TE Vwgh Beschluss 2022/10/11 Ra 2020/04/0076

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Veröffentlicht am 11.10.2022
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Index

50/01 Gewerbeordnung

Norm

GewO 1973 §80 Abs1
GewO 1973 §83
GewO 1994 §360 Abs1
GewO 1994 §74 Abs2
GewO 1994 §80
GewO 1994 §80 Abs1
GewO 1994 §83
  1. GewO 1994 § 360a heute
  2. GewO 1994 § 360a gültig ab 28.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 112/2018
  1. GewO 1994 § 74 heute
  2. GewO 1994 § 74 gültig ab 18.07.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 96/2017
  3. GewO 1994 § 74 gültig von 01.01.2010 bis 17.07.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009
  4. GewO 1994 § 74 gültig von 01.12.2004 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 131/2004
  5. GewO 1994 § 74 gültig von 01.08.2002 bis 30.11.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 65/2002
  6. GewO 1994 § 74 gültig von 01.07.1997 bis 31.07.2002 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 63/1997
  7. GewO 1994 § 74 gültig von 19.03.1994 bis 30.06.1997
  1. GewO 1994 § 83a heute
  2. GewO 1994 § 83a gültig ab 12.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 125/2013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 18, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 10. März 2020, Zl. LVwG-2019/32/2385-3, betreffend Maßnahmen gemäß § 360 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: Insolvenzmasse der H Abfallzentrum GmbH in I, vertreten durch Dr. Wolfgang Offer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 16, als Masseverwalter), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt sich folgender unstrittiger Sachverhalt:

2        Die H Abfallzentrum GmbH (in der Folge: Mitbeteiligte) war Betreiberin einer genehmigten Betriebsanlage zur Abfallbehandlung an einem näher genannten Standort. Sie war an diesem Standort Untermieterin des von der H Recycling GmbH in Bestand genommenen Betriebsgeländes.

3        Die Betriebsliegenschaft stand im Eigentum der D Betriebs GmbH. Das zwischen der Liegenschaftseigentümerin und der H Recycling GmbH bestehende Bestandverhältnis wurde mit 30. September 2018 aufgelöst und in der Folge von der Liegenschaftseigentümerin die Schlösser am Betriebsgelände ausgetauscht, sodass die Mitbeteiligte ab diesem Zeitpunkt keinen Zutritt mehr zu dem Betriebsgelände hatte.

4        Mit Schreiben vom 3. Dezember 2018 teilte das Amt der Tiroler Landesregierung dem Amtsrevisionswerber mit, dass das Bestandverhältnis der H Recycling GmbH mit der Vermieterin der Liegenschaft, auf der sich die Betriebsanlage befinde, mit 30. September 2018 aufgelöst und die Schließanlage zur Liegenschaft ausgetauscht worden sei. Ein Betrieb finde zum Zeitpunkt dieser Mitteilung nicht statt.

5        Im Zuge eines Lokalaugenscheins am 13. März 2019 wurde seitens des Amtsrevisionswerbers festgestellt, dass bei der gegenständlichen Betriebsanlage genehmigungspflichtige Änderungen durch konsenslose Ablagerungen von Baustellenabfällen und Bodenaushub auf der Betriebsfläche vorgenommen worden seien.

6        2. Verfahrensgang:

7        2.1. Mit Verfahrensanordnung des Amtsrevisionswerbers vom 9. April 2019 erging an die Mitbeteiligte die Aufforderung, der Behörde binnen drei Wochen eine Bestätigung bzw. Vereinbarung über den Abtransport der am verfahrensgegenständlichen Standort konsenswidrig gelagerten Abfallfraktionen zukommen zu lassen. Unter einem wurde der Hinweis erteilt, dass bei Vorlage dieser Bestätigung bzw. Vereinbarung sodann gemäß § 360 Abs. 1 GewO 1994 eine Frist von vier Monaten zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes gewährt würde, widrigenfalls die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes per Bescheid verfügt würde.

8        2.2. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 10. Oktober 2019 ordnete der Amtsrevisionswerber gegenüber der Mitbeteiligten gewerbepolizeiliche Maßnahmen nach § 360 Abs. 1 GewO 1994 zur ordnungsgemäßen Behandlung der auf dem betriebsanlagenrechtlich genehmigten Teil des verfahrensgegenständlichen Grundstücks gelagerten Baustellenabfälle und den dort gelagerten Bodenaushub durch einen befugten Abfallsammler an.

9        2.3. Nach Erhebung der gegen diesen Bescheid von der Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde wurde über das Vermögen der Mitbeteiligten das Konkursverfahren eröffnet und der Vertreter der Mitbeteiligten zum Masseverwalter und gewerberechtlichen Geschäftsführer der Insolvenzmasse als Fortbetriebsberechtigter der Gewerbeberechtigung der Mitbeteiligten bestellt.

10       2.4. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.

11       In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, die Mitbeteiligte habe auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück auf Grundlage von bereits im Jahr 2006 erteilten Genehmigungen eine gewerbliche Betriebsanlage betrieben. Seitens der Grundstückseigentümerin sei nach Auflösung des Pachtverhältnisses mit der Hauptmieterin - die Mitbeteiligte sei Untermieterin gewesen - mit 30. September 2018 bis spätestens 3. Dezember 2018 die Schließanlage bei der Einfahrt zur gegenständlichen Betriebsanlage ausgetauscht worden. Der Mitbeteiligten sei seit dem Austausch der Schließanlage ein dem Genehmigungszweck entsprechender Betrieb der gegenständlichen Betriebsanlage nicht möglich. Die Betriebsanlage werde seither nicht betrieben.

12       Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, selbst wenn davon auszugehen sei, dass der Mitbeteiligten seitens der Grundeigentümerin nach Austausch der Schließanlage die Gelegenheit eingeräumt worden sei, Betriebsanlagenteile oder dort gelagerte Abfälle abzutransportieren, sei ein Betrieb der gegenständlichen Betriebsanlage entsprechend den bestehenden gewerberechtlichen Genehmigungen nicht mehr möglich gewesen. Der Verwendungszweck der Betriebsanlage ergebe sich insbesondere aus dem gewerberechtlichen Bescheid vom 23. Oktober 2006, wonach mit einer Waage Recyclingbaustoffe und Abfälle erfasst werden sollten. Die Mannschaftscontainer seien dazu bestimmt gewesen, dem Bedienungspersonal der Waage und Besuchern eine Aufenthaltsmöglichkeit zu bieten. Die Sortierhalle habe als Zwischenlager gedient. Die Betriebstankstelle sei nie errichtet worden. Nachdem die Schließanlage ausgetauscht worden sei, hätten diese Einrichtungen nicht mehr entsprechend dem Verwendungszweck betrieben werden können. Insofern stehe für das Verwaltungsgericht fest, dass die Betriebsanlage nach Austausch der Schließanlage spätestens seit dem 3. Dezember 2018 nicht mehr betrieben worden sei.

13       Allgemeine Voraussetzung für die Verfügung von Maßnahmen nach § 360 GewO 1994 sei die tatsächliche Ausübung der gewerblichen Tätigkeiten bzw. der tatsächliche Betrieb der Betriebsanlage. Nachdem ein Betrieb der gegenständlichen Anlage bereits vor Erlassung des hier angefochtenen Bescheides nicht mehr vorgelegen habe, sei der auf die genannte Bestimmung gestützte Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen. Im vorliegenden Fall komme eine Betriebsunterbrechung (§ 80 GewO 1994) oder eine Auflassung der Betriebsanlage (§ 83 GewO 1994) in Betracht. Während eine Betriebsunterbrechung die Möglichkeit der Fortsetzung des Betriebes mit sich bringe und dementsprechend auch nicht sofort zum Erlöschen der Betriebsanlagengenehmigung führe, bedeute die Auflassung die endgültige Aufhebung der Widmung der Anlage für den ursprünglichen Verwendungszweck durch den Inhaber. Mit der Auflassung erlösche daher auch die Genehmigung der Anlage. Welche Wirkungen eine faktische Einstellung des Betriebes auslöse, richte sich nach dem hinter der Einstellung stehenden Willen des Anlageninhabers. Nach beiden Gesetzesbestimmungen bestehe für die belangte Behörde weiterhin die Möglichkeit, zur Hintanhaltung von Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1994 einzuschreiten.

