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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des R in R, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Schulstraße 12, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 12. Oktober 2021, LVwG-2021/40/1416-3, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 20. April 2021 wurde über den Revisionswerber wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO durch Überschreiten der in einem Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 55 km/h gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 650,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 284 Stunden) verhängt.
2 Das Landesverwaltungsgericht Innsbruck (Verwaltungsgericht) wies die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab, verpflichtete den Revisionswerber zur Zahlung eines näher genannten Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und sprach aus, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 55 km/h überschritten, wobei die in Betracht kommende Messtoleranz bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden sei. Die Verwendungsbestimmungen für das Messgerät LTI 20/20 TruSpeed mit der Identifikationsnummer 2560 seien vom Messbeamten eingehalten worden, so sei ein Selbsttest der Laserpistole ebenso durchgeführt worden wie eine Kalibrierung und eine Null-Messung. Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht auf die polizeiliche Anzeige sowie die Einvernahme des Meldungslegers und eines weiteren Messbeamten. Wenngleich der Auszug aus dem Messprotokoll für den relevanten Zeitabschnitt nicht habe vorgelegt werden können, habe sich im Zuge der Einvernahme der beiden Messbeamten herausgestellt, dass die Verwendungsbestimmungen für das Messgerät eingehalten worden seien. Es bestünden keinerlei Zweifel, dass der Revisionswerber mit der in der Anzeige genannten Geschwindigkeit gemessen worden sei, zumal beide Zeugen übereinstimmend angegeben hätten, dass der Revisionswerber mehrere Male mit der Laserpistole gemessen worden sei, wobei sich die Geschwindigkeit kontinuierlich erhöht habe. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei der Eintragung im Messprotokoll, welches den Tatzeitraum nicht umfasse, um einen offensichtlichen Schreibfehler oder Irrtum handle. Dass der Messbeamte mit der Funktion und Bedienung des Lasermessgerätes vertraut sei, habe dieser in der mündlichen Verhandlung schlüssig dargelegt, weshalb kein Zweifel daran bestünde, dass alle Verwendungsbestimmungen eingehalten worden seien und keine Fehlmessung vorliege. Das Verwaltungsgericht sah den objektiven Tatbestand der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung ebenso wie die subjektive Tatseite als erfüllt an und begründete die Strafbemessung, die Kostenentscheidung sowie den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht wird, das Geschwindigkeitsmessgerät sei nicht entsprechend den Verwendungsbestimmungen einem stündlichen Selbsttest unterzogen worden, weshalb das Verwaltungsgericht bei richtiger rechtlicher Beurteilung davon ausgehen hätte müssen, dass das Geschwindigkeitsmessgerät als fehlerhaft gelte und der abgelesene Messwert nicht als Beweismittel herangezogen werden dürfe.
5 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung der Revision als unzulässig, in eventu ihre Abweisung als unbegründet sowie den Zuspruch von Aufwandersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.
7 Wie der Revisionswerber richtig vorbringt, sehen die Verwendungsbestimmungen für Verkehrsgeschwindigkeitsmessgeräte der Bauart TruSpeed, Punkt. 6.2.2.5, neben anderen beschriebenen Kontrollen unter anderem vor, dass die einwandfreie Funktion des Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerätes beim Einschalten durch einen Test der Anzeigeelemente des LC-Displays und einen automatisch ablaufenden Selbsttest überprüft wird und dieser Test durch Aus- und Einschalten des Gerätes mindestens stündlich zu wiederholen ist. Wenn diese Bedingungen nicht eingehalten werden, gilt das Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerät als fehlerhaft und darf nicht weiter verwendet werden. Die Durchführung der Kontrollen ist mit einem Protokoll zu belegen (vgl. die in Grubmann, Straßenverkehrsordnung (2021) § 20 Rz 29.5, abgedruckten Verwendungsbestimmungen für Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmessgeräte der Bauart TruSpeed gemäß ausnahmsweiser Zulassung durch das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Amtsblatt für das Eichwesen 2010/2 vom 8.7.2010, Zl. 2666/2009).
