Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
PersFrSchG Art2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit durch die Anhaltung einer tunesischen Staatsangehörigen in Schubhaft; Grobprüfung der asylrechtlichen Verfolgungsbehauptung der Homosexualität sowie der drohenden Zwangsverheiratung und damit des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung erfordert im Schubhaftverfahren die Einvernahme und Verhandlung durch einen Richter desselben GeschlechtsSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist eine am 21. März 2000 geborene Staatsangehörige Tunesiens und ist unrechtmäßig in den Schengen-Raum eingereist. Sie wurde am 20. Februar 2022 in einem Zug aus Salzburg kommend am Bahnhof Freilassing von der deutschen Bundespolizei angehalten, die ihr die Einreise nach Deutschland verweigerte. Nach ihrer Rücküberstellung nach Österreich wurde die Beschwerdeführerin gemäß §39 FPG festgenommen. Bei der anschließenden Befragung durch ein Sicherheitsorgan gab die Beschwerdeführerin an, dass sie nach Frankreich zu Familienangehörigen weiterreisen wolle.
2. Mit Mandatsbescheid vom 20. Februar 2022 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gegenüber der Beschwerdeführerin die Schubhaft gemäß §76 Abs2 Z2 FPG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung an. Ferner leitete das BFA ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein.
3. Am 24. Februar 2022 stellte die Beschwerdeführerin während der Anhaltung in Schubhaft erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung fand am selben Tag statt und wurde von einem Mann unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers durchgeführt. Im Zuge der Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin an, dass sie von ihrem Bruder sowohl in Tunesien als auch in Frankreich schlecht behandelt und geschlagen worden sei.
4. Ebenfalls am 24. Februar 2022 hielt das BFA in einem Aktenvermerk fest, dass die Schubhaft gemäß §76 Abs6 FPG aufrecht bleibe, weil zum "jetzigen Zeitpunkt" Gründe für die Annahme bestünden, dass der Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei.
5. Am 25. Februar 2022 erstattete die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme und brachte vor, dass sie homosexuell sei und ihr Bruder sie deshalb geschlagen habe.
6. Die niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA betreffend den Antrag auf internationalen Schutz erfolgte am 15. März 2022, welche auf Ersuchen der Beschwerdeführerin von einer Frau unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchgeführt wurde. In der Einvernahme brachte die Beschwerdeführerin unter anderem vor, dass sie in der Erstbefragung ihre Homosexualität nicht erwähnt habe, weil nur Männer zugegen gewesen seien. Im Sommer 2021 sei die Beschwerdeführerin von ihrer Mutter überrascht worden, als sie einen sexuellen Akt mit einer Freundin durchgeführt habe. In der Folge sei sie zu Hause eingesperrt, geschlagen und psychischem Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt worden. Unterstützung habe sie nur von ihrer in Frankreich wohnhaften Schwester erfahren. In Tunesien verletze Homosexualität die Ehre der Familie und deshalb würde sie dort auch die Polizei nicht beschützen. Als ihre Familie dann begonnen habe, eine Zwangsverheiratung zu organisieren, habe sie sich dazu entschieden, von zu Hause wegzulaufen.
7. Am 16. März 2022 langte beim Bundesverwaltungsgericht die auf §22a BFA-VG gestützte Schubhaftbeschwerde der Beschwerdeführerin ein. In der Beschwerde wird vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin bei einer in Österreich wohnhaften Freundin Unterkunft nehmen könnte und daher ein gelinderes Mittel im Sinne von §77 FPG zur Verfügung stünde. Zudem sei es unzutreffend, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich zum Zweck der Verzögerung der Abschiebung gestellt habe, weshalb die Voraussetzungen nach §76 Abs6 FPG nicht vorliegen würden.
8. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Bundesverwaltungsgericht die Schubhaftbeschwerde mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 23. März 2022 gemäß §22a Abs1 BFA-VG iVm §76 Abs2 Z2 und §76 Abs6 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Ferner wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt A II.). Zudem wurde der Antrag auf Aufwandersatz der Beschwerdeführerin abgewiesen (Spruchpunkt A III.) und ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen iHv € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen hat (Spruchpunkt A IV.). Mit Schreiben vom 30. März 2022 beantragte die Beschwerdeführerin fristgerecht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses. Am 20. April 2022 erging die schriftliche Ausfertigung des am 23. März 2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte durch einen Richter männlichen Geschlechts.
8.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Entscheidung aus, dass die Beschwerdeführerin den Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich zum Zweck der Verzögerung der Abschiebung gestellt habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen nach §76 Abs6 FPG zumindest eine Grobprüfung der Motive für die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz, insbesondere unter Bedachtnahme auf die zu dessen Begründung vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen, durchzuführen. Die Beschwerdeführerin habe eine Verfolgung auf Grund ihrer sexuellen Orientierung vorgebracht, jedoch gegen Ende der Einvernahme vor dem BFA am 15. März 2022 ihr Vorbringen gesteigert und auch von einer drohenden Zwangsverheiratung im Herkunftsstaat gesprochen. Ferner stehe das Fluchtvorbringen in diametralen Widerspruch zu den Bemühungen der Beschwerdeführerin nach Frankreich zu gelangen, zumal sie dort nach den eigenen Schilderungen ebenfalls Gewalt durch ihren Bruder wegen ihrer sexuellen Orientierung erwarten hätte müssen. Davon abgesehen sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht schon in einem anderen europäischen Land, spätestens jedoch bei ihrer Festnahme am 20. Februar 2022 gestellt habe. Im Rahmen der Grobprüfung habe daher nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat einer konkreten individuellen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt wäre.
8.2. Bei der Beschwerdeführerin sei Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf gegeben. Sie sei im Bewusstsein ihrer illegalen Einreise durch mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union gereist und habe bei ihrer Anhaltung falsche Identitätsangaben getätigt. Erst nach ihrer Festnahme und im Stande der Schubhaft habe sie in Missbrauchsabsicht einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, um die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verzögern. Ferner habe die Beschwerdeführerin wiederholt angegeben, im Falle der Entlassung aus der Schubhaft nach Frankreich weiterreisen zu wollen.
Die Beschwerdeführerin habe im Bundesgebiet keine familiären Anknüpfungspunkte und keinen festen Wohnsitz. In der mündlichen Verhandlung sei eine Zeugin einvernommen worden, welche mit der in Frankreich lebenden Schwester der Beschwerdeführerin befreundet sei und ihre Bereitschaft erklärt habe, die Beschwerdeführerin vorübergehend bei sich wohnen zu lassen. Dies reiche jedoch nicht aus, um einen Grad an sozialer Verankerung oder auch eines gesicherten Wohnsitzes in der Form aufzuzeigen, die gegen die Annahme einer Fluchtgefahr sprechen würde.
8.3. Zur wahrscheinlichen Dauer der Schubhaft hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass das BFA bereits am 21. Februar 2022 einen Antrag auf Identifizierung und Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der tunesischen Botschaft gestellt habe. Die Identifizierung der Beschwerdeführerin sei noch nicht erfolgt, wobei diese bei Tunesien mindestens vier bis fünf Monate in Anspruch nehmen könne. Eine Beendigung des Asylverfahrens stehe unmittelbar bevor und eine Abschiebung sei unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeit für eine Identifizierung aus derzeitiger Sicht jedenfalls im Herbst 2022 realistisch.
9. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
9.1. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Anhaltung in Schubhaft nach §76 Abs6 FPG eine Grobprüfung des asylrelevanten Fluchtvorbringens vorzunehmen sei. Gemäß §20 AsylG 2005 seien Asylsuchende, die ihre Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in ihre sexuelle Selbstbestimmung gründen, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen. Diese Bestimmung sei auch in Verfahren anzuwenden, in denen eine Grobprüfung von Asylgründen durchzuführen sei (VwGH 14.10.2021, Ra 2021/19/0027). Dies deshalb, weil die Bestimmung den Abbau von Hemmschwellen im Rahmen einer Einvernahme bezwecke. Obwohl die Beschwerdeführerin einen Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung vorgebracht habe, sei das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht von einem Richter männlichen Geschlechts durchgeführt worden.
