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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der T GmbH in A, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in 9900 Lienz, Johannesplatz 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 21. Februar 2020, Zl. KLVwG-1045/24/2019, betreffend eine Bewilligung nach dem Wasserrechtsgesetz 1959 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Anhang V Punkt 1.2.2 (Begriffsbestimmungen für den sehr guten, guten und mäßigen ökologischen Zustand von Seen) der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik dahingehend auszulegen, dass unter „störenden Einflüssen“ in der Tabelle „Biologische Qualitätskomponenten“, Zeile „Fischfauna“, Spalte „Sehr guter Zustand“ ausschließlich anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zu verstehen sind?
Im Fall der Verneinung der ersten Frage:
2. Ist die genannte Bestimmung dahingehend auszulegen, dass eine Abweichung der biologischen Qualitätskomponente „Fischfauna“ vom sehr guten Zustand, die auf andere störende Einflüsse als anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen ist, dazu führt, dass die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ auch nicht in einen „guten Zustand“ oder einen „mäßigen Zustand“ einzustufen ist?
Begründung
A. Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang
1 Die nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof revisionswerbende Gesellschaft (Revisionswerberin) stellte am 7. November 2013 bei der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau einen Antrag auf Erteilung der naturschutz- und wasserrechtlichen Bewilligung für die Errichtung einer Bootshütte in der Größe von 7 m x 8,5 m im Weißensee.
2 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 25. Mai 2016 wurde der Antrag auf wasserrechtliche Bewilligung nach dem Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) abgewiesen. Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Kärnten.
3 Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 21. Februar 2020 wurde diese Beschwerde im zweiten Rechtsgang als unbegründet abgewiesen und damit die Abweisung des Antrags vom 7. November 2013 bestätigt.
4 Dieser Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht zu Grunde gelegt, dass der Gesamtzustand des vom Vorhaben betroffenen Oberflächenwasserkörpers „Weißensee“ als „unbefriedigend“ einzustufen sei. Zwar befänden sich sämtliche hydromorphologischen und physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten sowie die biologischen Qualitätskomponenten Phytoplankton und Makrophyten in einem sehr guten Zustand. Allerdings sei die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ in einem unbefriedigenden Zustand. Für die Gesamtbeurteilung sei das Kriterium mit der schlechtesten Ausprägung ausschlaggebend.
5 Der unbefriedigende Zustand der Fischfauna mit einer Ecological Quality Ratio (EQR) von 0,31 resultiere nach der aktuellen Fischbestandserhebung im Wesentlichen daraus, dass von den acht ursprünglichen Fischarten nur mehr sechs vorhanden, jedoch neun Fremdfischarten hinzugekommen seien. Dieser unbefriedigende Zustand sei in erster Linie durch eine „falsche Fischbewirtschaftung“ verursacht.
6 Nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/60/EG) und deren innerstaatlichen Umsetzung im WRG 1959 sei der zu erreichende Zielzustand ein „guter“ Zustand des Oberflächengewässers. Es müssten daher Maßnahmen gesetzt werden, um diesen Zielzustand zu erreichen, und alles untersagt werden, das die Erreichung eines guten Zustandes des Weißensees gefährde (wasserrechtliches Verbesserungsgebot). Auf Grund des Verbesserungsgebotes seien jegliche Maßnahmen zu untersagen, die einer Verbesserung entgegenstünden oder nicht darauf gerichtet seien, eine Verbesserung mitzutragen. Zwar führe die geplante Errichtung der Bootshütte für sich allein betrachtet zu keiner Veränderung des Zustandes des Wasserkörpers Weißensee als Ganzes. Es gebe jedoch in jenem kleinen Bereich, wo die Bootshütte errichtet werden solle, einen Einfluss auf die Ökologie, weil ein solcher Seeeinbau in Ufernähe natürliche Laichplätze für Fische verdränge. Auch solche kleinsträumigen Einwirkungen stünden einer Verbesserung entgegen, weil sie nicht völlig unbeachtlich seien und jedenfalls nicht auf eine Verbesserung hinwirkten. Darüber hinaus bestehe die Gefahr der Verschlechterung des gesamten Wasserkörpers, wenn man potenzielle künftige weitere Verbauungen in die Beurteilung miteinbeziehe.
