TE OGH 2022/10/12 1Ob104/22h

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Veröffentlicht am 12.10.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Parzmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GMBH, *, vertreten durch die Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 64.839,06 EUR sA, in eventu wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. März 2022, GZ 14 R 155/21y-16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. August 2021, GZ 33 Cg 11/21m-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.895,55 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Finanzmarktaufsichtsbehörde („FMA“) untersagte der Commerzialbank Mattersburg im Burgenland Aktiengesellschaft („Bank“) am 14. 7. 2020 die weitere Vornahme von Bankgeschäften. In der Folge wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Untreue gegen Verantwortliche der Bank eingeleitet und das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet.

[2]       Die Klägerin begehrt von der beklagten Republik im Wege der Amtshaftung den Ersatz jenes Schadens, der ihr dadurch entstanden sei, dass sie aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Bank einen Forderungsausfall in Höhe ihres zu diesem Zeitpunkt bestehenden Bankguthabens abzüglich einer Zahlung aus der gesetzlichen Einlagensicherung erlitten habe. Hilfsweise erhebt sie ein Feststellungsbegehren.

[3]       Die Beklagte sei als Rechtsträgerin der FMA, der Österreichischen Nationalbank („OeNB“), des Amts der Burgenländischen Landesregierung als „Revisionsstelle“ sowie von Organen der Staatsanwaltschaft den ihr obliegenden Aufgaben im Zusammenhang mit der Kontrolle des Geschäftsbetriebs der Bank sowie der strafrechtlichen Verfolgung der für sie handelnden Personen pflichtwidrig nicht nachgekommen. Wären die gebotenen Aufsichts- und Verfolgungsmaßnahmen erfolgt, wären die „Malversationen“ früher bekannt geworden und die Klägerin hätte kein Geld bei der Bank eingelegt.

[4]       Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Eine Amtshaftung für Schäden Dritter (sohin auch der Klägerin) durch Organe der FMA in Vollziehung von Aufgaben der Bankenaufsicht sei gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG ausgeschlossen. Die OeNB werde im Rahmen der Bankprüfung nur als Hilfsorgan der FMA tätig und sei daher ebenfalls von diesem Haftungsausschluss umfasst. Die Burgenländische Landesregierung habe als genossenschaftlicher Revisionsverband nicht hoheitlich gehandelt. Behauptete Schäden aufgrund einer zunächst unterbliebenen Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Organe der Bank seien nicht vom Schutzzweck der diesbezüglichen Bestimmungen der StPO bzw des StAG erfasst.

[5]       Das Erstgericht wies die Klage als unschlüssig ab.

[6]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.

[7]       Der Bund hafte gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG für von Organen der FMA in Vollziehung der Gesetze über die Bankenaufsicht zugefügte Schäden nur insoweit, als diese Rechtsträgern unmittelbar zugefügt würden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen. Gläubiger des beaufsichtigten Kreditinstituts (wie hier die Klägerin) zählten nicht zu diesen. Die Haftungsbeschränkung sei auch anzuwenden, wenn sich die FMA bei der Bankenaufsicht der Mitwirkung der OeNB bediene. Diese werde dann als Hilfsorgan der FMA tätig, eine eigene behördliche Funktion komme ihr insoweit nicht zu. Selbst wenn die OeNB bei der Bankenaufsicht eigenständige Pflichten getroffen hätten, würde der Bund für ein dabei unterlaufenes Fehlverhalten nicht haften, weil die Anwendung des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG nicht vom konkret beteiligten Aufsichtsorgan abhängen könne. Aus einem Fehlverhalten der Organe der Bankenaufsicht vor Inkrafttreten des durch BGBl I 2008/136 neu eingefügten § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG könne die Klägerin keine Ersatzansprüche ableiten, weil ihr frühestens 2013 – mit Aufnahme ihrer Geschäftsbeziehung zur Bank – ein Schaden entstanden sei.

[8]       Eine Amtshaftung für das Amt der burgenländischen Landesregierung als genossenschaftlichem Revisionsverband komme nicht in Betracht, weil diese Funktion kein hoheitliches Handeln erfordere. Eine Haftung könnte im Übrigen nur gegenüber der geprüften Genossenschaft bzw ihrem Tochterunternehmen (der Bank) und nicht gegenüber deren Vertragspartnern bestehen.

