TE Vwgh Erkenntnis 2022/10/6 Ra 2022/06/0058

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Veröffentlicht am 06.10.2022
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Norm

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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. des R M (protokolliert zu: Ra 2022/06/0058) und 2. der C M (protokolliert zu: Ra 2022/06/0059), beide in S, beide vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 17. August 2020, LVwG-2018/36/1373-38, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde St. Johann in Tirol; weitere Partei: Tiroler Landesregierung; mitbeteiligte Partei: F GmbH & Co KG in I, vertreten durch Mag. Katharina Dwyer, Mag. Helga Embacher und Mag. Martin Lechner, Rechtsanwälte in 6370 Kitzbühel, St. Johanner Straße 49a/15),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird aufgrund der Revision des Erstrevisionswerbers wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Die Marktgemeinde St. Johann in Tirol hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Die Revision der Zweitrevisionswerberin wird zurückgewiesen.

Die Zweitrevisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 und der Marktgemeinde St. Johann in Tirol Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wies dieses die Beschwerde der Revisionswerber gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. J. in T. vom 3. Mai 2018, mit dem den beantragten Abbruch- und Neubauvorhaben auf dem Gst. X der Mitbeteiligten die baurechtliche Bewilligung unter der Vorschreibung von Nebenbestimmungen erteilt worden war, mit näher bezeichneten Maßgaben als unbegründet ab. Gleichzeitig sprach es aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision nicht zulässig sei.

2        Das Verwaltungsgericht führte - soweit hier relevant - aus, dass am Baugrundstück über die Anzahl der erforderlichen Pflichtstellplätze hinaus weitere acht Stellplätze geschaffen würden und das Bauvorhaben auch die Errichtung einer Tiefgarage umfasse. Besondere Schallschutzverhältnisse seien lediglich im Bereich der Tiefgaragenzufahrt im südöstlichen Bereich des Baugrundstücks gegeben, dort würden die schalltechnischen Widmungswerte eingehalten. Hinsichtlich der östlichen Nachbargrundstücke würden die schalltechnischen Widmungswerte eingehalten. Durch die gewerberechtlich genehmigten Emissionen, die rechtmäßig ihren Ausgang auf dem Grundstück des Erstrevisionswerbers hätten, werde im nordwestlichen Bereich des Baugrundstücks außerhalb der projektierten Schallschutzmauer der maximale Widmungspegel von 65 Dezibel in vier Meter Höhe um rund drei Dezibel geringfügig überschritten, wo die ungünstigste Immissionsbelastung bestehe. In dieser Höhe sei laut Bauprojekt ein Aufenthalt nicht möglich, weil sich dort nur bauliche Anlagen mit nicht begehbarem Dach befänden und keine Fensteröffnungen geplant worden seien. Bei einer Immissionshöhe von 1,6 Metern über dem Grund bestünden im Vergleich dazu deutlich geringere Bereiche, in denen ein Beurteilungspegel von 65 dB durch die gewerberechtlich genehmigten Immissionen der Zimmerei M. geringfügig überschritten werde. Dies sei einerseits ein dreieckiger Bereich mit Abmessungen von rund zwei mal zwei Metern im nordwestlichen Grundstücksbereich des Bauplatzes, wo ein Grünstreifen als Abgrenzung zur Gemeindestraße und der PKW-Stellplatz eins geplant sei. Der zweite Bereich umfasse einen rund zweimal ein Meter großen, ebenfalls annähernd dreieckigen Bereich, der sich zwischen dem im Bauprojekt geplanten PKW-Stellplatz drei und dem geplanten Müll- und Fahrradraum befinde. Hinter der projektierten Schallschutzmauer werde der Widmungswert nicht überschritten. Auf Grundlage des eingeholten umweltmedizinischen und des medizinischen Gutachtens kam das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass trotz der geringfügigen Überschreitung des Widmungsmaßes die Wohnqualität nicht wesentlich beeinträchtigt werde und es zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung der Gesundheit von Personen kommen werde. Das Baugrundstück sei damit für die konkret beantragte Bebauung geeignet und es seien der mitbeteiligten Partei auch keine Maßnahmen oder zusätzliche Auflagen vorzuschreiben gewesen.

3        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Februar 2022, E 3293/2020-14, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

4        In Folge erhoben die Revisionswerber außerordentliche Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit kostenpflichtig aufzuheben.

5        Die mitbeteiligte Partei, die belangte Behörde und die Tiroler Landesregierung erstatteten in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren Revisionsbeantwortungen, in denen sie die Abweisung der Revision beantragten.

