TE Vfgh Erkenntnis 1994/3/1 V76/93

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Veröffentlicht am 01.03.1994
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Bebauungsplan der Gemeinde Höchst vom 09.10.84
Vlbg BauG 1972 §5 Abs5
Vlbg RaumplanungsG §26

Leitsatz

Aufhebung der in einem Bebauungsplan festgelegten Ermächtigung der Baubehörde zur Zulassung von Abweichungen von der in der Verordnung festgesetzten Baunutzungszahl wegen Gesetzwidrigkeit; keine gesetzliche Grundlage für eine solche Regelung

Spruch

Der Satzteil "3, 4 und" in Z9 ("Allgemeine Ausnahmebestimmungen") im Text des Gesamtbebauungsplanes der Gemeinde Höchst vom 9. Oktober 1984, genehmigt mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 6. Mai 1986, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B145/93 ein Beschwerdeverfahren gemäß Art144 Abs1 B-VG anhängig, welchem folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

a) Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Höchst (gefertigt vom Vizebürgermeister) vom 22. Juli 1991 wurde den sogenannten Wohnanlagemiterrichtern, vertreten durch E S, die Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage erteilt.

Die dagegen von den nunmehrigen Beschwerdeführern als Nachbarn erhobene Berufung wurde von der Berufungskommission der Gemeinde Höchst mit Bescheid vom 8. Oktober 1991 mit der Begründung der fehlenden Parteifähigkeit von Wohnanlagemiterrichtern als Bauwerber zurückgewiesen.

Der dagegen von den Bauwerbern erhobenen Vorstellung wurde von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, die deren Parteistellung bejahte, mit Bescheid vom 9. Dezember 1991 Folge gegeben und der Berufungsbescheid aufgehoben.

Eine gegen diese Vorstellungsentscheidung von den Beschwerdeführern erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluß vom 12. März 1992, Zl. 92/06/0022, zurückgewiesen, da ihnen gegenüber die zweitinstanzliche Entscheidung in Rechtskraft erwachsen sei.

b) Im fortgesetzten Verfahren gab die Berufungskommission der Gemeinde Höchst mit Bescheid vom 24. September 1992 der Berufung der Beschwerdeführer keine Folge.

Die auf Grund der Verordnung LGBl. 70/1985 zur Entscheidung im Namen der Landesregierung ermächtigte Bezirkshauptmannschaft Bregenz gab der gegen den genannten Berufungsbescheid erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 21. Dezember 1992 keine Folge.

2. Die Beschwerdeführer erachten sich durch diesen Vorstellungsbescheid in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie durch die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich des Gesamtbebauungsplanes der Gemeinde Höchst vom 9. Oktober 1984, in ihren Rechten verletzt und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1992, V196-198/91, behaupten die Beschwerdeführer die Gesetzwidrigkeit des genannten Bebauungsplanes, da dieser die Baubehörde ermächtige, die im Bebauungsplan vorgesehenen Baunutzungszahlen im Einzelfall zu erhöhen. Von dieser Ermächtigung habe die Baubehörde im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht und die laut Bebauungsplan zulässige Baunutzungszahl von 50 auf 70 erhöht. Die Beschwerdeführer stellen daher den - als Anregung zu qualifizierenden - Antrag, daß "hinsichtlich des Gesamtbebauungsplanes der Gemeinde Höchst vom 9.10.1984 das Verordnungsprüfungsverfahren eingeleitet wird und die Bestimmung als gesetzwidrig aufgehoben wird".

Darüber hinaus erachten sich die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter deshalb verletzt, weil die Erhöhung der Baunutzungszahl nicht von der hiefür laut Vorarlberger Raumplanungsgesetz (Vbg. RPG) und Vorarlberger Baugesetz (Vbg. BauG) zuständigen Gemeindevertretung, sondern von der Baubehörde vorgenommen worden sei. Außerdem beruhe der bekämpfte Bescheid auf einer denkunmöglichen und willkürlichen Gesetzes-(gemeint wohl: Verordnungs-)anwendung, weil die Baunutzungszahl erhöht worden sei, obwohl ein hiefür laut Gesamtbebauungsplan erforderliches Gesamtbebauungskonzept für das betreffende Gebiet nicht vorgelegen sei, und weil für die Berechnung der erhöhten Baunutzungszahl auch Teile von Nachbargrundflächen ins Kalkül gezogen worden seien.

3. Aus Anlaß dieses Verfahrens hat der Verfassungsgerichtshof am 27. September 1993 beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des Satzteiles "3, 4 und" in Z9 ("Allgemeine Ausnahmebestimmungen") im Text des Gesamtbebauungsplanes der Gemeinde Höchst von Amts wegen zu prüfen.

