TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/6 95/20/0204

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Veröffentlicht am 06.03.1996
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der M in V, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Februar 1995, Zl. 4.328.933/12-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, ist am 15. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 17. Dezember 1991 den Antrag gestellt, ihr Asyl zu gewähren.

Anläßlich ihrer am 19. Dezember 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung hat die Beschwerdeführerin, zu ihren Fluchtgründen befragt, angegeben, sie habe im Jahre 1983 B geheiratet, der sich im Verlaufe der Ehe zu einem radikalen Mohammedaner und aktiven Mitglied der islamischen Revolutionsgarden entwickelt habe. Sie habe nicht mehr mit ihm zusammenleben können, im Jahr 1986 sei die Ehe geschieden worden. Das gemeinsame Kind sei beim Vater verblieben. Zwei Jahre habe sie dann normal bei ihren Eltern gelebt. Ihr Ex-Ehemann habe in der Zwischenzeit wieder geheiratet, doch sei auch seine zweite Ehe geschieden worden. Seit dieser Scheidung habe er versucht, die Beschwerdeführerin wiederum an sich zu binden und sie neuerlich zu heiraten. Als sie dies abgelehnt habe, habe er mit Anzeigen an die Garden gegen sie vorzugehen begonnen. Das Wohnhaus der Eltern sei von Revolutionsgarden durchsucht worden, sie selbst sei festgenommen, jedoch am gleichen Tag wieder freigelassen worden. Nach diesem Vorfall sei es neuerlich zu einer Durchsuchung der Wohnräume von ihr bzw. ihren Eltern gekommen, wobei man sie des Kontaktes zu den Modjahedin-Freiheitskämpfern beschuldigt habe, obwohl sie derlei Kontakte niemals gehabt habe. Es sei auch von ihrem Exgatten nur ein Vorwand gewesen, sie zu einer neuerlichen Heirat zu zwingen. Auch beim zweiten Mal sei sie festgenommen und nur wieder freigelassen worden, weil die Eltern einen Teil des Hauses als Bürgschaft abgetreten hätten. Diese Festnahme sei nur kurzzeitig erfolgt.