6        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich der Lärmimmissionen lediglich auf den widmungsabhängigen Beurteilungspegel der Flächenwidmung des Baugrundstückes abgestellt und die Beurteilung der Frage unterlassen, ob die von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen eine Gefährdung oder unzumutbare Belästigung im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 1 und 2 GewO bewirkten und Auflagen der Gewerbebehörde erforderlich würden. Darüber hinaus habe das Verwaltungsgericht lediglich die Immissionen ausgehend von Gst. Y berücksichtigt, obschon die Betriebsanlage auch das Gst. Z umfasse und in einem gewerbebehördlichen Verfahren vom Grundsatz der „Einheit der Betriebsanlage“ auszugehen sei. Weiters hätte das Verwaltungsgericht das Bauansuchen - ungeachtet der Frage der heranrückenden Wohnbebauung - bereits aufgrund der Überschreitung des Widmungsmaßes als absolute Grenze der Immissionsbelastung abweisen müssen, nachdem die vorgesehenen Lärmschutzmaßnahmen nicht ausreichten. Im Hinblick darauf, dass der zulässige Schallpegel in einer Höhe von vier Metern auch im Bereich der Wohnbebauung überschritten werde, sei es nicht nachvollziehbar, inwiefern der Erstrevisionswerber nicht in seinen Nachbarrechten gemäß § 33 Abs. 3 lit. a TBO 2018 verletzt sei, zumal sich die Auflagen im Bauverfahren als völlig unzureichend erwiesen.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Vorauszuschicken ist, dass nach den insofern nicht bestrittenen tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts beide Revisionswerber Eigentümer von Grundstücken sind, die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von fünf Metern zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen. Das angrenzende Grundstück des Erstrevisionswerbers befindet sich westlich, die angrenzenden Grundstücke der Zweitrevisionswerberin befinden sich östlich des Baugrundstücks. Der Erstrevisionswerber betreibt eine Zimmerei, die sich teilweise auf dem an den Bauplatz angrenzenden Grundstück befindet.

9        Gemäß § 33 Abs. 3 lit. a bis f TBO 2018 sind beide Revisionswerber daher berechtigt, die dort taxativ aufgezählten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte geltend zu machen (vgl. VwGH 23.11.2010, 2007/06/0163, mwN) und der Erstrevisionswerber ist darüber hinaus gemäß § 33 Abs. 5 TBO 2018 berechtigt, die Zulässigkeit jener Immissionen geltend zu machen, die von seinem Grundstück aus rechtmäßig auf den Bauplatz einwirken.

10       Zur Revision der Zweitrevisionswerberin (Ra 2022/06/0059):

11       Die Zulässigkeitsausführungen hinsichtlich der Geltendmachung eines Nachbarrechts nach § 33 Abs. 3 lit. a TBO 2018 beziehen sich ausdrücklich nur auf den Erstrevisionswerber. Darüber hinaus komme es - nach den unbestrittenen Annahmen des Verwaltungsgerichts - im Bereich der Grundstücke der Zweitrevisionswerberin auch zu keiner Überschreitung des Widmungsmaßes.

12       Ferner ist die Zweitrevisionswerberin - nach den ebenfalls unbestrittenen Annahmen des Erstgerichts - nicht Betriebsinhaberin der sich auf dem Grundstück des Erstrevisionswerbers befindenden Zimmerei, sodass sie kein Recht hat, Einwendungen im Sinne des § 33 Abs. 5 TBO 2018 zu erheben.

13       Die Revision zeigt zur Zweitrevisionswerberin demnach keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf und war insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

14       Zur Revision des Erstrevisionswerbers (Ra 2022/06/0058):

15       Soweit der Erstrevisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzeigt, wonach es zur Abweisung des Bauansuchens führen müsse, wenn die von einem Betrieb ausgehenden rechtmäßigen Immissionen im Hinblick auf die Flächenwidmung zu hoch seien und dem nicht ausreichend durch Auflagen begegnet werden könne, ist die Revision zulässig und begründet.

