TE Vwgh Beschluss 2022/10/19 Ra 2020/22/0279

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Veröffentlicht am 19.10.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie den Hofrat Dr. Mayr und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der E B, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das am 20. Mai 2020 mündlich verkündete und am 29. Juni 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/007/1691/2020-36, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine türkische Staatsangehörige, beantragte am 26. Februar 2019 die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Dabei berief sie sich auf ihre Ehe mit P T, einem italienischen Staatsangehörigen, den sie am 24. Jänner 2019 in Wien geheiratet hatte.

2        Mit E-Mail vom 7. Jänner 2020 erhob die Revisionswerberin Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

3        Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis, das am 20. Mai 2020 mündlich verkündet und am 29. Juni 2020 schriftlich ausgefertigt wurde, den Antrag der Revisionswerberin gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurück, stellte fest, dass die Revisionswerberin nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle, und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass zwischen der Revisionswerberin und ihrem Ehemann eine Aufenthaltsehe bestehe. Es liege keine umfassende Lebensgemeinschaft im Sinne eines gemeinsamen Familienlebens mit einer Wohngemeinschaft, einer wirtschaftlichen Verbundenheit und gemeinsamer Haushaltsführung sowie gemeinsamen sozialen Kontakten vor. Diese Feststellungen gründete das Verwaltungsgericht auf eine ausführliche Beweiswürdigung, in der es den durch Befragung sowohl der Revisionswerberin als auch ihres Ehemannes in zwei Tagsatzungen gewonnenen persönlichen Eindruck, die anhand von Kontoauszügen nachvollzogenen jeweiligen Aufenthaltsorte, Widersprüchlichkeiten in den Aussagen, weitreichende Unkenntnis über bedeutsame Lebensumstände des Ehepartners, die gänzliche Trennung der wirtschaftlichen Existenzen sowie den völlig unterschiedlichen Freundeskreis und das Fehlen jeglichen Hinweises auf den jeweils anderen in von jedem Ehepartner geführten Profilen auf Social Media ins Treffen führte. Weiters berücksichtigte das Verwaltungsgericht, dass die Revisionswerberin auch in anderen Angelegenheiten (steuerlich, sozialversicherungsrechtlich) eine weit unterdurchschnittliche Bereitschaft zur Einhaltung von Rechtsvorschriften an den Tag gelegt habe.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der zunächst erhobenen Verfassungsgerichtshofsbeschwerde (VfGH 21.9.2020, E 2760/2020-5) ausgeführte - außerordentliche Revision. Zu deren Zulässigkeit verweist die Revisionswerberin darauf, dass nach der Rechtsprechung des EGMR auch nicht eheliche Lebensgemeinschaften vom Begriff des Familienlebens des Art. 8 EMRK erfasst sind und das Verwaltungsgericht bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses von dieser Rechtsprechung abgewichen sei. Im Übrigen wird pauschal die Unplausibilität der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes in einzelnen Aspekten (Unkenntnis der Revisionswerberin über die Krankheit des Schwiegervaters, Heranziehung des Ortes von Bargeldbehebungen durch den Ehemann zur Bestimmung des Aufenthaltsorts, Unkenntnis der Revisionswerberin über längere und wiederholte Auslandsaufenthalte des Ehemannes, Widersprüchlichkeit der Angaben zu der Kommunikation zwischen den Ehepartnern) behauptet.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. beispielsweise VwGH 12.10.2020, Ra 2020/22/0064, Rn. 6, mwN).

10       Eine derartige vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung zeigt die Revision nicht auf, zumal sich das Verwaltungsgericht mit den Ermittlungsergebnissen, die es u.a. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gewonnen hatte, nachvollziehbar auseinandersetzte. Dies gilt einerseits für den Gesamteindruck des Nichtbestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft, den das Verwaltungsgericht aus einer Reihe von Beweisergebnissen ableitet, und dem in der Revision nichts entgegengesetzt wird. Andererseits gilt dies aber auch für die einzelnen Gesichtspunkte, zu denen die Revisionswerberin in der Revision zumindest ansatzweise den Versuch unternimmt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes in Zweifel zu ziehen. So können etwa die widersprüchlichen Angaben zu der Frage, ob eine Kommunikation mittels WhatsApp stattgefunden habe, nicht dadurch erklärt werden, dass ohnehin auch auf anderen Wegen kommuniziert worden wäre. Ebenso wenig kann die Unkenntnis der Revisionswerberin über eine schwere Erkrankung und Pflegebedürftigkeit des Schwiegervaters dadurch erklärt werden, dass die Revisionswerberin eine Abneigung gegen ihre Schwiegereltern hege, und auch die Unkenntnis der Revisionswerberin über tage- und wochenlange Auslandsaufenthalte ihres Ehemannes kann nicht dadurch plausibilisiert werden, dass man sich gegenseitig Freiräume gewähre oder der Ehemann dies „verschwiegen“ hätte. Schließlich erweist es sich auch gerade nicht als unplausibel, anzunehmen, dass eine Person auch im Umkreis der eigenen Wohnung Bargeldbehebungen tätigen würde. Insgesamt vermag die Revisionswerberin mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes in dem angefochtenen Erkenntnis mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wäre.

11       Zu dem Zulässigkeitsvorbringen, dass nach der Rechtsprechung des EGMR auch nichteheliche Lebensgemeinschaften unter den Begriff des Familienlebens fallen, genügt es darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht fallbezogen ohnehin das tatsächliche Vorliegen einer Lebensgemeinschaft geprüft hatte; der Umstand, dass formal eine Ehe geschlossen worden ist, wurde vom Verwaltungsgericht nicht in Zweifel gezogen.

12       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 19. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020220279.L00

Im RIS seit

14.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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