7 Gegen diese Entscheidung richtet sich eine Revision der Revisionswerberin, in der unter verschiedenen Gesichtspunkten bestritten wird, dass das wasserrechtliche Verbesserungsgebot der angestrebten Bewilligung entgegensteht. Über diese Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nunmehr zu entscheiden.
B. Rechtslage
B.1. Unionsrecht
8 Die Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik in der Fassung der Richtlinie 2014/101/EU der Kommission vom 30. Oktober 2014 (im Folgenden: Wasserrahmenrichtlinie) lautet auszugsweise:
„[Erwägungsgründe:]
...
(16) Der Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung von Gewässern müssen stärker in andere politische Maßnahmen der Gemeinschaft integriert werden, so z. B. in die Energiepolitik, die Verkehrspolitik, die Landwirtschaftspolitik, die Fischereipolitik, die Regionalpolitik und die Fremdenverkehrspolitik. Diese Richtlinie soll die Grundlage für einen kontinuierlichen Dialog und für die Entwicklung von Strategien für eine stärkere politische Integration legen. Sie kann somit auch einen bedeutenden Beitrag in anderen Bereichen der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, unter anderem im Zusammenhang mit dem Europäischen Raumentwicklungskonzept (ESDP), leisten.
(17) Eine wirksame und kohärente Wasserpolitik muss der Empfindlichkeit von aquatischen Ökosystemen Rechnung tragen, die sich in der Nähe von Küsten oder Ästuarien oder in großen Meeresbuchten oder relativ abgeschlossenen Meeren befinden, da deren Gleichgewicht durch die Qualität der in sie fließenden Binnengewässer stark beeinflusst wird. Der Schutz des Wasserzustands innerhalb von Einzugsgebieten wird zu wirtschaftlichen Vorteilen führen, da er zum Schutz von Fischbeständen, insbesondere von küstennahen Fischbeständen, beiträgt.
...
Artikel 2 Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
...
17. ‚Zustand des Oberflächengewässers‘: die allgemeine Bezeichnung für den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers auf der Grundlage des jeweils schlechteren Wertes für den ökologischen und den chemischen Zustand;
18. ‚guter Zustand des Oberflächengewässers‘: der Zustand eines Oberflächenwasserkörpers, der sich in einem zumindest ‚guten‘ ökologischen und chemischen Zustand befindet;
...
21. ‚ökologischer Zustand‘: die Qualität von Struktur und Funktionsfähigkeit aquatischer, in Verbindung mit Oberflächengewässern stehender Ökosysteme gemäß der Einstufung nach Anhang V;
22. ‚guter ökologischer Zustand‘: der Zustand eines entsprechenden Oberflächenwasserkörpers gemäß der Einstufung nach Anhang V;
...
Artikel 4 Umweltziele
(1) In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt folgendes:
a) bei Oberflächengewässern:
i) die Mitgliedstaaten führen, vorbehaltlich der Anwendung der Absätze 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8, die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern;
ii) die Mitgliedstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Oberflächenwasserkörper, vorbehaltlich der Anwendung der Ziffer iii betreffend künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper, mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gemäß den Bestimmungen des Anhangs V, vorbehaltlich etwaiger Verlängerungen gemäß Absatz 4 sowie der Anwendung der Absätze 5, 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8 einen guten Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen;
...
unbeschadet der in Artikel 1 genannten einschlägigen internationalen Übereinkommen im Hinblick auf die betroffenen Vertragsparteien;
...
ANHANG V
...
1.2 Normative Begriffsbestimmungen zur Einstufung des ökologischen Zustands
...
1.2.2 Begriffsbestimmungen für den sehr guten, guten und mäßigen ökologischen Zustand von Seen
Biologische Qualitätskomponenten
...
[Spalte] Komponente
Fischfauna
[Spalte] Sehr guter Zustand
Zusammensetzung und Abundanz der Arten entsprechen vollständig oder nahezu vollständig den Bedingungen bei Abwesenheit störender Einflüsse.
Alle typspezifischen störungsempfindlichen Arten sind vorhanden.
Die Altersstrukturen der Fischgemeinschaften zeigen kaum Anzeichen anthropogener Störungen und deuten nicht auf Störungen bei der Fortpflanzung oder Entwicklung irgendeiner besonderen Art hin.
