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L9240 Betreuung, GrundversorgungNorm
B-VG Art10 Abs1 Z3, Art10 Abs1 Z7, Art12 Abs1 Z1, Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung von Teilen einer Bestimmung des Nö GrundversorgungsG betreffend den Anspruch auf Leistungen der sozialen Mindestversorgung für Personen mit einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art8 EMRK wegen zu engen AnfechtungsumfangsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG, begehrt die Antragstellerin, die Wortfolge "ohne Aufenthaltsrecht" in §4 Abs2 Z4 des NÖ Grundversorgungsgesetzes, in eventu die Wortfolge "§57 Abs1 Z1 oder 2" in §4 Abs2 Z2 des NÖ Grundversorgungsgesetzes, in eventu die Wortfolge "gemäß §57 Abs1 Z1 oder 2 AsylG 2005 oder auf Grundlage einer Verordnung nach §62 AsylG 2005" in §4 Abs2 Z2 des NÖ Grundversorgungsgesetzes, LGBl 9240-2, zuletzt geändert durch LGBl 80/2015, als verfassungswidrig aufzuheben.
§4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz bestimmt kurz zusammengefasst den Kreis jener Personen, die Anspruch auf Grundversorgung haben. Nach Auffassung der Antragstellerin, die über einen Aufenthaltstitel gemäß §55 AsylG 2005 verfügt, der in §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz nicht aufgeführt ist, verhinderten die angefochtenen Wortfolgen in verfassungswidriger Weise, dass ihr und ihren minderjährigen Kindern Grundversorgung zustehe.
II. Sachverhalt, Anlassverfahren und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Die Antragstellerin reiste im Jahr 2007 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Die vier minderjährigen Kinder der Antragstellerin wurden im Bundesgebiet geboren. Der Asylgerichtshof erkannte mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2011 der Antragstellerin und ihren beiden damals bereits geborenen minderjährigen Kindern den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Den beiden jüngeren Kindern der Antragstellerin wurde nach der Geburt derselbe aufenthaltsrechtliche Status zuerkannt.
1.2. Auf Grund einer Beschwerde gegen den entsprechenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12. Februar 2019 erkannte letztlich das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 30. November 2020 der Antragstellerin und ihren minderjährigen Kindern den Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, weil sich die maßgeblichen Umstände geändert hätten. Weiters stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass eine Aufenthaltsbeendigung auf Grund des im Bundesgebiet bestehenden Privat- und Familienlebens der Antragstellerin und ihrer minderjährigen Kinder dauerhaft unzulässig sei. Der Antragstellerin und ihren minderjährigen Kindern wurde für die Dauer von zwölf Monaten ein Aufenthaltstitel nach §55 Abs1 Z1 iVm Abs2 AsylG 2005 erteilt.
1.3. Mit Schreiben vom 8. Jänner 2021 kündigte das Land Niederösterreich an, die Antragstellerin und ihre minderjährigen Kinder mit Wirkung vom 8. Februar 2021 aus der Grundversorgung zu entlassen, weil die Antragstellerin nach Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß §55 AsylG 2005 nicht mehr als hilfs- und schutzbedürftig gelte. Bis zum 8. Februar 2021 gewährte das Land Niederösterreich die Grundversorgung (die Unterbringung in einer geeigneten Unterkunft, die Versorgung mit angemessener Verpflegung und Bekleidung, die Gewährung eines monatlichen Taschengeldes, die Sicherung der Krankenversorgung und in Bezug auf ihre minderjährigen Kinder die Bereitstellung des notwendigen Schulbedarfes sowie Sozialbetreuung) gemäß §5 NÖ Grundversorgungsgesetz.
