TE Vfgh Erkenntnis 2022/10/4 E1948/2022

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Veröffentlicht am 04.10.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2
  1. AsylG 2005 § 8 heute
  2. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  3. AsylG 2005 § 8 gültig ab 01.11.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  4. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2014 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  5. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  6. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  7. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2006 bis 31.12.2009
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der innerstaatlichen Fluchtalternative

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum chaldäisch-katholischen Glauben. Er wurde in Basra geboren und ist in Mossul aufgewachsen. Dort hat er die Schule besucht und war beruflich als Fliesenleger tätig. Auf Grund der Vertreibung durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (im Folgenden: IS), lebte der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat rund eineinhalb Jahre gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Flüchtlingslager in Erbil. Am 8. Februar 2016 stellte er im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, er werde im Irak wegen seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert und verfolgt. Seine Eltern lebten mittlerweile in der Türkei, zwei seiner Schwestern befänden sich in Wien. Zwei weitere Schwestern seien im Herkunftsland verblieben. Zudem machte der Beschwerdeführer geltend, er leide an Angstzuständen und Depressionen, weswegen er in medizinischer Behandlung sei.

2. Mit Bescheid vom 14. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab. Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und erteilte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Mit Erkenntnis vom 8. Juni 2022 wurde die gegen die Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass Christen in Erbil vor Gewalt und Verfolgung geschützt seien. Die Sicherheitslage sei hinreichend stabil und es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer für seine Existenz sorgen werde können. Er leide zwar an einer Schlaf-, Angst- und Belastungsstörung, jedoch seien die dafür einzunehmenden Medikamente in Erbil verfügbar. Als irakischer Staatsbürger sei er außerdem berechtigt, am "Public Distribution System" teilzunehmen, sodass die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gegeben sei.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht angesichts der diesbezüglich als glaubhaft erachteten Angaben des Beschwerdeführers davon aus, dass er in Basra geboren worden sei, in Mossul aufgewachsen sei und vor seiner Ausreise mit seinen Eltern und Geschwistern eineinhalb Jahre in einem Flüchtlingslager in Erbil gelebt habe. Im Hinblick auf die Rückkehrsituation im Irak stellt das Bundesverwaltungsgericht – basierend auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2. März 2022 – fest, dass in Erbil

"(unter anderem auch) christliche Minderheiten vor Gewalt und Verfolgung […] geschützt werden. Weiters heißt es in den Berichten, dass es keine Anzeichen von staatlicher Verfolgung gebe und die kurdische Regierung gar den Bau und den Betreib von Kirchen mit staatlichen Ressourcen fördert. Zwar seien durchaus auch Fälle von gesellschaftlicher Gewalt wie Diskriminierungen, Vertreibungen und Drohungen etc. dokumentiert, diese werden jedoch hauptsächlich von bewaffneten Gruppen, wie die PMF oder irakische Sicherheitskräfte, kriminelle und radikalislamischen Gruppen ausgeübt, was […] im gegenständlichen Fall ohnehin nicht einschlägig ist.

[…]

Sofern die bP [gemeint: beschwerdeführende Partei] aus den aktuellen Länderinformationsblättern jene Absätze zitiert, die besagen, dass im Rückkehrfall eine Einreise in die KRI 'Beschränkungen' unterliege […], so ist dem entgegenzuhalten, dass damit kein Abschiebehindernis aufgezeigt wird, zumal ja eine Widereinreise damit nicht gänzlich als unmöglich dargestellt wird".

Anhand der getroffenen Feststellungen nimmt das Bundesverwaltungsgericht zudem folgende rechtliche Beurteilung vor:

"Aus Sicht des erkennenden Gerichtes kann aus den Feststellungen zur Sicherheitslage zu der Herkunftsregion 'autonome Region Kurdistan' abzuleitenden Gefahrendichte nicht der Schluss gezogen werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz der bP eine reale Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Art2 oder 3 EMRK drohen können. Weitere, in der Person der bP begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

[…]

Dass die bP im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland der existentiellen Lebensgrundlage entzogen wäre, konnte ebenso nicht festgestellt werden. Die bP ist ein junger und körperlich gesunder Mann. Was seine psychische Erkrankung anlangt, so steht diese – wie soeben dargelegt- ihrer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Die bP hat die meiste Zeit ihres Lebens im Irak verbracht, ist mit der Sprache und den lokalen Gebräuchen vertraut und verfügt über Berufserfahrung als Fliesenleger. Aus diesem Grund geht das erkennende Gericht davon aus, dass die bP – selbst ohne jegliche familiäre Unterstützung, die aber grundsätzlich angenommen wird - in der Lage sein wird, sich mit ihrer bislang ausgeübten Tätigkeit oder gegebenenfalls mit anderen Tätigkeiten – wie etwa durch Gelegenheitsjobs oder Aushilfstätigkeiten – ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes zu erwirtschaften.