[9]       Die Pflicht zur Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bei Vorliegen eines Anfangsverdachts diene nur der Geltendmachung des staatlichen Strafanspruchs, nicht hingegen dem Schutz des Vermögens potenzieller künftiger Opfer eines Straftäters. Ein Amtshaftungsanspruch könne daher nicht auf die Verletzung jener Bestimmungen gestützt werden, welche die Einleitung eines Strafverfahrens regeln. Dies gelte gleichermaßen für die Verpflichtung, den Rechtsschutzbeauftragten in bestimmten Fällen von der Einstellung eines Strafverfahrens zu verständigen.

[10]     Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Schutzzweck der Bankenaufsicht nach Inkrafttreten des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG, zur Zurechnung der Tätigkeit der OeNB zur FMA, zur Frage eines hoheitlichen Handelns eines genossenschaftlichen Revisionsverbands, zum Schutzzweck der Bestimmungen über die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie zur Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG bestehe.

Rechtliche Beurteilung

[11]     Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist insbesondere zur Klarstellung der Rechtslage zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Zur Haftung für die FMA:

[12]     1.1. § 3 Abs 1 FMABG idF vor der Novelle durch BGBl I 2008/136 sah vor, dass der Bund für von Organen und Bediensteten der FMA in Vollziehung der in § 2 dieses Gesetzes genannten Bundesgesetze zugefügte Schäden nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes haftet. Mit der genannten Novelle wurde in § 3 Abs 1 FMABG folgender zweiter Satz eingefügt: „Schäden im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen.“ Damit wurde der Kreis der amtshaftungsrechtlich geschützten Personen beschränkt bzw explizit festgelegt (1 Ob 117/14h). Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 682 BlgNR 23. GP 6) sollten Schäden, die sich bloß als Reflexwirkung des Aufsichtsverhaltens im Vermögen Dritter auswirken, von einer Ersatzpflicht ausgeschlossen werden.

[13]     1.2. Der Verfassungsgerichtshof verneinte in seinem Erkenntnis vom 16. 12. 2021, G 224/2021, eine Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG. Er ging im Wesentlichen davon aus, dass der Gesetzgeber mit der in § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG erfolgten (Legal-)Definition des ersatzfähigen Schadens der Sache nach eine Regelung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs bzw des Schutzzwecks der Bestimmungen über die (Banken-)Aufsicht durch die FMA vorgenommen habe. Demnach solle der Schadenersatz nur den unmittelbar geschädigten Rechtsträgern, die der Aufsicht der FMA unterliegen, zustehen. Ausgeschlossen seien demgegenüber Ersatzansprüche von Dritten (insbesondere von Einlegern und sonstigen Gläubigern), die durch einen Aufsichtsfehler bei der Vollziehung der in § 2 FMABG genannten Gesetze durch die FMA geschädigt würden.

[14]     1.3. Der erkennende Senat schloss sich diesen Ausführungen in seiner jüngst zu 1 Ob 91/22x ergangenen Entscheidung an. Er legte dort – mit eingehender Begründung, auf die hier verwiesen werden kann – dar, dass § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG Amtshaftungsansprüche geschädigter Gläubiger der Bank (wie der Klägerin) aufgrund eines behaupteten Fehlverhaltens der FMA bei der Aufsicht über diese Bank ausschließe. Unionsrechtliche Bedenken an dieser Bestimmung bestünden nicht.

[15]     1.4. Das Urteil des Berufungsgerichts steht mit den in dieser Entscheidung angestellten Erwägungen im Einklang. Die Revision lässt keinen Grund erkennen, davon abzugehen. Soweit die Rechtsmittelwerberin aus verschiedenen Bestimmungen des Bankaufsichtsrechts sowie den dazu vorliegenden Gesetzesmaterialien einen individuellen Schutz einzelner Bankgläubiger abzuleiten versucht, muss dies im Hinblick auf die ausdrückliche Haftungsbeschränkung des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG sowie die Auslegung dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof und den Obersten Gerichtshof scheitern.

