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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, LL.M., den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des K in R, vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 21. Juni 2022, LVwG-050223/8/BL, betreffend Verfall nach dem TSchG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gmunden; mitbeteiligte Partei: Tierschutzombudsperson Dr. Cornelia Rouha-Mülleder p.A. Tierschutzombudsstelle in 4021 Linz, Bahnhofplatz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis (Spruchpunkt A. der Entscheidung) wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 11. Februar 2022 wurden insgesamt 92 Straußenvögel, die dem Revisionswerber bei näher genannten Amtshandlungen abgenommen worden waren, gemäß „§§ 39 Abs. 3 iVm 40 Tierschutzgesetz (TSchG), BGBl. I Nr. 118/2004 idgF“ für verfallen erklärt.
2 2.1. Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) mit Erkenntnis vom 21. Juni 2022 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gegen diese Entscheidung unzulässig sei (Spruchpunkt A. I. und II.). Mit dem unter einem gefassten Beschluss wies das Verwaltungsgericht zudem den Antrag des Revisionswerbers auf Gewährung von Verfahrenshilfe zurück und erklärte die Revision gegen diese Entscheidung ebenfalls für unzulässig (Spruchpunkt B. I. und II.).
3 2.2. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dem Revisionswerber sei mit Bescheid vom 25. September 2008 die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere sowie von Tieren zu landwirtschaftlichen Zwecken auf Dauer verboten worden. Anlässlich der dagegen erhobenen Berufung habe der Unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich mit Bescheid vom 12. Juli 2012 die Haltung von Straußenvögeln zu landwirtschaftlichen Zwecken auf Dauer untersagt. Im Rahmen einer tierschutzrechtlichen Überprüfung im September 2018 sei festgestellt worden, dass trotz des rechtskräftigen Verbots mehr als 100 Strauße gehalten worden seien. Die Straußenvögel seien bei sechs näher umschriebenen Amtshandlungen an der genannten Adresse abgenommen worden. Der Revisionswerber sei Halter und Eigentümer der abgenommenen Straußenvögel. Er habe die Tiere überwiegend betreut, gefüttert, versorgt und an dieser Adresse untergebracht.
4 2.3. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zu Spruchpunkt A. I. zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei „betreffend der abgenommenen Strauße bei den Amtshandlungen [...] Halter an seinem Betrieb an der Adresse [...]“ gewesen, obwohl ihm rechtskräftig die Haltung von Straußenvögeln zu landwirtschaftlichen Zwecken auf Dauer verboten worden sei. Zumal der Revisionswerber entgegen einem rechtskräftigen Verbot gemäß § 39 Abs. 1 TSchG Tiere gehalten habe, sei die belangte Behörde verpflichtet gewesen, diesem die Tiere gemäß § 39 Abs. 3 erster Satz TSchG ohne vorausgegangenes Verfahren unverzüglich abzunehmen. Gemäß § 39 Abs. 3 zweiter Satz TSchG unterlägen diese Tiere dem Verfall iSd § 17 VStG. Gemäß § 17 Abs. 1 VStG dürften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, nur Gegenstände für verfallen erklärt werden, die im Eigentum des Täters oder eines Mitschuldigen stünden oder ihnen vom Verfügungsberechtigten überlassen worden seien, obwohl dieser hätte erkennen müssen, dass die Überlassung des Gegenstandes der Begehung einer mit Verfall bedrohten Verwaltungsübertretung dienen werde. Die Haltereigenschaft bzw. das Eigentum an den Tieren habe weder durch den (in einem vorangegangenen Verfahren) vorgelegten „Treuhandvertrag“ noch durch die „Nutzungsüberlassungsvereinbarung“ mit einem näher genannten Verein übertragen werden können. Bei der Haltereigenschaft iSd § 4 Z 1 TSchG gehe es um eine Nahebeziehung zum Tier. Der Revisionswerber habe die Straußenvögel überwiegend betreut, gefüttert und untergebracht, sodass die Haltereigenschaft jedenfalls gegeben sei. Auch an der Eigentümereigenschaft des Revisionswerbers bestehe kein Zweifel. Als „Verstoß“, der einen Verfall zur Folge habe, sei iSd § 39 Abs. 3 TSchG das Halten von Tieren entgegen einem Verbot gemäß § 39 Abs. 1 TSchG tatbildlich. Der Revisionswerber habe entgegen einem rechtskräftigen Verbot gemäß § 39 Abs. 1 TSchG Straußenvögel gehalten, was die Rechtsfolgen des § 39 Abs. 3 TSchG zu Konsequenz gehabt habe. Die Verfallserklärung sei daher rechtmäßig erfolgt.