1.4. In der Folge begehrte die Antragstellerin in einem Verfahren vor dem Bezirksgericht St. Pölten, das Land Niederösterreich schuldig zu sprechen, ihr und ihren minderjährigen Kindern im Rahmen der Grundversorgung geeignete Unterbringung über den 8. Februar 2021 hinaus bis 9. April 2021 zu gewähren, in eventu die Feststellung, dass der Antragstellerin und ihren minderjährigen Kindern das Recht auf Grundversorgung im Rahmen einer geeigneten Unterbringung im genannten Zeitraum zustand. Gleichzeitig begehrte die Antragstellerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, der mit Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 3. Februar 2021 insofern stattgegeben wurde, als dem Land Niederösterreich einstweilig bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens, längstens jedoch bis zum 9. April 2021, untersagt wurde, die Antragstellerin und ihre minderjährigen Kinder aus der Grundversorgung zu entlassen.
2. Mit Beschluss vom 10. Mai 2021 hob das Bezirksgericht St. Pölten erstens in Stattgabe des Widerspruches des Landes Niederösterreich die einstweilige Verfügung vom 3. Februar 2021 auf, wies zweitens die Klage wegen Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges zurück und trug drittens der Antragstellerin auf, Kostenersatz zu leisten.
3. Gegen diesen Beschluss erhob die Antragstellerin Rekurs und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Die Antragstellerin behauptet, §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz verstoße gegen ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, Art3 EMRK, Art8 iVm Art14 EMRK und Art1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011. Die Bestimmung des §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz bewirke eine Ungleichbehandlung von Fremden untereinander, die in gleicher Weise hilfs- bzw schutzbedürftig seien. Ursächlich für diese Ungleichbehandlung sei eine Gesetzesänderung: Personen, denen ein Aufenthaltsrecht gemäß §55 AsylG 2005 zukomme, seien nur deshalb nicht von §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz erfasst worden, weil diesen nach früherer Rechtslage bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem NÖ Mindestsicherungsgesetz zugestanden sei. Das nunmehr geltende NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (NÖ SAG) sehe demgegenüber keine Möglichkeit zur Gewährung von Sozialhilfe an diese Personengruppe vor, weshalb diese keinen Anspruch auf Existenzsicherung habe.
4. Die NÖ Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegentritt und beantragt, den Antrag zurück-, in eventu abzuweisen.
III. Rechtslage
1. §4 des NÖ Grundversorgungsgesetzes, LGBl 9240-2, zuletzt geändert durch LGBl 80/2015 lautet auszugsweise (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):
"§4
Hilfs- und Schutzbedürftigkeit
(1) […]
(2) Schutzbedürftig sind
1. Fremde ab Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz oder eines Asylantrages bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder zur Gegenstandslosigkeit des Asylverfahrens;
2. Fremde mit Aufenthaltsrecht gemäß §57 Abs1 Z1 oder 2 AsylG 2005 oder auf Grundlage einer Verordnung nach §62 AsylG 2005;
3. Fremde, bei denen nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens das Aufenthaltsrecht durch das Wiederaufleben der asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung infolge der vom Verwaltungsgerichtshof im Zuge einer Revision oder vom Verfassungsgerichtshof im Zuge einer Beschwerde gegen die asylrechtliche Entscheidung zuerkannten aufschiebenden Wirkung entstanden ist;
4. Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind;
5. Fremde, denen nach asylrechtlichen Vorschriften der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und
6. Asylberechtigte während der ersten vier Monate nach Asylgewährung."
2. §17 des NÖ Grundversorgungsgesetzes, LGBl 9240-2, zuletzt geändert durch LGBl 67/2000 lautet:
"§17
Zuständigkeit
(1) Über die Gewährung, Verweigerung, Einstellung oder Einschränkung von Grundversorgungsleistungen entscheidet die Landesregierung im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung, ausgenommen in den in Abs2 angeführten Fällen.
