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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie von Staatsangehörigen des Irans bzw Iraks wegen mangelhafter Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage im Irak und der konkreten Rückkehrsituation im Hinblick auf einen Minderjährigen; Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Erlassung von Rückkehrentscheidungen, mangelnde Interessenabwägung sowie unzureichender Auseinandersetzung mit der Trennung von Mutter und SohnRechtssatz
Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers trifft das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zwar Feststellungen zur allgemeinen Gefährdungslage von Minderjährigen im Irak. Jedoch ist nicht ersichtlich, von welcher tatsächlichen Rückkehrsituation das BVwG ausgeht: Das BVwG begründet die Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Irak insbesondere damit, dass der Drittbeschwerdeführer nur gemeinsam mit seinem leiblichen Vater rückgeführt würde, dessen Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ entschieden worden und dem eine Rückkehr in den Irak zumutbar sei. Es trifft jedoch weder Feststellungen zur Herkunftsregion des Vaters, der dortigen Sicherheitslage, den konkreten Lebensumständen und einem allfälligen Unterstützungsnetzwerk. Da die Sicherheitslage im Irak von Provinz zu Provinz variiert und es sich beim Drittbeschwerdeführer um einen Minderjährigen und somit um eine besonders vulnerable Person handelt, ist jedoch eine konkrete Auseinandersetzung erforderlich, wie sich die Situation des Drittbeschwerdeführers tatsächlich nach seiner Rückkehr darstellen würde. Die Entscheidung des BVwG erweist sich daher im Hinblick auf den zum Zeitpunkt der Entscheidung elf Monate alten Drittbeschwerdeführer und dessen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art2 und 3 EMRK als nicht ausreichend nachvollziehbar.
Bei der Interessenabwägung zur Rückkehrentscheidung hat das BVwG lediglich auf das Verhältnis der Erstbeschwerdeführerin - einer Staatsangehörigen des Iran zu den in Österreich lebenden Geschwistern ihres vormaligen Ehemannes und zu ihrem irakischen Lebensgefährten Bedacht genommen. Auf den Umstand, dass gegen den minderjährigen Drittbeschwerdeführer - im Gegensatz zur Erstbeschwerdeführerin und zum Zweitbeschwerdeführer - mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Iran, sondern den Irak erlassen worden ist, und auf die damit verbundene Trennung der Familie, insbesondere von Mutter und Sohn, geht das BVwG nicht ein. Damit hat es die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl nicht berücksichtigt.
Im angefochtenen Erkenntnis und in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2021 ergeben sich keine Anhaltpunkte dafür, dass der Vater des minderjährigen Drittbeschwerdeführers tatsächlich mit diesem gemeinsam in den Irak ausreisen würde. Insbesondere finden sich keine Hinweise dahingehend, ob der Vater willens und in der Lage ist, den Minderjährigen nach einer Rückkehr in den Irak zu unterstützen. Unterstützungsmöglichkeiten durch andere Familienangehörige wurden vom BVwG ebenso nicht festgestellt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Kinder, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E979.2021Zuletzt aktualisiert am
14.11.2022