TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/29 Ro 2021/11/0003

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Veröffentlicht am 29.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum LSDB, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 11. November 2020, Zl. LVwG-1-442/2020-R5, betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz; mitbeteiligte Partei: D L in B (Deutschland), vertreten durch Dr. Meinrad Einsle, Dr. Rupert Manhart und Dr. Susanne Manhart, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Römerstraße 19), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 31. März 2020 sah die belangte Behörde gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG von der Fortsetzung des gegen die Mitbeteiligte zur Zl. BHBL-X-9-2017/28193 eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens betreffend Übertretungen des § 7i Abs. 5 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) ab und verfügte die Einstellung dieses Verfahrens. Begründend führte die Behörde aus, es sei gegenständlich Strafbarkeitsverjährung gemäß § 31 Abs. 2 VStG eingetreten.

2        Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der revisionswerbenden Partei gab das Verwaltungsgericht gemäß § 50 VwGVG statt und hob den Einstellungsbescheid vom 31. März 2020 auf. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

3        Das Verwaltungsgericht vertrat die Ansicht, fallbezogen gelange keine dreijährige, sondern die in § 7i Abs. 7 AVRAG normierte fünfjährige Frist für die Strafbarkeitsverjährung zur Anwendung, sodass entgegen der Auffassung der belangten Behörde im gegenständlichen Fall keine Strafbarkeitsverjährung eingetreten sei. Da die Behörde nur über das Erlöschen der Strafbarkeit durch Verjährung abgesprochen habe und keine Entscheidung in Form eines Schuldspruches oder Freispruches betreffend die in Rede stehenden Übertretungen getroffen habe, könne eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts „in der Sache selbst“ nur in einer Aufhebung des Bescheides bestehen, nicht aber in einer meritorischen Entscheidung über den Tatvorwurf, weil den Parteien andernfalls durch die sachliche Prüfung der Anzeige eine Instanz genommen werden würde.

4        Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht dahin, dass hg. Rechtsprechung zur Frage fehle, welche Entscheidungsbefugnis dem Verwaltungsgericht zukomme, wenn mit dem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid das Verwaltungsstrafverfahren wegen Strafbarkeitsverjährung eingestellt worden sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die auf die Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts verweist und weiters geltend macht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den Bescheid der belangten Behörde lediglich behoben, ohne gemäß § 50 VwGVG reformatorisch zu entscheiden.

6        Die belangte Behörde sowie die Mitbeteiligte erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        Die Revision erweist sich im Hinblick auf ihre Zulässigkeitsbegründung als zulässig und begründet.

8        Gemäß § 50 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

9        In Verwaltungsstrafsachen haben die Verwaltungsgerichte jedenfalls, also ohne dass die ausnahmsweise nach § 28 VwGVG bestehende Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheids zum Tragen kommen könnte, in der Sache selbst zu entscheiden (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist). Diese grundsätzliche Verpflichtung zu einer reformatorischen Entscheidung ist schon verfassungsgesetzlich vorgegeben (Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG) und wird einfachgesetzlich in § 50 VwGVG wiederholt bzw. konkretisiert. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt mithin in Verwaltungsstrafsachen gemäß § 50 VwGVG eine (bloße) Aufhebung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheids nicht in Betracht. Es macht dabei keinen Unterschied, ob das Verwaltungsgericht das angefochtene Straferkenntnis nur (ersatzlos) behebt oder zusätzlich ausspricht, dass die Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheids zurückverwiesen wird; in beiden Fällen wird die Verwaltungsstrafsache nicht abschließend erledigt (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2018/11/0214, mwN).

10       Dies gilt auch für Konstellationen, in denen das Verwaltungsgericht im Gegensatz zur Verwaltungsbehörde die Auffassung vertritt, dass in der betreffenden Verwaltungsstrafsache keine Strafbarkeitsverjährung eingetreten sei. In diesen Fällen kommt eine ersatzlose Behebung des Einstellungsbescheides durch das Verwaltungsgericht, das nach § 50 VwGVG zu entscheiden hat, jedenfalls nicht in Betracht. Vielmehr ist durch das Verwaltungsgericht eine reformatorische Entscheidung in der Verwaltungsstrafsache zu treffen (vgl. Winkler in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2017], Rn 3 zu § 50 VwGVG; zur insoweit vergleichbaren Kognitionsbefugnis der Berufungsbehörde nach der früheren Rechtslage siehe auch VwGH 28.2.1992, 91/10/0220; 9.6.1995, 95/02/0081 [VwSlg. 14.269/A]; 10.10.1995, 95/02/0225; 16.10.2001, 99/09/0150).

11       Das Verwaltungsgericht irrte auch darin, dass - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis - Gegenstand des Bescheides vom 31. März 2020 und damit „Sache“ der vom Verwaltungsgericht zu erledigenden Angelegenheit die Entscheidung darüber war, ob die Mitbeteiligte wegen der ihr angelasteten Verwaltungsübertretungen für schuldig zu befinden und zu bestrafen war oder nicht. Die vom Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung beschränkte sich folglich nicht auf die Beurteilung des Eintritts der Strafbarkeitsverjährung. Von einer dadurch gegebenen Verkürzung des Instanzenzuges kann keine Rede sein (siehe VwGH 9.6.1995, 95/02/0081 [VwSlg. 14.269/A]).

12       Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht weder die Beschwerde zurückgewiesen, noch in der Sache selbst - sei es durch Einstellung des Strafverfahrens oder im Sinn eines Schuldspruches - entschieden, sondern den Einstellungsbescheid der belangten Behörde bloß aufgehoben. Schon damit hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

13       Das angefochtene Erkenntnis kann daher - ungeachtet der Frage der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung betreffend die im Revisionsfall zugrunde zu legende Strafbarkeitsverjährungsfrist - keinen Bestand haben und war folglich schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

14       Die Abweisung des Antrags der revisionswerbenden Partei auf Aufwandersatz beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG (vgl. z.B. VwGH 15.6.2022, Ra 2021/11/0041).

Wien, am 29. September 2022

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021110003.J00

Im RIS seit

03.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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