(2) Die Landesregierung entscheidet mit Bescheid:
1. wenn Personen gemäß §4 Abs2 Z1 folgende Leistungen verweigert, nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt, unter Auflagen oder Bedingungen gewährt, eingestellt oder eingeschränkt werden:
a) Unterbringung in geeigneten Unterkünften (§5 Abs1 Z1);
b) Versorgung mit angemessener Verpflegung (§5 Abs1 Z2);
c) Versorgung mit notwendiger Bekleidung (§5 Abs1 Z3);
d) Gewährung eines monatlichen Taschengeldes bei der Unterbringung in organisierten Unterkünften, sofern kein Verpflegungsgeld ausbezahlt wird (§5 Abs1 Z4);
2. über
a) Kostenbeiträge für die Unterbringung in organisierten Unterkünften (§11);
b) Kostenersätze für erhaltene Grundversorgungsleistungen (§§12 und 13);
c) Ersatzansprüche Dritter (§15);
d) Leistungskürzungen (§7a Abs4).
(3) Die Landesregierung kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, bestimmte Angelegenheiten in ihrem Namen zu entscheiden."
3. Die vom NÖ Grundversorgungsgesetz verwiesenen Bestimmungen sowie die auf die Antragstellerin anzuwendende Bestimmung des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 83/2022 lauten:
"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art8 EMRK
§55
(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine 'Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn
1. dies gemäß §9 Abs2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§5 Abs2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl Nr 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs1 Z1 vor, ist eine 'Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."
"'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'
§57
(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß §46a Abs1 Z1 oder Z3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§382b oder 382c EO, RGBl Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 Z2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs3 und §73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs1 Z2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs1 Z3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§382b oder 382c EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."
"3. Abschnitt:
Aufenthaltsrecht für Vertriebene Aufenthaltsrecht für Vertriebene
§62
(1) Für Zeiten eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden (Vertriebene), ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren. Bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung ist der Aufenthalt von Vertriebenen im Bundesgebiet geduldet. Dies ist dem Fremden durch die Behörde zu bestätigen.
(2) In der Verordnung gemäß Abs1 sind Einreise und Dauer des Aufenthaltes der Fremden unter Berücksichtigung der Umstände des besonderen Falles zu regeln.
(3) Wird infolge der längeren Dauer der in Abs1 genannten Umstände eine dauernde Integration erforderlich, kann in der Verordnung festgelegt werden, dass bestimmte Gruppen der Aufenthaltsberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wirksam im Inland stellen können und dass ihnen der Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes erteilt werden kann.
(4) Die Behörde hat das durch die Verordnung eingeräumte Aufenthaltsrecht durch Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene von Amts wegen zu bestätigen. Der Ausweis ist als 'Ausweis für Vertriebene' zu bezeichnen, kann verlängert werden und genügt zur Erfüllung der Passpflicht. Der Bundesminister für Inneres legt durch Verordnung die Form und den Inhalt des Ausweises sowie der Bestätigung gemäß Abs1 fest."
IV. Erwägungen zur Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
2.1. Der vorliegende Antrag wurde von der Klägerin aus Anlass des Rekurses gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 10. Mai 2021, Z 6 C46/21f-15, gestellt. Mit diesem Beschluss wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG).
2.2. Als klagende Partei im Anlassverfahren ist die Antragstellerin Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG berechtigt ist.
2.3. Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Bezirksgerichtes St. Pölten davon aus, dass das gleichzeitig mit dem Parteiantrag eingebrachte Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.
3. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragstellerin wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).
Das Erstgericht hat jene Normen, deren Verfassungswidrigkeit die Antragstellerin behauptet, angewendet. Die angefochtenen Bestimmungen sind somit präjudiziell.
4.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Umfang der in Prüfung gezogenen Norm nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Die Antragstellerin hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der Antragstellerin teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014, 20.070/2016; VfGH 13.10.2016, G640/2015; 12.12.2016, G105/2016).
4.2. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag, näher bezeichnete Wortfolgen in §4 Abs2 Z2 und 4 des NÖ Grundversorgungsgesetzes als verfassungswidrig aufzuheben (s Punkt I.). Vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung erweist sich der vorliegende Antrag als zu eng und deshalb als unzulässig:
In der Begründung wurden vor allem gleichheitsrechtliche Bedenken gegen §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz geäußert, weil Personen mit einem Aufenthaltstitel gemäß §55 AsylG 2005 nicht erfasst seien und deswegen keine Grundversorgung erhielten, obwohl in tatsächlicher Hinsicht die gleichen Voraussetzungen auf sie zuträfen wie auf jenen Personenkreis, der von §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz erfasst sei.
