen Staatshaftung:

'[…] Sollte sich der österreichische Gesetzgeber an die Grundregeln des Europäischen Rechts tatsächlich nicht gebunden fühlen, so muss er für den dadurch entstandenen Schaden selbst einstehen und haften. Ein Mitgliedsstaat der EU, der seine Pflichten zur Umsetzung und Anwendung Europäischen Rechts nicht erfüllt und damit den Konsumenten einen Anspruch nimmt, den sie zuvor hatten, muss im Wege der Staatshaftung diesen Schaden selbst ausgleichen (Francovich Entscheidung: EuGH, C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, 5357ff). Laut Berechnungen des VSA mindert der Gesetzesentwurf die Ansprüche der KonsumentInnen um mehr als EUR 3,5 rd. und trägt in sich das Risiko sowohl unabsehbarer Haftungen der Republik als auch Folgeprozesse aufgrund der offensichtlichen Klientelpolitik. Sowohl die 3. Lebensversicherungsrichtlinie als auch die 'Endress-Entscheidung' des EuGH sind dem Finanzausschuss bekannt. Trotz dieser Kenntnis scheint der Finanzausschuss fest entschlossen, einen Gesetz[es]entwurf auf den Weg zu bringen, der ausschließlich den Interessen einer Klientelpolitik zu Gunsten der österreichischen Lebensversicherungswirtschaft dient.

[…]

Die Initiatoren des Gesetzentwurfes sind die vorstehenden Gefahren und Risiken für die Republik schon aus dem offenen Brief des VSA aus dem Vorjahr und der öffentlichen Diskussion bekannt. Dennoch bringen sie den Entwurf wortgleich erneut ein. Damit steht fest, dass die Initiatoren mit Wissen und Wollen und damit mit direktem Vorsatz handeln. Dies wird bei der drohenden Staatshaftung der Republik zu berücksichtigen sein.

Die im Vertrauen auf die Rücknahme des VersVertrRÄG 2017 gewählte neue Regierung der Republik Österreich muss sich fragen lassen, wie sie zur dieser kalten Enteignung der Bürger und Pensionisten in diese[r] für die Altersvorsorge unentbehrlichen Anlageform steht.[']

[…]

Beweis: […]

Der Antrag wurde ua aufgrund der Eingabe des Klägers nicht auf die Tagesordnung des Finanzausschusses gesetzt.

IV. Initiativantrag vom 14. Juni 2018

Am 14. Juni 2018 brachten die Abgeordneten Karlheinz Kopf und Hermann Brückl einen weiteren Antrag zu einem Bundesgesetz ein, mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 geändert werden sollten. Der Nationalrat solle erneut insbesondere Änderungen verschiedener Normen des Versicherungsvertragsgesetzes beschließen.

Der wieder als Initiativantrag der Regierungsparteien eingebrachte Entwurf umging erneut die Begutachtungsfrist.

1. Änderungsentwurf

Der Inhalt der Änderungen wiederholte in weiten Teilen den Inhalt des Initiativantrags vom 20. September 2017. Danach sollte der §5c VersVG wie folgt geändert werden:

[']§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.

(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:

1. den Versicherungsschein (§3),

2. die Versicherungsbedingungen,

3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie

4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).

(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:

1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,

2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,

3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.

Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.

(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form gegenüber dem Versicherer zu erklären. §45 Abs1 Z2 bleibt unberührt. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird[.]

(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.

(6) Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.

(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG 2016.'

Ferner sollte der §176 VersVG wie folgt geändert werden:

'(1a) Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß §5c Abs2 erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung

– innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien;

– ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß §176 Abs4.

Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.'

[…]

['](5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen. […]'

Schließlich sollten dem §191c VersVG folgende Absätze angefügt werden:

'(22) §5a Abs2, §5c, §15a Abs2, §176 Abs1a, §176 Abs5 und Abs6, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr xx/2018 treten mit 01.01.2019 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a treten mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. §5c, §176 Abs1a und Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 geschlossen werden. §5b Abs2 bis 6, §5c und §165a in der Fassung vor dem Bundegesetz BGBl I Nr xx/2018 sind – vorbehaltlich des Abs23 – auf Versicherungsverträge weiterhin anzuwenden, die vor dem 01.01.2019 abgeschlossen wurden.

