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Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der F S, vertreten durch die Stadler Völkel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Seilerstätte 24/5, gegen das am 19. November 2019 mündlich verkündete und mit 29. November 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W250 2225430-1/12E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 19. August 2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Aufgrund eines zeitlich ersten EURODAC-Treffers in Bezug auf Italien richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Wiederaufnahmegesuch an Italien. Mit Schreiben vom 3. September 2019 stimmte Italien der Wiederaufnahme der Mitbeteiligten zu.
3 Mit Bescheid des BFA vom 12. September 2019 wurde der Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz daher gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung dieses Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d der Dublin III-VO Italien zuständig sei. Weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung der Revisionswerberin (nach Italien) angeordnet und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
4 Dagegen erhob die Revisionswerberin eine Beschwerde, die am 30. September 2019 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einlangte. Der Beschwerde kam gemäß § 16 Abs. 2 Z 2 BFA-VG keine aufschiebende Wirkung zu, mit der Durchführung der Außerlandesbringung war jedoch gemäß § 16 Abs. 4 BFA-VG bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage beim BVwG zuzuwarten. Der Beschwerde wurde vom BVwG weder binnen der Wochenfrist des § 17 Abs. 1 BFA-VG noch in Anwendung des Abs. 4 dieser Bestimmung (jedenfalls) bis 19. November 2019 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
5 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 8. November 2019 ordnete das BFA gegen die Revisionswerberin gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Überstellungsverfahrens an.
6 In der Begründung stellte das BFA fest, die Revisionswerberin sei spätestens am 18. August 2019 unrechtmäßig nach Österreich eingereist und von der Polizei aufgegriffen worden. Die Revisionswerberin habe bereits am 15. Juni 2017 in Italien, am 21. November 2017 in Deutschland und am 20. März 2019 in Frankreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Nach Zustellung des Zurückweisungsbescheides des BFA vom 12. September 2019 sei die Revisionswerberin untergetaucht und am 14. September 2019 wegen unbekannten Aufenthaltes von der Grundversorgung abgemeldet worden. Von 14. September 2019 bis 25. Oktober 2019 habe sie über keine Meldeadresse im Bundesgebiet verfügt. Am 25. Oktober 2019 sei die Revisionswerberin zwar neuerlich in die Grundversorgung aufgenommen worden, sie habe sich jedoch dann ihrer für 8. November 2019 geplanten Abschiebung nach Italien unmittelbar vor Antritt des Fluges widersetzt. Angesichts dessen ging das BFA vom Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr aus, die es rechtlich auf § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 6 und 9 FPG stützte. Die Sicherung „des Verfahrens bzw. der Abschiebung“ sei - so fasste das BFA zusammen - erforderlich, weil sich die Revisionswerberin aufgrund des festgestellten „Vorverhaltens“ als nicht vertrauenswürdig erwiesen habe und ein beträchtliches Risiko des Untertauchens bestehe.
7 Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 19. November 2019 wies das BVwG die gegen diesen Bescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm Art. 28 der Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 3 FPG als unbegründet ab. Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 der Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 3 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, wobei es dazu vor allem feststellte, dass die Überstellung der Revisionswerberin nach Italien für den 22. November 2019 geplant sei. Weiters verpflichtete es gemäß § 35 VwGVG die Revisionswerberin zum Aufwandersatz gegenüber dem Bund und wies ihren Antrag auf Kostenersatz ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis, das über fristgerechten Antrag mit 29. November 2019 schriftlich ausgefertigt wurde, richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.
9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision geltend, es fehle Rechtsprechung (des Verwaltungsgerichtshofes) zur Frage, ob auch bei Dublin-Konstellationen die Wartepflicht gemäß § 16 Abs. 4 BFA-VG verlängert werde, wenn das BVwG über die aufschiebende Wirkung nicht innerhalb einer Woche entschieden habe, und damit eine Außerlandesbringung nicht durchführbar werde, sodass der Schubhaftzweck somit nicht erreicht werden könne. Zudem habe das BVwG entgegen ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 30.8.2011, 2008/21/0498 bis 0501) angenommen, dass mangelnde berufliche und soziale Verankerung im Bundesgebiet Umstände darstellen würden, um ein nur durch Schubhaft abzudeckendes Sicherungsbedürfnis zu begründen.
