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91/01 FernmeldewesenNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung der Wortfolge einer Bestimmung des TelekommunikationsG 2021 betreffend die Einräumung eines Infrastrukturrechts (Standortrecht) für Antennentragemasten für Mobilfunkzwecke samt Zubehör wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz sofern Verfügungen durch den staatlichen Liegenschaftseigentümer ausschließlich bei nachgewiesener technischer Notwendigkeit zulässig sind; bestehendes Standortrecht geht im Konfliktfall zwingend jedweden (zukünftigen) Maßnahmen, beispielsweise des sozialen Wohnbaus oder der verstärkten Nutzung von Solarenergie, vor; keine Unsachlichkeit und kein unverhältnismäßiger Eigentumseingriff durch die Einrichtung eines Standortrechts für Antennentragemasten an öffentlichen – und nicht auch privaten – Liegenschaften angesichts der Bedeutung einer hochwertigen digitalen Infrastruktur und der Abgeltung der Wertminderung der LiegenschaftenRechtssatz
Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "nur Verfügungen wegen nachgewiesener technischer Notwendigkeit zu berücksichtigen sind und" in §59 Abs2 Telekommunikationsgesetz 2021 - TKG 2021, BGBl I 190/2021; im Übrigen: Abweisung des Antrags der Wiener Landesregierung (Wr LReg).
Keine Unsachlichkeit und kein unverhältnismäßiger Eigentumseingriff in das Recht der belasteten Gebietskörperschaften durch die Einrichtung eines Standortrechts für Antennentragemasten:
Es stellt ein erhebliches öffentliches Interesse dar, den Breitbandausbau im Interesse des Auf- und Ausbaus einer hochwertigen digitalen Infrastruktur zu unterstützen. Ein entsprechendes Infrastrukturrecht in Form des Standortrechts gemäß §59 TKG 2021 stellt auch ein geeignetes Mittel dar, um dieser Zielsetzung Rechnung zu tragen. Dem Gesetzgeber ist auch nicht entgegenzutreten, wenn er ein solches Infrastrukturrecht unter der Voraussetzung, dass vorrangig in Anspruch zu nehmende Mitbenutzungsrechte nach §64 TKG 2021 nicht möglich oder nicht tunlich sind, für erforderlich erachtet, um die genannte Zielsetzung wirksam zu verfolgen. Dass der Gesetzgeber zur Einräumung eines derartigen Infrastrukturrechts verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist (B v 09.03.2021, E3802/2020), steht dieser Einschätzung durch den Gesetzgeber nicht entgegen, sie liegt in dem, dem Gesetzgeber diesbezüglich zukommenden Spielraum.
Das Standortrecht des §59 TKG 2021 stellt auch grundsätzlich eine angemessene, also im engeren Sinn verhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlich geschützten, aus ihrem (mittelbaren) Eigentum folgenden Verfügungsrechte der belasteten Gebietskörperschaften dar. Denn zum einen dürfen öffentliche Rücksichten einem Standortrecht eines Berechtigten an einer einschlägigen Liegenschaft nicht entgegenstehen und darf die mit der Ausübung des Standortrechts einhergehende Nutzung die widmungsgemäße Verwendung der Liegenschaft nicht oder nur unwesentlich dauernd einschränken. Zum anderen ist dem belasteten Grundeigentümer gemäß §59 Abs3 TKG 2021 eine der Wertminderung durch das Standortrecht entsprechende Abgeltung durch den Berechtigten zu bezahlen, wobei bei der Berechnung der Abgeltung im Einzelfall die aus der eingeschränkten Verfügungsbefugnis des Liegenschaftseigentümers resultierende Belastung entsprechende Berücksichtigung zu finden hat. Dazu kommt, dass gemäß §74 Abs1 TKG 2021 unter anderem bei der Ausübung des Standortrechts in möglichst wenig belästigender Weise und mit möglichster Schonung der benützten Liegenschaften, Objekte oder der in Anspruch genommenen Anlagen, Leitungen, sonstigen Einrichtungen oder physischen Infrastrukturen und der Rechte Dritter vorzugehen ist (und §74 Abs2 TKG 2021 Vorsorge dafür trifft, dass der Berechtigte bei der Ausführung von Arbeiten zur Errichtung entsprechender Antennentragemasten samt allen vor Ort erforderlichen Einrichtungen für die weitest mögliche Aufrechterhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der benützten Liegenschaften, Objekte oder in Anspruch genommenen Anlagen, Leitungen, sonstigen Einrichtungen oder physischen Infrastrukturen zu sorgen hat). Im Hinblick auf den ausdrücklich angeordneten Vorrang öffentlicher Rücksichten, wenn das Standortrecht diesen entgegensteht, verfängt auch der Hinweis der Wr LReg, dass mit der Einräumung eines Standortrechts beispielsweise sozialer Wohnbau oder Maßnahmen im energiepolitischen Interesse wie die Errichtung von Solaranlagen behindert würden, insoweit nicht.
