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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Februar 1995, Zl. 4.326.366/9-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Bangladeshs, der am 14. Mai 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 17. Mai 1991 den Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner am 4. November 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erfolgten niederschriftlichen Befragung im wesentlichen angegeben, er sei ungefähr seit 1989 Mitglied des Studentenflügels der "Jatiya-Partei" gewesen. Seine Aufgabe sei das Propagandawesen gewesen, wobei er neue Mitglieder habe anwerben und auch die Organisation von Demonstrationen durchführen müssen. Diese Partei habe in Bangladesh etwa 6 Jahre lang regiert. Derzeit sei jedoch Exbundespräsident und Parteiführer Mohammed Arshad in Gefangenschaft. Am 27. Februar 1991 habe es Wahlen gegeben, die Jatiya-Partei habe diese Wahl verloren. Er sei als überzeugter Anhänger Arshads und der Jatiya-Partei im Wahlkampf eingesetzt gewesen. Am 18. Februar 1991 habe es in Gazipur im Zuge der Wahlwerbung eine Demonstration gegeben, an der auch er teilgenommen habe. Diese Demonstration habe in der Früh stattgefunden, plötzlich seien Angehörige der BNP (Bangladesh National Party) gekommen, es habe Auseinandersetzungen gegeben, in deren Verlauf es auch Verletzte und Tote gegeben habe. Bei dieser Auseinandersetzung sei auch geschossen worden, wobei 3 Tote (2 Angehörige der BNP und ein Angehöriger der Jatiya-Partei) zu beklagen gewesen seien. Die BNP und die Polizei hätten nun den Beschwerdeführer beschuldigt, geschossen zu haben und für die Toten verantwortlich zu sein. Er sei jedoch nicht im Besitz einer Waffe und habe mit dem Tod der 3 Personen nichts zu tun. Er habe seine Verhaftung gefürchtet und sich aus diesem Grunde bis zum Zeitpunkt seiner Flucht in diversen Parteilokalen oder Unterkünften von Parteifreunden versteckt. Von diesen habe er auch erfahren, daß er bei der Polizei wegen Mordes angezeigt und ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden sei. Er sei jedoch unschuldig. Nach der Wahl vom 27. Februar 1991 habe es eine Verhaftungswelle in Bangladesh gegeben, bei der viele Mitglieder der Jatiya-Partei verhaftet worden seien. Die Festgenommenen seien entweder zu lebenslanger Haft verurteilt oder nie wieder gesehen worden. Was mit jenen passiert sei, könne keiner sagen, er vermute jedoch, daß sie von der Polizei getötet worden seien. Würde er jetzt nach Bangladesh zurückkehren, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit mit lebenslanger Haft oder sogar mit dem Tod bestraft werden.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. November 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung rügt der Beschwerdeführer Begründungsmängel des erstinstanzlichen Bescheides und führte zu seinen Fluchtgründen ergänzend aus, Bangladesh sei nach wie vor keine Demokratie. Jedwede demokratische Äußerung, erfolge sie seitens der Studentenbewegung oder sonstiger Opposition, werde verfolgt. Die Regierungspartei habe Terroristen in ihren Diensten. Die Polizei komme täglich in sein Haus, um ihn zu suchen. Falls er nach Bangladesh zurückkehre, würde die Polizei ihn festnehmen und einsperren.
Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1993 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre dem Beschwerdeführer kein Asyl. Infolge der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0342-6, der bekämpfte Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1993 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994 G 92,93/94) aufgehoben.
