TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/28 93/01/0259

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.1996
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §18 Abs4;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BeglaubigungsV 1925 §1 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. April 1992, Zl. 4.316.178/5-III/13/92, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Asylwesens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine "jugosl." Staatsangehörige, hat die als Bescheid bezeichnete Erledigung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Dezember 1991, mit der festgestellt worden war, bei der Beschwerdeführerin lägen die Voraussetzungen für ihre Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurück.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 30. November 1992, B 705, 706/92, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese mit Beschluß vom 19. März 1993, gleiche Zahl, dem Verwaltungsgerichtshof ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, daß der erstinstanzliche Bescheid der Beschwerdeführerin am 20. Dezember 1991 zugestellt worden sei. Die zweiwöchige Berufungsfrist sei daher am 3. Jänner 1992 abgelaufen. Da die Beschwerdeführerin die Berufung erst am 7. Jänner 1992 eingebracht habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber unter Hinweis auf ihre Darlegungen vor dem Verfassungsgerichtshof zunächst insbesondere geltend, bei der von der Behörde erster Instanz erlassenen, als Bescheid bezeichneten Erledigung vom 11. Dezember 1991 handle es sich um keinen Bescheid, weil dieses Schriftstück die Voraussetzungen des § 18 Abs. 4 AVG im Zusammenhang mit der Beglaubigungsverordnung nicht erfülle. So seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 der Beglaubigungsverordnung für die Behörde erster Instanz im Sinne des Abs. 2 dieses Paragraphen nicht festgestellt. Die Erledigung sei von einer Angehörigen des Sekretariats der Behörde erster Instanz unterfertigt, der keine Approbationsbefugnis zukomme. Darüber hinaus liege der der Beschwerdeführerin zugekommenen Ausfertigung kein Geschäftsstück der Behörde erster Instanz zugrunde, welches diese vom hiezu berufenen Amtsorgan eigenhändig gefertigte Erledigung enthalte.

Gemäß § 18 Abs. 4 AVG müssen alle schriftlichen Ausfertigungen die Bezeichnung der Behörde enthalten sowie mit Datum und mit der unter leserlicher Beifügung des Namens abgegebenen Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat. An die Stelle der Unterschrift des Genehmigenden kann die Beglaubigung der Kanzlei treten, daß die Ausfertigung mit der nach Abs. 2 genehmigten Erledigung des betreffenden Geschäftsstückes übereinstimmt. Das Nähere wird durch Verordnung geregelt. Bei Mitteilungen gemäß Abs. 3 zweiter und dritter Satz und bei Ausfertigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt werden, genügt die Beisetzung des Namens des Genehmigenden; eine Beglaubigung durch die Kanzlei ist nicht erforderlich. Bei vervielfältigten Ausfertigungen oder in Fällen, in denen der Inhalt einer Erledigung in einer solchen technischen Weise mitgeteilt wird, die eine genaue Wiedergabe des Original ermöglicht, ist die Unterschrift oder deren Beglaubigung auf der zu vervielfältigenden Ausfertigung oder auf dem Original anzubringen.

Gemäß § 1 der Beglaubigungsverordnung, BGBl. Nr. 445/1925, kann von der im § 18 Absatz 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes vorgesehenen Möglichkeit, schriftliche Ausfertigungen der Behörden durch die Kanzlei beglaubigen zu lassen, nur bei den Behörden Gebrauch gemacht werden, für die ein geregelter ständiger Kanzleidienst eingerichtet ist. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen muß das Vorhandensein dieser Voraussetzung vor der Gebrauchnahme für die im Artikel II Absatz 2 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen unter B, i, k und l, bezeichneten Behörden (nunmehr: sinngemäß die Z 29 und 30 des Art. II Abs. 2 lit. B EGVG) auf Antrag der Behörde von der zur Aufsicht über ihre Geschäftsführung berufenen Oberbehörde festgestellt sein.

Bei den in den Ziffern 29 und 30 der zuletzt in Klammer angeführten Gesetzesstelle handelt es sich um Organe von Gemeinden und von Gemeindeverbänden.

Ausgehend von dieser Rechtslage ist der Beschwerdeführerin zunächst entgegenzuhalten, daß es sich bei der Behörde erster Instanz um die als Bundesbehörde eingerichtete Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien handelt, sodaß der Hinweis darauf, daß für die Behörde erster Instanz das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 der Beglaubigungsverordnung nicht ausdrücklich festgestellt sei, ins Leere geht, weil eine derartige Feststellung überhaupt nur hinsichtlich der angeführten Organe von Gemeinden und Gemeindeverbänden in Frage kommt.