16       Der Erstrevisionswerber kann als Betriebsinhaber Einwendungen bezüglich der heranrückenden Wohnbebauung erheben, wenn zulässige Immissionen von seinem Gewerbebetrieb ausgehen, die durch die heranrückende Verbauung unzulässig werden könnten (vgl. etwa VwGH 24.2.2022, Ra 2021/06/0089, mwN). Wird durch die Immissionen im Hinblick auf die Widmung des benachbarten Bauplatzes das für diesen zulässige Immissionsniveau überschritten, so darf die Baubewilligung, sofern mit Auflagen nicht das Auslangen gefunden werden kann, nicht erteilt werden. Räumlich besteht die Nachbarstellung dabei im selben Ausmaß wie im Bereich des herkömmlichen Immissionsschutzes, nämlich für Nachbarn im Sinne des § 33 Abs. 2 TBO 2018 (vgl. Heißl in Weber/Rath-Kathrein, Tiroler Bauordnung [2018] § 33, S. 395 f, unter Verweis auf die EB 2014/187 und Rechtsprechung des VfGH). Nach § 33 Abs. 5 TBO 2018 kommt es daher darauf an, ob Immissionen an der Grundgrenze des benachbarten Bauplatzes verursacht werden, die der Flächenwidmung dieses Grundstücks (im vorliegenden Fall: allgemeines Mischgebiet) widersprechen. Der Wortlaut dieser Bestimmung (arg: „Immissionen ..., die von diesem Grundstück aus rechtmäßig auf den Bauplatz einwirken“) räumt nicht die Möglichkeit ein, dabei auf eine allfällige Erteilung künftiger, zusätzlicher Auflagen im Sinne des § 79 Abs. 2 GewO 1994 abzustellen (vgl. VwGH 21.10.2009, 2008/06/0041, 8.6.2011, 2011/06/0048, jeweils zu § 26 Abs. 4 Stmk. BauG).

17       Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts, das die Immissionen des - auf dem iSd § 33 Abs. 2 TBO 2018 benachbarten Gst. 2932/4 befindlichen - Betriebs des Erstrevisionswerbers anhand der Widmung des Bauplatzes prüfte und nicht auf die Frage einging, ob die von einer „Einheit der Betriebsanlage“ ausgehenden Immissionen eine Gefährdung oder unzumutbare Belästigung iSd § 74 Abs. 2 Z 1 und 2 GewO 1994 darstellen, weicht insoweit nicht von der hg. Judikatur ab.

18       Wie oben dargestellt, führt es aber zur Abweisung des Baubewilligungsgesuches, wenn die Immissionen unter Bedachtnahme auf die Flächenwidmung zu hoch sind und dem nicht ausreichend durch Vorschreibung von wirksamen Auflagen bei den zur Bewilligung beantragten Wohnbauten begegnet werden kann (vgl. VwGH 8.6.2011, 2011/06/0048 zu § 29 Abs. 5 Stmk. BauG).

19       Bei der Zulässigkeit von Immissionen aus dem Blickwinkel der Flächenwidmung ist dabei, wie bereits erwähnt, das Widmungsmaß des zur Bebauung ausersehenen Grundstückes maßgeblich, wobei die Summe des Ist-Maßes und des Prognosemaßes dieses Widmungsmaß nicht überschreiten darf. Wenn die Ist-Situation an Immissionen bereits über dem so maßgeblichen Widmungsmaß liegt, ist der Wohncharakter des Gebietes zwar durch die das Widmungsmaß bereits übersteigenden Immissionen gekennzeichnet, jede weitere Erhöhung dieses das Widmungsmaß bereits überschreitenden Ist-Maßes durch eine weitere bauliche Anlage ist dann aber nicht mehr zulässig (vgl. etwa VwGH 31.5.2012, 2010/06/0189, mwN).

20       Bei der Beurteilung der Zulässigkeit (im zuvor umschriebenen Sinn) der von der benachbarten Betriebsanlage ausgehenden Lärmimmissionen, ergibt sich auf Grundlage des im Verwaltungsverfahren eingeholten immissionstechnischen Gutachtens, dass das Ist-Maß (in bestimmten Bereichen) schon auf Grund der von dem Betrieb des Erstrevisionswerbers ausgehenden Immission geringfügig über dem Widmungsmaß liegt.

21       Auflagen im Sinne des § 34 Abs. 4 lit. d TBO 2018 müssten dazu führen, dass die rechtmäßigen betrieblichen Immissionen durch geeignete Lärmschutzmaßnahmen an der Grenze des Baugrundstückes (die Einwirkung bereits an der Grenze ist der Beurteilungsmaßstab) soweit gemindert werden können, dass die ohne diese von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen gegebene Grundbelastung (das vom Sachverständigen angenommene Ist-Maß) nicht überschritten wird. In einem solchen Fall wäre zwar das Widmungsmaß weiterhin überschritten, es würde sich aber eine Belastung durch Immissionen aus der Betriebsanlage gar nicht auswirken (vgl. neuerlich VwGH 8.6.2011, 2011/06/0048). Fallbezogen wird nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis das zulässige Widmungsmaß am Baugrundstück aber trotz der vorgesehenen Schallschutzmaßnahmen durch die von der Betriebsanlage des Erstrevisionswerbers ausgehenden Immissionen in bestimmten Bereichen überschritten und wirkt sich somit auf das Baugrundstück aus.

22       Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seiner Inhalts aufzuheben. Auf das übrige Revisionsvorbringen war nicht näher einzugehen.

23       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin insbesondere auch § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 6. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060058.L01

Im RIS seit

09.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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