(23) Für einen Rücktritt von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetzblatt BGBl I. Nr xx/2018, der ab dem 01.01.2019 erklärt wird, gelten die Rechtsfolgen gemäß §176 Abs1a.'

Beweis: […]

2. Begründung

Der Antrag begründete die geplanten Gesetzesänderungen in seinen amtlichen Gesetzgebungsmotiven wie folgt.

a) Rücktritt vom Antrag

Zunächst stellt der Antrag klar, dass ein Rücktrittsrecht entgegen dem Wortlaut der Norm insbesondere auch den 'Rücktritt' von dem auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages gerichteten Versicherungsantrag umfasst.

Dadurch, dass das §5c Rücktrittsrecht an keine Begründung geknüpft ist, würden auch die konzeptionellen Schwächen der bisherigen Gestaltung des allgemeinen versicherungsvertraglichen Rücktrittsrechts gemäß §5b VersVG beseitigt. Es sei daher – wie bisher in §5b Abs1 – weiterhin vom Rücktritt 'vom Versicherungsvertrag' die Rede. Dies schließe wie bislang auch einen Rücktritt vom Antrag bzw einer Vertragserklärung ein, sodass der Versicherungsnehmer auch bis zum Zustandekommen des Vertrags zurücktreten kann.

Beweis: […]

b) Fristbeginn

Ferner stellte der Antrag klar, dass die Frist für einen Rücktritt richtlinienkonform nicht vor einer Belehrung über das Rücktrittsrecht und der Übermittlung des Versicherungsscheins erfolgen kann.

§5c Abs2 regele als Beginn der Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts grundsätzlich den Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande komme. Für den Schutz des Versicherungsnehmers sei entscheidend, dass die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn er den Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen einschließlich der Bestimmungen über die Prämienfestsetzung oder -änderung sowie eine Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten hat.

Die Regelung entspreche damit den Erfordernissen des Art186 der Richtlinie 2009/138/EG. Letztere normiert für Lebensversicherungsverträge ein Rücktrittsrecht für Versicherungsnehmer 'von dem Zeitpunkt an, zu dem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Vertrag geschlossen ist'. Das ist in Österreich regelmäßig der Tag, an dem der Versicherungsnehmer die Polizze (das ist der Versicherungsschein) erhält, weil dies entweder die konkludente Annahme des Antrags des Versicherungsnehmers ist oder, bei einem Antrag des Versicherers und einer Annahme durch den Versicherungsnehmer, die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags. Da die Rücktrittsfrist nicht vor Übermittlung des Versicherungsscheins (der Polizze) beginnt, ist die Regelung richtlinienkonform.

Beweis: […]

c) Rechtsfolgen bei Spätrücktritt

Weiterhin will der Antrag Rechtsfolgen für alle Rücktritte vom Versicherungsantrag regeln, in denen der Versicherungsnehmer vor dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht richtig und vollständig über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde und [für] die daher die Frist für einen Rücktritt noch nicht läuft. Für diese als 'Spätrücktritt' bezeichnete Rechtslage unterscheidet der Antrag nach den Rechtsfolgen für die kapitalbildende Lebensversicherung und einer Versicherung, bei der der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko trägt, d.h. einer so genannten 'Fondsgebundenen Lebensversicherung'.

(1) Kapitalbildende Lebensversicherung

§176 Abs1a erster Satz regelt die Rechtsfolgen des Rücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung für den Fall, dass nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist nach §5c erfüllt sind (Spätrücktritt). Die Regelung der Rechtsfolgen solle 'in Anlehnung an §152 Abs2 Versicherungsvertragsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (dVVG)' dahingehend erfolgen, dass der Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt im ersten Jahr nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien zurückerhält. Tatsächlich enthält der §152 Abs2 dVVG keine gesetzliche Begrenzung auf den Rückkaufswert, sondern verweist auf §9 dVVG, der auf die Erstattung gezahlter Prämien abstellt.