12 Gemäß dem im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage herangezogenen § 76 Abs. 2 Z 3 FPG darf Schubhaft angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO vorliegen. Danach dürfen Personen, die dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegen, zwar nicht allein deshalb in Haft genommen werden, jedoch „zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren“ dann, wenn nach einer Einzelfallprüfung „erhebliche Fluchtgefahr“ besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen (vgl. etwa VwGH 18.3.2021, Ra 2020/21/0375, Rn. 8).
13 Bei dem primär erstatteten Zulässigkeitsvorbringen, das darauf abstellt, dass die gegen die Revisionswerberin mit Bescheid des BFA vom 12. September 2019 erlassene Anordnung zur Außerlandesbringung bis zur mündlichen Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses am 19. November 2019 noch nicht durchführbar gewesen sei, übersieht die Revisionswerberin, dass die gegenständliche Schubhaft entsprechend Art. 28 der Dublin III-VO zum Zweck der „Sicherung des Überstellungsverfahrens“ angeordnet wurde. Die Schubhaft diente somit nicht nur der Sicherung der Abschiebung der Revisionswerberin nach Italien, sondern - wie das BFA in der Begründung des Schubhaftbescheides auch zum Ausdruck brachte - vorgelagert bis zur Erlassung einer durchsetzbaren und durchführbaren Anordnung zur Außerlandesbringung der Verfahrenssicherung. Selbst wenn man daher mit der Revision davon ausginge, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung noch nicht durchführbar gewesen sei, solange nicht vom BVwG über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diese Anordnung abgesprochen wurde (siehe jedoch ausdrücklich gegenteilig: VwGH 21.2.2017, Fr 2016/18/0019 bis 0024, Rn. 18), wäre - entgegen der Schlussfolgerung in der Revision - in der vorliegenden Konstellation jedenfalls ein ausreichender Schubhaftzweck gegeben gewesen.
14 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde bereits dargelegt, dass die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von (erheblicher) Fluchtgefahr auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das gilt sinngemäß auch für die Frage, ob von einem Sicherungsbedarf auszugehen ist, dem nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne, und auch für die Frage, ob sich die Schubhaft nach Abwägung der wechselseitigen Interessen als verhältnismäßig erweist (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0206, Rn. 7, mwN).
15 Entgegen dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen in der Revision hat das BVwG - wie auch schon das BFA - bei der Begründung des Vorliegens von erheblicher Fluchtgefahr nicht bloß auf die fehlende berufliche und soziale Verankerung der Revisionswerberin im Bundesgebiet abgestellt. Das BFA und das BVwG stützten die Annahme einer nicht durch gelindere Mittel abwendbaren erheblichen Fluchtgefahr - anders als im Fall des in der Revision genannten Erkenntnisses - vielmehr vor allem darauf, dass sich die Revisionswerberin mehrmals ihren Asylverfahren durch unrechtmäßige Weiterreise in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union entzogen, sich in Österreich bereits im Verborgenen aufgehalten sowie ihre versuchte Außerlandesbringung nach Italien vereitelt hatte. Schon im Hinblick darauf war die vom BVwG nach mündlicher Verhandlung getroffene Beurteilung zum Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr jedenfalls vertretbar. Daran kann die in der Revision noch ins Treffen geführte Wohnmöglichkeit bei einem in Österreich aufenthaltsberechtigten und berufstätigen somalischen Staatsangehörigen, den die Revisionswerberin nach ihrer Einreise erstmals persönlich getroffen und dann am 13. Oktober 2019 nach muslimischem Ritus geheiratet hatte, nichts ändern, zumal auch er sich in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommen deutlich gegen die damals unmittelbar bevorstehende Überstellung der Revisionswerberin nach Italien ausgesprochen hatte.
16 Die Revision war daher mangels Vorliegens von fallbezogen relevanten Rechtsfragen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen. Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 5. Oktober 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019210414.L00Im RIS seit
09.11.2022Zuletzt aktualisiert am
09.11.2022