2. Zur Haftung für die OeNB:

[16]     2.1. Die Klägerin leitet ihren Amtshaftungsanspruch auch aus einem behaupteten Fehlverhalten von Mitarbeitern der OeNB im Rahmen der Bankenaufsicht ab. Der Fachsenat ging jedoch bereits in seiner zu 1 Ob 91/22x ergangenen Entscheidung – wieder unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu G 224/2021 – davon aus, dass die OeNB von der FMA bloß als Hilfsorgan ohne behördliche Funktion beigezogen worden sei. Für diese hafte der Bund aber nur nach § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung könne auch nicht davon abhängen, welche Organe bei der Bankenaufsicht konkret tätig geworden seien. Eine Amtshaftung sei daher auch für eine (allfällige) fehlerhafte Aufsicht durch die OeNB ausgeschlossen.

2.2. Die Revision der Klägerin lässt keinen Grund erkennen, von dieser Rechtsansicht abzugehen:

[17]     Dem Argument, die Amtshaftung für die OeNB ergebe sich daraus, dass sie im Rahmen der Einzelbankenanalyse sowie ihrer Vor-Ort-Prüfungen ohne Prüfauftrag der FMA gehandelt habe bzw handeln hätte müssen, schloss sich der Fachsenat bereits zu 1 Ob 91/22x nicht an. Die Revisionswerberin wird mit ihren Ausführungen auf die Begründung dieser Entscheidung verwiesen.

[18]     Die in der Revision hervorgehobene Differenzierung der Bankenaufsicht nach „Makroaufsicht“ und „Mikroaufsicht“ findet keine Grundlage in § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG. Dort wird die Amtshaftung ganz allgemein auf „in Vollziehung der in § 2 FMABG genannten Bundesgesetze zugefügte Schäden“ unmittelbar geschädigter Rechtsträger, die der Aufsicht der FMA unterliegen, beschränkt. Somit wird eine Haftung gegenüber Dritten, die in Vollziehung der in § 2 FMABG genannten Gesetze durch die FMA geschädigt werden, generell und ohne weitere Differenzierung ausgeschlossen. Der Haftungsausschluss umfasst demnach sämtliche Schäden aus einer fehlerhaften Vollziehung des Bankaufsichtsrechts, unabhängig davon, ob es sich dabei um Aufgaben der „Mikro- oder Makroaufsicht“ handelte.

[19]     Dass die OeNB organisatorisch dem Bund zuzurechnen ist, vermag eine aus einer fehlerhaften Bankenaufsicht abgeleitete Amtshaftung schon deshalb nicht zu begründen, weil § 1 Abs 3 AHG nur eine Mithaftung des in organisatorischer Hinsicht zuständigen Rechtsträgers für eine materiell fremde Schuld – nämlich des funktionell zuständigen Rechtsträgers – vorsieht. Eine solche besteht hier aber gerade nicht (vgl wieder 1 Ob 91/22x mwN).

3. Inkrafttreten der Haftungsbeschränkung:

[20]     3.1. Die Klägerin stützt ihre Ersatzansprüche auch auf behauptete Sorgfaltsverstöße von Organen der Bankenaufsicht im Zeitraum vor Inkrafttreten des mit BGBl I 2008/136 neu eingefügten § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG. Sie leitet daraus ab, dass diese Bestimmung auf ihre Ansprüche nicht anzuwenden sei.

[21]     3.2. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass sich der Vorwurf der mangelhaften Bankprüfung durch Unterlassen der gebotenen Kontrolle des Geschäftsbetriebs der Bank auf ein andauerndes Fehlverhalten beziehe. Dieses betreffe nicht nur den Zeitraum vor Inkrafttreten des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG, sondern auch jenen danach. Beim behaupteten Fehlverhalten bis zu diesem Zeitpunkt habe es sich bloß um „ein Sachverhaltselement“ zur Verwirklichung des behaupteten Gesamttatbestands (für den geltend gemachten Amtshaftungsanspruch) gehandelt. Der Gesamttatbestand habe frühestens mit Eintritt eines Schadens im Jahr 2013 – mit Aufnahme der Geschäftsbeziehung der Beklagten zur Bank – verwirklicht werden können. Auf den behaupteten „Dauersachverhalt“ sei daher zur Gänze § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG idF BGBl I 2008/136 anzuwenden.

