RS Vfgh 2021/3/4 E4037/2020

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 04.03.2021
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Index

10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art20 Abs3
EMRK Art8 Abs2
EMRK Art10
DSG 2000 §1 Abs1
BezBegrBVG §9
BundesbezügeG §6
AuskunftspflichtG §1, §2, §4
Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz §6
VfGG §7 Abs1
  1. B-VG Art. 20 heute
  2. B-VG Art. 20 gültig ab 01.01.2023 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 141/2022
  3. B-VG Art. 20 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 20 gültig von 01.10.2010 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 50/2010
  5. B-VG Art. 20 gültig von 01.01.2008 bis 30.09.2010 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  6. B-VG Art. 20 gültig von 01.01.1988 bis 31.12.2007 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 285/1987
  7. B-VG Art. 20 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1987 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  8. B-VG Art. 20 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 20 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit durch Nichterteilung einer Auskunft über Gehaltsfortzahlungen von aus dem Nationalrat ausgeschiedenen Mitgliedern an einen Journalisten nach dem AuskunftspflichtG; kein Überwiegen des persönlichen Geheimhaltungsinteresses der betroffenen ehemaligen Nationalratsabgeordneten gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an der Information über die Fortsetzung der Bezüge

Rechtssatz

Art10 Abs1 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung des Staates, Informationen bereitzustellen oder Zugang zu Informationen zu gewähren (s VfSlg 19571/2011). Ein Recht auf Zugang zu Informationen kann jedoch nach Maßgabe der in EGMR 28.11.2013, Fall Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes, Appl 39534/07, EGMR 08.11.2016 [GK], Fall Magyar Helsinki Bizottság, Appl 18030/2011 sowie EGMR 08.10.2019, Fall Szurovecz, Appl 15428/16, dargelegten Kriterien im Einzelfall bestehen.

Diese Kriterien sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Beschwerdeführer stellte sein Auskunftsbegehren erkennbar im Rahmen journalistischer Recherchen und wurde dabei in seiner Funktion als "public watchdog" tätig. Die begehrte Auskunft zielt auf den Bestand und die Dauer von Fortzahlungsansprüchen von ehemaligen Nationalratsabgeordneten in den Jahren 2017, 2018 und 2019 nach dem Bundesbezügegesetz ab. Sie dient dem vom Beschwerdeführer nachvollziehbar dargelegten Interesse an Transparenz politischer Akteure und einer Debatte um die Bezüge von Nationalratsabgeordneten. Sie ist damit jedenfalls geeignet, zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse beizutragen. Mangels gegenteiliger Hinweise im Verfahren ist auch nicht ersichtlich, dass die begehrten Informationen nicht bereit und verfügbar wären. Das Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers ist somit vom Schutzbereich des Art10 Abs1 EMRK erfasst. Durch die Abweisung des Auskunftsbegehrens hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in das Recht des Beschwerdeführers auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art10 Abs1 EMRK eingegriffen.

Im Hinblick darauf, dass Auskünfte nach §1 Abs1 AuskunftspflichtG auch personenbezogene Daten betreffen können, stellt diese Bestimmung einen Eingriff in das Recht auf Datenschutz nach §1 Abs1 DSG dar. Sie stellt gleichzeitig auch einen Eingriff in Art10 Abs1 EMRK dar, weil die Anordnung, dass eine Auskunft im Fall einer entgegenstehenden Verschwiegenheitspflicht nicht zu erteilen ist, auch auf Fälle wie den vorliegenden zur Anwendung kommt, in denen nach Art10 Abs1 EMRK ein Recht auf Zugang zu Informationen besteht.

Eine gesetzlich vorgesehene Beschränkung dieser Grundrechte ist nach dem jeweiligen Gesetzesvorbehalt nur zulässig, sofern sie aus einem der in Art10 Abs2 EMRK bzw §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist. Der genannte Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit und in jenes auf Datenschutz durch §1 Abs1 AuskunftspflichtG dient jeweils dem "Schutz der Rechte anderer" iSd Art10 Abs2 EMRK bzw §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 EMRK, nämlich dem jeweils entgegengesetzten Grundrecht. Der Eingriff verfolgt somit jedenfalls ein legitimes Ziel.