[Spalte] Guter Zustand
Aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten weichen die Arten in Zusammensetzung und Abundanz geringfügig von den typspezifischen Gemeinschaften ab.
Die Altersstrukturen der Fischgemeinschaften zeigen Anzeichen für Störungen aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten und deuten in wenigen Fällen auf Störungen bei der Fortpflanzung oder Entwicklung einer bestimmten Art hin, so dass einige Altersstufen fehlen können.
[Spalte] Mäßiger Zustand
Aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten weichen die Fischarten in Zusammensetzung und Abundanz mäßig von den typspezifischen Gemeinschaften ab.
Aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen oder hydromorphologischen Qualitätskomponenten zeigt die Altersstruktur der Fischgemeinschaften größere Anzeichen von Störungen, so dass ein mäßiger Teil der typspezifischen Arten fehlt oder sehr selten ist.
...“
B.2. Nationales Recht
9 Das Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959), Bundesgesetzblatt Nr. 215/1959 in der Fassung Bundesgesetzblatt I Nr. 73/2018, lautet auszugsweise:
„Umweltziele für Oberflächengewässer
§ 30a. (1) Oberflächengewässer einschließlich erheblich veränderter und künstlicher Gewässer (§ 30b) sind derart zu schützen, zu verbessern und zu sanieren, dass - unbeschadet § 104a - eine Verschlechterung des jeweiligen Zustandes verhindert und - unbeschadet der §§ 30e und 30f - bis spätestens 22. Dezember 2015 der Zielzustand erreicht wird. Der Zielzustand in einem Oberflächengewässer ist dann erreicht, wenn sich der Oberflächenwasserkörper zumindest in einem guten ökologischen und einem guten chemischen Zustand befindet. Der Zielzustand in einem erheblich veränderten oder künstlichen Gewässer ist dann erreicht, wenn sich der Oberflächenwasserkörper zumindest in einem guten ökologischen Potential und einem guten chemischen Zustand befindet.
(2) Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hat mit Verordnung die gemäß Abs. 1 zu erreichenden Zielzustände sowie die im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot maßgeblichen Zustände für Oberflächengewässer (Abs. 3) mittels charakteristischer Eigenschaften sowie Grenz- oder Richtwerten näher zu bezeichnen.
Er hat dabei insbesondere
1. den guten ökologischen Zustand, das gute ökologische Potential sowie die jeweiligen Referenzzustände auf der Grundlage des Anhangs C sowie der Ergebnisse des Interkalibrationsverfahrens festzulegen;
...
(3) ...
3. Der Zustand des Oberflächengewässers ist die allgemeine Bezeichnung für den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers auf der Grundlage des jeweils schlechteren Wertes für den ökologischen und den chemischen Zustand.
4. Der ökologische Zustand ist die Qualität von Struktur und Funktionsfähigkeit aquatischer, in Verbindung mit Oberflächengewässern stehender Ökosysteme (Gewässer, samt der für den ökologischen Zustand maßgeblichen Uferbereiche) gemäß einer auf Anhang C basierenden Verordnung (Abs. 2 Z 1).
...
Vorhaben mit Auswirkungen auf den Gewässerzustand
§ 104a. (1) Vorhaben, bei denen
1. durch Änderungen der hydromorphologischen Eigenschaften eines Oberflächenwasserkörpers oder durch Änderungen des Wasserspiegels von Grundwasserkörpern
a) mit dem Nichterreichen eines guten Grundwasserzustandes, eines guten ökologischen Zustandes oder gegebenenfalls eines guten ökologischen Potentials oder
b) mit einer Verschlechterung des Zustandes eines Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers zu rechnen ist,
...
sind jedenfalls Vorhaben, bei denen Auswirkungen auf öffentliche Rücksichten zu erwarten sind (§§ 104 Abs. 1, 106).
...
Öffentliche Interessen.
§ 105. (1) Im öffentlichen Interesse kann ein Antrag auf Bewilligung eines Vorhabens insbesondere dann als unzulässig angesehen werden oder nur unter entsprechenden Auflagen und Nebenbestimmungen bewilligt werden, wenn:
...
m) eine wesentliche Beeinträchtigung des ökologischen Zustandes der Gewässer zu besorgen ist;
n) sich eine wesentliche Beeinträchtigung der sich aus anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften resultierenden Zielsetzungen ergibt.
