TE Vwgh Beschluss 2022/10/13 Ra 2022/21/0076

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Veröffentlicht am 13.10.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z2 idF 2015/I/070
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VwGG § 34 heute
  2. VwGG § 34 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2021
  3. VwGG § 34 gültig von 01.01.2014 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. VwGG § 34 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  5. VwGG § 34 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 34 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 34 gültig von 01.09.1997 bis 31.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  8. VwGG § 34 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des D S (früher J), geboren am 5. Februar 1976, vertreten durch MMag. Dr. Stephan Vesco, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. März 2022, W280 2234484-1/13E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der im Februar 1976 in Wien geborene Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, hält sich - mit längeren Unterbrechungen - seit seiner Geburt in Österreich auf. Ihm waren wiederholt Aufenthaltstitel, zuletzt der befristete Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“, erteilt worden.

2        Der Revisionswerber hatte im März 2000 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Der Ehe, die im August 2008 geschieden wurde, entstammen fünf (im Juli 1998, Dezember 1999, Mai 2002, April 2004 und Dezember 2007 geborene) Kinder, die ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.

3        Der Revisionswerber wurde wiederholt straffällig. Erstmals wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Oktober 1995 wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach dem Inhalt des Strafurteils habe er am 8. Juli 1995 mit einem Mittäter, der das Opfer packte, gegen eine Wand drückte und festhielt, dieses unter drohendem Vorhalt eines rund fünfzehn Zentimeter langen Messers zur Herausgabe von Bargeld (Beute: 150 Schilling) genötigt.

4        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. April 2001 erging gegen den Revisionswerber wegen der Beitragstäterschaft zum Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall SMG iVm § 12 dritter Fall StGB sowie wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG eine bedingt nachgesehene sechsmonatige Freiheitsstrafe. Nach dem Schuldspruch habe der Revisionswerber zwischen 10. und 19. Mai 2000 näher beschriebene Tatbeiträge zum gewerbsmäßigen Inverkehrsetzen von großen Mengen Cannabis durch einen Dritten geleistet sowie zwischen Anfang 1997 und etwa Juli 2000 wiederholt Cannabisharz erworben und besessen.

Zu dieser Verurteilung erging mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 2. August 2001 wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Beamten gemäß § 270 Abs. 1 StGB eine bedingt nachgesehene einwöchige Zusatzfreiheitsstrafe.

5        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. September 2010 folgte wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch als Beteiligter nach § 12 dritte Alternative sowie §§ 127, 128 Abs. 2, 129 Z 1 StGB eine (unbedingte) dreijährige Freiheitsstrafe. Der Revisionswerber habe nach dem Urteilsinhalt am 11. Februar 2010 näher beschriebene Tatbeiträge zum Einbruchsdiebstahl in einen Tresor (Beute: rund 600.000 €) geleistet.

6        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. März 2015 wurde der Revisionswerber sodann wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer sechsmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach dem Schuldspruch habe er am 30. November 2014 seine geschiedene Ehefrau durch die sinngemäße Äußerung, er werde ihr Beine und Hände brechen, ihr die Nase bzw. das Gesicht zerschneiden, sodass sie auf Pflege angewiesen sein werde, und er werde sie irgendwann erwischen und umbringen, gefährlich bedroht.

7        Schließlich erging mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Juni 2018 wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 2 Z 1 StGB sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Waffenbesitzes nach § 50 Abs. 1 Z 2 und 3 Waffengesetz eine zweijährige Freiheitsstrafe. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs habe der Revisionswerber mit einem Mittäter am 23. Jänner 2018 einen Einbruch in eine Wohnstätte begangen, bei dem insbesondere Bargeld, Mobiltelefone und Schmuck erbeutet wurden. Bis zum 23. Jänner 2018 habe er ungeachtet eines Verbots nach § 12 Waffengesetz einen Schlagring und einen „Totschläger“ besessen. Der Revisionswerber wurde vom 24. Jänner 2018 bis zum 24. Juli 2018 in Haft angehalten.

8        Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Juli 2018 wurde dem Revisionswerber gemäß § 39 SMG Strafaufschub insbesondere zur Durchführung einer Therapie gegen seine Drogenabhängigkeit bewilligt. Diese Therapie absolvierte er in der Folge zunächst stationär und danach ambulant.

9        Mit Bescheid vom 20. Juli 2020 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber im Hinblick auf seine Straffälligkeit gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Es stellte unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien zulässig sei. Gemäß § 55 FPG bestimmte es eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise.