Es ist auch nicht unsachlich, wenn der Gesetzgeber das Standortrecht nur an Liegenschaften, die unmittelbar oder mittelbar im ausschließlichen Eigentum einer Gebietskörperschaft stehen, einräumt und damit nur Gebietskörperschaften, nicht aber (zumindest auch) private Liegenschaftseigentümer im öffentlichen Interesse belastet. Es liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er für die Durchsetzung im öffentlichen Interesse liegender Infrastrukturrechte zunächst auf unmittelbar oder mittelbar ausschließlich staatliches Liegenschaftseigentum greift, solange er sicherstellt, dass die mit dem öffentlichen Eigentum bezweckten öffentlichen Interessen nicht unzulässig eingeschränkt werden, was §59 Abs1 TKG 2021 durch den Vorrang öffentlicher Rücksichten gewährleistet.
Unsachlichkeit des §59 Abs2 TKG 2021:
Es ist aber unsachlich, wenn §59 Abs2 TKG 2021 dem ausschließlich (Liegenschaften von) Gebietskörperschaften belastenden Standortrecht insoweit erhöhten Bestandsschutz zuerkennt, als das Verfügungsrecht des belasteten (unmittelbaren oder mittelbaren) staatlichen Liegenschaftseigentümers in besonderer Weise dahingehend eingeschränkt ist, dass nur Verfügungen wegen nachgewiesener technischer Notwendigkeit zu berücksichtigen sind. Denn damit geht ein einmal bestehendes Standortrecht im Konfliktfall zwingend jedweden (zukünftigen) Maßnahmen beispielsweise wie den oben genannten des sozialen Wohnbaus (etwa Aufstockung oder Dachgeschossausbau) oder der verstärkten Nutzung von Solarenergie und damit den diesbezüglichen "öffentlichen Rücksichten" vor.
Es mag, was der VfGH hier nicht näher zu beurteilen hat, sachliche Gründe geben, die im Interesse des Ausbaus und der Erhaltung der einschlägigen digitalen Infrastruktur einen erhöhten Bestandsschutz für Standortrechte rechtfertigen können. Es ist aber jedenfalls sachlich nicht zu rechtfertigen, einen solchen erhöhten Bestandsschutz unbedingt und nur in Bezug auf unmittelbar oder mittelbar im ausschließlichen Eigentum einer Gebietskörperschaft stehende Liegenschaften einzuräumen, weil damit (nur) die öffentlichen Interessen, die die Gebietskörperschaften mit diesem Eigentum und der Verfügung darüber verfolgen, in jedem Fall unbedingt dem mit dem Standortrecht verfolgten öffentlichen Interesse weichen müssen. Für eine solche grundsätzliche Beschränkung im öffentlichen Interesse liegender Verfügungen von Gebietskörperschaften über in ihrem ausschließlichen Eigentum stehende Liegenschaften fehlt es an einer sachlichen Rechtfertigung.
Diese Unsachlichkeit kann der Gesetzgeber auch nicht dadurch vermeiden, dass er in §59 Abs3 TKG 2021 bei der Berechnung der Abgeltung im Einzelfall die aus der eingeschränkten Verfügungsbefugnis des belasteten Liegenschaftseigentümers resultierende, im Vergleich zu Leitungsrechten höhere Belastung entsprechend berücksichtigt (eine Berücksichtigung, die die Erläuterungen nahelegen, wenn sie darauf hinweisen, dass das Standortrecht mit Blick auf die beschränkte Verfügungsmöglichkeit "deutlich eingriffsintensiver" ausgestaltet ist als Leitungsrechte und dass dementsprechend die Wertminderung entsprechend höher zu bewerten sei). Denn die Unsachlichkeit liegt in der (einseitigen und) unbedingten Beschränkung der von den Gebietskörperschaften auf ihrem ausschließlichen Liegenschaftseigentum verfolgten öffentlichen Interessen, die - gerade im Hinblick auf Gebietskörperschaften - nicht durch eine aus öffentlichen Mitteln zu tragende Abgeltung ausgeglichen werden kann.