4.2.1. Die von der Antragstellerin behauptete Ungleichbehandlung von Fremden begründet sie damit, dass ein Teil von in Österreich aufhältigen Fremden gemäß §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz zur Vermeidung von Notlagen Grundversorgung erhielten, während sie, obwohl nach §55 AsylG 2005 aufenthaltsberechtigt, von der Grundversorgung ausgeschlossen sei. In tatsächlicher Hinsicht sei sie in einer völlig gleichen Lage: Auf Grund ihrer familiären Situation mit vier minderjährigen Kindern sei sie de facto gehindert, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, im Übrigen benötige sie für eine unselbständige Erwerbstätigkeit eine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, die in Praxis bei ihrer Lebenssituation nicht zu erlangen sei. Obwohl sie sich deswegen in einer Notlage befinde (und auf die Familienbeihilfe angewiesen sei), erhalte sie keine finanzielle Unterstützung, was vor allem auch daran liege, dass seit dem Jahr 2019 Personen mit einem Aufenthaltstitel nach §55 AsylG 2005 gemäß §5 NÖ SAG auch von der Gewährung von Sozialhilfe ausgeschlossen seien.
Im Einzelnen legt die Antragstellerin einerseits die Ungleichbehandlung von Aufenthaltsberechtigten gemäß §55 AsylG 2005 gegenüber Personen gemäß §4 Abs2 Z2 und andererseits gemäß §4 Abs2 Z4 des NÖ Grundversorgungsgesetzes folgendermaßen dar (dies korrespondiert mit ihren Aufhebungsbegehren):
4.2.1.1. §4 Abs2 Z4 NÖ Grundversorgungsgesetz gewährleiste die Grundversorgung für Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar seien; auch sie sei zum Schutz ihres Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK nicht abschiebbar, erhalte aber in unsachlicher Weise keine Grundversorgung, weil sie gemäß §55 AsylG 2005 ein Aufenthaltsrecht habe.
4.2.1.2. Eine vergleichbare Ungleichheit ergebe sich aus §4 Abs2 Z2 NÖ Grundversorgungsgesetz, weil Fremde mit Aufenthaltsrecht gemäß §57 Abs1 Z1 oder 2 AsylG 2005 oder jene auf Grundlage einer Verordnung nach §62 AsylG 2005 einen Anspruch auf Grundversorgung hätten. Diese Personengruppen seien aber mit der Antragstellerin völlig vergleichbar.
4.2.2. Bei den von §4 Abs2 Z2 NÖ Grundversorgungsgesetz genannten Aufenthaltsberechtigten handelt es sich um gemäß §46a FPG geduldete Personen, deren Abschiebung im Wesentlichen aus Gründen des Refoulement-Verbotes oder aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erscheint sowie um Personen, denen für Zeiten eines bewaffneten Konfliktes und ähnlicher die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände ein Aufenthaltsrecht gewährt wird; weiters – gemäß §57 Abs1 Z2 AsylG 2005 – um Personen, bei denen ein Aufenthaltsrecht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfern von Menschenhandel oder grenzüberschreitenden Prostitutionshandel erforderlich ist.
4.2.3. §4 Abs2 Z4 NÖ Grundversorgungsgesetz erfasst Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind.