10       Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 14. März 2022 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einer vom Revisionswerber gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11       Das BVwG stellte, soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung, (teilweise disloziert nur im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) Folgendes fest: Der Revisionswerber sei zwar im Februar 1976 in Österreich geboren, habe sich jedoch rund drei Jahre lang als Kleinkind in Deutschland und nachfolgend bis zu seinem sechsten oder siebenten Lebensjahr bei seiner Großmutter in Serbien und später neuerlich zwischen 2004 und 2007 drei Jahre lang in Deutschland (Berlin) und kurzfristig im Herkunftsstaat aufgehalten. Abgesehen davon habe er in Österreich gelebt. Er gehöre der Volksgruppe der Walachen an, beherrsche Vlach (die Sprache dieser rumänischen Minderheit in Serbien) auf muttersprachlichem Niveau und auch Deutsch. Zudem spreche er gebrochen Serbokroatisch und weise Schulkenntnisse der englischen Sprache auf. Nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule habe er drei Jahre lang „eine Berufsschule in der Fachrichtung Gas, Wasser, Heizung“ besucht, diese Ausbildung aber nicht abgeschlossen. Danach habe er weiterführende Kurse als Schweißer und Croupier absolviert. Wenngleich der Revisionswerber immer wieder Bemühungen gezeigt habe, sich durch die Aufnahme von Erwerbstätigkeiten beruflich zu integrieren und ein selbst erwirtschaftetes Einkommen zu erlangen, sei ihm, dokumentiert durch den näher dargestellten wiederholten Bezug von Sozialleistungen, keine nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt gelungen.

12       In Österreich hielten sich insbesondere seine Mutter und sein Vater auf, die geschieden seien, jedoch zusammenlebten. Während der Revisionswerber zu seinem Vater, der in Serbien über zwei Häuser verfüge, wo auch eine Tante väterlicherseits wohne, nach eigenen Angaben kein gutes Verhältnis unterhalte, liege zur Mutter, die sich regelmäßig in Serbien aufhalte, eine übliche Beziehung wie zwischen erwachsenen, getrenntlebenden Kindern und ihren Eltern vor. Seine fünf Kinder stünden ihm einhellig ablehnend gegenüber, sei es, weil sich der Revisionswerber seit mehreren Jahren nicht um sie gekümmert habe oder dem Abbruch der Beziehung Gewaltausbrüche des Revisionswerbers vorangegangen seien, sodass die Kinder daher auch künftig keinen Kontakt zu ihm haben wollten.

13       In diesem Zusammenhang stellte das BVwG noch fest, dass der Revisionswerber anlässlich der mündlichen Verhandlung nach verschiedentlich ausgeübtem psychischem Druck seine noch minderjährige (im Dezember 2007 geborene) Tochter vor dem Verhandlungssaal zur Erwirkung einer für ihn günstigen Aussage auf den Kopf geschlagen und ihr gedroht habe, er werde sie „zusammenschlagen“, wenn er ihr auf der Straße begegne, was bei der Genannten - nach den vom BVwG als glaubhaft beurteilten Aussagen ihrer Schwestern - eine Panikattacke ausgelöst habe.

14       Rechtlich bejahte das BVwG unter Hinweis auf die langjährige und trotz Erfahrung des Haftübels schon in jungen Jahren immer wieder zutage getretene schwere Delinquenz des Revisionswerbers das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, welche die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes erforderlich mache. Gerade aus der bis in das Jahr 1997 zurückreichenden und noch aktuellen Suchtgiftproblematik des Revisionswerbers sowie seiner äußerst geringen wirtschaftlichen Verfestigung folge eine hohe Rückfallgefährdung und ein sich daraus ergebendes gravierendes Gefährdungspotential. Der Sache nach ging das BVwG damit unter Bezugnahme auf entsprechende, im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Aufenthaltsverfestigungstatbestand iSd § 9 Abs. 4 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 auch davon aus, wegen der dargestellten besonders gravierenden Straffälligkeit des Revisionswerbers gehe von ihm eine in diesen Fällen für die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen erforderliche spezifische Gefährdung öffentlicher Interessen aus. Zwar habe der Revisionswerber nach seiner letzten Verurteilung eine Drogentherapie absolviert, jedoch nach eigenen Angaben vor dem BVwG während deren pandemiebedingter Unterbrechung neuerlich Drogen (THC) konsumiert. Im Hinblick auf die dargestellten Umstände, sein Verhalten selbst während der laufenden Beschwerdeverhandlung durch Ausübung von zunächst psychischem und danach auch physischem Druck auf seine eigenen Kinder und die wiederholte Rückfälligkeit bei hoher Gewaltbereitschaft und fehlender Schuldeinsicht könne nicht von einer ausreichenden Dauer des Wohlverhaltens ausgegangen werden, die eine positive Zukunftsprognose erlaube. Mit der Möglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat, wo eine Tante des Revisionswerbers lebe, sei zu rechnen, weil er jedenfalls eine der anerkannten Landessprachen beherrsche und sein Vater dort über zwei Häuser verfüge. Lediglich unter Berücksichtigung der langen Aufenthaltsdauer in Österreich erscheine eine Reduktion des Einreiseverbotes auf sechs Jahre als angemessen und geboten.

15       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

16       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

18       Vorauszuschicken ist, dass die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. etwa VwGH 23.6.2022, Ra 2020/21/0320, Rn. 10, mwN).