Die Rechtsfolge eines Spätrücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung soll auf die Zahlung des Rückkaufswertes begrenzt sein. Damit stellt der Antrag klar, dass die Rechtsfolge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gesetzlich ausgeschlossen wird.

Ferner [wird für] die Höhe des Rückkaufwertes zeitlich unterschieden: Ab dem zweiten bis zum fünften Jahr nach Vertragsabschluss soll der Versicherungsnehmer nur den Rückkaufswert nach §176 Abs3 VersVG ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten[,] aber ohne Abzug nach §176 Abs4 erhalten. Bei einem Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren ab Vertragsabschluss erhält der Versicherungsnehmer demgegenüber nur den Rückkaufswert gemäß §176 Abs1 VersVG mit Abzügen nach §176 Abs4.

Weder die Berechnung noch die Höhe des vom Versicherer zu bestimmenden Rückkaufwertes sind für den Versicherungsnehmer überprüfbar. Insbesondere hat der Versicherungsnehmer auch kein Auskunftsrecht über die Ursachen und Berechnung des ihm mitgeteilten Rückkaufswertes oder der gemachten Abzüge. Die darüber hinaus gehenden Folgen der unerwünschten Lebensversicherung sollen beim Versicherungsnehmer verbleiben.

(2) Fondsgebundene Lebensversicherung

§176 Abs1a zweiter Satz regelt den Fall, dass bei einer Versicherung, bei der der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko trägt, Veranlagungsverluste eingetreten sind. Danach soll jeder falsch belehrte Versicherungsnehmer, der vom Antrag seiner Fondsgebundenen Lebensversicherung zurücktritt, die Veranlagungsverluste selbst tragen. Die Folgen der unerwünschten Lebensversicherung sollen beim Versicherungsnehmer verbleiben.

Auch hier stellt der Antrag klar, dass die Rechtsfolge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gesetzlich ausgeschlossen wird.

(3) Grundsatz der 'Rechtssicherheit'

Die neuen gesetzlichen Rechtsfolgen sollen 'Rechtssicherheit' schaffen. Es sei durch höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, wie die Rückabwicklung bei einem Spätrücktritt erfolgt. Die Bandbreite der vertretenen Meinungen reicht vom Ersatz des Rückkaufwerts gemäß §176 Abs3 VersVG bis zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der Prämie zzgl. gesetzlicher Zinsen. Wegen der vielen unterschiedlichen Voraussetzungen für den Rücktritt nach den bisherigen Bestimmungen könnten in einer Vielzahl von Fällen eine (wenn auch nur in Details) fehlerhafte Belehrung erfolgt sein, weshalb es geboten erscheine, hier für Rechtssicherheit zu sorgen.

Diese Regelung entspreche Art186 der Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II) und dem europarechtlichen Wirksamkeitsgebot (effet utile).

Die neuen Rechtsfolgen bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung gemäß §176 Abs1a VersVG seien ein 'höchst wirksamer Anreiz' für die Versicherer, umfassend über das Rücktrittsrecht zu belehren. Ferner könne der Versicherungsnehmer auch weiterhin zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gegen den Versicherer geltend machen. Schließlich sei die in §252 Abs1 Z6 VAG 2016 normierte Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer über die Umstände, unter denen er den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann, gemäß §319 Z1 VAG 2016 durch Verwaltungsstrafen bis EUR 60.000,00 abgesichert.

Beweis: […]

d) Altbestand

Der Antrag will die Rechtsfolgen eines Spätrücktritts für neu abgeschlossene[,] aber auch für bestehende Verträge einheitlich regeln.

Die Bestimmung des §191c VersVG soll das In- und Außerkrafttreten der neuen und alten Vorschriften regeln. Die Regelung der Rechtsfolgen in §176 Abs1a VersVG soll allfällige zukünftige Entscheidungen der Gerichte zu bislang höchstgerichtlich nicht abschließend geklärten Rechtsfragen bei einem bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung erklärten Spätrücktritt hingegen 'nicht präjudizieren'.

