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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ArbIG 1993 §11 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Oktober 1995, Zl. UVS-04/23/00799/93, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Arbeitszeitgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 3. September 1993 gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 27. April 1993, mit welchem gegen den Beschwerdeführer wegen insgesamt 25 Übertretungen des § 12 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz Geldstrafen im Gesamtausmaß von S 75.000,-- verhängt worden waren, abgewiesen. Die mit Schriftsatz vom 3. September 1993 erhobene Berufung wurde als verspätet zurückgewiesen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei als Ersatzempfänger im Sinne des § 16 Abs. 1 und 2 Zustellgesetz anzusehen. Nach der Aktenlage sei - entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers - davon auszugehen, daß er von dem gegen ihn geführten Strafverfahren Kenntnis gehabt habe. Die Aufforderung zur Rechtfertigung sei ihm nämlich durch Hinterlegung am 8. März 1993 zugestellt worden. Diese Sendung sei offensichtlich behoben worden, weil sie nach der Aktenlage vom Postamt nicht retourniert worden sei. Der Beschwerdeführer habe daher damit rechnen müssen, daß die Zustellung eines Straferkenntnisses bevorstehe. Wenn der Beschwerdeführer am 28. Mai 1993, somit an dem Tag, an dem versucht worden sei, das Straferkenntnis zuzustellen, in seiner "Dienstwohnung" im ersten Bezirk genächtigt habe, sei es an ihm gelegen, auf die allfällige Zustellung von Sendungen vor seiner "Übersiedlung" in die "Dienstwohnung" besonders zu achten bzw. entsprechende organisatorische Vorkehrungen zu treffen. Mit welchen organisatorischen Maßnahmen der Beschwerdeführer dem Ereignis, nämlich der Ansichnahme der Hinterlegungsanzeige durch seine Ehefrau zu begegnen versucht habe, habe er nicht dargetan. Er habe vielmehr dadurch, daß er nach seinem Vorbringen sowohl in der Nacht vom 27. zum 28. Mai 1993 als auch in der folgenden Nacht wegen des starken Arbeitsanfalles in einem näher bezeichneten Restaurantbetrieb in seiner "Dienstwohnung" genächtigt habe, zu erkennen gegeben, daß er sich in auffallend sorgloser Weise um Zustellvorgänge an seiner Wohnadresse im
19. Bezirk an diesen Tagen nicht ausreichend gekümmert, sondern seine Zeit und Aufmerksamkeit dem von ihm zu bewältigenden Arbeitsanfall im Restaurantbetrieb gewidmet habe. Der Beschwerdeführer habe nicht einmal behauptet, sich bei seiner Ehefrau hinsichtlich allfälliger Zustellversuche an der Wohnadresse erkundigt zu haben. Die Wiedereinsetzung sei daher abzuweisen. Mit dem Beginn der Abholfrist (1. Juni 1993) habe die Berufungsfrist begonnen. Sie habe am 15. Juni 1993 geendet. Die am 3. September 1993 zur Post gegebene Berufung sei daher verspätet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG - die Bestimmungen des AVG betreffend die Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gelten gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren - ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Die belangte Behörde hat in der Begründung ihres Bescheides - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - den Begriff des "minderen Grades des Versehens" mit der leichten Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB gleichgesetzt und zutreffend ausgeführt, daß - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließende - auffallende Sorglosigkeit dann anzunehmen ist, wenn der Wiedereinsetzungswerber die im Verkehr mit Gerichten oder Verwaltungsbehörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht läßt. Der belangten Behörde kann allerdings nicht gefolgt werden, wenn sie im vorliegenden Fall auffallende Sorglosigkeit des Beschwerdeführers angenommen hat, und zwar selbst dann nicht, wenn man in ihrem Sinne davon ausgeht, daß der Beschwerdeführer von der Aufforderung zur Rechtfertigung und damit von der Anhängigkeit des gegen ihn geführten Verwaltungsstrafverfahrens Kenntnis gehabt hat. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer an zwei aufeinanderfolgenden Tagen seine Wohnung nicht aufgesucht hat, stellt überhaupt kein Verschulden dar. Im Unterbleiben von Erkundigungen bei seiner Ehefrau über allenfalls während seiner Abwesenheit erfolgte Zustellversuche liegt jedenfalls keine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des oben Gesagten. Organisatorische Maßnahmen, daß die Ehefrau die Hinterlegungsanzeige nicht an sich nehmen kann, braucht niemand zu treffen. Derartiges ist weder sinnvoll noch zumutbar. Dies ergibt sich auch aus § 17 Abs. 2 zweiter Satz Zustellgesetz, wonach die Hinterlegungsanzeige primär in den für die Abgabestelle (und nicht für einen bestimmten Empfänger) bestimmten Briefkasten einzulegen oder an der Abgabestelle zurückzulassen ist, was wiederum im Regelfall nur dann möglich ist, wenn ein Mitbewohner (z.B. die Ehefrau des Empfängers) an der Abgabestelle anwesend ist.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, hat sie ihren Bescheid, soweit mit ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verweigert wurde, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Da die Berufung verspätet eingebracht wurde und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bewilligt war, war die Zurückweisung der Berufung als verspätet nicht rechtswidrig (siehe dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des östereichischen Verwaltungsverfahrens4, unter E.Nr. 4 zu § 71 Abs. 4 AVG zitierte hg. Rechtsprechung). Im Fall der Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt der Zurückweisungsbescheid gemäß § 72 Abs. 1 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft.
Der Auffassung des Beschwerdeführers, infolge Ablaufes der Frist des § 51 Abs. 7 erster Satz VStG hätte das Verfahren nach dieser Gesetzesstelle eingestellt werden müssen, ist entgegenzuhalten, daß diese Gesetzesstelle zufolge § 51 Abs. 7 zweiter Satz leg. cit. nicht in Sachen anzuwenden ist, in denen nicht nur der Beschuldigte das Recht der Berufung hat. Da in Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes (dazu zählen auch Verfahren betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes) dem Arbeitsinspektorat das Recht der Berufung zusteht (§ 9 Abs. 1 ArbIG 1974 bzw. nunmehr § 11 Abs. 3 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 - ArbIG) kommt die Frist des § 51 Abs. 7 VStG in einem Berufungsverfahren wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes nicht zum Tragen. Dabei ist es - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - irrelevant, ob dem Arbeitsinspektorat im konkreten Verwaltungsstrafverfahren im Hinblick auf das dem Strafantrag vollinhaltlich entsprechende Straferkenntnis ein Berufungsrecht zukommt (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1994, Zl. 94/11/0261, mwN).
Soweit sich die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als verspätet richtet, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte deshalb, weil an Stempelgebührenersatz nur S 420,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 60,-- Beilagengebühr für eine Aufertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden konnten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995110392.X00Im RIS seit
20.11.2000