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E1ENorm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des H H, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 21. September 2020, LVwG-750924/2/MZ/AO, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, stellte im November 2019 - gestützt auf die am 11. November 2019 geschlossene Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin M H - einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2 Mit Bescheid vom 22. Juli 2020 wies die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen (belangte Behörde) den Antrag des Revisionswerbers - gestützt ua. auf § 11 Abs. 1 NAG - ab, weil die Schweiz gegen den Revisionswerber ein „Einreise- und Aufenthaltsverbot“ erlassen habe.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. September 2020 als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
4 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratete Revisionswerber sei in der Schweiz wegen rechtswidrigen Aufenthalts und wegen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt über einem Jahr verurteilt worden. Zudem sei gegen ihn ein Einreiseverbot in den Schengener Raum mit Gültigkeit von 20. Juni 2018 bis 19. Juni 2023 erlassen worden.
5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der Revisionswerber sei als Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG, weshalb § 47 Abs. 2 NAG Anwendung finde. Es liege jedoch ein als Rückführungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 NAG zu qualifizierendes Einreiseverbot der Schweiz vor, das einen absoluten Versagungsgrund darstelle. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund von Art. 8 EMRK komme daher nicht in Betracht. Zudem würde ein Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich auch den öffentlichen Interessen nach § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG widerstreiten, weil aufgrund der in der Schweiz über den Revisionswerber verhängten Freiheitsstrafe zu befürchten sei, dass er auch in Österreich die bei der Berufstätigkeit von Drittstaatsangehörigen einzuhaltenden Vorschriften nicht beachten würde.
Weiters prüfte das Verwaltungsgericht, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Hinblick auf Art. 20 AEUV geboten sei. In der Beschwerde sei zwar ein emotionales und finanzielles Abhängigkeitsverhältnis geltend gemacht worden. Ein Sachverhalt, der die österreichische Ehefrau des Revisionswerbers dazu zwingen würde, im Fall der Nichterteilung des Aufenthaltstitels das Unionsgebiet zu verlassen, sei darin aber nicht zu erblicken. Vielmehr scheine ihre Beschäftigung in Österreich notwendig, um den Revisionswerber finanziell unterstützen zu können. Aus dem bloßen Wunsch nach einer Familiengemeinschaft könne keine unionsrechtliche Notwendigkeit abgeleitet werden, nationales Recht unangewendet zu lassen.
Entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers sei auch kein Konsultationsverfahren nach Art. 25 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) durchzuführen gewesen, weil die darin normierte Verpflichtung nur dann greife, wenn eine Vertragspartei die Erteilung eines Aufenthaltstitels beabsichtige. Dies sei gegenständlich aber nicht der Fall, wobei die belangte Behörde dabei rechtmäßig gehandelt habe.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 22. September 2021, E 3836/2020, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber geltend, vorliegend sei in Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung und zu Art. 25 SDÜ kein Konsultationsverfahren eingeleitet und diese Vorgehensweise auch nicht nachvollziehbar begründet worden.
9 Diesem Vorbringen kommt schon deshalb keine Berechtigung zu, weil es nach § 11 Abs. 1 Z 2 NAG für die Annahme dieses Versagungsgrundes allein auf das - hier unbestrittene - Bestehen einer Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz (und nicht auf eine allfällige Ausschreibung im Schengener Informationssystem) ankommt (vgl. auch VwGH 29.4.2010, 2007/21/0314; 11.2.2016, Ra 2016/22/0012).
10 Weiters wird zur Zulässigkeit vorgebracht, das Verwaltungsgericht hätte sich in einer mündlichen Verhandlung von der mangelnden Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Revisionswerber überzeugen müssen. Da bereits eine Arbeitsplatzzusage vorliege, sei ein Verstoß gegen arbeitsrechtliche Vorschriften nicht zu befürchten.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass sich eine Revision als unzulässig erweist, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt wird (vgl. VwGH 31.3.2021, Ra 2020/22/0030, Rn. 7, mwN).