9.2. Ferner sei es der Beschwerdeführerin nicht vorwerfbar, dass sie nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Wie der Verfassungsgerichtshof festgehalten habe, spreche der alleinige Umstand, dass eine Person nicht sofort ihre Homosexualität angibt, angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die Sexualität betreffen, nicht gegen die Glaubwürdigkeit eines solchen Vorbringens (VfGH 27.9.2021, E1951/2021). Angesichts der besonderen Sensibilität und Intimität des Vorbringens und ihrer Erfahrungen im Herkunftsstaat sei es objektiv nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag trotz früherer Gelegenheit in einem anderen europäischen Staat erst am 24. Februar 2022 stellte. Daher könne auf Basis des zeitlichen Ablaufes der Antragstellung nicht auf eine Verzögerungsabsicht im Sinne des §76 Abs6 FPG geschlossen werden.
9.3. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin erstmalig in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, und sich auch nicht mit dem damit einhergehenden faktischen Abschiebeschutz auseinandergesetzt. Schließlich erweise sich die Schubhaft auch auf Grund der laut Bundesverwaltungsgericht zu erwartenden Dauer bis in den Herbst 2022 als unverhältnismäßig.
10. Das BFA hat die Verwaltungsakten und das Bundesverwaltungsgericht die Gerichtsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde jeweils Abstand genommen.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988, idF BGBl I 2/2008 lauten wie folgt:
"Artikel 1
(1) Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).
(2) Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.
(3) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.
(4) Wer festgenommen oder angehalten wird, ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind.
Artikel 2
(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
1. wenn auf Grund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkannt worden ist;
2. wenn er einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist,
a) zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, daß er einen bestimmten Gegenstand innehat,
b) um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder
c) um ihn bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern;
3. zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der er auf frischer Tat betreten wird, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist;
4. um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen;
5. wenn Grund zur Annahme besteht, daß er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde;
6. zum Zweck notwendiger Erziehungsmaßnahmen bei einem Minderjährigen;
7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.
(2) Niemand darf allein deshalb festgenommen oder angehalten werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.
[…]
Artikel 6
(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.
(2) Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde zu überprüfen."
2. Art8 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (im Folgenden: Aufnahme-RL), ABl. 2013 L 180, 96, lautet wie folgt:
"Haft
(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie ein Antragsteller im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist.
(2) In Fällen, in denen es erforderlich ist, dürfen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
(3) Ein Antragsteller darf nur in Haft genommen werden,
a) um seine Identität oder Staatsangehörigkeit festzustellen oder zu überprüfen;
b) um Beweise zu sichern, auf die sich sein Antrag auf internationalen Schutz stützt und die ohne Haft unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere wenn Fluchtgefahr des Antragstellers besteht;
c) um im Rahmen eines Verfahrens über das Recht des Antragstellers auf Einreise in das Hoheitsgebiet zu entscheiden;
d) wenn er sich aufgrund eines Rückkehrverfahrens gemäß der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Vorbereitung seiner Rückführung und/oder Fortsetzung des Abschiebungsverfahrens in Haft befindet und der betreffende Mitgliedstaat auf der Grundlage objektiver Kriterien, einschließlich der Tatsache, dass der Antragsteller bereits Gelegenheit zum Zugang zum Asylverfahren hatte, belegen kann, dass berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass er den Antrag auf internationalen Schutz nur beantragt, um die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu verzögern oder zu vereiteln;
e) wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist,
f) wenn dies mit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, in Einklang steht.
Haftgründe werden im einzelstaatlichen Recht geregelt.
(4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften Bestimmungen für Alternativen zur Inhaftnahme enthalten wie zum Beispiel Meldeauflagen, die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit oder die Pflicht, sich an einem zugewiesenen Ort aufzuhalten."
3. §22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 70/2015 lautet wie folgt:
"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft
§22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs1 gelten die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."
4. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 56/2018 lauten wie folgt:
"8. Abschnitt
Schubhaft und gelinderes Mittel
Schubhaft
§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß §67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§59 Abs5), so steht dies der Anwendung der Z1 nicht entgegen. In den Fällen des §40 Abs5 BFA-VG gilt Z1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs2 und Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs2 Z1 oder 2 oder im Sinne des Art2 litn Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß §46 Abs2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß §46 Abs2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§3 Abs3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund §34 Abs3 Z1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§52a, 56, 57 oder 71 FPG, §38b SPG, §13 Abs2 BFA-VG oder §§15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. §11 Abs8 und §12 Abs1 BFA-VG gelten sinngemäß.
Gelinderes Mittel
§77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in §76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt §80 Abs2 Z1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des §24 Abs1 Z4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt §80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs3 Z2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§7 Abs1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs3 Z3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs3 Z1 Vorsorge treffen.
[…]
Dauer der Schubhaft
§80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß §51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs2 Z2 und Abs3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des §76 Abs2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß §40 Abs5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß §22a Abs1 Z3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."
5. §20 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 68/2013 lautet wie folgt:
"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
§20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
(2) Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt Abs1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.
(4) Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung eines Senates oder Kammersenates auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt §25 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn es gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw Anhaltung verstößt, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn es gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).
Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3. Gemäß §76 Abs6 FPG kann eine bereits angeordnete Schubhaft aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder während seiner Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt und Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag (nur) zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten, der dem Fremden zur Kenntnis zu bringen ist. Im Hintergrund bildet weiterhin die Anordnung der Schubhaft gemäß §76 Abs2 Z1 oder Z2 FPG als konstitutiver Akt die maßgebliche Rechtsgrundlage, aus welchem sich der Sicherungszweck und das Vorliegen von Fluchtgefahr ergibt (VwGH 18.2.2021, Ra 2021/21/0025; 8.4.2021, Ra 2021/21/0076).
Mit §76 Abs6 FPG wird Art8 Abs3 litd der Aufnahme-RL umgesetzt (siehe VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009). In unionsrechtskonformer Auslegung darf die Anhaltung in Schubhaft nur dann gemäß §76 Abs6 FPG aufrechterhalten werden, wenn berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich zu dem Zweck gestellt worden ist, die Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verzögern oder zu vereiteln (VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204; siehe ferner EuGH 30.5.2013, Rs. C-534/11, Arslan, Rz 63; 25.6.2020, Rs. C-36/20 PPU, Ministerio Fiscal, Rz 109).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung des Vorliegens einer Verzögerungsabsicht im Sinne des §76 Abs6 FPG insoweit eine inhaltliche Grobprüfung des Antrags auf internationalen Schutz bzw der vorgebrachten Verfolgungsbehauptungen durchzuführen, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten lassen. Das umfasst eine Prognose über den voraussichtlichen negativen Ausgang des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz. Im Einzelfall kann es für die Vornahme der Grobprüfung auch geboten sein, den Antragsteller sowie Zeugen in einer mündlichen Verhandlung zu vernehmen (VwGH 29.9.2020, Ro 2020/21/0011; 8.4.2021, Ra 2021/21/0076).
4. Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, regelt §20 AsylG 2005 in Abs1 das Gebot der Einvernahme durch Organwalter desselben Geschlechts vor der Verwaltungsbehörde und in Abs2 das Gebot der Verhandlung (und demzufolge auch Entscheidung) vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Richter desselben Geschlechts. Davon kann nach dem insoweit klaren Gesetzeswortlaut nur abgegangen werden, wenn die Partei ausdrücklich anderes verlangt, und zwar vor der Verwaltungsbehörde die Einvernahme durch Organwalter des anderen Geschlechts und vor dem Bundesverwaltungsgericht die Führung der Verhandlung durch Richter des anderen Geschlechts (vgl VfSlg 20.260/2018 und bereits VfGH 25.11.2013, U1121/2012 ua). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch einen Richter desselben Geschlechts soll den Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung bewirken. Gleiches gilt für die Furcht vor noch nicht stattgefundenen, sondern drohenden Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung (VfGH 24.2.2020, E1560/2019; VwGH 26.5.2021, Ro 2020/19/0002; 7.3.2022, Ra 2021/19/0132; vgl Erläut RV 952 BlgNR 22. GP, 45). In Anbetracht des mit §20 AsylG 2005 verfolgten Zwecks führt bereits die Behauptung eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung vor dem BFA bzw in der Beschwerde zur Anwendbarkeit der Bestimmung, ohne dass eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit oder ein Zusammenhang mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen hat (vgl VfSlg 20.260/2018; VfGH 9.10.2018, E1297/2018 ua; 29.11.2021, E2865/2021).
Vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles ist die Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß §76 Abs6 FPG insofern eng mit der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz verbunden, als bei der Beurteilung des Vorliegens einer Verzögerungsabsicht eine inhaltliche Grobprüfung der Verfolgungsbehauptungen durchzuführen und eine Prognose über den voraussichtlichen negativen Ausgang des Asylverfahrens zu stellen ist. Somit hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beurteilung nach §76 Abs6 FPG das Vorbringen des Asylwerbers, mit dem eine Verfolgung wegen eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung behauptet wird, dahingehend inhaltlich zu prüfen, ob es einen glaubhaften Kern aufweist. Dementsprechend sind die Vorgaben des §20 AsylG 2005, welche in einem Verfahren nach dem AsylG 2005 zu beachten sind, auch in Bezug auf mündliche Verhandlungen betreffend die Grobprüfung eines Antrages auf internationalen Schutz nach §76 Abs6 FPG während der aufrechten Schubhaft beachtlich (siehe VwGH 14.10.2021, Ra 2021/19/0027, wonach §20 AsylG 2005 bei der Grobprüfung eines Folgeantrages hinsichtlich der Entscheidung, den faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 aufzuheben, anzuwenden ist; vgl ferner VfGH 9.10.2018, E1297/2018 ua, sowie VwGH 26.5.2021, Ro 2020/19/0002 betreffend die Relevanz des §20 AsylG 2005 in Verfahren über Beschwerden gegen die Zurückweisung eines Folgeantrages wegen entschiedener Sache).
5. Die Beschwerdeführerin hat bei ihrer Einvernahme vor dem BFA am 15. März 2022 (bzw bereits mit schriftlicher Stellungnahme vom 25. Februar 2022) vorgebracht, wegen ihrer Homosexualität im Herkunftsstaat verfolgt zu werden und dass ihre Familie sie zwangsverheiraten wolle. Sie hat damit einen (erfolgten sowie drohenden) Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Sinne des §20 AsylG 2005 behauptet (zu sexueller Orientierung siehe VwGH 14.10.2021, Ra 2021/19/0027; 7.3.2022, Ra 2021/19/0132; zu Zwangsverheiratung siehe VfGH 7.6.2021, E357/2021; 29.11.2021, E2865/2021).
Dennoch wurde die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23. März 2022 von einem männlichen Richter zu ihrem Fluchtvorbringen einvernommen. Der Beschwerdeführerin wurde es daher in der mündlichen Verhandlung nicht ermöglicht, den Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung mit möglichst geringen Hemmschwellen vorzubringen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dadurch, dass es die Einvernahme der Beschwerdeführerin zu ihrem Asylgrund nicht durch eine Person desselben Geschlechts durchgeführt und auf Basis eines den Vorgaben des §76 Abs6 FPG widersprechenden Ermittlungsverfahrens (vgl §20 AsylG 2005) das Vorbringen als nicht glaubhaft beurteilt hat, einen in die Verfassungssphäre reichenden Fehler begangen und die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt (vgl VfSlg 15.684/1999, 18.058/2007; VfGH 7.10.2021, E93/2021).
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.