5. Vorauszuschicken ist, dass die von der Antragstellerin begehrten Leistungen sozialer Mindestversorgung sowohl vom NÖ Grundversorgungsgesetz erfasst sein können als auch von der niederösterreichischen Sozialhilfegesetzgebung, wie sie in erster Linie im NÖ SAG geregelt ist. Zum Zeitpunkt der Erlassung der Bestimmung des §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz (LGBl 9240-2) und ihrer Novellierung im Jahr 2015 (LGBl 80/2015) hätte die Personengruppe gemäß §55 AsylG 2005, der die Antragstellerin angehört, Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung (damals §5 Abs4 NÖ Mindestsicherungsgesetz, LGBl 9205-0 idF LGBl 9205-3) gehabt. Der Sitz der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit könnte im vorliegenden Fall (er besteht in einer behaupteten Gesetzeslücke in der Gesetzgebung des Landes) aus kompetenzrechtlichen Gründen sowohl im NÖ Grundversorgungsgesetz als auch im NÖ SAG oder auch in einem anderen Landesgesetz liegen:
5.1. Die Angelegenheit der Grundversorgung von Asylwerbern fällt in Gesetzgebung und Vollziehung gemäß Art10 Abs1 Z3 und Z7 B-VG in die Zuständigkeit des Bundes (VfSlg 17.942/2006); zu dieser Versorgung ist der Bund völkerrechtlich (Art23 GFK) und unionsrechtlich verpflichtet (s die Zusammenfassung in VfGH 7.10.2021, A5/2021).
Der Kompetenztatbestand "Asyl" umfasst nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch Angelegenheiten, die in engem Konnex zum Asylverfahren selbst stehen (vgl insb. VfSlg 17.942/2006), sodass die Grundversorgung der betreffenden Personen Aufgabe des Bundes ist (s im Einzelnen VfGH 7.10.2021, A5/2021, Punkt III.B.5.2.).
5.2. Die Versorgung von subsidiär Schutzberechtigten und anderen Fremden, die grundversorgungsberechtigt sind, ohne einen Bezug zum Asylrecht zu haben, fällt hingegen unter den Kompetenztatbestand "Armenwesen" gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG und damit in die Zuständigkeit des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung und in die Zuständigkeit der Länder zur Ausführungsgesetzgebung und zur Vollziehung (vgl auch VfSlg 20.177/2017, 20.359/2019).
5.3. In diesem Zusammenhang ist Folgendes zu berücksichtigen: Kompetenzrechtlich stützt sich §55 AsylG 2005 auf ein "Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigen Gründen" gemäß Art10 Abs1 Z3 B-VG; dieser eigene Kompetenztatbestand wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 51/2012 eingeführt, er existierte davor nicht. "Asyl" ist demgegenüber ein eigener Kompetenztatbestand im Rahmen des Art10 Abs1 Z3 B-VG.
Mangels Zusammenhangs mit der Angelegenheit des "Asyls" fällt die finanzielle Unterstützung von Personen mit derartiger Aufenthaltsberechtigung unter den Tatbestand des "Armenwesens" gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG, weil es um die Unterstützung von Menschen ausschließlich auf Grund ihrer Hilfsbedürftigkeit (vgl VfSlg 4609/1963, 17.942/2006; VfGH 7.10.2021, A5/2021) geht, ebenso wie etwa die Grundversorgung von subsidiär Schutzberechtigten oder anderen Personen nach Abschluss des Asylverfahrens.
5.4. Das hat zur Folge, dass Leistungen, wie sie die Antragstellerin im zugrunde liegenden Anlassverfahren begehrt, sowohl im NÖ Grundversorgungsgesetz als auch im NÖ SAG oder in einem anderen Landesgesetz geregelt sein könnten. Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, in welchem auf Art12 Abs1 Z1 B-VG gestützten Gesetz er entsprechende Leistungen vorsieht.
6. Vor diesem Hintergrund hat die Antragstellerin den Aufhebungsantrag zu eng gefasst: Die von ihr als verfassungsrechtlich erforderlich behauptete Regelung könnte sich systematisch an jeder Stelle des ganzen §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz oder auch in einem anderen Landesgesetz finden. Es wäre also zumindest dieser ganze Absatz zu beseitigen, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, die Regelung nach seinen Vorstellungen so zu gestalten, dass die Rechtslage im Hinblick auf die behaupteten Bedenken verfassungskonform ist.
V. Ergebnis
1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Prüfungsumfang, Grundversorgung, Mindestsicherung, Kompetenz Bund - Länder, Asylrecht, Armenwesen, VfGH / Parteiantrag, Sozialhilfe, EventualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G172.2021Zuletzt aktualisiert am
15.11.2022