Sie habe dann eine Vorladung für den 14. Dezember (gemeint: 1991) von der Zentrale der Revolutionswächter erhalten, wo man sie sicherlich verhört und geschlagen hätte. Da ihr Exehegatte ihr angedroht habe, er werde sie hinter Gitter bringen, was ihm auf Grund seiner Position leicht möglich sei, sei ihr kein anderer Ausweg geblieben, als aus dem Land zu flüchten. Im Iran hätten die Revolutionsgarden alle Rechte und setzten diese für die totale Unterdrückung ein. Es gebe insbesondere für eine Frau im Iran kein freies Leben.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 31. Jänner 1992 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen. In der gegen diese Entscheidung gerichteten fristgerechten Berufung machte die Beschwerdeführerin im wesentlichen das bereits in erster Instanz erstattete Vorbringen neuerlich geltend.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 29. April 1994 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Infolge der dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, hg. Zl. 94/20/0384, den bekämpften Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. In dem dadurch wiederum anhängig gewordenen Berufungsverfahren legte die Beschwerdeführerin Urkunden, nämlich eine neuerliche Ladung des islamischen Revolutionskomitees für den 15. Dezember 1991 sowie ein Schreiben ihres Vaters mit Datum 20. 2. 1373 (nach dem iranischen Kalender) zur Dartuung ihrer auch bereits in erster Instanz vorgebrachten Fluchtgründe vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wiederholte die belangte Behörde ihren die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion gemäß § 66 Abs. 4 AVG abweisenden Bescheid und begründete diesen rechtlich im wesentlichen dahingehend, die von der Beschwerdeführerin geschilderten extremen Probleme mit ihrem Exehegatten ließen sich nicht unter die Fluchtgründe der Genfer Konvention subsumieren. Hausdurchsuchungen bzw. Verhöre und Befragungen seien regelmäßig noch keine Verfolgungshandlungen und könnten nur im Einzelfall begründete Furcht vor Verfolgung auslösen, wenn sie aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen erfolgten. Die kurzfristigen Festnahmen und Vorladungen zum Revolutionskomitee könnten ebenfalls nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken, denn selbst zu Unrecht erhobene Strafvorwürfe würden allein noch nicht die Annahme eines politischen Aspektes des Verfahrens begründen. Auch die bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden innen- und außenpolitischen System bilde keinen Grund, ihn als Flüchtling anzuerkennen; das Bestehen eines islamisch-fundamentalistischen Regimes sei unbestritten, doch seien von dieser Gegebenheit alle Bürger gleichermaßen betroffen. Darüber hinaus sei es unglaubwürdig, daß die Beschwerdeführerin auf Grund angeblicher befürchteter Verfolgung tatsächlich ein asylrechtlich relevantes hohes subjektives Schutzbedürfnis habe, weil nicht erklärbar wäre, wieso sie anläßlich ihrer Ausreise ein auf ihr Nationale ausgestelltes Reisedokument verwendet habe. Auch die im Berufungsverfahren vorgelegten Dokumente könnten einen anderen Verfahrensausgang nicht bewirken, zumal es sich lediglich um eine Vorladung handle, noch dies allein eine Verfolgung indizieren könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach dem Wortlaut des (gleichlautend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) § 1 Z. 1 AsylG 1991 ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Auslösender Grund für eine asylrechtlich relevante Verfolgung in diesem Sinne kann daher auch die politische Gesinnung sein. Nicht gefordert ist, daß die politische Gesinnung vom Asylwerber tatsächlich innegehabt wird. Die Beschwerdeführerin hat zwar die Ausgangsgründe ihrer Situation in ihrem Heimatland mit privaten Motiven begründet (der Versuch des Exehemannes, sie zu einer zweiten Ehe zu zwingen), doch haben diese privaten Motive eine deutlich politische Dimension, sowohl im Hinblick auf die einflußreiche Stellung des Exgatten der Beschwerdeführerin als auch im Hinblick auf den politischen Gehalt der ihr verleumderisch unterstellten Verfehlungen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, reicht es für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung, daß eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (vgl. insbesondere hg. Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 95/20/0028, betreffend die Vorgangsweise staatlicher Behörden in Bangladesh). Daß in Zukunft eine Steigerung dieser - wenn auch privat motivierten - politischen Verfolgung bei Nichterreichen des damit verbundenen Ziels für die Beschwerdeführerin zu erwarten ist, hat die Beschwerdeführerin ausreichend dargetan, sodaß auf eine asylrechtlich relevante Intensität der Verfolgungsgefahr auf Grund der von der Beschwerdeführerin unterstellten politischen Gesinnung geschlossen werden kann. Ebensowenig ist die Verwendung eines Reisepasses zur Ausreise geeignet, eine auf anderen Umständen basierende Verfolgungsgefahr in Zweifel zu ziehen, wie dies der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls wiederholt ausgesprochen hat (vgl. hg. Erkenntnis vom 18. März 1993, Zl. 92/01/0815, u.a.).

Im Rahmen der Prüfung der Frage, ob Verfolgungsgefahr glaubhaft dargelegt wurde oder nicht, hätte die belangte Behörde überdies auch die von der Beschwerdeführerin im ergänzenden Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden einer Beurteilung zu unterziehen gehabt, weil diese lediglich zur Dartuung des bereits in erster Instanz erstatteten Vorbringens vorgelegt worden sind und kein neues Vorbringen enthalten. Diese in die Beurteilung der Frage nach der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgefahr miteinzubeziehen, widerspricht daher auch nicht der Bestimmung des § 20 Abs. 1 AsylG 1991.

Ausgehend von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, daß die Beschwerdeführerin nämlich wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200204.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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