12 Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung des Antrages des Revisionswerbers im gegenständlichen Fall nicht bloß auf das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung nach § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG gestützt, sondern (primär) auf die bestehende Rückführungsentscheidung der Schweiz gegen den Revisionswerber und somit auf den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 2 NAG, hinsichtlich dessen eine Gefährdungsprognose nicht vorzunehmen ist. Im Hinblick darauf zeigt der Revisionswerber mit seinem Vorbringen betreffend den persönlichen Eindruck für eine Gefährdungsprognose keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
13 Gleiches gilt im Ergebnis, wenn das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Verletzung des Art. 8 EMRK gerügt wird. Da es sich bei dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Tatbestand des § 11 Abs. 1 Z 2 NAG (grundsätzlich) um einen absoluten Versagungsgrund handelt, bei dessen Vorliegen eine Interessenabwägung nicht vorgesehen ist, ist das diesbezügliche Vorbringen in der Revision - zumal auch in der Beschwerde keine Umstände aufgezeigt wurden, wonach im vorliegenden Fall eine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliege (siehe unten Rn. 17) - nicht zielführend (vgl. erneut VwGH Ra 2016/22/0012, mwN).
14 Schließlich führt der Revisionswerber zur Zulässigkeit ins Treffen, seine Ehefrau wäre im Fall der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels dazu gezwungen, ihr Leben in Österreich aufzugeben und in den Kosovo zu ziehen, um ein gemeinsames Leben mit dem Revisionswerber zu führen. Dies hätte die Ehefrau in einer mündlichen Verhandlung darlegen können. Das Verwaltungsgericht habe seine Annahme, wonach kein solcher Sachverhalt vorliege, in nicht nachvollziehbarer Weise allein darauf gestützt, dass die Beschäftigung der Ehefrau in Österreich für die Unterstützung des Revisionswerbers im Kosovo notwendig sei.
15 Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 15. November 2011, C-256/11, Dereci ua., ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würden sowohl die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, als auch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels gegenüber dem Angehörigen des Unionsbürgers dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. dazu auch VwGH 13.11.2012, 2011/22/0105).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar dem Grunde nach anerkannt, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks auch für die Frage des Vorliegens eines Abhängigkeitsverhältnisses im Zusammenhang mit Art. 20 AEUV besondere Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 17.6.2019, Ra 2018/22/0195, Rn. 9).
17 Im vorliegenden Fall ist die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach die Verweigerung eines Aufenthaltstitels gegenüber dem Revisionswerber keine Verletzung der unionsrechtlich verliehenen Rechte seiner Ehefrau nach sich ziehe, aber nicht als rechtswidrig zu erkennen. Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde lediglich vorgebracht, dass er seine Ehefrau liebe, mit ihr mehrmals täglich Kontakt habe, sie ihn regelmäßig finanziell unterstütze und daher eine über die übliche emotionale Bindung hinausgehende Abhängigkeit bestehe. Damit wurde aber nicht in hinreichend substantiierter Weise vorgebracht, dass - etwa in Form einer Betreuungs- oder Unterstützungsbedürftigkeit (vgl. zur Maßgeblichkeit derartiger Umstände VwGH 19.2.2014, 2013/22/0187) - ein Abhängigkeitsverhältnis im dargelegten Sinn bestünde. Ausgehend davon ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt als ausreichend geklärt erachtet und deshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern eine finanzielle Abhängigkeit des Revisionswerbers von seiner Ehefrau (bzw. die für ihn aus Österreich geleistete finanzielle Unterstützung) dazu führen könnte, dass die Ehefrau im Fall der Verweigerung eines Aufenthaltstitels gegenüber dem Revisionswerber gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen. Der bloße Wunsch nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich begründet - wie dargelegt - für sich genommen noch keine Ausnahmesituation im Sinn der Ausführungen des EuGH im Urteil C-256/11 (vgl. VwGH 19.2.2014, 2013/22/0049).
18 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 5. Juli 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 62011CJ0256 Dereci VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220263.L00Im RIS seit
31.10.2022Zuletzt aktualisiert am
31.10.2022