...“
10 Anhang C des WRG 1959 enthält die normativen Begriffsbestimmungen zur Einstufung des ökologischen Zustands von Flüssen, Seen sowie erheblich veränderten oder künstlichen Wasserkörpern und entspricht dabei im Wesentlichen wörtlich den Abschnitten 1.2, 1.2.1, 1.2.2 und 1.2.5 in Anhang V der Wasserrahmenrichtlinie.
11 Die Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Festlegung des ökologischen Zustandes für Oberflächengewässer (Qualitätszielverordnung Ökologie Oberflächengewässer - QZV Ökologie OG), Bundesgesetzblatt II Nr. 99/2010 in der Fassung Bundesgesetzblatt II Nr. 128/2019, lautet auszugsweise:
„Begriffsbestimmungen
§ 3 ...
4. EQR-Wert: Das Verhältnis zwischen dem Referenzwert und dem tatsächlich beobachteten Wert. Der Quotient wird als numerischer Wert zwischen 0 und 1 ausgedrückt, wobei ein sehr guter ökologischer Zustand mit Werten nahe dem Wert 1 und ein schlechter ökologischer Zustand mit Werten nahe dem Wert 0 ausgedrückt wird. EQR ist die Abkürzung für Ecological Quality Ratio (Ökologischer Qualitätsquotient);
...
3. Hauptstück
Qualitätsziele für Seen
1. Abschnitt
Qualitätsziele für die biologischen Qualitätskomponenten
...
Fischfauna
§ 17. (1) Zur Beurteilung der biologischen Qualitätskomponente Fischfauna ist der Austrian Lake Fish Index (ALFI) heranzuziehen. Der Fischindex ALFI besteht aus den Modulen Arteninventar, Gilden, Längenfrequenz und Fischbiomasse und besteht aus folgenden acht Maßzahlen:
1. Abundanzindex typspezifische Fischarten;
2. Anteil Abundanzindex Fremdfischarten;
3. Abundanzindex Kleinfischarten;
4. Abundanzindex stenöke Arten;
5. Abundanzindex Laichwanderer;
6. Abundanzindex Laichgilden;
7. Längenfrequenz Leitfischart;
8. Fischbiomasse.
(2) Die einzelnen Maßzahlen sind in der Anlage K 1 festgelegt und können einen Wert zwischen 0 und 1 annehmen, wobei 1 den Referenzzustand definiert und jeder kleinere Wert die entsprechende Abweichung vom Referenzzustand ausdrückt. Der Gesamt EQR errechnet sich als arithmetisches Mittel der einzelnen Maßzahlen.
(3) Der Zustand der Qualitätskomponente Fischfauna ist in Anlage K 2 festgelegt.
...
Anlage K
...
K 2 Fischfauna - Referenzwert und Werte für Klassengrenzen für die Gesamtbewertung
Ökologische Zustandsklasse
EQR
Referenzwert
1
sehr gut
>0,8
gut
0,60-0,79
mäßig
0,40-0,59
unbefriedigend
0,20-0,39
schlecht
<0,20
...“
C. Vorlageberechtigung und Problemstellung
12 Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können.
13 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung der von ihm zu beurteilenden Revisionssache die in diesem Ersuchen um Vorabentscheidung angeführten und im Folgenden erörterten Fragen der Auslegung des Unionsrechts stellen.
14 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Wasserrahmenrichtlinie sind die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme verpflichtet, die Genehmigung für ein konkretes Vorhaben zu versagen, wenn es eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann oder wenn es die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potenzials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der Richtlinie maßgeblichen Zeitpunkt gefährdet (EuGH 1.7.2015, C-461/13, ECLI:EU:C:2015:433, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.). Weiters ist es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, bei der Beurteilung, ob ein konkretes Programm oder Vorhaben mit dem Ziel der Verhinderung einer Verschlechterung der Wasserqualität vereinbar ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für die Gewässer nicht zu berücksichtigen, es sei denn, dass sich diese Auswirkungen ihrem Wesen nach offensichtlich nur geringfügig auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper auswirken und im Sinne dieser Bestimmung nicht zu einer „Verschlechterung“ ihres Zustands führen können (EuGH 5.5.2022, C-525/20, ECLI:EU:C:2022:350, Association France Nature Environnement).
