TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/19 95/04/0206

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Veröffentlicht am 19.03.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §38;
GewO 1994 §29;
GewO 1994 §349 Abs1;
GewO 1994 §349 Abs3;
GewO 1994 §366 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des R in K, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 29. August 1995, Zl. Senat-KO-94-044, betreffend Übertretung der GewO 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 29. August 1995 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, am 3. Mai 1995 an einem näher bezeichneten Standort in K das Handwerksgewerbe der Augenoptiker gemäß § 96 (§ 94 Z. 64) GewO 1994 ausgeübt zu haben, indem er in dieser Betriebsstätte Korrektionsbrillen zum Verkauf angeboten habe, obwohl gemäß § 96 GewO 1994 die Anpassung und Abgabe von Korrektionsbrillen einschließlich der Brillenglasbestimmung den Augenoptikern vorbehalten sei und er keine erforderliche Gewerbeberechtigung besessen habe. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs. 1 Z. 1 i. V.m. § 96 (§ 94 Z. 64) GewO 1994 begangen, weshalb nach der zuerst genannten Vorschrift über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde. Nach Darstellung des Verfahrensganges und des Inhaltes der Bezug habenden gesetzlichen Bestimmungen führte der unabhängige Verwaltungssenat zur Begründung aus, vom Beschwerdeführer werde nicht die Abgabe von "Fertigbrillen", die als Vergrößerungshilfen zu dienen bestimmt seien, bestritten, sondern es werde von ihm in Zweifel gezogen, daß ein solches Verhalten unter "Ausübung des Augenoptikergewerbes" zu subsumieren sei. Demgegenüber werde durch die Gewerberechtsnovelle 1992 (§ 96 GewO 1994) klar der Berechtigungsumfang der Augenoptiker - sohin welche Tätigkeiten ausschließlich den Augenoptikern vorbehalten seien - zum Ausdruck gebracht. Unter einer Brille sei jedenfalls eine auf der Nase aufliegende, "für die - bzw. das Auge - zu dienende Einrichtung zu verstehen, die verschiedene Zweckbestimmungen (Schutz der Augen, Ausgleich von Sehstörungen etc.) haben" könne. Unter einer Korrektionsbrille sei jedenfalls eine solche zu verstehen, die dem Ausgleich von Fehlsichtigkeiten zu dienen bestimmt sei. Bei den gegenständlichen Fertigbrillen, die vom Beschwerdeführer selbst als Vergrößerungshilfen zum kurzen Gebrauch bezeichnet würden, handle es sich eindeutig um Korrektionsbrillen im Sinne des § 96 GewO 1994, deren Abgabe ausschließlich Augenoptikern vorbehalten sei. Im Hinblick auf die als alternativ anzusehende Verwendung des Wortes "und" im ersten Satz des § 96 GewO 1994 erscheine es unbeachtlich, daß es sich bei den Brillen um "Fertigbrillen" handle, die offenbar einer speziellen individuellen Anpassung nicht zugänglich seien. § 96 leg. cit. sei gegenüber dem Normenbegriff "Ausübung des Handelsgewerbes" die speziellere Norm und es sei durch diese Bestimmung hinreichend klargestellt, daß der Verkauf von Korrektionsbrillen ausschließlich Augenoptikern vorbehalten sei. Daß der Beschwerdeführer im Besitz einer entsprechenden Gewerbeberechtigung gewesen sei, sei von ihm nicht behauptet worden und ergebe sich auch nicht aus dem Strafakt erster Instanz. Das Vorbringen in der Berufung vermöge auch keinen schuldausschließenden Rechtsirrtum darzutun. Derjenige, der ein Gewerbe auszuüben gedenke, habe sich vorher eingehend mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften vertraut zu machen. Es folgen sodann Ausführungen über die für die Strafbemessung maßgeblichen Erwägungen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht verletzt, bei der gegebenen Sach- und Rechtslage nicht der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung schuldig erkannt und hiefür bestraft zu werden. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer vor, es treffe zwar zu, daß er die in Rede stehenden Brillen in seinem Geschäft verkauft habe. Es werde jedoch übersehen, daß die Abgabe von Fertigbrillen nicht unter "Ausübung des Augenoptikergewerbes" zu subsumieren sei. Bei den Fertigbrillen handle es sich nämlich tatsächlich um Leselupen, die sich der Kunde selbst und ohne "Fürsprache" aussuche und kaufen könne. Der Begriff des Augenoptikers in § 96 GewO 1994 beinhalte die Tätigkeit der Anpassung und Abgabe von Korrektionsbrillen einschließlich der Brillenglasbestimmung. Schon im Erkenntnis vom 27. Mai 1960, Zl. 1374/58, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, der Verkauf von Korrektionsbrillen sei den zur Ausübung einer Gewerbeberechtigung für das Optikerhandwerk berechtigten Gewerbetreibenden vorbehalten. In dieser Entscheidung werde aber auch ausgesprochen, daß die zum Zwecke der Anfertigung einer Korrektionsbrille an den Kunden selbst vorzunehmenden Tätigkeiten einen wesentlichen Bestandteil des Optikerhandwerkes bildeten. Auch die Wirtschaftskammer Niederösterreich führe in ihrem Schreiben an die Erstbehörde aus, unter Korrektionsbrille sei nur jene Brille zu verstehen, welche individuell dem Kunden angepaßt werde. Die im Geschäft des Beschwerdeführers zum Verkauf aufliegenden Fertigbrillen seien daher nicht unter den Begriff Korrektionsbrillen zu subsumieren. Die Landesinnung Wien der Optiker habe in einem Verfahren vor dem Handelsgericht Wien beantragt, einem Fotohändler zu verbieten, eine Lesebrille zum Verkauf anzukündigen, wenn statt dessen tatsächlich eine Korrektionsbrille angeboten werde. Die Bezeichnung Lesebrille ohne nähere Ergänzung sei irreführend, weil die Brille nur für Brillenträger mit gleicher Sehschwäche auf beiden Augen und eine Pupillendistanz von 60 mm geeignet sei. Bei der Art des Verkaufes bestehe bei dem Benützer des Produktes keine Gewähr für die Vermeidung von Gesundheitsschäden. Nicht alle fehlsichtigen Personen hätten einen gleich großen Pupillenabstand, auch die Fehlsichtigkeit müsse nicht auf beiden Augen gleich groß sein. Eine Brille, welche die Alterssichtigkeit auszugleichen habe, müsse, was die Stärke der Gläser und den Pupillenabstand betreffe, genau an das fehlsichtige Auge angepaßt werden. Nicht angepaßte Brillen könnten zu verschiedenen organischen Beschwerden, sogar zu einer Schädigung des räumlichen Sehens führen. Der Oberste Gerichtshof habe in einer Entscheidung ausgesprochen, daß aus der Tatsache, daß ein Fotohändler Brillen für Weitsichtige zum sofortigen Mitnehmen in insgesamt zehn Abstufungen um einen Preis von nur S 299,-- anbiete, für den durchschnittlich verständlichen Leser zu erkennen sei, daß er keine individuell angepaßte, eine Fehlsichtigkeit in jeder Hinsicht korrigierende Brille erhalte. Es handle sich daher nicht um Korrektionsbrillen. Diese Entscheidung sei auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da der Beschwerdeführer ebensolche Fertigbrillen in angebotenen Dioptrieabstufungen in seinem Geschäft zu einem Preis zum Verkauf anbiete, der den Kunden erkennen lasse, daß es sich nicht um eine Korrektionsbrille handle. Tatsächlich bestehe für die im Handel solcherart frei verkäuflichen Lesehilfen (nicht Korrektionsbrillen) österreichweit kein Handelsverbot und solche Brillen würden auch vielfach angeboten. Ein solches Fertigprodukt bedürfe keinerlei Anpassungsvorgänge, wie sie § 96 GewO 1994 für das Gewerbe der Augenoptiker vorsehe. Die vom Beschwerdeführer angebotene Fertigbrille sei kein Ersatz für optische Brillen und diene als Vergrößerungshilfe zum kurzen Gebrauch, wie z.B. auch Fernglas, Mikroskop, Autorückspiegel, Vergrößerungsspiegel, Lupe etc. Niemand würde diese Tätigkeiten dem Augenoptikergewerbe für vorbehalten erkennen.

