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82/03 Ärzte, sonstiges SanitätspersonalNorm
B-VG Art120aLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des ÄrzteG 1998 betreffend die Ermächtigung der Kurienversammlung bzw der Bundeskurie für ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst; Regelung im überwiegenden Interesse der im Selbstverwaltungskörper der jeweiligen Ärztekammer zusammengefassten Mitglieder; Ermächtigung betreffend die organisatorisch notwendige Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes ist eine – innerorganisatorische Belange der niedergelassenen Ärzteschaft betreffende – Aufgabe im eigenen Wirkungsbereich der ÄrztekammerRechtssatz
Abweisung eines Antrags der Burgenländischen Landesregierung auf Aufhebung des §84 Abs4 Z7 und des §126 Abs4 Z7 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 156/2005.
Dass die antragstellende Landesregierung die Letztfassung der gesamten Rechtsvorschrift zum maßgeblichen Zeitpunkt mit BGBl I 172/2021 zitiert und die angefochtenen Bestimmungen nicht exakt durch Angabe der Fundstelle der konkreten Rechtsvorschriften in der zur Aufhebung begehrten Fassung (hier: BGBl I 156/2005 der 7. Ärztegesetz-Novelle) bezeichnet, schadet - entgegen der Auffassung der Österreichischen Ärztekammer und der Ärztekammer für Burgenland - nicht. Dem Formerfordernis des §62 Abs1 VfGG wird insofern entsprochen, als sich die maßgebliche Fassung der zur Aufhebung begehrten Rechtsvorschriften aus der wörtlichen Wiedergabe der bekämpften Bestimmungen im Antrag mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt. Der VfGH geht daher in einem Zwischenergebnis davon aus, dass §84 Abs4 Z7 und §126 Abs4 Z7 ÄrzteG 1998, BGBl I 169/1998, idF BGBl I 156/2005 angefochten werden. Die antragstellende Landesregierung hat dem VfGH einen Nachweis vorgelegt, wonach am 10.03.2022 die Beschlussfassung der Burgenländischen Landesregierung als Kollegialorgan erfolgt ist, den Antrag auf Normenkontrolle gemäß Art140 Abs1 Z2 B-VG zu stellen. Vor dem Hintergrund der die Anfechtung tragenden Rechtsauffassung und der daraus erfließenden und geltend gemachten Bedenken ist der Antrag auch nicht zu eng. Jedenfalls würde eine Aufhebung der angefochtenen gesetzlichen Grundlagen einer verfassungskonformen Neuregelung den Weg eröffnen.
Gemäß §84 Abs4 ÄrzteG 1998 ist die Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte bzw die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte nach §126 Abs4 ÄrzteG 1998 dazu berufen, die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der niedergelassenen Ärzte wahrzunehmen und zu fördern. Zu diesem Zweck obliegen diesen Kammerorganen die in Abs4 par cit abschließend aufgelisteten Angelegenheiten. Zu diesen Angelegenheiten zählt eben auch die so genannte "Einrichtung" eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes.
Der VfGH geht mit der Burgenländischen Landesregierung davon aus, dass diese "Einrichtung" eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes eine Aufgabe im eigenen Wirkungsbereich der Ärztekammer(n) ist. Nicht zutreffend ist allerdings die von der antragstellenden Landesregierung vorgenommene Auslegung des Begriffs "Einrichtung". Anders als im Antrag dargelegt, handelt es sich dabei bloß um eine Ermächtigung betreffend die organisatorisch notwendige Einrichtung dieser notärztlichen Dienste, nicht jedoch um eine Ermächtigung, durch Verordnung die Frage zu klären, ob es solche Dienste zu geben hat. Die Frage des "Ob" ist eine Sache, die im Gesamtvertrag (gemäß §338 Abs2 ASVG zur Sicherstellung der "ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen") oder allenfalls in einem anderen Gesetz oder einer Verordnung zu regeln ist, denn dadurch werden die Rechtsansprüche und die (Rechts-)Verhältnisse Dritter tatsächlich derart berührt, dass dies jedenfalls nicht mehr als Angelegenheit, die im überwiegenden Interesse der Ärzteschaft gelegen ist, betrachtet werden kann.