Im Hinblick auf §1 Abs2 DSG muss die gesetzliche Grundlage darüber hinaus auch ausreichend präzise sein. Diese Anforderung ist durch §1 Abs1 AuskunftspflichtG im vorliegenden Fall schon deshalb erfüllt, weil diese Bestimmung die gebotene Interessenabwägung zwischen dem Grundrecht auf Information iSd Art10 Abs1 EMRK und jenem auf Datenschutz und damit einen angemessenen Ausgleich zwischen diesen beiden Grundrechtspositionen ermöglicht. Aus dem zuletzt genannten Grund erweist sich die Regelung auch als verhältnismäßig.

Die vom Beschwerdeführer begehrte Auskunft betrifft die namentliche Nennung ehemaliger Nationalratsabgeordneter, die eine Bezugsfortzahlung in Anspruch genommen haben, und die Nennung der Bezugsdauer. Sie betrifft daher personenbezogene Daten. Die Erteilung dieser Auskunft würde einen Eingriff in das Recht der betroffenen Personen auf Datenschutz nach §1 Abs1 DSG darstellen. Das vom BVwG herangezogene Geheimhaltungsinteresse nach Art20 Abs3 B-VG ist im vorliegenden Fall also kein anderes als jenes der betroffenen Personen auf Wahrung ihres Rechts auf Datenschutz nach §1 Abs1 DSG.

Zur Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den Grundrechtspositionen des Art10 Abs1 EMRK und des §1 Abs1 DSG im Rahmen den Interessenabwägung nach §1 Abs1 AuskunftspflichtG:

Die konkrete Auskunft, die der Beschwerdeführer begehrt, ist entweder im Hinblick auf sein Informationsinteresse zu erteilen oder im Hinblick auf das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen ehemaligen Nationalratsabgeordneten geheim zu halten. Insofern spielt es für einen Interessenausgleich keine Rolle, dass der Beschwerdeführer bereits die Auskunft über die Gesamthöhe der im betroffenen Zeitraum pro Jahr gewährten Fortzahlungen und die jeweilige Gesamtanzahl der Empfänger dieser Leistungen erhalten hat. Sein konkretes Auskunftsbegehren, das die namentliche Nennung der betroffenen ehemaligen Nationalratsabgeordneten erfordert, wurde damit in keiner Weise erfüllt.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass an der Tätigkeit von Nationalratsabgeordneten und damit auch an der Kenntnis ihrer Bezüge ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit besteht. Das Interesse an entsprechender Transparenz zeigt sich etwa auch daran, dass Nationalratsabgeordnete nach §6 Abs2 Z1 und 2 iVm Abs4 Bundesgesetz über die Transparenz und Unvereinbarkeiten für oberste Organe und sonstige öffentliche Funktionäre (Unvereinbarkeits- und Transparenz-Gesetz) sogar zur Meldung laufender privater Einkünfte verpflichtet sind, die nach §9 Abs1 Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen öffentlicher Funktionäre (BezBegrBVG) in Form von Einkommenskategorien veröffentlicht werden.

Die Bezugsfortzahlungen nach §6 BundesbezügeG setzen zwar tatbestandsgemäß das Ausscheiden aus dem Nationalrat und das Nichtvorliegen einer Erwerbstätigkeit voraus und knüpfen damit auch an private Umstände an. Sie stellen jedoch letztlich eine Fortsetzung der Bezüge der Nationalratsabgeordneten dar, die für höchstens drei (bzw in den Fällen des §6 Abs3 Z1 leg cit sechs) Monate und im Höchstausmaß von 75% der zuvor erhaltenen Bezüge nach §2 Abs1 iVm Abs3 leg cit vorgesehen ist, und können insofern nicht getrennt vom (ehemaligen) Nationalratsmandat betrachtet werden. An der Kenntnis von solchen Fortzahlungen besteht daher in gleicher Weise wie bei Bezügen amtierender Nationalratsabgeordneter ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit. Das entgegengesetzte Interesse der ehemaligen Nationalratsabgeordneten an der Geheimhaltung der Information, ob (und für wie lange) sie eine solche Bezugsfortzahlung erhalten haben, tritt demgegenüber in den Hintergrund.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Meinungsäußerungsfreiheit, Bezüge für Mandatare, Datenschutz, Auskunftspflicht, Amtsverschwiegenheit, Privat- und Familienleben, Verhältnismäßigkeit, Informationsfreiheit, Medienrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4037.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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