RS Vfgh 2022/10/5 G172/2021

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Veröffentlicht am 05.10.2022
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Index

L9240 Betreuung, Grundversorgung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z3, Art10 Abs1 Z7, Art12 Abs1 Z1, Art140 Abs1 Z1 litd
Nö GrundversorgungsG §4 Abs2, §17
Nö MindestsicherungsG
Nö Sozialhilfe-AusführungsG
AsylG 2005 §55, §57, §62
Genfer Flüchtlingskonvention Art23
FremdenpolizeiG 2005 §46a
VfGG §7 Abs1
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung von Teilen einer Bestimmung des Nö GrundversorgungsG betreffend den Anspruch auf Leistungen der sozialen Mindestversorgung für Personen mit einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art8 EMRK wegen zu engen Anfechtungsumfangs

Rechtssatz

Unzulässigkeit eines Parteiantrags auf Aufhebung näher bezeichneter Wortfolgen des §4 Abs2 Nö GrundversorgungsG idF LGBl 9240-2.

§4 Abs2 Z4 NÖ Grundversorgungsgesetz erfasst Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind.

Die von der Antragstellerin begehrten Leistungen sozialer Mindestversorgung können sowohl vom NÖ Grundversorgungsgesetz erfasst sein als auch von der niederösterreichischen Sozialhilfegesetzgebung, wie sie in erster Linie im NÖ SAG geregelt ist. Zum Zeitpunkt der Erlassung der Bestimmung des §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz (LGBl 9240-2) und ihrer Novellierung im Jahr 2015 (LGBl 80/2015) hätte die Personengruppe gemäß §55 AsylG 2005, der die Antragstellerin angehört, Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung (damals §5 Abs4 NÖ Mindestsicherungsgesetz, LGBl 9205-0 idF LGBl 9205-3) gehabt. Der Sitz der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit könnte im vorliegenden Fall (er besteht in einer behaupteten Gesetzeslücke in der Gesetzgebung des Landes) aus kompetenzrechtlichen Gründen sowohl im NÖ Grundversorgungsgesetz als auch im NÖ SAG oder auch in einem anderen Landesgesetz liegen:

Die Angelegenheit der Grundversorgung von Asylwerbern fällt in Gesetzgebung und Vollziehung gemäß Art10 Abs1 Z3 und Z7 B-VG in die Zuständigkeit des Bundes; zu dieser Versorgung ist der Bund völkerrechtlich und unionsrechtlich verpflichtet. Der Kompetenztatbestand "Asyl" umfasst nach der Rsp des VfGH auch Angelegenheiten, die in engem Konnex zum Asylverfahren selbst stehen, sodass die Grundversorgung der betreffenden Personen Aufgabe des Bundes ist.

Die Versorgung von subsidiär Schutzberechtigten und anderen Fremden, die grundversorgungsberechtigt sind, ohne einen Bezug zum Asylrecht zu haben, fällt hingegen unter den Kompetenztatbestand "Armenwesen" gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG und damit in die Zuständigkeit des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung und in die Zuständigkeit der Länder zur Ausführungsgesetzgebung und zur Vollziehung.

In diesem Zusammenhang ist Folgendes zu berücksichtigen: Kompetenzrechtlich stützt sich §55 AsylG 2005 auf ein "Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigen Gründen" gemäß Art10 Abs1 Z3 B-VG; dieser eigene Kompetenztatbestand wurde erst mit der B-VG-Novelle BGBl I 51/2012 eingeführt, er existierte davor nicht. "Asyl" ist demgegenüber ein eigener Kompetenztatbestand im Rahmen des Art10 Abs1 Z3 B-VG.

Mangels Zusammenhangs mit der Angelegenheit des "Asyls" fällt die finanzielle Unterstützung von Personen mit derartiger Aufenthaltsberechtigung unter den Tatbestand des "Armenwesens" gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG, weil es um die Unterstützung von Menschen ausschließlich auf Grund ihrer Hilfsbedürftigkeit geht, ebenso wie etwa die Grundversorgung von subsidiär Schutzberechtigten oder anderen Personen nach Abschluss des Asylverfahrens.

Das hat zur Folge, dass Leistungen, wie sie die Antragstellerin im zugrunde liegenden Anlassverfahren begehrt, sowohl im NÖ Grundversorgungsgesetz als auch im NÖ SAG oder in einem anderen Landesgesetz geregelt sein könnten. Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, in welchem auf Art12 Abs1 Z1 B-VG gestützten Gesetz er entsprechende Leistungen vorsieht.

Vor diesem Hintergrund hat die Antragstellerin den Aufhebungsantrag zu eng gefasst: Die von ihr als verfassungsrechtlich erforderlich behauptete Regelung könnte sich systematisch an jeder Stelle des ganzen §4 Abs2 NÖ Grundversorgungsgesetz oder auch in einem anderen Landesgesetz finden. Es wäre also zumindest dieser ganze Absatz zu beseitigen, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, die Regelung nach seinen Vorstellungen so zu gestalten, dass die Rechtslage im Hinblick auf die behaupteten Bedenken verfassungskonform ist.

Entscheidungstexte

  • G172/2021
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 05.10.2022 G172/2021

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, Grundversorgung, Mindestsicherung, Kompetenz Bund - Länder, Asylrecht, Armenwesen, VfGH / Parteiantrag, Sozialhilfe, Eventualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G172.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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