15 Der Verwaltungsgerichtshof geht auf Basis dieser Rechtsprechung davon aus, dass die Wasserrahmenrichtlinie es nicht gebietet, solchen Vorhaben die Genehmigung zu versagen, die zur gebotenen Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers nichts beitragen, diese Zielerreichung aber auch nicht gefährden (neutrale Vorhaben). Steht ein Vorhaben jedoch der gebotenen Erreichung eines guten Zustands entgegen, weil sich seine Auswirkungen ihrem Wesen nach nicht offensichtlich nur geringfügig auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper auswirken, so kann keine Genehmigung erteilt werden.
16 Davon ausgehend erachtet der Verwaltungsgerichtshof die vom Landesverwaltungsgericht Kärnten festgestellte Sachverhaltsgrundlage vorläufig als nicht ausreichend und beabsichtigt daher, diesem konkrete Feststellungen dazu aufzutragen, welche Maßnahmen zur Erreichung eines guten Zustandes des Weißensees vorgesehen oder geboten sind. Auf Grundlage dieser Feststellungen wäre dann in einem weiteren Schritt zu beurteilen, ob das zur Genehmigung eingereichte Vorhaben der Errichtung eines Bootshauses diese Maßnahmen nicht nur geringfügig beeinträchtigte und damit der Zielerreichung entgegenstünde.
17 Dies setzt jedoch voraus, dass der derzeitige ökologische Gesamtzustand des Weißensees tatsächlich schlechter als „gut“ einzustufen ist. Beim Verwaltungsgerichtshof sind bei der Auslegung des Unionsrechts Zweifel darüber entstanden, ob das bei der dargestellten Sachlage, wonach die Beeinträchtigung der Fischfauna allein auf fischereiwirtschaftliche Maßnahmen und nicht auf anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen ist, der Fall ist. Die Einstufung - und damit die Notwendigkeit der Prüfung von Maßnahmen zur Verbesserung des Zustandes - hängt daher von der Beantwortung der ersten Frage ab.
18 Im Falle der Verneinung der ersten Frage wäre die Einstufung des Zustandes des Weißensees als „unzureichend“ rechtlich zutreffend. Dann wäre für das weitere Verfahren von Bedeutung, ob zur gebotenen Erreichung des guten Gesamtzustandes die biologische Qualitätskomponente „Fischfauna“ einen guten oder einen sehr guten Zustand aufweisen muss. Dies hängt von der Beantwortung der zweiten Frage ab.
D. Erläuterung der Vorlagefragen
19 Die Wasserrahmenrichtlinie enthält in Anhang V komplexe und detaillierte Regelungen zur Einstufung des ökologischen Zustandes eines Oberflächenwasserkörpers. Für den Zustand der einzelnen biologischen, hydromorphologischen und physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten sind die Stufen „sehr gut“, „gut“, „mäßig“, „unbefriedigend“ und „schlecht“ vorgesehen (vgl. Anhang V Tabelle 1.2). Dabei enthalten die Abschnitte 1.2.1 bis 1.2.6 des Anhangs V für jede einzelne Qualitätskomponente und differenziert nach Typ des Oberflächengewässers ausführlich formulierte normative Begriffsbestimmungen für die Zustände „sehr gut“, „gut“ und „mäßig“.
20 Diese Begriffsbestimmungen sind im Allgemeinen als reine Zustandsbeschreibungen ohne Bezugnahme auf Ursachen formuliert. Ausschließlich bei der Beschreibung des guten und des mäßigen Zustandes der biologischen Qualitätskomponente Fischfauna wird jedoch ausdrücklich und durchgehend vorausgesetzt, dass eine Abweichung vom sehr guten Zustand „aufgrund anthropogener Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten“ vorliegt. Davon nicht erfasst wären somit andere Ursachen für eine Zustandsverschlechterung - etwa spezifische fischereiwirtschaftliche Maßnahmen wie der Besatz mit Fremdfischen oder überhaupt die Fischerei als solche.