Demgegenüber ist es aber sachlich gerechtfertigt, nur die staatlichen Eigentümer von Liegenschaften dazu zu verpflichten, bei Verfügungen iSd §75 Abs1 TKG 2021, die das Standortrecht einschränken oder sogar beseitigen, dazu zu verpflichten, dem Standortberechtigten einen adäquaten Ersatzstandort anzubieten, sofern dies technisch oder wirtschaftlich zumutbar ist. Die berechtigte Vermutung, dass Gebietskörperschaften bei einer Durchschnittsbetrachtung über mehr Liegenschaften als einzelne Private und damit über bessere Möglichkeiten, einen adäquaten Ersatzstandort anzubieten, verfügen, rechtfertigt in den Grenzen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren diese Verpflichtung.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Unsachlichkeit des erhöhten Bestandsschutzes des Standortrechts ausschließlich gegenüber Gebietskörperschaften dadurch beseitigen, dass der VfGH in §59 Abs2 TKG 2021 die Wortfolge "nur Verfügungen wegen nachgewiesener technischer Notwendigkeit zu berücksichtigen sind und" aufhebt. Einer Frist für das Inkrafttreten dieser Aufhebung bedarf es im Hinblick auf die fortbestehende Regelung des §75 TKG 2021 nicht.
Keine Verletzung des Vertrauensschutzes:
Eine Verletzung des durch den Gleichheitsgrundsatz gewährleisteten verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes liegt nicht vor, weil das mit §59 neu in das TKG 2021 aufgenommene Infrastrukturrecht bestehende Verträge nur insoweit betrifft, als bei Dauerrechtsverhältnissen im Falle einer Gesetzesänderung mangels abweichender Übergangsregelung der in dem zeitlichen Geltungsbereich reichende Teil des Dauertatbestandes nach dem neuen Gesetz zu beurteilen ist. Mit solchen Gesetzesänderungen müssen die Vertragspartner von Dauerrechtsverhältnissen aber rechnen. Dass ein nunmehr nach dem TKG 2021 Standortberechtigter von einem vertraglich vereinbarten oder gesetzlich zustehenden Kündigungsrecht Gebrauch macht, bewirkt keine Rückwirkung des §59 TKG 2021.
Hinreichende Bestimmtheit der näher bezeichneten Wortfolgen in §59 TKG 2021:
Aus §59 Abs5 iVm §78 Abs4 TKG 2021 geht hervor, dass das Standortrecht des §59 TKG 2021 im Einzelfall nicht ex lege, sondern entweder durch Vereinbarung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem oder durch vertragsersetzende Entscheidung der Regulierungsbehörde zustande kommt. Eine solche Entscheidung der Regulierungsbehörde ist vor dem Hintergrund der einschlägigen Rsp des VwGH zu §12a TKG 2003 und der Funktion einer solchen "schiedsrichterlich-regulatorischen Entscheidung" hinreichend determiniert. Schließlich ergibt sich aus Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des §59 Abs3 TKG 2021 mit hinreichender Deutlichkeit, dass eine - gegebenenfalls von der Regulierungsbehörde bei ihrer Entscheidung gemäß §59 Abs5 TKG 2021 zu berücksichtigende - Verpflichtung zur Bezahlung einer Abgeltung an den belasteten Grundeigentümer nur im Ausmaß der Wertminderung durch das Standortrecht besteht. Schließlich ist auch der - schon in §5 Abs4 und Abs6 TKG 2003 verwendete - Begriff der "öffentlichen Rücksichten" im vorliegenden Regelungskontext ausreichend determiniert und gibt auch eine entsprechende Interessenabwägung vor, so dass auch kein Verstoß gegen das bundesstaatliche Rücksichtnahmegebot gegeben ist.
Keine Verletzung des Rechts der Gemeinde auf Selbstverwaltung:
Bei der Regelung des §59 TKG 2021 handelt es sich iSd Art116 Abs2 B-VG um ein allgemeines, weil alle Gebietskörperschaften gleichermaßen betreffendes und nicht (einzelne) Gemeinden diskriminierendes Gesetz.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Fernmelderecht, Rechtspolitik, Eigentumseingriff, Gemeinderecht, Selbstverwaltung, Verhältnismäßigkeit, VfGH / Verwerfungsumfang, Post- und Telegraphenverwaltung, Determinierungsgebot, VertrauensschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G141.2022Zuletzt aktualisiert am
09.11.2022