Soweit die Beschwerdeführerin die mangelnde Approbationsbefugnis des die erstinstanzliche Erledigung fertigenden Amtsorganes bzw. den Mangel eines von einem befugten Amtsorgan gefertigten Originals der ihr zugekommenen Erledigung ins Treffen führt, ist die Fertigung bzw. Beglaubigung der erstinstanzlichen Erledigung vom 11. Dezember 1991 zu untersuchen. Dieses Schriftstück, welches sich in zweifacher Ausfertigung eines mit Schreibmaschine ausgefüllten Formulars in den vorgelegten Verwaltungsakten befindet, weist als Fertigung in Maschinschrift auf: "Für den Sicherheitsdirektor: gez.: OR.Dr. SCHADWASSER Vorstand". Weiters befindet sich innerhalb dieser maschinschriftlichen Fertigungsklausel der handschriftliche Vermerk "f.d.R." und die leserliche Unterschrift "Roch". Diese Art der Fertigung entspricht auch der Beschreibung des der Beschwerdeführerin zugekommenen Schriftstückes.

Es ist auf Grund des gesamten Erscheinungsbildes davon auszugehen, daß die Wendung "f.d.R." einen Beglaubigungsvermerk (für die Richtigkeit) darstellt, wobei die Unterschrift "Roch" als Unterfertigung des Beglaubigungsvermerks zu verstehen ist. Damit ist aber keine der in den Verwaltungsakten enthaltenen Ausfertigungen dieser Erledigung mit der eigenhändigen Unterschrift des als Genehmigender aufscheinenden OR Dr. Schadwasser versehen. Gemäß ständiger hg. Rechtsprechung bildet ein von der Kanzlei einer Behörde ausgefertigtes Schriftstück nur dann eine Amtshandlung, wenn ein entsprechendes Geschäftsstück, das eine gemäß § 18 Abs. 4 AVG eigenhändig beigesetzte Genehmigung aufweist, besteht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 1979, Slg. 9903/A, und vom 19. Jänner 1990, Zl. 89/18/0079). Die einem Beglaubigungsvermerk beigesetzte Unterschrift stellt keine Unterfertigung der behördlichen Erledigung dar; der allenfalls bloß mündlich ausgesprochene Konsens eines Beamten der Behörde ist im Hinblick auf das Unterschriftserfordernis nach § 18 Abs. 4 AVG rechtlich unerheblich (vgl. hiezu die bei Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I, Wien 1987, S. 282, zitierte Judikatur). Der Beschwerdeführerin ist daher im Ergebnis beizupflichten, daß es sich bei der erstinstanzlichen Erledigung vom 11. Dezember 1991 um keinen Bescheid handelt. Wohl ist im Fall der Berufung gegen einen Nichtbescheid diese als unzulässig zurückzuweisen (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Eisenstadt 1990, S. 531, zitierte Judikatur) und ist die belangte Behörde im Beschwerdefall auch mit Zurückweisung der Berufung vorgegangen. Sie hat diese Zurückweisung aber nicht mit der mangelnden Bescheidqualität der erstinstanzlichen Erledigung, sondern mit Verspätung der Berufung begründet. Die Zurückweisung einer Berufung wegen Verspätung ist aber in ihrem normativen Gehalt nicht einer Zurückweisung der Berufung wegen des Fehlens einer anfechtbaren erstinstanzlichen Entscheidung gleichzuhalten. Auf Grund erstgenannter Zurückweisung stünde nämlich die Rechtskraft einer erstinstanzlichen Entscheidung fest (vgl. die in Hauer - Leukauf, aaO, S. 535, zitierte Judikatur).

Die belangte Behörde hat somit dadurch, daß sie den mangelnden Bescheidcharakter der erstinstanzlichen Erledigung nicht aufgegriffen und die dagegen erhobene Berufung nicht aus diesem Grund, sondern wegen Verspätung zurückgewiesen hat, die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Beglaubigung der Kanzlei Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen Unterschrift Genehmigungsbefugnis Unterschrift des Genehmigenden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1993010259.X00

Im RIS seit

29.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten