TE Vfgh Erkenntnis 1994/2/28 B1540/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.1994
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs2

Leitsatz

Gesonderte Erledigung von Beschwerden gegen die Zurückweisung eines Verfahrenshilfeantrags und die Entscheidung über eine Schubhaftbeschwerde durch den Unabhängigen Verwaltungssenat

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird - mit Ausnahme jenes Spruchpunktes, der den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zurückweist - aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Am 26. Juni 1992 wies das Bundesasylamt (Außenstelle Wien) einen Antrag des W A, eines äthiopischen Staatsangehörigen, um Gewährung von Asyl gemäß §17 Abs1 und 3 Z3 Asylgesetz 1991, BGBl. 8/1992, ab. Im Anschluß daran erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen ihn zur Vorbereitung eines Aufenthaltsverbotes gemäß §3 des - mit Ablauf des 31. Dezember 1992 (vgl. §86 Abs3 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992) außer Kraft getretenen - Fremdenpolizeigesetzes (FrPolG) und zur Sicherung der Abschiebung einen Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPolG iVm §57 Abs1 AVG. Am 1. Juli 1992 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien ein Aufenthaltsverbot gemäß §3 Abs1 und 2 Z7 FrPolG, das mit 31. Dezember 1997 befristet wurde. Eine Berufung dagegen wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Juli 1992 abgewiesen.

Am 7. August 1992 ergriff der in der Folge in Wien weiterhin in Schubhaft angehaltene Fremde gemäß §5 a FrPolG das Rechtsmittel der Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, in dem er ua. geltend machte, es bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, daß ihm in Äthiopien Gefahren iSd §13 a Abs1 Z1 und 2 FrPolG drohten. Seine Abschiebung dorthin verstieße daher gegen §13 a FrPolG.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien wies die Beschwerde mit Bescheid vom 13. August 1992 als "unbegründet" ab, ohne sich mit diesem Vorbringen auseinanderzusetzen, und wies einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zurück.

1.2.1. Gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte und zu B1540/92 protokollierte Beschwerde des W A an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Verwaltungsaktes begehrt.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wendet, wird sie (zu B283/94) gesondert erledigt.

1.2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als belangte Behörde legte die Administrativakten vor, verzichtete jedoch darauf, eine Gegenschrift zu erstatten.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Nach dem mit "Abschiebung" überschriebenen §13 FrPolG konnten Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot (§3 FrPolG) erlassen oder die Ausweisung (§10 a FrPolG) verfügt worden war, "durch zwangsweise Beförderung unter Begleitung von Sicherheitsorganen abgeschoben werden (Schub), wenn sie das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen oder wenn eine Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit notwendig erscheint." Eine solche Abschiebung stellte sich folglich als Vollstreckungsakt auf Grund eines Aufenthaltsverbotes iSd §3 FrPolG oder einer Ausweisung iSd §10 a FrPolG dar. Gemäß dem ersten Satz des §13 a Abs2 FrPolG war aber die Abschiebung eines Fremden in einen Staat, in dem er iSd Abs1 Z1 dieses Paragraphen "bedroht" war (wenn dort also "sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art33 Z1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955)"), nicht zulässig, es sei denn, daß "der Landeshauptmann gemäß §4 des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968 ... (: AsylG 1968) ..., festgestellt hat(te), daß der Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle oder daß er nach rechtskräftiger Verurteilung wegen eines Verbrechens, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutete (Art33 Z2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge)" (vgl. nunmehr §5 Abs1 Z3 AsylG 1991, BGBl. 8/1992). Nach dem zweiten Satz des §13 a Abs2 FrPolG war die Abschiebung eines Fremden ebenfalls unzulässig, "wenn stichhaltige Gründe für die in Abs1 Z2 (dieses Paragraphen) genannte Annahme bestehen" (dh. wenn der Fremde im Zielland "Gefahr liefe, gefoltert oder einer unmenschlichen Behandlung oder der Todesstrafe unterworfen zu werden").

Nach §5 Abs1 FrPolG konnte ein Fremder "von der Behörde ... zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grunde notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern."

Demgemäß durfte die Schubhaft "zur Sicherung der Abschiebung" (unter weiteren Voraussetzungen) jedenfalls nur so lange fortdauern, als sie diesen gesetzlichen Schutzzweck erfüllte, mit anderen Worten ausgedrückt: zur Sicherung der Abschiebung nach Maßgabe der Vorschriften des FrPolG, mithin zur Sicherung einer nach diesem Gesetz zulässigen Abschiebung erforderlich war. Standen einer Abschiebung etwa die Gründe (Abschiebungsverbote) des §13 a Abs2 iVm Abs1 FrPolG entgegen, entfiel der Sicherungszweck der Schubhaft: Nach der Verhängung einer solchen Haft hatte die Polizeibehörde ungesäumt die Abschiebung vorzubereiten und in diesem Zusammenhang - mit der gebotenen Raschheit - zu klären, in welches Land der Fremde abgeschoben werden solle; dabei mußte sie die - nach der ausdrücklichen Norm des §9 Abs1 letzter Satz AsylG 1991 im übrigen auch im Asylverfahren zu berücksichtigenden - Bestimmungen des §13 a FrPolG, von denen die Rechtmäßigkeit der Schubhaft mit abhing, beachten und anwenden. Trafen auf den nach den Ergebnissen des Administrativverfahrens allein als Aufnahmeland in Betracht kommenden Zielstaat die Voraussetzungen des §13 a Abs2 iVm Abs1 FrPolG zu, entsprach nämlich eine (weitere) Anhaltung des Fremden in Haft nicht dem Gesetz, denn die Schubhaft diente dann nicht mehr der "Sicherung der Abschiebung" iSd FrPolG und war daher unzulässig (vgl. auch U. Davy, Asylverfahren und Schubhaft, JRP 1993, 41 (60)).