Gemäß § 366 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung, die nach dem Einleitungssatz dieser Gesetzesstelle mit einer Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen ist, wer ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben.

Bei dem Gewerbe der Augenoptiker handelt es sich gemäß § 94 Z. 64 leg. cit. um ein Handwerk, das gemäß § 96 zur Anpassung und Abgabe von Korrektionsbrillen einschließlich der Brillenglasbestimmung berechtigt.

Gemäß § 29 leg. cit. ist für den Umfang der Gewerbeberechtigung der Wortlaut des Gewerbescheines (§ 340) - sofern dieser noch nicht ausgestellt worden ist, der Gewerbeanmeldung (§ 339) - oder bei Gewerben, deren Ausübung an den Nachweis einer Bewilligung gebunden ist, des Bescheides, mit dem die Bewilligung erteilt worden ist, im Zusammenhalt mit den einschlägigen Rechtsvorschriften maßgebend. Im Zweifelsfalle sind die den einzelnen Gewerben eigentümlichen Arbeitsvorgänge, die verwendeten Roh- und Hilfsstoffe sowie Werkzeuge und Maschinen, die historische Entwicklung und die in den beteiligten gewerblichen Kreisen bestehenden Anschauungen und Vereinbarungen zur Beurteilung des Umfanges der Gewerbeberechtigung heranzuziehen.

Zufolge § 349 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 ist zur Entscheidung über den Umfang einer Gewerbeberechtigung (§ 29) im Verhältnis zu einer anderen Gewerbeberechtigung der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten berufen. Nach dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle ist der Antrag auf Entscheidung gemäß Abs. 1 von Amts wegen zu stellen, wenn die betreffende Frage eine Vorfrage in einem nicht beim Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten anhängigen Verwaltungsverfahren ist und nicht ohne Bedachtnahme auf die im § 29 zweiter Satz enthaltenen Gesichtspunkte beurteilt werden kann, es sei denn, daß die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrages gemäß Abs. 4 vorliegen. Nach dem Abs. 4 dieser Gesetzesstelle kann der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten den Antrag zurückweisen oder von der Einleitung eines Verfahrens gemäß Abs. 1 von Amts wegen absehen, wenn ein ernst zu nehmender Zweifel über die zur Entscheidung gestellte Frage nicht besteht oder wenn über die Frage in den letzten fünf Jahren vom Bundesminister für wirtschaftlichen Angelegenheiten oder vom Verwaltungsgerichtshof auf Grund einer Säumnisbeschwerde (Art. 132 B-VG) entschieden worden ist.

In einem Strafverfahren wegen Überschreitung des Umfanges einer Gewerbeberechtigung, bildet die Frage des Berechtigungsumfanges für die Beurteilung des Tatbestandes eine Vorfrage. Da im vorliegenden Fall überdies weder gesagt werden kann, daß die Frage des Berechtigungsumfanges der dem Beschwerdeführer zustehenden Gewerbeberechtigung ohne Bedachtnahme auf die im § 29 zweiter Satz leg. cit. enthaltenen Gesichtspunkte beurteilt werden könne, noch daß kein ernst zu nehmender Zweifel über die Lösung dieser Frage bestehe, sowie überdies kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß diese Frage in den letzten fünf Jahren vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten oder vom Verwaltungsgerichtshof entschieden worden sei, sind in der vorliegenden Angelegenheit die Tatbestandselemente des § 349 Abs. 3 GewO 1994 erfüllt. Es hätte daher die belangte Behörde die in Rede stehende Vorfrage nicht selbst lösen dürfen, sondern gemäß § 349 Abs. 3 GewO 1994 beim Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten einen Antrag auf Entscheidung gemäß § 349 Abs. 1 leg. cit. stellen müssen.

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erließ, ohne diese Vorgangsweise einzuhalten, erweist sich dieser als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995040206.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

17.07.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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