5 2.4. Die Abstandnahme von der vom Revisionswerber in seiner Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass von einer solchen gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG habe abgesehen werden können. Aufgrund der Aktenlage sei klar erkennbar, dass eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lasse. Einem Entfall der Verhandlung stehe auch Art. 6 Abs. 1 EMRK oder Art. 47 GRC nicht entgegen. Dies schon deshalb, weil dem Revisionswerber im Verfahren vor der belangten Behörde die Möglichkeit zum Parteiengehör eingeräumt worden sei und dieser davon auch Gebrauch gemacht habe. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt stehe eindeutig fest und es seien keine weiteren beweiswürdigenden Überlegungen erforderlich.
6 3.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit den Anträgen, der Revision Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis unter Kostenzuspruch nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 VwGG aufzuheben, in eventu das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
7 3.2. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung der Revision als unzulässig, in eventu ihre Abweisung als unbegründet sowie den Zuspruch von Aufwandersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 4.1. Die Revision erweist sich bereits mit ihrem Vorbringen zur Verletzung der Verhandlungspflicht durch das Verwaltungsgericht als zulässig und begründet:
9 4.2.1. Gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, sofern keine der in Abs. 2 bis 5 leg. cit. festgelegten Ausnahmen von der Verhandlungspflicht Anwendung findet (vgl. VwGH 4.3.2022, Ra 2020/02/0172, mwN).
10 4.2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff „Verwaltungsstrafsachen“ umfassend zu verstehen und erstreckt sich auf alle Verfahren vor den Verwaltungsbehörden wegen Verwaltungsübertretungen (vgl. VwGH 12.2.2020, Ra 2019/02/0179; 4.10.1996, 96/02/0076; jeweils mwN). Ist der Verfall in einer Verwaltungsvorschrift entsprechend § 17 VStG als Strafe vorgesehen, dann sind von diesem Begriff etwa auch Bescheide betreffend die Beschlagnahme von Verfallsgegenständen und deren Ausfolgung im Sinne des § 39 VStG erfasst (vgl. VwGH 15.7.1999, 99/07/0083). Auch das Verfahren betreffend einen Antrag auf Rückgabe von für verfallen erklärter Tiere ist als Verfahren wegen einer Verwaltungsübertretung und somit als Verwaltungsstrafsache zu betrachten, wenn der Verfallsausspruch Strafcharakter hatte (vgl. VwGH 28.4.1993, 93/02/0028; vgl. hierzu auch VwGH 25.3.1992, 92/03/0006, wonach der Begriff „Verwaltungsstrafsachen“ selbst den objektiven Verfall nach § 17 Abs. 3 VStG umfasst).
11 Ob es sich beim Verfall um eine reine Sicherungsmaßnahme handelt, sodass der Verfallsausspruch im Administrativverfahren unter Anwendung des AVG zu erfolgen hat (vgl. hierzu Wessely in Raschauer/Wessely, VStG² (2016) § 17 Rz 5; sowie VwGH 21.11.2000, 2000/05/0240; 15.7.1999, 99/07/0083; jeweils mwN), oder diesem (auch) Strafcharakter zukommt, ist anhand der jeweiligen Verwaltungsvorschrift zu ermitteln (vgl. Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG² (2017) § 17 Rz 1).
12 4.2.3. § 39 und § 40 TSchG, BGBl. I Nr. 118/2004 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2017, lauten auszugsweise wie folgt:
„Verbot der Tierhaltung
§ 39. (1) Die Behörde kann einer Person, die vom Gericht wegen Tierquälerei wenigstens einmal oder von der Verwaltungsbehörde wegen Verstoßes gegen die §§ 5, 6, 7 oder 8 mehr als einmal rechtskräftig bestraft wurde, die Haltung von Tieren aller oder bestimmter Arten für einen bestimmten Zeitraum oder auf Dauer verbieten, soweit dies mit Rücksicht auf das bisherige Verhalten der betreffenden Person erforderlich ist, damit eine Tierquälerei oder ein Verstoß gegen die §§ 5, 6, 7 oder 8 in Zukunft voraussichtlich verhindert wird. (...)
(...)
(3) Wird ein Tier entgegen einem Verbot nach Abs. 1 gehalten, so hat es die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren unverzüglich abzunehmen und für seine vorläufige Verwahrung und Betreuung zu sorgen. Diese Tiere unterliegen dem Verfall im Sinne des § 17 VStG.
(...)