Der gegenteiligen Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes im Erk. 4.9.1992, Z92/18/0228, vermag der Verfassungsgerichtshof - wie schon im Erkenntnis vom 19.6.1993, B1084/92, dargelegt - nicht beizutreten. Die dort vertretene Auffassung, es sei (erst) "bei der Abschiebung" zu prüfen gewesen, ob ein Abschiebungsverbot bestehe, läßt außer acht, daß die Schubhaft nicht der Sicherung einer unzulässigen Abschiebung dienen durfte. Demgemäß war die dem unabhängigen Verwaltungssenat gesetzlich aufgetragene Prüfung der Rechtmäßigkeit der Schubhaft unter Ausklammerung der Frage nach der Zulässigkeit der in Aussicht genommenen Abschiebung gar nicht möglich: War eine Abschiebung unzulässig, durfte die Schubhaft weder verhängt werden noch fortdauern, anders ausgedrückt: die Rechtmäßigkeit der Abschiebung war eine wesentliche Bedingung für die Rechtmäßigkeit der Schubhaft selbst (vgl. U. Davy aa0). Folglich war die Schubhaft nicht erst dann rechtswidrig, wenn im Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides bereits mit Sicherheit feststand, daß eine Abschiebung in alle in Betracht kommenden Staaten unzulässig sei. Vielmehr hatte die Behörde im Administrativverfahren jedenfalls der Frage nachzugehen, ob einer Abschiebung in das in Aussicht genommene Zielland (oder in ein hilfsweise konkret in Betracht gezogenes sonstiges Land) das Refoulement-Verbot des §13 a FrPolG entgegenstand (VfGH 19.6.1993 B1084/92; VfGH 30.6.1993 B 977,979,1082/92 sowie B1358/92, B1536/92 und B2078/92, alle vom selben Tag; vgl. dazu das weitere Erk. des VwGH vom 14.4.1993, Z93/18/0055).

2.1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt aussprach (VfGH 12.3.1992 B1334/91 uam.), räumte §5 a FrPolG dem Schubhäftling das Recht ein, den unabhängigen Verwaltungssenat als Beschwerdeinstanz mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme/Anhaltung anzurufen. Demgemäß hatte diese unabhängige Behörde die Frage der (formellen wie materiellen) Rechtmäßigkeit der Anhaltung nach jeder Richtung hin zu untersuchen und jedwede unterlaufene Gesetzwidrigkeit festzustellen und aufzugreifen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung kam der Verwaltungssenat nicht nach, wenn er einem Beschwerdeführer die Prüfung der Frage verweigerte, ob alle gesetzlichen Schubhaftvoraussetzungen erfüllt seien, indem er in Verkennung seiner im FrPolG festgelegten Zuständigkeitsgrenzen der verfehlten Rechtsauffassung anhing, im Beschwerdeverfahren sei es rechtlich unerheblich, ob die Abschiebung, deren Vorbereitung die Schubhaft diente, nach §13 a FrPolG überhaupt zulässig war. Vielmehr hatte der Verwaltungssenat in Wahrnehmung seiner umfassenden Haftprüfungskompetenz darüber zu befinden, ob alle formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Anhaltung des Beschwerdeführers zuträfen. Dazu zählte nach dem bereits Gesagten jedenfalls auch die Frage, ob im konkreten Fall ein gesetzliches Abschiebungsverbot bestehe. Hatte die Fremdenpolizeibehörde das Zielland bereits festgelegt, so war der Verwaltungssenat daher gehalten, sich mit dem Einwand eines Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, daß eine Abschiebung in dieses Land nicht zulässig sei.

2.2.1. Wie sich aus den auch dem Verwaltungssenat vorgelegenen Administrativakten ergibt, hatte der Beschwerdeführer behauptet, er sei in seinem Heimatstaat Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten hatte die Bundespolizeidirektion Wien bereits am 9. Juli 1992 ihre Absicht dokumentiert, ihn in dieses Land abzuschieben, ebenso der Bundesminister für Inneres am 20. Juli 1992. Dessenungeachtet ging der belangte Senat im angefochtenen Bescheid auf die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in welches Land immer unter dem maßgeblichen Aspekt des §13 a FrPolG mit keinem Wort ein, er unterließ also - trotz der Formulierung des Spruches seines Bescheides - einen Abspruch über die Rechtmäßigkeit der Schubhaft, lehnte folglich gesetzwidrig eine Sachentscheidung ab und verletzte den Beschwerdeführer dadurch im verfassungsgesetzlich verbürgten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG

(VfSlg. 11958/1989; VfGH 12.3.1992 B1334/91 uam.).

2.2.2. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund im oben angegebenen Umfang (1.2.1.) aufzuheben, ohne daß es notwendig war, auf das Beschwerdevorbringen selbst noch weiter einzugehen.

2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf Umsatzsteuer.

2.4. Diese Entscheidung konnte - da die maßgebenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind - gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Bescheid Trennbarkeit, VfGH / Trennbarkeit, VfGH / Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1540.1992

Dokumentnummer

JFT_10059772_92B01540_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten