Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
GewO 1994 §111 Abs2 idF 2013/I/085Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des Z M in M, vertreten durch die Sauerzopf & Partner Rechtsanwälte in 7000 Eisenstadt, Friedrich Wilhelm Raiffeisen-Straße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 9. November 2018, Zl. E 015/09/2018.009/004, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mattersburg), zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die Revision wird, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, als unbegründet abgewiesen.
2. Im Übrigen - hinsichtlich des Straf- und Kostenausspruchs - wird der Revision Folge gegeben und wie folgt entschieden:
a) Das mit dem angefochtenen Erkenntnis insoweit bestätigte erstinstanzliche Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg vom 25. Juli 2018, Zl. BH-MA/03/173000029199/17, wird wie folgt geändert:
Die verhängte Geldstrafe wird gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 in Verbindung mit § 20 VStG mit EUR 250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 15 Stunden) und der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG mit EUR 25,-- festgesetzt.
b) Der Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens entfällt.
3. Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg (belangte Behörde) vom 25. Juli 2018 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe als Inhaber des Gewerbes „Verabreichung von Speisen in einfacher Art (max. 8 Verabreichungsplätze)“ am 9. November 2017 am näher genannten Standort in der Gemeinde M den Umfang seiner Gewerbeberechtigung überschritten und unbefugt das Gastgewerbe selbstständig, regelmäßig und in der Absicht ausgeübt, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen.
Der Revisionswerber habe einen „weißen Spritzer“ (um € 1,80) verkauft, obwohl er nur nichtalkoholische Getränke mit Ausnahme von Dosen- und Flaschenbier verkaufen dürfe. Der Revisionswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 iVm § 111 Abs. 2 Z 3 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) begangen, weshalb über ihn gemäß § 366 GewO 1994 eine Geldstrafe in der Höhe von € 500,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: zwei Tage) verhängt werde.
2 2.1. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. November 2018 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
3 2.2. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber verfüge über eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe „Verabreichung von Speisen in einfacher Art und Ausschank von nichtalkoholischen Getränken und Bier in handelsüblichen Gefäßen, wenn hiebei nicht mehr als acht Verabreichungsplätze (zum Genuss von Speisen und Getränken bestimmte Plätze) bereitgestellt werden“.
4 Am 9. November 2017 sei eine bereits geöffnete Flasche „Weiss gespr.“ um € 1,80 verkauft und einer Kundin gemeinsam mit einem Glas zum Konsum vor Ort übergeben worden. Im Lagerraum des Betriebes seien zudem sechs Kisten mit einem Fassungsvermögen von je 24 Viertelliterflaschen des „Österreichischen Winzer Clubs“, die Weißwein oder Rotwein und Wasser mit Kohlensäure oder unverdünnten Weißwein enthalten hätten, gelagert.
5 Dies sei nicht von der Gewerbeberechtigung des Revisionswerbers umfasst gewesen. Nebenrechte nach § 111 Abs. 4 GewO 1994 stünden nur Personen zu, die über eine Gastgewerbeberechtigung mit Befähigungsnachweis verfügten, nicht aber gastgewerbliche Tätigkeiten ausübenden Personen, die ein „freies Gewerbe“ im Sinn des § 111 Abs. 2 Z 3 GewO 1994 ausüben würden. Die Nebenrechte nach § 32 Abs. 1a GewO 1994 seien an ein zeitliches Naheverhältnis zur Erbringung der mit den in der Hauptsache zu erbringenden Leistungen gebunden. Da die Leistung ausschließlich im Verkauf einer Flasche mit einer Wein-Wasser-Mischung bestanden habe, handle es sich um keine ergänzende Leistung zu einer im Rahmen der bestehenden Gewerbeberechtigung erbrachten Leistung.
6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete im eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.
7 1.1. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, durch die Änderung des § 111 Abs. 4 GewO 1994 sei (näher bezeichnete) frühere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Nebenrechte nur dem Gastgewerbetreibenden mit einer Gewerbeberechtigung nach § 94 Z 2 GewO 1994 zustehen würden, überholt.
Nach der neuen Rechtslage seien die Bestimmungen über Nebenrechte auch auf Tätigkeiten des freien Gastgewerbes anwendbar. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung stünden dem Revisionswerber somit die Rechte des § 111 Abs. 4 GewO 1994 zu. Der Revisionswerber sei daher während der Betriebszeiten seines Gastgewerbebetriebes unter anderem zum Verkauf der von ihm verwendeten Lebensmittel - er verwende zur Herstellung seiner Speisen (insbesondere Pizzen und Nudelgerichte) auch Wasser und Wein - befugt. Die Verkaufshandlung des Revisionswerbers sei daher durch § 111 Abs. 4 GewO 1994 gedeckt.
8 Dem Revisionswerber, der im Rahmen seiner Berechtigung Speisen, insbesondere Pizzen und Nudelgerichte herstelle und diese verkaufe, komme zudem die Befugnis zu, Leistungen des Lebensmittelhandels, nämlich der Verkauf einer Wein-Wasser-Mischung in einer Flasche, die sinnvolle Ergänzungen seiner eigenen Leistungen im Sinne des § 32 Abs. 1a GewO 1994 darstellten, zu erbringen.
9 Soweit ersichtlich, liege zu den vom Verwaltungsgericht unrichtig entschiedenen Rechtsfragen keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor. Die Lösung dieser Rechtsfragen habe erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, weil sie ein allgemeines Recht regelten, das auf alle Gewerbetreibende zutreffe und somit von großem Interesse für die gesamte Branche der Gewerbetreibenden sei.
10 1.2. Die Revision ist aus den vorgebrachten Gründen zulässig. Sie erweist sich aus nachstehenden Erwägungen jedoch nur teilweise als begründet.
11 2. § 111 Abs. 2 Z 3 GewO 1994 (in der Fassung BGBl. I Nr. 94/2017) bestimmt, dass es keines Befähigungsnachweises für das Gastgewerbe für die Verabreichung von Speisen in einfacher Art und den Ausschank von nichtalkoholischen Getränken und von Bier in handelsüblichen verschlossenen Gefäßen bedarf, wenn hiebei nicht mehr als acht Verabreichungsplätze (zum Genuss von Speisen und Getränken bestimmte Plätze) bereitgestellt werden.
12 Mit der Gewerberechtsnovelle BGBl. I Nr. 85/2013 ist § 111 Abs. 2 GewO 1994 neu gefasst und damit eine grundlegende Änderung der „Gastgewerbesystematik“ vorgenommen worden. Nach der neuen Systematik handelt es sich bei § 111 Abs. 2 GewO 1994 nunmehr um Tätigkeiten des Gastgewerbes, für deren Ausübung es keines Befähigungsnachweises bedarf und für die die in § 111 Abs. 4 GewO 1994 genannten Nebenrechte anzuwenden sind (vgl. Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO4 [2020] § 111 Rz. 10).
13 Wie sich bereits aus den Gesetzesmaterialien zur Gewerberechtsnovelle BGBl. I Nr. 111/2002 ergibt, bildet § 111 Abs. 2 Z 3 GewO 1994 unter anderem die Rechtsgrundlage für die häufig als „Imbissstuben“ bezeichneten Formen der Verabreichung von Speisen und des Ausschanks von Getränken (vgl. RV 1117 BlgNR 21. GP 84).
14 Nach dem insoweit klaren Wortlaut ist mit „handelsüblichen verschlossenen Gefäßen“ in § 111 Abs. 2 Z 3 GewO 1994 ausschließlich Flaschen- und Dosenbier gemeint. Andere alkoholische Getränke (zB gezapftes Bier, Wein, Schnaps) dürfen somit nicht ausgeschenkt werden (vgl. Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO4 [2020] § 111 Rz. 17).
15 Ob der bloße Verkauf solcher anderen alkoholischen Getränke im Rahmen der Verkaufsrechte des Gastgewerbes (siehe § 111 Abs. 4 Z 4, unter anderem „Reiseproviant“) zulässig wäre (vgl. in diese Richtung etwa auch Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, aaO, Rz. 17), kann im vorliegenden Fall dahin gestellt bleiben:
Die Revision bringt nämlich vor, der Revisionswerber habe den weißen Spritzer in einer geschlossenen Flasche übergeben, weshalb dies eine Verkaufstätigkeit darstelle, die unter seine Nebenrechte sowohl nach § 111 Abs. 4 GewO 1994 als auch nach § 32 Abs. 1a GewO 1994 (als eine „sinnvolle Ergänzung seiner eigenen Leistungen“) falle.
Mit diesem Vorbringen entfernt sich die Revision allerdings vom festgestellten Sachverhalt, wonach eine bereits geöffnete Flasche „Weiss gespr.“ verkauft und einer Kundin gemeinsam mit einem Glas zum Konsum vor Ort übergeben worden sei. Diesen Feststellungen des Verwaltungsgerichts tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.
Nachdem die Revision somit nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht (sondern die Übergabe in einer geschlossenen Flasche annimmt und damit das Vorliegen einer Verkaufstätigkeit behauptet) und auch keine Unschlüssigkeit der diesbezüglichen Beweiswürdigung darlegt, vermag sie mit ihrem Vorbringen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufzuzeigen.
16 Für die Abgrenzung gastgewerblicher Tätigkeiten von Verkaufstätigkeiten kommt es nämlich auf die Definition der Begriffe „Verabreichung“ und „Ausschank“ in § 111 Abs. 3 GewO 1994 an. Demnach ist unter Ausschank jede Vorkehrung oder Tätigkeit zu verstehen, die darauf abgestellt ist, dass die Getränke an Ort und Stelle genossen werden. Der Begriff „Ausschank“ ist somit vom Gesetz weit gezogen und beinhaltet in diesem Sinne eine gewisse Mittelbarkeit. Er umfasst nicht nur die Tätigkeit des direkten Ausschanks an Personen, sondern auch jede sonstige Vorkehrung oder Tätigkeit, die darauf abgestellt ist, dass Getränke an Ort und Stelle genossen werden (vgl. VwGH 9.9.2015, Ro 2015/04/0017).
17 3. Allerdings erweisen sich die Strafbemessung und der Ausspruch über die Verfahrenskosten als rechtswidrig:
18 Dem Revisionswerber wurde die Verwaltungsübertretung erstmals mit der Strafverfügung vom 30. Mai 2018 vorgeworfen. Nach Erhebung eines Einspruches erging das erstinstanzliche Straferkenntnis mit 27. Juli 2018. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 9. November 2018 als unbegründet ab.
19 Nach der Rechtsprechung des EGMR und des Verfassungsgerichtshofes ist auch das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in die zu beurteilende Verfahrensdauer einzurechnen (vgl. VwGH 27.9.2018, Ra 2017/17/0391, mwN).
20 Im vorliegenden Fall beträgt die zu beurteilende Gesamtverfahrensdauer daher mehr als vier Jahre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfahrensverzögerung der Sphäre des Revisionswerbers zuzurechnen oder einer ungewöhnlichen Komplexität und Schwierigkeit dieser Rechtssache geschuldet wäre. Die Dauer des vorliegenden Verfahrens ist daher nicht mehr als angemessen im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu beurteilen.
21 Dieser Umstand ist in Anwendung des § 19 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd - allenfalls auch durch Unterschreitung des Strafrahmens - zu bewerten (vgl. VwGH 14.3.2013, 2011/08/0187, mwN).
22 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu, weshalb der Verwaltungsgerichtshof von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.
23 Die verhängte Geldstrafe war daher vom Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung des Milderungsgrundes der unangemessen langen Verfahrensdauer unter Anwendung der außerordentlichen Milderung der Strafe nach § 20 VStG auf EUR 250,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 15 Stunden herabzusetzen.
24 Entscheidet der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in einer Verwaltungsstrafsache in der Sache selbst, tritt er insoweit an die Stelle des Verwaltungsgerichtes und hat daher auch über den Kostenbeitrag gemäß § 52 VwGVG abzusprechen (vgl. VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0057, mwN). Gemäß § 52 VwGVG sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben worden ist, weshalb der Revisionswerber im vorliegenden Fall keine Kosten für das Beschwerdeverfahren zu tragen hat.
25 4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Oktober 2022
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019040021.L00Im RIS seit
10.11.2022Zuletzt aktualisiert am
10.11.2022