[22]     3.3. Der Fachsenat teilt im Ergebnis die Rechtsansicht des Berufungsgerichts.

3.3.1. Auszugehen ist von folgender Rechtslage:

[23]     Ordnet ein Gesetz keine Rückwirkung an, sind gemäß § 5 ABGB nur die nach seinem Inkrafttreten verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen. Vorher verwirklichte Sachverhalte sind – ebenso wie vorher entstandene Rechte – weiterhin dem alten Gesetz zu unterstellen (RS0008715). Die Wirkungen einer (materiellen) Gesetzesänderung umfassen, sofern der Gesetzgeber nicht etwas anderes verfügt oder der besondere Charakter einer zwingenden Norm deren rückwirkende Anordnung verlangt, keine Tatbestände, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes abschließend und endgültig verwirklicht wurden (RS0008715 [T5]). Der zeitliche Geltungsbereich iSd § 5 ABGB ist jedoch nur für einmalige oder jene mehrgliedrigen oder dauernden Sachverhalte abgrenzbar, die zur Gänze in die Geltungszeit der neuen oder alten Bestimmung fallen (RS0008715 [T1, T3, T4]; RS0008694 [T10]).

[24]     Enthält eine gesetzliche Anspruchsgrundlage mehrere Tatbestandselemente, ist der Gesamttatbestand erst dann verwirklicht, wenn sämtliche Komponenten des Tatbestands erfüllt sind. Die für die Beurteilung eines Anspruchs maßgebliche Rechtslage bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei einer Gesetzesänderung auch dann nach dem Zeitpunkt der vollständigen Verwirklichung des Gesamttatbestands, wenn ein einzelnes Tatbestandselement bereits vor Inkrafttreten des geänderten Gesetzes erfüllt wurde (vgl 4 Ob 136/98y; 10 ObS 119/01z; 10 ObS 10/02x; 10 Ob 57/06i; 10 ObS 6/10w).

[25]       3.3.2. § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG idF BGBl I 2008/136 enthält keine Rückwirkungsanordnung und ist daher nicht auf vor seinem Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte anzuwenden (RS0128197). Die zur Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Bestimmung ergangenen Entscheidungen (1 Ob 186/11a, 1 Ob 117/14h und 1 Ob 73/16s) betrafen aber jeweils nur Fälle, in denen sowohl das rechtswidrige Verhalten vor Inkrafttreten des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG am 27. 10. 2008 gesetzt wurde als auch der dadurch verursachte Schaden (die Veranlagung in nicht gewollte Finanzprodukte) vor diesem Zeitpunkt eintrat. Die hier zu beurteilende Frage der Anwendung dieser Bestimmung auf Fallkonstellationen, in denen zwar das (behauptete) schadensverursachende Verhalten vor Inkrafttreten dieser Bestimmung erfolgte, der Schaden aber erst danach eintrat, stellte sich in diesen Entscheidungen nicht.

3.3.3. Für diesen Fall führt die eingangs dargelegte Rechtslage zur Anwendbarkeit von § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG:

[26]     Das Bestehen eines Schadenersatzanspruchs setzt im Bereich der Verschuldenshaftung (und daher auch im Rahmen der Amtshaftung) ganz allgemein voraus, dass durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten ein (im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der übertretenen Norm stehender) Schaden verursacht wurde. Der Eintritt eines Schadens ist somit unabdingbare Voraussetzung für das Entstehen des Ersatzanspruchs (RS0097976; Koziol, Haftpflichtrecht I4 [2020] D 6 Rz 16). Dabei ist ein weiter Schadensbegriff zugrundezulegen. Dieser umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537).

[27]     Im vorliegenden Fall kann der für die Entstehung des von der Klägerin geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs maßgebliche Schaden nach ihrem Vorbringen frühestens ab Aufnahme ihrer Geschäftsbeziehung zur Bank im Jahr 2013 eingetreten sein. Erst dadurch hat sich (nach dem Klagevorbringen) der für den behaupteten Ersatzanspruch maßgebliche Gesamttatbestand verwirklicht. Für dessen Beurteilung ist daher – jedenfalls für die Frage der Ersatzfähigkeit des behaupteten Schadens – die zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtslage, sohin § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG in der Fassung BGBl I 2008/136, heranzuziehen.