21 Schon die in dieser Hinsicht strukturell abweichenden normativen Begriffsbestimmungen im Vergleich zu den anderen Qualitätskomponenten deuten darauf hin, dass für die Fischfauna insofern eine spezielle - auch auf Ursachen für die Abweichung vom Urzustand Bedacht nehmende - Regelung getroffen werden sollte. Dies wird durch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie bestärkt, weil Anhang V in der Fassung des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (KOM/98/0076 endg.), ABl. C 108 vom 7.4.1998, S. 94, auch für die Einstufung der Fischfauna in den Tabellen 1.1.2.1 bis 1.1.2.3 noch reine Zustandsbeschreibungen ohne eine Bezugnahme auf Ursachen enthielt. Die Hinzunahme der Ursachen in die normativen Begriffsbestimmungen für die Zustände der Fischfauna scheint damit eine bewusste Entscheidung im Gesetzgebungsverfahren gewesen zu sein.
22 Ein Grund für eine solche besondere Behandlung der Qualitätskomponente Fischfauna ist der Richtlinie nicht unmittelbar zu entnehmen. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Fischfauna zwar als geeigneter Indikator für den ökologischen Zustand eines Gewässers angesehen wurde, die Wasserrahmenrichtlinie jedoch nicht der Regelung fischereiwirtschaftlicher Maßnahmen (und anderer als hydromorphologischer oder physikalisch-chemischer Einflüsse auf den Fischbestand) dienen sollte. Dafür könnte etwa Erwägungsgrund 16 sprechen, wonach die Wasserrahmenrichtlinie eine Grundlage für den kontinuierlichen Dialog und die Entwicklung von Strategien für eine stärkere Integration des Gewässerschutzes z.B. in die Fischereipolitik legen soll - also selbst offenbar keine Maßnahme der Fischereipolitik darstellt oder in diese eingreift. Weiters führt Erwägungsgrund 17 - wenn auch im Zusammenhang mit Küsten und Ästuarien - aus, dass der Schutz des Wasserzustands zum Schutz von Fischbeständen beiträgt, spricht damit mittelbare Vorteile des Gewässerschutzes für die Fischerei an und deutet nicht darauf hin, dass von der Richtlinie auch unmittelbar auf den Fischbestand einwirkende Maßnahmen im Bereich der Fischerei selbst umfasst wären.
23 Für die normative Beschreibung des sehr guten Zustandes der biologischen Qualitätskomponente Fischfauna stellt die Richtlinie jedoch - wie bei allen anderen Qualitätskomponenten - jeweils auf „Bedingungen bei Abwesenheit störender Einflüsse“ (ohne weitere Einschränkungen) ab. Dies steht mit der Beschränkung auf bestimmte Ursachen in der Beschreibung des guten und des mäßigen Zustandes in einem gewissen Spannungsverhältnis.
24 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bestehen diesbezüglich drei mögliche Varianten der Auslegung, die durch die beiden vorgelegten Fragen geklärt werden sollen:
25 Variante 1: Für die Zustandseinstufung der Fischfauna in alle Stufen sind ausschließlich anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten von Bedeutung (Bejahung der ersten Frage).
26 Für diese Auslegungsvariante spricht, dass sie die dargestellte besondere Regelung für die Fischfauna berücksichtigt und mit dem Wortlaut der Richtlinie im Wesentlichen in Einklang steht. Sie fügt sich auch - mit der Besonderheit, dass auf die Ursachen für Zustandsabweichungen Bedacht zu nehmen ist - in das übrige System der Zustandsklassen ein. Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass es sich bei den hydromorphologischen und physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten ohnehin um eigenständige Bewertungskriterien handelte, sodass eine ausschließlich auf derartige Ursachen abstellende Beurteilung der Fischfauna überflüssig wäre: Der gute und der mäßige Zustand der hydromorphologischen Qualitätskomponenten ist nämlich jeweils als „Bedingungen, unter denen die oben für die biologischen Qualitätskomponenten beschriebenen Werte erreicht werden können“ festgelegt und daher im Verhältnis zur biologischen Qualitätskomponente Fischfauna gerade nicht eigenständig und unabhängig.