8 Die Anfertigung und Vorlage des Messprotokolls ist zwar keine Bedingung für die Richtigkeit einer Verkehrsgeschwindigkeitsmessung, weil dieses lediglich dem Zweck dient, die durchgeführten Kontrollen darzutun (siehe wörtlich in den Verwendungsbestimmungen „zu belegen“), also bloß ein Beweismittel neben anderen Beweismitteln bildet. Die Durchführung der Kontrollen ist jedoch eine notwendige Bedingung für die Wertung der danach folgenden Geschwindigkeitsmessungen als richtig (vgl. zu den in den wesentlichen Punkten gleichlautenden Verwendungsbestimmungen eines Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerätes VwGH 25.1.2002, 2001/02/0123).
9 Wenn die Revision die Einhaltung der Verwendungsbestimmungen bestreitet, wendet sie sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Der Verwaltungsgerichtshof ist grundsätzlich als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt lediglich dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 1.6.2022, Ra 2021/02/0058, mwN).
10 § 45 Abs. 2 AVG - welcher gemäß § 38 VwGVG sowie § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden ist - normiert den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wonach die Behörde bzw. iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat (vgl. VwGH 1.4.2022, Ra 2020/02/0057, mwN).
11 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, dass der in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 9.2.2021, Ra 2020/02/0203, mwN).
12 Diesen Grundsätzen hält die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis nicht stand. Das Verwaltungsgericht führt in seiner Beweiswürdigung aus, die Zeugen hätten überzeugend darlegen können, dass die hier maßgeblichen Verwendungsbestimmungen eingehalten worden seien. Auch wenn der Auszug aus dem Messprotokoll für den relevanten Zeitabschnitt nicht habe vorgelegt werden können, habe sich im Zuge der Einvernahme der beiden Messbeamten herausgestellt, dass die Verwendungsbestimmungen für das Messgerät eingehalten worden seien. Dass der Messbeamte mit der Funktion und Bedienung des hier gegenständlichen Messgerätes vertraut sei, habe dieser schlüssig darlegen können. Für das Verwaltungsgericht bestünden daher keine Zweifel daran, dass alle Verwendungsbestimmungen eingehalten worden seien und keine Fehlmessung vorliege.
13 Dem Messprotokoll, welches den Zeitraum 21:00 Uhr bis 22:30 umfasst, ist lediglich eine Funktionsüberprüfung zu Beginn der Messung um 21:00 Uhr zu entnehmen. Nach dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung habe der Messbeamte nicht angeben können, weshalb er keine weiteren Funktionsüberprüfungen im Messprotokoll vermerkt habe. Dass der Messbeamte den Selbsttest entsprechend den Verwendungsbestimmungen durch Ein- und Ausschalten des Gerätes mindestens nach einer Stunde wiederholt hätte, ist seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hingegen nicht zu entnehmen. Es liegen demnach keine unmittelbaren Beweisergebnisse in diese Richtung vor, weshalb sich die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, wonach kein Zweifel an der Einhaltung aller Verwendungsbestimmungen bestehe, als nicht schlüssig und damit in diesem Punkt als nicht vertretbar erweist.
14 Ob der Messbeamte den Selbsttest gemäß den Verwendungsbestimmungen mindestens stündlich wiederholt hat, ist für den vorliegenden Fall auch von Bedeutung, weil die Tatzeit in der Anzeige mit 22:57 Uhr angegeben wurde und der Selbsttest daher nach dem Beginn der Messung um 21:00 Uhr zumindest einmal zu wiederholen gewesen wäre, damit die Geschwindigkeitsmessung als richtig gewertet werden kann.
15 Da das Verwaltungsgericht somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung es zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. Oktober 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020233.L00Im RIS seit
02.11.2022Zuletzt aktualisiert am
02.11.2022