In dem dadurch wieder beim Bundesminister für Inneres anhängig gewordenen Berufungsverfahren ergänzte der Beschwerdeführer über Aufforderung der belangten Behörde sein Sachvorbringen dahingehend, im Falle der Rückkehr nach Bangladesh hätte er zu gewärtigen, festgenommen und wie andere Mitglieder der politischen Opposition gefoltert und getötet zu werden. Er hätte nach der in Bangladesh gepflogenen Vorgangsweise gegen politisch Andersgesinnte keinerlei Chance, den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen in einem auch nur den Mindestanforderungen an Justizförmlichkeit entsprechenden Gerichtsverfahren entgegenzutreten. Im übrigen unterliege er den Rückschiebeschutzbestimmungen der MRK.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Die belangte Behörde begründete ihren Spruch damit, der Beschwerdeführer habe im gesamten Verwaltungsverfahren keine Umstände glaubhaft gemacht, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Grundsätzlich komme es einem souveränen Staat zu, im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung versammlungspolizeilich zu wirken, weswegen im Einschreiten der Polizei bei der von ihm geschilderten gewalttägigen Auseinandersetzung und in daran anschließenden Maßnahmen, um der beteiligten Personen habhaft zu werden, kein illegitimes Staatshandeln erblickt werden könne, dem gegenüber asylrechtlicher Schutz eingreifen müßte. Der gegen den Beschwerdeführer erlassene Haftbefehl wegen Mordes zeige, daß dieser nicht aus einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen ergangen sei, sondern wegen des Verdachtes, sich an den Ausschreitungen in strafrechtlich relevanter Form beteiligt zu haben. Dabei handle es sich um ein rein kriminelles Delikt, auf Grund dessen man in jedem rechtsstaatlichen Land strafrechtlich belangt werde. Asylrechtlich entscheidend sei die Motivation der einschreitenden Staatsorgane. Wenn diese "subjektiv ehrlich davon überzeugt" seien, ein gemeinstrafrechtliches Delikt zu untersuchen, so verschlage es auch nichts, wenn sie verleumderisch dazu angeregt worden sein sollten. Das Asylrecht schütze eben nicht vor Verleumdung oder Justizirrtümern, "welche ein ubiquitäres Risiko jedes Rechtsunterworfenen in allen Rechtskulturen" darstellten. Die Behörde gehe davon aus, daß die Staatsorgane der Heimat des Beschwerdeführers, wenn auch vielleicht tatsachenwidrig, so doch subjektiv ehrlich ihn des Mordes verdächtigen hätten können. Vielmehr sei es den Betroffenen auch im Falle der Annahme des politischen Aspektes des Verfahrens zuzumuten, sich wie jeder andere Staatsbürger in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften. Dem Versuch des Beschwerdeführers, den allfälligen Fakten eine "politische Ummantelung zu geben, könne nicht gefolgt werden". Daß der gegen ihn erhobene Verdacht etwa aus politischen Motiven bloß vorgeschützt wäre, sei auf Grund des politischen Engagements des Beschwerdeführers an wenig prominenter Stelle nicht wahrscheinlich. Die Jatiya-Partei habe vielmehr an den Wahlen am 27. Februar 1991 teilgenommen und bei einer Wahlbeteiligung von 60 % 35 Mandate erreicht, sei daher drittstärkste Kraft im Parlament. Eine Verfolgung wegen bloßer Mitgliedschaft für diese Partei sei schon aus diesem Grunde äußerst unwahrscheinlich. Dieser Sachverhalt sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, er habe "diesem Vorhalt jedoch nichts Einschlägiges" entgegenzusetzen vermocht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Auch in der Beschwerde verweist der Beschwerdeführer zunächst auf seine bereits in der Stellungnahme vom 27. Dezember 1994 enthaltene Behauptung, auf die die belangte Behörde zutreffend gemäß § 20 Abs. 1 und 2 AsylG 1991 eingegangen ist, er hätte auf Grund der in Bangladesh gepflogenen Vorgangsweise gegen politisch Andersgesinnte keinerlei Chance gehabt, den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen in einem auch nur den Mindestanforderungen an Justizförmlichkeit entsprechenden Gerichtsverfahren entgegenzutreten. Vielmehr sei offensichtlich, daß die politischen Gegner durch den durch nichts bewiesenen Mordvorwurf nichts anderes beabsichtigten, als die Repräsentanten der gegnerischen Partei mundtot zu machen. Die belangte Behörde nehme auf die tatsächlichen politischen Verhältnisse in Bangladesh keinerlei Rücksicht und übersehe völlig, daß der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz vorgebracht