27 Gegen diese Auslegungsvariante spricht, dass dem Begriff „störende Einflüsse“ bei der Beschreibung des sehr guten Zustandes der biologischen Qualitätskomponente Fischfauna im Vergleich zu den übrigen Qualitätskomponenten ein anderes - nämlich auf anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten eingeschränktes - Verständnis beigemessen werden müsste. Bei dieser Auslegung könnte sich die Ermittlung des Zustandes der biologischen Qualitätskomponente Fischfauna vor allem in jenen Fällen komplexer darstellen, in denen die Verschlechterung im Vergleich zum sehr guten Zustand auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist. Weiters ist in diesem Fall kein umfassender Schutz der aquatischen Ökosysteme (vgl. zum diesbezüglichen Ziel der Wasserrahmenrichtlinie deren Artikel 1) zu erreichen, weil störende Einflüsse auf die Fischfauna, die nicht auf die genannten Ursachen zurückzuführen sind, bei der Handhabung der Richtlinie ausgeblendet werden.
28 Variante 2: Für die Zustandseinstufung der Fischfauna in die Stufen „gut“ und „mäßig“ sind ausschließlich anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten von Bedeutung (Verneinung der ersten und Bejahung der zweiten Frage).
29 Für diese Auslegungsvariante spricht, dass sie dem Wortlaut der Richtlinie voll Rechnung trägt: Befindet sich die Fischfauna auf Grund störender Einflüsse nicht in einem sehr guten Zustand, so kann sie auch nicht in einen guten oder mäßigen Zustand eingestuft werden, wenn diese Abweichung auf andere als anthropogene Einflüsse auf die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten zurückzuführen sind. Es ist daher - selbst bei nur geringfügigen Abweichungen - eine Einstufung bestenfalls als „unbefriedigend“ möglich. Der Schutz der aquatischen Ökosysteme ist damit umfassender als in der Auslegungsvariante 1.
30 Gegen diese Auslegungsvariante spricht, dass sie sich nicht in das übrige System der Zustandsklassen einfügt: Eine Abwertung des Zustandes auf bestenfalls „unbefriedigend“ bei nur geringen oder mäßigen Abweichungen vom Zustand ohne störende Einwirkungen lässt sich mit den allgemeinen Begriffsbestimmungen für die fünf Zustandsklassen in Abschnitt 1.2 des Anhangs V nicht vereinbaren. Darüber hinaus würde in diesem Fall die gebotene Erreichung eines guten Gesamtzustandes eines Oberflächengewässers erfordern, dass die biologische Qualitätskomponente Fischfauna auf einen sehr guten Zustand angehoben wird, weil ein guter oder mäßiger Zustand schon definitionsgemäß nicht in Betracht kommt. All dies führte im Ergebnis zu einer strengeren Regelung von Einwirkungen auf die Fischfauna, die etwa auf die Fischerei als solche oder bestimmte fischereiwirtschaftliche Maßnahmen zurückzuführen wären, im Vergleich zu anderen störenden Einflüssen.
31 Variante 3: Für die Zustandseinstufung der Fischfauna in alle Stufen sind sämtliche Ursachen der Abweichung vom sehr guten Zustand gleichermaßen von Bedeutung (Verneinung der ersten und der zweiten Frage).
32 Für diese Auslegungsvariante spricht schließlich, dass die biologische Qualitätskomponente Fischfauna genauso wie alle anderen Qualitätskomponenten behandelt wird, indem die Einstufung ohne Bedachtnahme auf Ursachen erfolgt. Auch dies führt zu einem umfassenden Schutz der aquatischen Ökosysteme, ermöglicht eine vergleichsweise einfache Einstufung und entspricht der vom Landesverwaltungsgericht Kärnten in der vorliegenden Rechtssache vertretenen Rechtsansicht.
33 Gegen diese Auslegungsvariante spricht jedoch, dass sie die oben dargelegten Besonderheiten der diesbezüglichen Richtlinienbestimmung, die auf eine beabsichtigte abweichende Regelung hindeuten, nicht beachtet.
E. Schlussbemerkungen
34 Da die vorgelegten Fragen vom Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht entschieden wurden und die richtige Anwendung des Unionsrechts auch nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt, werden diese Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV zur Entscheidung vorgelegt.
Wien, am 20. Oktober 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020070004.J00Im RIS seit
03.11.2022Zuletzt aktualisiert am
03.11.2022