Verfall
§ 40. (1) Unbeschadet der §§ 37 Abs. 3 letzter Satz und § 39 Abs. 3 unterliegen Gegenstände, die zur Übertretung dieses Bundesgesetzes oder einer auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung verwendet wurden, und Tiere, auf die sich das strafbare Verhalten bezogen hat, dem Verfall im Sinne des § 17 VStG, wenn zu erwarten ist, dass der Täter sein strafbares Verhalten fortsetzen oder wiederholen wird.
(...)“
13 4.2.4. Dass es sich bei dem Verfall gemäß § 39 Abs. 3 TSchG sowie § 40 Abs. 1 TSchG um keine reine Sicherungsmaßnahme handelt, sondern diesem jedenfalls auch Strafcharakter zukommt, ergibt sich bereits aus dem jeweiligen Verweis auf § 17 VStG, zumal § 17 VStG erst dann zum Tragen kommen kann, wenn eine Verwaltungsvorschrift den Verfall als Strafe vorsieht. Dies gilt auch für den in § 17 Abs. 3 VStG vorgesehenen objektiven Verfall, der keine Strafe, sondern eine Sicherungsmaßnahme darstellt (vgl. erneut VwGH 15.7.1999, 99/07/0083). Bereits aus dem gesetzlichen Verweis auf § 17 VStG folgt somit, dass ein Verfallsausspruch nach § 39 Abs. 3 bzw. § 40 Abs. 1 TSchG (auch) als Strafe zu qualifizieren ist.
14 Darüber hinaus knüpft sowohl der Ausspruch des Verfalles nach § 39 Abs. 3 TSchG als auch jener nach § 40 Abs. 1 TSchG unmittelbar an das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung („Wird ein Tier entgegen einem Verbot nach Abs. 1 gehalten [...]“ sowie „[...] Gegenstände, die zur Übertretung dieses Bundesgesetzes oder einer auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung verwendet wurden, und Tiere, auf die sich das strafbare Verhalten bezogen hat [...]“) an, sodass sich der Verfall auch aus diesem Grund als Sanktion für die Übertretung und damit als Folge einer strafbaren Handlung darstellt, weshalb der Verfall nach § 39 Abs. 3 und § 40 Abs. 1 TSchG keine bloße Sicherungsmaßnahme ohne Strafcharakter ist (vgl. zum Wr. Wettengesetz: VwGH 16.12.2016, Ra 2016/02/0228; vgl. hingegen der in § 76b Abs. 9 Arzneimittelgesetz vorgesehene Verfall, der ausschließlich auf das Vorliegen einer Gefahrenlage abstellt, weshalb er als Sicherungsmaßnahme ohne Strafcharakter zu werten ist: VwGH 8.10.2014, 2012/10/0211).
15 Aufgrund der Qualifikation des Verfallverfahrens nach dem TSchG als Verwaltungsstrafverfahren ist das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Verwaltungsgericht somit nicht gemäß § 24 VwGVG, sondern gemäß § 44 VwGVG, der die Verhandlungspflicht in Verwaltungsstrafsachen regelt, zu beurteilen. Der Revisionswerber hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in seiner Beschwerde beantragt.
16 Bei Anwendung des § 44 VwGVG war das Verwaltungsgericht jedenfalls zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet, zumal keine der in Abs. 2 bis 5 leg. cit. festgelegten Ausnahmen von der Verhandlungspflicht zur Anwendung gelangt ist (vgl. erneut VwGH 4.3.2022, Ra 2020/02/0172, mwN). Ein Absehen von der Verhandlung nach § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Verwaltungsgericht die Beschwerde mit Erkenntnis als unbegründet abgewiesen hat (vgl. VwGH 16.9.2021, Ra 2021/02/0167, mwN). Auch konnte das Unterbleiben der Verhandlung nicht auf § 44 Abs. 3 VwGVG gestützt werden, zumal die in dieser Bestimmung normierten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, d.h. neben der Erfüllung einer der Tatbestände des § 44 Abs. 3 VwGVG darf keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt haben (vgl. VwGH 8.8.2022, Ra 2022/09/0059, mwN). Der Revisionswerber hat jedoch in seiner Beschwerde ausdrücklich die Durchführung einer solchen beantragt.
17 Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich und führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (vgl. VwGH 4.3.2022, Ra 2020/02/0248, mwN), weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war. Der zur selben Geschäftszahl getroffene Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom 21. Juni 2022 bleibt - mangels untrennbaren Zusammenhanges und mangels Anfechtung durch den Revisionswerber - von dieser Aufhebung unberührt.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
19 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 20. Oktober 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020179.L00Im RIS seit
16.11.2022Zuletzt aktualisiert am
16.11.2022