TE Vwgh Beschluss 2022/10/13 Ra 2022/20/0287

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Veröffentlicht am 13.10.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des S M in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Jänner 2022, W220 2010259-1/51E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und der Volksgruppe der Sadat zugehörig, stellte am 18. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, er sei in Afghanistan als Fahrer tätig gewesen. Im Zuge seiner Tätigkeit seien zwei Fahrgäste, Mitglieder einer einflussreichen Familie, von den Taliban entführt und getötet worden. Die Familie der Opfer habe den Revisionswerber aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Sadat zu Unrecht beschuldigt, die Fahrgäste an die Taliban ausgeliefert zu haben. Diese Familie habe veranlasst, dass die Polizei zu ihm nach Hause komme, um ihn abzuholen. Aus Angst um sein Leben habe er Afghanistan verlassen.

2        Mit Bescheid vom 7. Juli 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt III).

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11. August 2017 nach Durchführung einer Verhandlung, in der der Revisionswerber erstmals vorbrachte, zum Christentum konvertiert zu sein, mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 22. Februar 2018, Ra 2017/18/0426, dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgrund unterlassener Vernehmung eines Zeugen auf.

5        Im fortgesetzten Verfahren führte das Bundesverwaltungsgericht eine weitere Verhandlung durch und befragte den Revisionswerber sowie den Zeugen zum Vorbringen der Hinwendung des Revisionswerbers zum Christentum.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Jänner 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ab [Spruchpunkt A) I.], gab der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides statt [Spruchpunkt A) II], erkannte dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte ihm eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung [Spruchpunkt A) III.]. und behob Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos [Spruchpunkt A) IV.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei [Spruchpunkt B].

7        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner Tätigkeit als Taxifahrer, der Entführung seiner Fahrgäste und der daraus resultierenden Verfolgung durch die Familie der Opfer aufgrund der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zur Volksgruppe Sadat nicht glaubwürdig sei. Dem Revisionswerber drohe auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund seiner ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Sadat in Afghanistan. In Bezug auf die vorgebrachte Konversion des Revisionswerbers könne nicht von einer aus einer inneren Überzeugung getragenen tatsächlichen Hinwendung zum Christentum ausgegangen werden. Es bestehe keine aktuelle Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers.

8        Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 13. Juni 2022, E 636/2022-7, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision erhoben.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Die Revision wendet sich unter mehreren Aspekten gegen die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Beurteilung des Vorliegens einer inneren christlichen Überzeugung sowie einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund der Mitgliedschaft in einer christlichen Gemeinde.

13       Nach der Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 25.7.2022, Ra 2022/20/0166 bis 0167, mwN).

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der - zur Rechtskontrolle berufene - Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 24.6.2022, Ra 2022/20/0139, mwN).

15       Das Bundesverwaltungsgericht führte zwei Verhandlungen durch, in denen es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte, ihn näher zu den Verfolgungsgründen befragte und einen Pastor als Zeugen einvernahm. Das Bundesverwaltungsgericht ging auf das Vorbringen des Revisionswerbers ein und setzte sich in seiner Beweiswürdigung mit den für die Beurteilung einer Konversion maßgeblichen Aspekten auseinander. Das Verwaltungsgericht befasste sich dabei auch mit der Aussage des Pastors und gelangte auf Grundlage der Beweisergebnisse mit ausführlicher Begründung zusammengefasst zu dem Schluss, dass sich der Revisionswerber nicht ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewendet habe.

16       Mit den vom Revisionswerber angestellten beweiswürdigenden Überlegungen zeigt dieser keine Unvertretbarkeit der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Beweiswürdigung auf. Dass den etwaigen für eine Konversion sprechenden Indizien vom Bundesverwaltungsgericht nicht jene Bedeutung beigemessen wurde, die sich der Revisionswerber erhofft hatte, führt nicht dazu, dass davon gesprochen werden könnte, die Beweiswürdigung wäre mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet. Darauf, dass auch ein anderer Sachverhalt hätte schlüssig begründet werden können, kommt es nach dem oben dargestellten, im Revisionsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht an.

17       Wenn die Revision im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen zur Konversion und der dadurch bedingten Rückkehrgefährdung Länderfeststellungen und die fehlende Berücksichtigung der Richtlinien von EASO und den Empfehlungen des UNHCR rügt, entfernt sie sich von den tatsächlichen Feststellungen, denen zufolge der Revisionswerber nicht aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert, der christliche Glaube kein wesentlicher Bestandteil seiner Identität sei und er sich nicht vom Islam abgewendet habe. Somit ist den auf der eigenen Prämisse - nämlich der Richtigkeit seines Vorbringens zum Fluchtvorbringen - aufbauenden, aber nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehenden (vgl. § 41 VwGG) Behauptungen und in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängeln der Boden entzogen.

18       Soweit die Revision einen Begründungsmangel im Hinblick auf eine fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit vorgelegten Beweismitteln geltend macht, führt sie damit Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen. In diesem Fall muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 6.5.2022, Ra 2021/20/0438 bis 0441, mwN). Eine solche ist den Ausführungen in der Revision in diesem Punkt nicht zu entnehmen.

19       Gleiches gilt auch für das weitere Zulassungsvorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe keine ausreichend aktuellen Länderfeststellungen zur Situation der Sadat und Hazara unter der aktuellen Taliban-Herrschaft getroffen, zumal die Taliban vor dem Jahr 2001 Hazara und damit auch die Sadat verfolgt hätten und weil keineswegs mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass es aktuell nicht erneut zu Verfolgungshandlungen durch die Taliban komme. Der Revisionswerber stellt mit diesem Vorbringen - ohne sich im von ihm aufgeworfenen Zusammenhang auf einen konkreten Sachverhalt oder konkrete Berichte zur im Entscheidungszeitpunkt gegebenen Situation in Afghanistan zu beziehen - Mutmaßungen zu einer künftig im Herkunftsstaat zu erwartenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe in den Raum. Erläuterungen dazu, aus welchen Gründen das Bundesverwaltungsgericht den Eintritt solcher Ereignisse im Zeitpunkt seiner Entscheidung als maßgeblich wahrscheinlich hätte ansehen müssen, bleibt der Revisionswerber schuldig (vgl. dazu, dass die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen muss, jedoch die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt, um den Status des Asylberechtigten zuerkannt zu bekommen, etwa VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0445, mwN).

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 13. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200287.L00

Im RIS seit

02.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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