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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des M in O, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. August 1994, Zl. 4.342.176/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. August 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 23. November 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 25. November 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Dezember 1992 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 16. Dezember 1992 angegeben:
Er sei aus seiner Heimat geflohen, weil er verdächtigt werde, revolutionäre Tätigkeiten durchzuführen, da er Mitglied der HEP-Partei sei. Bei dieser handle es sich um eine legale Partei, die für die Rechte der arbeitenden und kurdischen Bevölkerung in der Türkei eintrete. Er habe an der Beerdigung des HEP-Vorsitzenden von Gaziantep teilgenommen und es sei dabei zu Ausschreitungen durch jugendliche Parteimitglieder gekommen, wonach diese Veranstaltung von der Polizei aufgelöst worden sei. Er sei am 20. September 1992 inhaftiert worden, da bei ihm verbotene Zeitschriften gefunden worden seien. Während der Haft, welche bis 8. Oktober 1992 gedauert habe, sei er immer wieder bezüglich seiner Kontakte zu verschiedenen Personen befragt worden. Die Haft sei auch deshalb erfolgt, da er im Verdacht gestanden sei, an den Unruhen während der Begräbnisfeierlichkeit beteiligt gewesen zu sein und weiters, mit der PKK in Verbindung zu stehen.
Zu seinem Fluchtweg hatte er vorgebracht: Er sei am 15. November 1992 nach Istanbul gefahren, von wo er am 18. November 1992 mit einem jugoslawischen Schlepper in einem türkischen LKW abgefahren sei. Er sei in der Folge "versteckt im Laderaum" illegal über die türkisch-bulgarische Grenze und von dort weiter illegal über die bulgarisch-jugoslawische Grenze nach Jugoslawien gefahren. Die jeweiligen Grenzorte seien ihm nicht bekannt. In Bulgarien sei der jugoslawische LKW-Lenker von einem anderen Lenker abgelöst worden. In Bulgarien habe er sich eine Nacht aufgehalten. In der Nacht des
22. auf den 23. November 1992 habe er illegal versteckt im LKW die slowenisch-österreichische Grenze überquert.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag sowohl mit der Begründung ab, daß kein "tauglicher Asylgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention" hervorgekommen sei, als auch, daß der Beschwerdeführer in Slowenien vor Verfolgung sicher gewesen sei. Der Beschwerdeführer hätte in Slowenien einen Antrag auf Gewährung von Asyl stellen können, da dort ein Büro des UNHCR eingericht sei.
In der dagegen erhobenen Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer beide Abweisungsgründe. Gegen die "Verfolgungssicherheit" in Slowenien wandte er ein, daß die Behörde nur festhalten könne, daß er über Slowenien in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Die Ersteinvernahme lasse nicht erkennen, daß überhaupt ein "Aufenthalt" in Slowenien vorliege. Der Beschwerdeführer verwies auf seine Angaben bezüglich des Verstecks im Laderaum eines LKW, sowie darauf, daß ihm die jeweiligen Grenzorte nicht bekannt gewesen seien.
Die belangte Behörde erließ den nunmehr angefochtenen Bescheid, wobei sie neben allgemeinen Rechtsausführungen zu den Voraussetzungen des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 bezogen auf den konkreten Fall nur folgendes ausführte:
"Das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch Ihre niederschriftliche Einvernahme, hat jedoch nicht ergeben, daß Sie Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sind.
...
Die bei Ihrer niederschriftlichen Einvernahme geltendgemachten Fluchtgründe stellen keinen derart massiven Eingriff in Ihre Lebensgrundlage dar, um die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Asylgesetzes 1991 indizieren zu können."
Die Begründung der belangten Behörde enthält keine Zusammenfassung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und verweist auch nicht gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auf die Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens.
Darüber hinaus führte die belangte Behörde aus, daß aus der niederschriftlichen Vernehmung vom 16. Dezember 1992 hervorgehe, daß sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet "in Slowenien, seit 6.7.1992 Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention, aufgehalten" habe, und sie befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der zunächst an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluß vom 28. November 1994, Zl. 1922/94-6, abgelehnt, über die im folgenden ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Die Berufungsbehörde genügt ihrer Begründungspflicht allgemein mit der kurzen Verweisung auf die Gründe im Bescheid der Vorinstanz, falls sie in der Frage des Tatbestandes und der rechtlichen Beurteilung mit der ersten Instanz einer Meinung ist (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S. 452, wiedergegebene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes).
Die obigen Anforderungen werden durch die wörtlich wiedergegebenen Stellen der Begründung des angefochtenen Bescheides betreffend die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft in keiner Weise erfüllt, da weder Sachverhaltsfeststellungen vorliegen noch eine Auseinandersetzung mit dem in der Berufung vorgetragenen Standpunkt vorgenommen wurde. Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde auch nicht die Feststellungen und rechtlichen Ausführungen des Bundesasylamtes übernommen; die Schlußfolgerung im angefochtenen Bescheid bleibt somit unüberprüfbar.
Zum Vorliegen der "Verfolgungssicherheit" hat die belangte Behörde zwar grundsätzlich die Rechtslage - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) - richtig erkannt, doch übersieht die belangte Behörde, daß sich - entgegen ihrer Ansicht - aus der niederschriftlichen Einvernahme vom 16. Dezember 1992 nicht zweifelsfrei ergibt, daß sich der Beschwerdeführer in einer solchen Weise in Slowenien aufgehalten hat, daß er in der Lage gewesen wäre, die Sicherheit vor Verfolgung aus objektiver Sicht in Anspruch nehmen zu können. Denn abgesehen davon, daß in der Schilderung der Fluchtroute zwischen dem illegalen Übertritt der bulgarisch-jugoslawischen Grenze und dem Übertritt der slowenisch-österreichischen Grenze sowohl datumsmäßig, als auch geographisch in der Niederschrift keine näheren Angaben enthalten sind, hat der Beschwerdeführer auf sein Versteck im Laderaum des LKW hingewiesen. Damit hat er zumindest angedeutet, daß er während seiner Flucht nicht in der Lage gewesen sei, zu erkennen, wo er sich befinde, und er sein Versteck nicht beliebig hätte verlassen können. Ohne nähere Ausführungen der belangten Behörde liegt auch hierin ein Begründungsmangel im oben ausgeführten Sinn, da die belangte Behörde nicht dargetan hat, aus welchen Erwägungen sie davon ausging, daß der Beschwerdeführer in Slowenien bereits trotz der aufgezeigten Umstände seiner Durchreise Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200074.X00Im RIS seit
20.11.2000