Die amtliche Begründung erläutert allerdings nicht, worin das 'fehlende Präjudiz' einer abstrakt generellen gesetzlichen Regelung liegen soll.

Beweis: […]

V. Verkündung

Am 14. August 2018 wurde das VersVGÄG im BGBl I Nr 51/2018 (NR: GP XXVI IA 302/A AB 223 S. 34. BR: AB 10003 S. 882.) ua mit folgendem Inhalt verkündet:

'[…]

3. §5c lautet:

'Rücktrittsrecht'

§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.

(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:

1. den Versicherungsschein (§3),

2. die Versicherungsbedingungen,

3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie

4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).

(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:

1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,

2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,

3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.

Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.

(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form gegenüber dem Versicherer zu erklären. §45 Abs1 Z2 bleibt unberührt. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird.

(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.

(6) Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.

(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG 2016.

[…]

6. §176 Abs1a lautet:

'Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß §5c Abs2 erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung

– innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien;

– ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß §176 Abs4. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.

7. §176 Abs5 und 6 lauten:

(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen.

[…]

9. Dem §191c werden folgende Absätze 22 und 23 angefügt:

(22) §5a Abs2, §5c, §15a Abs2, §176 Abs1a, §176 Abs5 und Abs6, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 51/2018 treten mit 01.01.2019 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a treten mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. §5c, §176 Abs1a und Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 geschlossen werden. §5b Abs2 bis 6, §5c und §165a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 51/2018 sind – vorbehaltlich des Abs23 – auf Versicherungsverträge weiterhin anzuwenden, die vor dem 01.01.2019 abgeschlossen wurden.

(23) Für einen Rücktritt von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetzblatt BGBl I Nr 51/2018, der ab dem 01.01.2019 erklärt wird, gelten die Rechtsfolgen gemäß §176 Abs1a.

[…].'

Beweis: […]

In der amtlichen Pressekorrespondenz des Nationalrats vom 4. Juli 2018 beschrieben die Abgeordneten der Regierungsparteien die mit dem VersVGÄG verfolgten Absichten ua wie folgt:

'ÖVP – Gesetz schafft Interessensausgleich und Fairness

Aus Sicht der ÖVP darf die Lebensversicherung nicht zum Spekulationsobjekt mit Austrittsjoker werden. Fairness werde geschaffen, so Finanzsprecher **********, der die unterschiedlichen Interessen der beiden Parteien verdeutlichte. Ohne Gesetzesänderung würden Lebensversicherungen für die Versicherungsunternehmen unattraktiv und irgendwann nicht mehr angeboten. Außerdem widerspreche die lebenslange Rücktrittsmöglichkeit seinem Rechtsempfinden, obwohl sie seitens des EuGH als rechtens bestätigt wurde. Das Gesetz biete somit eine ausgewogene Lösung unter Berücksichtigung der europäischen Rechtslage, unterstrich **********.

[…]

FPÖ: Rechtssicherheit wird geschaffen

Seit zwei Jahren sei versucht worden, in diesem Bereich eine Lösung zu finden, betonte Peter Wurm (FPÖ) den langen Entstehungsprozess des Gesetzes. Nun wurde eine Lösung im Sinne der KonsumentInnen gefunden, sagte er. Sowohl künftige Verträge als auch Altverträge würden dadurch geregelt. Die österreichische Lösung sei sogar besser als die aktuelle deutsche Regelung, meinte Wurm. Rechtssicherheit werde geschaffen, unterstrich auch Fraktionskollege Hermann Brückl.

Bislang sei die Verjährungsfrist aufgrund der vielen Änderungen und Gerichtsentscheidungen unklar gewesen. Nun sei ein vertretbarer Mittelweg gefunden worden, zeigte er sich zufrieden.'

