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16/02 RundfunkNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit durch die Feststellung einer schwerwiegenden Verletzung des AMD-G (Bereitstellung eines diskriminierenden Beitrags zum Thema "E-Card-Missbrauch" durch eine politische Partei)Rechtssatz
Abweisung der Beschwerde gegen ein Erk des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG).
Geltung des Diskriminierungsverbots für ideelle Werbung iSd §2 Z40 AMD-G:
Das AMD-G bewirkt, dass auch ideelle Werbung den allgemeinen "qualitativen" Anforderungen an audiovisuelle kommerzielle Kommunikation gemäß §31 AMD-G unterfällt. Auch ideelle Werbung für eine politische Partei muss daher gemäß §31 Abs1 AMD-G als audiovisuelle kommerzielle Kommunikation leicht als solche erkennbar sein. Insbesondere Schleichwerbung ist untersagt. Weiters darf audiovisuelle kommerzielle Kommunikation und damit auch der hier in Rede stehende Beitrag als ideelle Werbung für eine politische Partei gemäß §31 Abs3 AMD-G ua keine "Diskriminierungen nach Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Nationalität, Religion oder Glauben [...] enthalten oder fördern".
Für die hier in Rede stehende audiovisuelle kommerzielle Kommunikation gilt daher insoweit ein strengeres Diskriminierungsverbot gegenüber sonstigen (nicht kommerziellen) Inhalten in audiovisuellen Mediendiensten, als letztere gemäß §30 Abs2 Z1 AMD-G "nicht zu Hass oder Gewalt gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer Gruppe auf Grund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung [...] aufstacheln" dürfen.
Der Gesetzgeber unterscheidet also im Gefolge der Art6 Abs1 lita bzw Art9 Abs1 litc sublitii der Richtlinie 2018/1808/EU zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) zwischen Kommunikationsinhalten in audiovisuellen Mediendiensten, die vor allem einem "Hate Speech-Verbot" unterliegen, und Inhalten audiovisueller kommerzieller Kommunikation, die sich jeder Diskriminierung aus bestimmten Gründen oder nach bestimmten Merkmalen zu enthalten haben und solche Diskriminierungen auch nicht fördern dürfen.
Zum Inhalt des in §31 Abs3 Z2 AMD-G enthaltenen Diskriminierungsverbotes ua nach ethnischer Herkunft:
Nach der Rsp des EuGH beruht der Begriff der ethnischen Herkunft auf dem Gedanken, dass "gesellschaftliche Gruppen insbesondere durch eine Gemeinsamkeit der Staatsangehörigkeit, Religion, Sprache, kulturelle und traditionelle Herkunft und Lebensumgebung gekennzeichnet sind". Dabei handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung von Kriterien. Die ethnische Herkunft beruht nach der auf einem Bündel von Indizien, von denen einige objektiv und andere subjektiv sind. Ähnlich versteht der EGMR im Zusammenhang mit Art14 EMRK die ethnische Herkunft, wenn er davon ausgeht, dass "[d]iscrimination on account of, inter alia, a person's ethnic origin is a form of racial discrimination".
Vor diesem Hintergrund ist dem BVwG zunächst aus gleichheitsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn es die Darstellung in der Werbesendung für eine politische Partei als Personen auf Grund ihrer ethnischen Herkunft diskriminierend und damit auch für geeignet erachtet, einschlägige Diskriminierungen gegenüber Personen mit einer solchen Herkunft zu fördern. Die Darstellung einschließlich der gewählten Namensbezeichnungen stellt auf Stereotypen zur Kennzeichnung "fremder Menschen" mit einem bestimmten ethnischen Hintergrund in der deutlichen und vorrangigen Absicht ab, Angehörigen dieser Gruppe pauschal und ausschließlich auf Grund ihrer ethnischen Herkunft sozialschädliches Verhalten zu unterstellen. Es kommt im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot nicht darauf an, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie exakt abgegrenzt werden muss, sondern darauf, dass mit einer stereotypen oder pauschalen Zuordnung zu einer bestimmten ethnischen Herkunft, die der einzelne auch nicht verändern kann, eine benachteiligende Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe bezweckt wird. Das BVwG hat also §31 Abs3 Z2 AMD-G im Einklang mit einschlägigen grundrechtlichen Diskriminierungsverboten ausgelegt (insb ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 oder Art21 GRC).