14       3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Die Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

15       4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

17       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18       4.2. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es sei in der vorliegenden Rechtssache die Rechtsfrage zu beurteilen, ob - wie das Verwaltungsgericht vertrete - die tatsächliche Ausübung der gewerblichen Tätigkeit bzw. der tatsächliche Betrieb der Betriebsanlage allgemeine Voraussetzung für die Verfügung von Maßnahmen gemäß § 360 GewO 1994 sei, und der Behörde bei einem Stillstand der Anlage gemäß § 80 bzw. § 83 GewO 1994 die Möglichkeit der Vorschreibung von Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 GewO 1994 offen stünde. Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts widerspreche dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Sowohl § 80 als auch § 83 GewO 1994 würden als Voraussetzung für die Vorschreibung von Maßnahmen zur Wahrung der Interessen nach § 74 Abs. 2 GewO 1994 die Anzeige der Auflassung bzw. der Unterbrechung durch den Anlageninhaber normieren. Erfolge eine solche Anzeige - wie im gegenständlichen Fall - nicht, könne nach dem Wortlaut des Gesetzes auch keine bescheidmäßige Vorschreibung solcher Maßnahmen durch die Behörde erfolgen. Nach dem „Sinn- und Zweckzusammenhang“ des Gesetzes könne daher § 360 GewO 1994 keinesfalls so ausgelegt werden, dass die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit bzw. der tatsächliche Betrieb der Betriebsanlage eine zwingende Voraussetzung für die Verfügung von Maßnahmen gemäß § 360 GewO 1994 darstelle. Der Ansicht des Verwaltungsgerichtes zu folgen würde bedeuten, dass bei einer Schließung einer Betriebsanlage durch den Betreiber ohne Anzeige nach § 80 oder § 83 GewO 1994 keine Möglichkeit für die Behörde bestünde, dem Anlageninhaber notwendige Vorkehrungen zum Schutz der in § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen mit Bescheid vorzuschreiben. Eine solche Auslegung gehe weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn- und Zweckzusammenhang der angeführten Bestimmungen hervor. Somit widerspreche die gegenständliche Entscheidung näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Auslegung von Gesetzen im öffentlichen Recht.

19       4.3. Der behauptete Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor: Den - auf die Rechtslage nach der GewO 1994 in der hier einschlägigen Fassung BGBl. I Nr. 65/2002 zu übertragenden - Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 1994, 94/04/0043, zu den gleichlautenden maßgeblichen Bestimmungen der GewO 1973 ist zu entnehmen, dass eine faktische Einstellung des Betriebes einer Betriebsanlage eine der beiden Wirkungen - Unterbrechung oder Auflassung - auslöst. Um welche der beiden Wirkungen es sich handelt, richtet sich nach dem hinter der Betriebseinstellung stehenden Willen des Inhabers der Anlage. Um in einem Fall, in dem der Betrieb einer Betriebsanlage faktisch eingestellt ist, beurteilen zu können, ob es sich um eine bloße Unterbrechung des Betriebes im Sinne des § 80 Abs. 1 GewO 1973 oder um eine Auflassung derselben im Sinne des § 83 leg. cit. handelt, bedarf es einer Erforschung des dahinterstehenden Willens des Anlageninhabers.

20       Die Begründung der angefochtenen Entscheidung steht mit dieser Auslegung im Ergebnis in Einklang.

21       Im verwaltungsbehördlichen Verfahren kam zutage, dass die gegenständliche Betriebsanlage im Zeitpunkt der Erlassung der Verfahrensanordnung faktisch nicht mehr betrieben worden sei. Damit traf den Amtsrevisionswerber nach der zitierten Rechtsprechung die Verpflichtung, den hinter der faktischen Betriebseinstellung stehenden Willen der Anlageninhaberin dahingehend zu erforschen, ob eine Unterbrechung im Sinne von § 80 GewO 1994 oder eine Auflassung im Sinne von § 83 leg. cit. vorliege und allenfalls notwendige Anordnungen nach der jeweils einschlägigen, die Interessen gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 jeweils berücksichtigenden Bestimmungen zu treffen. Für die Verfügung einer einstweiligen Maßnahme gemäß § 360 Abs. 1 GewO 1994 bleibt vor dem Hintergrund der faktischen Betriebseinstellung kein Raum. Insofern ist für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung von der zitierten Rechtsprechung abweichen würde.

22       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

23       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. Oktober 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020040076.L00

Im RIS seit

10.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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