[…]

Demgegenüber stimmte die Opposition gegen den Entwurf, warnte ausdrücklich vor dem Eintritt der Staatshaftung und wies darauf hin, dass das Gesetz dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz widerspricht. Hierbei stützte sich die Opposition ua auf eine Studie des Europarechtsexperten Maderbacher.

Beweis: […]

D. BEGEHREN

Gemäß §15 Abs2 VfGG macht die Klage folgende Begehren

Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den durch den Bund durch das '51. Bundesgesetz mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 geändert werden' (NR: GP XXVI IA 302/A AB 223 S. 34. BR: AB 10003 S. 882.) vom 14.08.2018 verursachten und unter D. IV. 3. dargelegten Schaden seiner Zedenten;

ein Erkenntnis des Gerichts über die Höhe der angemessenen Entschädigung seiner Zedenten;

einen Exekutionstitel zur Vollstreckung der durch das Gericht erkannten angemessenen Entschädigung der Zedenten durch weiteres Erkenntnis des Gerichts,

geltend und macht die folgenden Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage:

I. Herleitung des Anspruchs

Die mit der Klage begehrte Entschädigung aus europarechtlicher Staatshaftung des Bundes leitet sich aus dem Rechtsgedanken des Art340 Abs2 AEUV ab und ist ein genuin unionsrechtlicher Anspruch, der durch den EuGH in ständiger Rechtsprechung angewendet wird. Vgl. hierzu

EuGH C-6 & C-9-90 vom 19. November 1991 (Francovich);

EuGH C-46 & C-48-93 vom 5. März 1996 (Pêcheur);

EuGH C-224/01 vom 30. September 2003 (Köbler).

Die Klage rügt die Verletzung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts aus der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie, der Solvabilität II Richtlinie und der Entscheidungen des EuGH aus Art4 Abs3 EUV. Vgl. hierzu

EuGH C-209/12 vom 19. Dezember 2013 (Endress);

EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner ua).

Der Bund hat mit der Verabschiedung und Inkraftsetzung des VersVGÄG die Verwirklichung des Unionsrechts zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Belehrung von Versicherungsnehmern in der Republik Österreich praktisch unmöglich gemacht.

Damit hat der Bund den Grundsatz der Unionstreue aus Art4 Abs3 EUV und den Grundsatz des Schutzes europarechtlicher Individualrechte aus der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie missachtet.

II. Handeln eines Hoheitsträgers

Die Verabschiedung und Inkraftsetzung des VersV[G]ÄG durch den Bund ist auch Handeln eines Hoheitsträgers.

III. Qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht

Der Ausschluss des zivilrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung, die Begrenzung der Rechtsfolge eines Rücktritts auf den Rückkaufswert sowie die Abwälzung des Veranlagungsrisikos auf die Zedenten durch das VersVGÄG begründet einen qualifizierten Verstoß gegen die aus der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie, der Solvabilität II Richtlinie sowie der Rechtsprechung des EuGH gewährten individuellen Rechte der Zedenten.

Im Einzelnen:

1. Verletzte Norm

Die Normen des §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG verletzen neben dem effet utile aus Art4 Abs3 EUV insbesondere Art15 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie, Art31 und Anhang II A. a13 der 3. Lebensversicherungsrichtlinie und Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie sowie die Grundsätze der Entscheidungen des EuGH in EuGH C-209/12 vom 19. Dezember 2013 (Endress) und EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner ua).

Die 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie waren schon beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit 1. Jänner 1995 Teil des acquis communautaire.

Vgl. VfGH A30/04 vom 15. Juni 2005

a) Bestimmtheit

Wie in dieser Klage gezeigt wird, verleihen die verletzten Normen den einzelnen Zedenten Rechte, die inhaltlich hinreichend bestimmt sind.

(1) Art15 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie

Die Norm des Art15 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie ist hinreichend bestimmt. Die Norm lautet:

'Artikel 15

(1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, daß der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags, der in einem der in Titel III genannten Fälle geschlossen wird, von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, daß der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.

Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, daß er vom Vertrag zurücktritt, be

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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