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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
PersFrSchG Art2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit durch die Anhaltung eines afghanischen Staatsangehörigen in Schubhaft; mangelhafte Einzelfall- und Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die tatsächliche Realisierbarkeit einer zeitnahen Abschiebung vor dem Hintergrund der Entwicklungen in AfghanistanRechtssatz
Gemäß E v 24.09.2021, E3115/2021, war das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dazu verpflichtet, das Vorliegen einer realen Gefahr einer Verletzung des Art2 oder 3 EMRK bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers angesichts der sich nahezu täglich ändernden Situation in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung und ihren Truppen insbesondere ab 12.06.2021 eingehend zu prüfen. Dieser Verpflichtung genügt das BVwG in dieser besonderen, durch eine extreme Volatilität auf Grund einer sich äußerst rasch verändernden Sicherheitslage gekennzeichneten Situation nicht, wenn es lediglich auf Grund des Umkehrschlusses zu E v 30.09.2021, E3445/2021, feststellt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan vor dem 20.07.2021 zwar laufend verschlechtert habe, jedoch in Summe noch nicht als derart volatil einzustufen gewesen sei, dass zwischen 06.04.2021 und 19.07.2021 von einer zwingenden Unmöglichkeit von Abschiebungen dorthin auszugehen gewesen sei.
Im Ergebnis lässt das BVwG in seiner Entscheidung neuerlich eine nachvollziehbare Auseinandersetzung damit, ob eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Afghanistan von 12.06.2021 bis 19.07.2021 tatsächlich realisierbar und somit die Anhaltung in Schubhaft verhältnismäßig war, vermissen. Vielmehr rechtfertigt das BVwG die Möglichkeit der Abschiebung zu einem Zeitpunkt ab 12.06.2021 im Wesentlichen mit dem unkooperativen Verhalten des Beschwerdeführers. Somit hat das BVwG dadurch, dass es die im Lichte des Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit gebotene einzelfallbezogene Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft unterlassen hat, neuerlich die Rechtslage grob verkannt und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Die Meinung des erkennenden Richters, dass nach der Rsp des VfGH in der Zeit vor dem 20.07.2021 die Abschiebung jedenfalls zulässig sei, ist verfehlt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Schubhaft, Freiheit persönliche, Verhältnismäßigkeit, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E4429.2021Zuletzt aktualisiert am
14.11.2022