habe, daß genau diese Art Verleumdungen gezielt politische Ursachen hätte, um politische Gegner ebenso gezielt "auszuschalten". Es dürfe doch nicht übersehen werden, daß nach dem Wahlsieg der BNP mit Hilfe der Exekutive sofort massive Verfolgungen und Inhaftierungen von politischen Gegnern, insbesondere der Jatiya-Partei, stattgefunden hätten. Bangladesh sei keineswegs ein demokratischer Staat und eine wie in westlichen Demokratien bekannte "Gewaltentrennung" sei dort unbekannt. Von einem "subjektiv ehrlichen" Handeln der zuständigen Staatsorgane, wie dies die belangte Behörde angenommen habe, könne deshalb keine Rede sein. Gerade auch deshalb sei es in keiner Weise nachvollziehbar, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zumute, sich wie jeder andere Staatsbürger in jedem anderen Staate dem Gericht zu stellen und die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften. Ein faires Verfahren sei nicht gewährleistet. Durch die Vorgänge in seinem Heimatland habe er in berechtigter Weise kein Vertrauen in die Justiz und die Polizeibehörden, die von politischen Gegnern beherrscht und durchsetzt seien.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in mehrfachen Erkenntnissen ausgesprochen hat (als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 28. November 1995, Zl. 94/20/0870) können unter den vom Beschwerdeführer geschilderten Umständen (gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der die Regierung stellenden BNP und der in Opposition befindlichen Jatiya-Partei) die gegen ihn unternommenen, sein Verhalten in erhöhtem Maße kriminalisierenden gerichtlichen Schritte nicht ohne weiteres von seiner politischen Gesinnung losgelöst betrachtet werden. Bereits in den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Ersteinvernahme - die im angefochtenen Bescheid nur bruchstückweise wiedergegeben wurde - sind konkrete Hinweise darauf enthalten, daß die im Anschluß an die Auseinandersetzung rivalisierender politischer Parteien am 18. Februar 1991 im Zuge einer Wahlveranstaltung angeordnete "Verhaftungswelle" lediglich Mitglieder der Jatiya Partei, somit der politischen Opposition, betroffen hat. Im Hinblick darauf hätte die belangte Behörde die diesbezüglich ergänzenden bzw. präzisierenden Ausführungen in der im Berufungsverfahren eingeholten Stellungnahme in ihre Erwägungen einzubeziehen gehabt. Obwohl also die politische Dimension der lediglich auf strafrechtliche Tatbestände gestützten polizeilichen Verfolgungshandlungen vom Beschwerdeführer dargetan wurde, geht die belangte Behörde ohne nähere Begründung davon aus, daß die Staatsorgane der Heimat des Beschwerdeführers, wenn auch vielleicht tatsachenwidrig, "so doch subjektiv ehrlich" ihn des Mordes verdächtigen könnten. Worauf sich eine derartige Annahme im Hinblick auf die detaillierten gegenteiligen Schilderungen des Beschwerdeführers stützt, ist dem Akt nicht zu entnehmen. Geht die belangte Behörde weiters davon aus, dem Beschwerdeführer sei zuzumuten gewesen, sich einem Gerichtsverfahren zu stellen, so ist darauf zu verweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, daß in Gebieten, in denen politisch oder ethnisch-religiös bedingte Auseinandersetzungen im Gange sind, an das Verhalten staatlicher Behörden nicht ohne weiteres jener Maßstab angelegt werden kann, der in einer gefestigten, nicht durch innere Unruhen erschütterten Demokratie angebracht erscheint (vgl. als Beispiel für viele das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0806). Den insoweit widersprechenden Annahmen der belangten Behörde fehlt daher ebenfalls die entsprechende Sachverhaltsgrundlage. Ohne diese Annahmen hat aber der Beschwerdeführer "glaubhaft" gemacht, daß er wegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung sein Heimatland verlassen hat.
Ausgehend von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hat die Behörde aber ergänzende Ermittlungen bzw. entsprechend belegte Feststellungen zu dem im Lichte der angeführten Judikatur bedeutsamen Sachvorbringen unterlassen (sekundäre Verfahrensmängel), weshalb sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens ist darin begründet, daß Umsatzsteuer in dem pauschalierten Betrag für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist und ein darüber hinausgehender Zuspruch von Umsatzsteuer einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200200.X00Im RIS seit
20.11.2000