[…]

Der bP droht – im Lichte der vorangeführten Ausführungen - keine Gefahr im Sinne des §8 AsylG, weshalb die Gewährung von subsidiärem Schutz zu verneinen ist".

2.2. Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Bundesverwaltungsgericht annimmt, dass Erbil bzw die "Autonome Region Kurdistan" als Herkunftsregion des Beschwerdeführers anzusehen sei, obwohl er dort infolge interner Vertreibung lediglich für eineinhalb Jahre in einem Flüchtlingslager gelebt habe und nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei (vgl zur Definition der Heimatregion: EASO, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [Richtlinie 2011/95/EU], 2018, 83; vgl idS auch VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414; 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Dahingegen sei er in Mossul im Familienverband aufgewachsen, habe dort die Schule besucht und gearbeitet. Im Rahmen der Prüfung der Möglichkeit der Rückkehr in eine vom Herkunftsgebiet verschiedene Region des Herkunftsstaates sind aber Erwägungen dahingehend anzustellen, ob die Ansiedelung in diesem Gebiet für den Betroffenen zumutbar ist (s dazu näher VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221).

2.3. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht übersehen, dass der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (im Folgenden: UNHCR) eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Region Kurdistan vor dem Hintergrund der dort vorherrschenden humanitären Lage nur unter eng begrenzten Voraussetzungen als gegeben erachtet (zur Relevanz derartiger Berichte in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vgl jüngst VfGH 13.6.2022, E1029/2022 mwN):

"UNHCR considers that an IFA/IRA [Internal Flight Alternative/Internal Relocation Alternative] is generally not reasonable in the KR-I [Kurdistan Region of Iraq]. The only exceptions would be for applicants for whom it can be established that, based on the individual circumstances of their case, they would have access to:

(i) Adequate shelter in the proposed area of relocation in the KR-I, noting that IDP [Internally Displaced Person] camps or informal settlements would not qualify as 'adequate shelter';

(ii) Access to essential services in the proposed area of relocation in the KR-I, such as potable water and sanitation, electricity, health care and education; and

(iii) Livelihood opportunities; or in the case of applicants who cannot be expected to provide for their own livelihood (for example female-headed households, elderly applicants or applicants with disabilities), proven and sustainable support to enable access to an adequate standard of living.

b) Conclusion on the Availibility of an IFA/IRA in the KR-I

UNHCR considers that given the current humanitarian situation in the KR-I, an IFA/IRA is generally not available." (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, 126)."

Ebenso führen die – dem Erkenntnis zugrunde liegenden Länderberichte – aus, dass nach dem Vormarsch des IS auf Mossul und das umliegende christliche Kernland zehntausende Christen die Flucht überwiegend in die Kurdische Region im Irak ergriffen hätten und ein Großteil davon noch immer in Vertriebenen- und Flüchtlingslagern unter "schwierigen und unmenschlichen Bedingungen" lebe.

Des Weiteren geben die in der angefochtenen Entscheidung abgedruckten Länderberichte darüber Auskunft, dass die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes aus ethnisch-konfessionellen Gründen eingeschränkt werde. Laut UNHCR sähen sich in Erbil insbesondere alleinstehende arabische Männer, die aus ehemals vom IS kontrollierten Gebieten stammten, mit Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen konfrontiert (UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Iraq, Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, Jänner 2021, 4).

2.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit der einschlägigen Berichtslage in Bezug gesetzt und sich insbesondere nicht damit befasst hat, ob dem aus Mossul stammenden Beschwerdeführer die Einreise und Ansiedelung in Erbil möglich und zumutbar ist, erweist sich die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr drohenden Verletzung seiner gemäß Art3 EMRK gewährleisteten Rechte als verfassungswidrig (vgl VfGH 5.3.2020, E491/2020; vgl auch VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0232; 22.2.2021, Ra 2020/18/0516).

2.5. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher, soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak und – daran anknüpfend – die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, mit Willkür behaftet und in diesem Umfang aufzuheben.

3. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers in allen Aspekten rechtmäßig beurteilt hat, insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E1948.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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