Keine unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit:
Die beschwerdeführende Partei weist zu Recht darauf hin, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung insbesondere auch für "Nachrichten" oder "Ideen" gilt, die provozieren, schockieren oder stören. Das ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen kann. Die Freiheit der politischen Debatte ist wesentlich für das Konzept einer demokratischen Gesellschaft, und provokative Sprache ist ein zentraler Bestandteil der politischen Rede. Angesichts der besonderen Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft muss die Notwendigkeit der Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung im Einzelfall, insbesondere wenn es sich um einen Fall der politischen Rede handelt, außer Zweifel stehen.
Maßgeblich konnte das BVwG im vorliegenden Zusammenhang aber darauf abstellen, dass es sich kontextbezogen bei dem hier in Rede stehenden audiovisuellen Medieninhalt primär um einen Beitrag ideeller Werbung und nicht so sehr um einen Beitrag zur politischen Debatte handelt. Im Vordergrund steht die Werbung, nicht die politische Argumentation in Auseinandersetzung mit politischen Ideen oder Konzepten anderer politischer Kräfte oder Meinungen und Ideen der Zivilgesellschaft. Insofern ist dem BVwG nicht entgegenzutreten, wenn es derartige Formen ideeller Werbung im Interesse des Diskriminierungsschutzes Betroffener in Anwendung des §31 Abs3 Z2 AMD-G (etwas) strengeren Anforderungen unterwirft als Auseinandersetzungen in politischen Debatten oder öffentliche Äußerungen mit Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und Entwicklungen, an Anderen oder an staatlichen Institutionen.
Vor diesem Hintergrund hat das BVwG §31 Abs3 Z2 iVm §2 Z40 AMD-G keinen die Meinungsäußerungsfreiheit der beschwerdeführenden Partei missachtenden Inhalt unterstellt. Vielmehr durfte es auch im Lichte des Art10 EMRK in verfassungsrechtlich zulässiger Weise davon ausgehen, dass die in Rede stehende, dem Diskriminierungsschutz dienende Beschränkung der durch Art10 Abs1 EMRK geschützten Meinungsfreiheit der beschwerdeführenden Partei den Anforderungen des Art10 Abs2 EMRK entspricht. Im kommerziellen Medieninhalt wird für eine politische Partei dadurch geworben, dass, wie es das BVwG benennt, "eine bestimmte Personengruppe 'an den Pranger' im Zusammenhang mit Sozialmissbrauch gestellt" wird. Dies durfte das BVwG der beschwerdeführenden Partei verfassungsrechtlich zulässigerweise als Diskriminierung gemäß §31 Abs3 Z2 AMD-G und damit als Verstoß ihrer audiovisuellen kommerziellen Kommunikation gegen diese Bestimmung anlasten.
Der VfGH hegt auch keine Bedenken dagegen, dass das BVwG Verstöße gegen die in §31 Abs3 Z2 AMD-G genannten Diskriminierungsverbote als "schwerwiegende Verletzung" dieses Gesetzes qualifiziert (Veröffentlichungspflicht). Dass - in anderem Zusammenhang - noch gravierendere Formen von Diskriminierung im AMD-G untersagt werden (§30 Abs2 Z1 AMD-G), nimmt dem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des §31 Abs3 Z2 AMD-G nicht diese Qualifikation.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Medienrecht, Meinungsäußerungsfreiheit, Auslegung verfassungskonforme, EU-Recht Richtlinie, Partei politischeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E2977.2021Zuletzt aktualisiert am
10.11.2022