[28]     Dies ergibt sich auch daraus, dass diese Bestimmung nur die Ersatzfähigkeit des aus einem Fehlverhalten bei der Bankenaufsicht resultierenden Schadens regelt. Ersatzfähig sind – wie dargelegt – nur Schäden, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach dem FMABG unterliegen. Ersatzansprüche Dritter (insbesondere von An- oder Einlegern) wurden damit ausgeschlossen. Aufgrund dieses eingeschränkten sachlichen Regelungsbereichs des § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG ist der „verwirklichte Sachverhalt“, auf den diese Bestimmung erst ab ihrem Inkrafttreten anzuwenden ist, (nur) der Eintritt eines im Rahmen der Bankenaufsicht zugefügten Schadens. Sie ist daher bereits dann anzuwenden, wenn ein Schaden aufgrund eines Verstoßes gegen bankaufsichtsrechtliche Bestimmungen nach ihrem Inkrafttreten eintrat. Die Beurteilung eines bestimmten schadensverursachenden Organverhaltens als rechtswidrig wird von § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG hingegen nicht geregelt, sodass es für den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Norm nicht darauf ankommt, wann dieses Verhalten gesetzt wurde.

[29]     3.3.4. Die in der Revision ins Treffen geführte Rechtsprechung, wonach für verschuldensabhängige deliktische Ersatzansprüche der Zeitpunkt der schädigenden Handlung den intertemporal maßgeblichen Anknüpfungspunkt bildet (RS0116364), ist auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Denn einerseits betrafen die zu diesem Rechtssatz indizierten Entscheidungen (2 Ob 71/02h; 7 Ob 183/02s; 2 Ob 214/02p; 7 Ob 180/02z; 17 Ob 34/08m; 4 Ob 174/11h; 4 Ob 72/15i) ausnahmslos Fälle, in denen auch der – festgestellte oder behauptete – Schaden schon vor der jeweiligen Rechtsänderung eingetreten war. Eine Aussage zur hier zu beurteilenden Problematik enthalten sie daher nicht. Andererseits war jeweils der zeitliche Anwendungsbereich von Normen zu beurteilen, die ein bestimmtes Verhalten als rechtswidrig qualifizierten. Insoweit unterscheiden sich diese Entscheidungen maßgeblich vom vorliegenden Fall, in dem die Gesetzesänderung (nur) die Beurteilung der Ersatzfähigkeit eines konkreten Schadens berührt, der durch ein (nach anderen Bestimmungen zu prüfendes) rechtswidriges Verhalten verursacht wurde.

[30]     3.3.5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass § 3 Abs 1 Satz 2 FMABG alle Sachverhalte erfasst, in denen der Schaden nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung eingetreten ist.

4. Zur Haftung für den „Revisionsverband“:

[31]            Die Klägerin stützt ihren Anspruch auch auf ein behauptetes Fehlverhalten des genossenschaftlichen Revisionsverbands des Amtes der Burgenländischen Landesregierung. Dieses sei dem Bund zuzurechnen, weil Angelegenheiten des Genossenschaftswesens in dessen Vollzugsbereich fielen. Zu 1 Ob 91/22x wurde aber bereits dargelegt, dass sich aus der Gesamtheit der Bestimmungen über die Genossenschaftsrevision keine hoheitlichen Befugnisse des Revisionsverbands bei der Erfüllung seiner Aufgaben ergeben. Daran ändere es nichts, dass diese im konkreten Fall von einer Landesregierung als Revisionsverband ausgeübt worden seien. Die Revisionswerberin ist mit ihren Ausführungen auf die Begründung dieser Entscheidung zu verweisen.

5. Zur Haftung für die Staatsanwaltschaft:

[32]     5.1. Die Klägerin stützt ihren Ersatzanspruch auch darauf, dass es Organe staatsanwaltschaftlicher Behörden trotz ihnen vorliegender Hinweise auf Straftaten verantwortlicher Personen der Bank pflichtwidrig unterlassen hätten, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten.