19       Zunächst ist in diesem Zusammenhang zu der von der Revision zitierten Judikaturlinie zu einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt zu erwidern, dass diese Rechtsprechung nur für die Frage maßgeblich ist, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist. Sie ist daher in Fällen wie dem vorliegenden, in dem es um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen dessen Straffälligkeit geht, schon von vornherein nicht einschlägig. Außerdem käme diese Judikaturlinie, die sich in der Regel nur auf strafrechtlich unbescholtene Fremde bezieht, im vorliegenden Fall auch wegen der erheblichen Straffälligkeit des Revisionswerbers nicht zum Tragen (vgl. etwa jüngst VwGH 16.8.2022, Ra 2022/21/0084, Rn. 14, mwN).

20       Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber des Weiteren Ermittlungsmängel zur Dauer seines exakten Aufenthalts in Österreich geltend, bei deren Vermeidung er als „von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen“ im Sinn des § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 anzusehen sei. Eine deshalb erforderliche spezifische Gefährdung, die dennoch seine Aufenthaltsbeendigung erlaube, sei - entgegen der Meinung des BVwG - nicht gegeben.

21       Allerdings kann das Ausmaß der Unterbrechungen der Aufenthaltsdauer dahingestellt bleiben, weil es am Ergebnis nichts ändert, ob sich der Revisionswerber in Österreich „mehr als 35 Jahre“ (so das BVwG) oder „mindestens 38 Jahre“ (so die Revision) aufgehalten hat. Im Übrigen hat das BVwG aber ohnehin am Maßstab der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Fremden, die iSd § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 aufenthaltsverfestigt sind (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 14.2.2022, Ra 2020/21/0200, Rn. 11/12, mwN auch aus der Judikatur des EGMR), geprüft, ob im vorliegenden Fall eine aus der Begehung von verwerflichen (besonders gravierenden) Straftaten abzuleitende spezifische Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen vorliegt.

22       Unter Berücksichtigung der eingangs dargestellten wiederholten schweren Straffälligkeit samt mehrfacher Gewaltausübung und gravierender Eigentumsdelinquenz, des unbestrittenen Konsums von Drogen auch nach (teilweise) absolvierter Therapie und der Anwendung physischer und psychischer Gewalt sogar im Verlauf der vor dem BVwG abgeführten mündlichen Verhandlung gegen seine minderjährige Tochter erscheint die Bejahung einer solchen spezifischen vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung jedenfalls nicht als unvertretbar. In diesem Zusammenhang ist nämlich auch auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (vgl. dazu etwa VwGH 26.7.2022, Ra 2021/21/0350, Rn. 16, mwN).

23       Zwar ist dem Revisionswerber einzuräumen, dass nach seiner Haftentlassung im Juli 2018 bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses im März 2022 keine neue strafgerichtliche Verurteilung erfolgte. Allerdings ist daraus noch nicht auf eine maßgebliche Reduzierung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit zu schließen, weil er auch schon früher trotz vollzogener Haftstrafen und nach längerer Zeit des Wohlverhaltens neuerlich und zum Teil sogar sehr massiv straffällig wurde. Angesichts dessen war es - wie gesagt - nicht unvertretbar, dass das BVwG auch unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks weiterhin von einer maßgeblichen besonders großen Gefährdung öffentlicher Interessen ausging. Auch die Revision rekurriert im Übrigen darauf, dass die Straffälligkeit des Revisionswerbers auf seine Suchterkrankung zurückzuführen gewesen sei. Der neuerliche Konsum von Drogen auch nach (teilweise) absolvierter Therapie wurde vom BVwG aber unbekämpft festgestellt, sodass auch deshalb nicht von einer maßgeblichen Gefährdungsminderung ausgegangen werden musste.

24       Weiters behauptet der Revisionswerber Ermittlungs- und Feststellungsmängel in Bezug auf das Verhältnis zu seiner im Dezember 2007 geborenen Tochter. Aus deren Aussage (Hinweis auf Seite 27 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem BVwG) wäre abzuleiten gewesen, dass durchaus „regelmäßig“ Kontakt zu ihr bestehe.

25       Das ergibt sich aus der angesprochenen Aussage der genannten Tochter, wonach lediglich „ein bisschen Kontakt“ bestanden habe, jedoch gerade nicht. Eine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung des BVwG, das aufgrund der als übereinstimmend beurteilten Zeugenaussagen der geschiedenen Ehefrau und der Kinder insgesamt feststellte, die fünf Kinder des Revisionswerbers stünden ihm einhellig ablehnend gegenüber und sie wollten auch künftig keinen Kontakt zu ihm haben, wird somit in der Revision nicht aufgezeigt. In der Revision wird auch nicht dargelegt, welche konkreten Ermittlungen durch das BVwG diesbezüglich noch vorzunehmen gewesen wären.

26       Zusammengefasst gelingt es der Revision somit nicht, eine Unvertretbarkeit der vom BVwG getroffenen Gefährdungsprognose und der an Hand der Kriterien des § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung aufzuzeigen. Im Übrigen wurde dem Interesse des Revisionswerbers durch die Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes auf ein vertretbares Ausmaß Rechnung getragen.

27       In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 13. Oktober 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210076.L00

Im RIS seit

15.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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