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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Abweisung eines Eventualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen einer COVID-19-MaßnahmenV des Landeshauptmannes von Wien betreffend die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien; hinreichende Dokumentation der EntscheidungsgrundlagenRechtssatz
Der Eventualantrag des Verwaltungsgerichts Wien (VGW - LVwG) gegen §1, §2 und der Anlage 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, LGBl 18/2021 wird abgewiesen; im Übrigen: Zurückweisung des Antrags.
Die Ausnahmebestimmung des §2 der angefochtenen Verordnung bezieht sich - in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis - unmittelbar auf die Verpflichtung des §1 der Verordnung. Insofern stehen diese Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang, weshalb eine isolierte Anfechtung des §1 einen zu engen Anfechtungsumfang aufweist. Der Hauptantrag auf Feststellung der Gesetzwidrigkeit des §1 der Verordnung sowie der Anlage 1 ist daher zurückzuweisen.
Hingegen weist der Eventualantrag, mit dem die Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Verordnung zu Gänze beantragt wird, vor dem Hintergrund der Rsp einen zu weiten Anfechtungsumfang auf, weil mit diesem nicht nur die in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen des §1 und §2 und der präjudiziellen Anlage 1 der Verordnung angefochten werden, sondern auch die im Anlassfall nicht präjudiziellen Anlagen 2, 3, 4 und 5. Da diese Anlagen 2 bis 5 von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offenkundig trennbar sind, ist der Eventualantrag hinsichtlich dieser Anlagen zurückzuweisen.
Soweit sich der Eventualantrag auf die Bestimmungen des §1 und §2 sowie der Anlage 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über die Maskentragepflicht an stark frequentierten öffentlichen Orten im Freien zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, LGBl 18/2021, bezieht, ist er - da im Übrigen keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind - zulässig.
Nach §7 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG können Verordnungen - etwa zur Regelung des Betretens von Orten nach §4 Abs1 COVID-19-MaßnahmenG - vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung vom zuständigen Bundesminister erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung des zuständigen Bundesministers festgelegt werden. Dementsprechend sieht §1 der angefochtenen Verordnung vor, dass die Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske an den durch die Verordnung bestimmten öffentlichen Orten im Freien zusätzlich zu den in der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (idF BGBl II 139/2021; vgl auch E v 06.10.2021, V86/2021) angeordneten Maßnahmen gilt.
Die gesetzten Maßnahmen sind Teil eines Regelungskomplexes, mit dem in einer besonderen Gefährdungssituation die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur aufrechterhalten werden soll. Eine Maßnahme, mit der die Verbreitung von COVID-19 eingedämmt werden soll, für Bereiche, in denen es mit großer Wahrscheinlichkeit zu größeren Menschenansammlungen kommt, ist daher im Hinblick auf ihre Entscheidungsgrundlagen vor dem Hintergrund des engen Zusammenhangs mit anderen Maßnahmen und deren Begründung und Dokumentation zu sehen.
Die verordnungserlassende Behörde bzw die Oberbehörde haben in den Verordnungs- und Verwaltungsakten hinreichend dargetan, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Entscheidung über die Erlassung der angefochtenen Verordnung getroffen wurde. Auch wenn den Akten keine fachkundigen Stellungnahmen zur Wirkung von FFP2-Masken speziell im Freien zu entnehmen sind, vermag der VfGHf nicht zu erkennen, dass die von der verordnungserlassenden Behörde herangezogenen Entscheidungsgrundlagen unzureichend dokumentiert wären. Insbesondere werden Stand und vorhergehende Entwicklung der COVID-19-Fallzahlen aufgezeigt. Zudem findet sich im Verordnungsakt eine Auseinandersetzung zu der Frage, in welchen städtischen Bereichen (und warum gerade in diesen) eine Verpflichtung, im Freien eine Maske zu tragen, erforderlich erscheint. Der Verordnungsgeber geht damit auf entsprechend dokumentierter Basis davon aus, dass die Annahme der Wirkung von FFP2-Masken dort, wo Menschen auf engem Raum zusammenkommen, auch auf die in Rede stehenden städtischen Bereiche übertragen werden kann.
Im Ergebnis ist aus den vorgelegten Verordnungs- und Erlassakten ausreichend ersichtlich, auf Basis welcher Bewertung der epidemiologischen Situation die Maßnahmen gesetzt wurden. Die in weiterer Folge zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung durch den VfGH erforderliche aktenmäßige Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen ist damit hinsichtlich der angefochtenen Bestimmungen - im Lichte der konkret verordneten Maßnahme und vor dem Hintergrund, dass auch die Intensität des Grundrechtseingriffs für die Beurteilung der Dokumentation relevant ist - hinreichend erfolgt.
Schlagworte
COVID (Corona), Grundlagenforschung, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Eventualantrag, LegalitätsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V163.2022Zuletzt aktualisiert am
09.11.2022