Gegenstand der bekämpften Gesetzesbestimmungen ist die Einrichtung und Organisation eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes in Bezug auf innerorganisatorische Belange der niedergelassenen Ärzteschaft. Die in §84 Abs4 Z7 bzw §126 Abs4 Z7 ÄrzteG 1998 verankerte Ermächtigung der Kurienversammlung bzw der Bundeskurie dient der Normierung von Rahmenbedingungen für die berufliche Tätigkeit der Ärzte durch die nähere Ausgestaltung der Umsetzung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes, etwa betreffend Dienstzeiten, die Sprengeleinteilung, Vertretungsregeln und die Honorierung (vgl beispielhaft die für die Bundesländer Burgenland, Tirol und Oberösterreich erlassenen Verordnungen über die Einrichtung und Organisation eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes, kundgemacht auf der Homepage der Ärztekammer für Burgenland am 25.06.2021, für Tirol am 07.03.2019 sowie für Oberösterreich am 16.06.2020).
Die Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes richtet sich somit ausschließlich an die Mitglieder dieses Selbstverwaltungskörpers, zumal mit den angefochtenen Bestimmungen lediglich bewirkt wird, dass die zuständigen Organe der jeweiligen Ärztekammern Beschlüsse betreffend die Organisation eines Not- und Bereitschaftsdienstes gegenüber den Kurienmitgliedern fassen können.
Bei diesem - verfassungsrechtlich gebotenen - Verständnis der angefochtenen Regelungen ist somit auch festzuhalten, dass die Ärztekammer für Burgenland, anscheinend in Verkennung der geltenden Rechtslage, ihrer Ermächtigung bzw Verpflichtung zur Organisation nicht bzw nicht hinreichend nachgekommen zu sein scheint. Es ist allerdings ausgeschlossen, dass es ärztliche Not- und Bereitschaftsdienste nur nach Maßgabe der Verordnung der Ärztekammer geben kann.
Der antragstellenden Landesregierung ist dahingehend zuzustimmen, dass die allgemeinmedizinische Versorgung der Bevölkerung auch außerhalb der gewöhnlichen Ordinationszeiten von Ärzten ein gewichtiges öffentliches Interesse darstellt, deren Gewährleistung sicherzustellen ist, sowie auch, dass die Sicherstellung der Versorgung an sich nicht und schon gar nicht allein durch eine Regelung im eigenen Wirkungsbereich der Ärztekammer erfolgen kann. Es ist aber eben davon auszugehen, dass ein (verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendes) Zusammenwirken der unterschiedlichen Normsetzer unter verschiedenen Gesichtspunkten, etwa des Bundes- und/oder Landesgesetzgebers sowie Verordnungsgebers, notwendig ist, um die bestmögliche Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dazu zählt auch die Ermächtigung bzw Verpflichtung der Ärztekammer, entsprechend der gesetzlichen Grundlage die Organisation der Ärzteschaft zu übernehmen. Dass diese letztlich auch Auswirkungen auf die Bevölkerung hat, ist hier nicht erheblich.
Da die angefochtenen Bestimmungen des §84 Abs4 Z7 und §126 Abs4 Z7 ÄrzteG 1998 nicht den von der antragstellenden Landesregierung angenommenen Regelungsgehalt aufweisen, sondern bloß die "innerärztliche" Organisation ermöglichen, ist der Antrag abzuweisen.
Schlagworte
Ärzte Berufsrecht, Selbstverwaltung, Krankenversicherung, Ärztekammer, Wirkungsbereich eigenerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G101.2022Zuletzt aktualisiert am
10.11.2022