[33]     5.2. Der Fachsenat verneinte in seiner zu 1 Ob 91/22x ergangenen Entscheidung eine auf ein solches Fehlverhalten gestützte Amtshaftung der Beklagten. Dies wurde zusammengefasst – unter Hinweis auf die zu 1 Ob 73/16s ergangene Entscheidung – damit begründet, dass der Zweck der Bestimmungen über die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (§ 2 Abs 1 StPO und § 35c StAG) nicht auch darin bestehe, künftige Gläubiger jener Bank, hinsichtlich deren verantwortlicher Personen die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens pflichtwidrig unterblieben sei, davor zu schützen, allenfalls durch weitere Straftaten in Zukunft einen Vermögensschaden zu erleiden. Weder sei zum Zeitpunkt der behaupteten Pflichtverletzung vorhersehbar gewesen, dass gerade der künftige Gläubiger der Bank durch unentdeckt gebliebene Straftaten ihrer gesellschaftsrechtlichen Organe in Zukunft einen Schaden erleiden könnte, noch sei der Kreis allfälliger künftiger Geschädigter zu diesem Zeitpunkt überhaupt absehbar gewesen. Dass der behauptete Schaden durch die frühere Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unter Umständen verhindert werden hätte können, könne als bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens keinen Amtshaftungsanspruch begründen.

[34]     5.3. Die Revision enthält keine überzeugenden Argumente, von dieser Rechtsansicht abzugehen.

[35]     Soweit die Revisionswerberin den Organen der Staatsanwaltschaft vorwirft, pflichtwidrig von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 35c StAG abgesehen statt das Verfahren nach § 190 StPO eingestellt zu haben, ist schon nicht ersichtlich, welchen konkreten Schaden sie aus einem solchen „Formalfehler“ ableiten will.

[36]     Dass bei einer Verfahrenseinstellung nach § 190 StPO gemäß § 194 Abs 3 StPO allenfalls der Rechtsschutzbeauftragte zu verständigen gewesen wäre, vermag eine Amtshaftung nicht zu begründen. Auch diese Verständigungspflicht dient nicht dem Schutz künftiger Gläubiger der Bank, deren Organe bestimmter Straftaten bezichtigt wurden, davor, durch weitere Straftaten allenfalls einen Vermögensschaden zu erleiden. Die in § 194 Abs 3 StPO vorgesehene Verständigung des Rechtsschutzbeauftragten soll primär eine objektive Kontrolle der Ermittlungsmaßnahmen und die objektive Ausübung seiner weiteren Befugnisse ermöglichen (vgl idS Reindl-Krauskopf in Fuchs/Ratz, WK StPO § 47a Rz 6).

[37]     Soweit die Revisionswerberin argumentiert, dass sich die Verpflichtung zur Verständigung des Rechtsschutzbeauftragten daraus ergeben hätte, dass am Ermittlungsverfahren noch keine Opfer beteiligt gewesen wären, nimmt sie auf die Verständigungspflicht nach § 194 Abs 3 Z 2 StPO Bezug. Der auch dieser Bestimmung zugrundeliegende – hier relevante – Opferbegriff des § 65 Z 1 lit c StPO setzt aber einen bereits eingetretenen Schaden bzw eine solche Beeinträchtigung voraus (1 Ob 91/22x). Der Schluss, dass die Pflicht zur Verständigung des Rechtsschutzbeauftragten auch den Schutz potentieller Opfer bezwecke, denen – wie hier der Klägerin – allenfalls erst künftig ein Schaden aus einer strafbaren Handlung entstehen könnte, kann daraus nicht gezogen werden. Dass der von der Revisionswerberin behauptete Schaden bei einer Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens aufgrund eines Antrags des Rechtsschutzbeauftragten unter Umständen verhindert werden hätte können, vermag daher als bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens keine Amtshaftung zu begründen.

[38]     6. Die angefochtene Entscheidung ist somit aus den dargelegten Gründen zu bestätigen.

[39]     7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E136406

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00104.22H.1012.000

Im RIS seit

03.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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