4. Die Gemeindevertretung der Gemeinde Höchst und die Vorarlberger Landesregierung haben im Verordnungsprüfungsverfahren von der Erstattung von Äußerungen abgesehen.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Einleitungsbeschluß zu den Prozeßvoraussetzungen erwogen:

"1.a) Dem bekämpften Bescheid selbst ist nicht zu entnehmen, daß bzw. in welchem Ausmaß die Baunutzungszahl für das geplante Projekt tatsächlich - wie die Beschwerdeführer vorbringen - durch die Baubehörde erhöht worden ist. In den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten sind jedoch durchaus diesbezügliche Unterlagen (handschriftlich ausgefüllte Berechnungsformulare des Gemeindeamtes Höchst vom 3. Jänner 1991, 21. März 1991 und 3. Juli 1991 sowie eine Aktennotiz über eine Besprechung am Gemeindeamt am 16. Oktober 1990) vorhanden, weswegen der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon ausgeht, daß die Baubehörde hier tatsächlich von der durch den Gesamtbebauungsplan eingeräumten Möglichkeit der Erhöhung der Baunutzungszahl Gebrauch gemacht hat. Im übrigen ist auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführer nicht entgegengetreten.

b) Die Bestimmung des Gesamtbebauungsplanes, die die in Rede stehende Ermächtigung enthält, lautet wie folgt (der in Prüfung gezogene Satzteil ist hervorgehoben):

'9. ALLGEMEINE AUSNAHMEBESTIMMUNGEN

Die Baubehörde kann geringfügige Abweichungen von den Festsetzungen der Z3, 4 und 7 zulassen, wenn durch die Abweichung der Zweck des Bebauungsplanes nicht beeinträchtigt wird. Die Baubehörde hat zu dieser Frage jeweils ein Sachverständigengutachten einzuholen.'

c) Unter dem Titel 'Baunutzungszahl und Höchstgeschoßzahl' enthält die verwiesene Z3 des Gesamtbebauungsplanes eine Tabelle, die das zulässige Maß der baulichen Nutzung, also die Baunutzungszahl, je nach Lage und Widmung eines Gebäudes festlegt. Diese Tabelle enthält sowohl die jeweilige Baunutzungszahl in Prozenten als auch einen ebenfalls in Prozentzahlen angegebenen sogenannten 'Bonus', um den die Baunutzungszahl unter bestimmten Voraussetzungen erhöht werden kann. Worin diese Voraussetzungen bestehen, ergibt sich aus Z4 des Gesamtbebauungsplanes, der den Titel 'Bonusbestimmungen' trägt. Die Baubehörde scheint im hier zu beurteilenden Fall die Baunutzungszahl erhöht zu haben, wobei offen ist, ob die Behörde diese Erhöhung der Baunutzungszahl als Abweichung zu Z3 oder zu Z4 oder zu diesen beiden Ziffern zugelassen hat. Zunächst nimmt der Verfassungsgerichtshof daher an, daß die Baubehörde von der in Z9 enthaltenen Ermächtigung bezüglich der Festlegungen in Z3 und in Z4 Gebrauch gemacht hat.

Das Verordnungsprüfungsverfahren scheint daher - da Vorschriften über die Baunutzungszahl eine Rechtsgrundlage der angefochtenen Baubewilligung darstellen und vom Verfassungsgerichtshof entgegen der Auffassung der belangten Behörde auch anzuwenden sind - insoweit zulässig zu sein.

d) Die in Z9 ebenfalls verwiesene Z7 des Gesamtbebauungsplanes trägt die Überschrift 'Gestalterische Festlegungen' und enthält Vorschriften bezüglich der Gestaltung von Bauten. Daß im hier zu beurteilenden Fall von diesen Vorschriften eine Abweichung zugelassen worden sei, wird weder von den Beschwerdeführern behauptet noch ergibt es sich aus den Verwaltungsakten. Mangels Präjudizialität kann der Verfassungsgerichtshof daher die durch Z9 eingeräumte Ermächtigung an die Baubehörde, Abweichungen zu den in Z7 enthaltenen Vorschriften zuzulassen, nicht in Prüfung ziehen."

2. Gegen die Gesetzmäßigkeit des in Prüfung gezogenen Satzteiles hat der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß folgendes Bedenken geäußert:

"2.a) Ein Bebauungsplan hat unter anderem gemäß §26 Abs3 litb Vbg. RPG das Maß der baulichen Nutzung (Hinweis auf §30) festzulegen, soweit dies nach Abs2 leg.cit., wo die bei Erlassung eines Bebauungsplanes insbesondere zu berücksichtigenden Umstände aufgezählt sind, erforderlich ist.

Der in §26 Abs3 litb verwiesene §30 Vbg. RPG sieht in seinem ersten Absatz vor, daß die Gemeindevertretung auch, ohne daß ein Bebauungsplan erlassen wird, durch Verordnung für das ganze Gemeindegebiet oder für Teile desselben das Maß der baulichen Nutzung festlegen kann. Der zweite Absatz dieser Gesetzesstelle enthält nähere Vorschriften über die Berechnung des Maßes der baulichen Nutzung.

§5 Abs5 des Vbg. BauG schließlich verbietet die Festlegung des Maßes der baulichen Nutzung durch die Baubehörde im Einzelfall dann, wenn dieses Maß bereits in einem Bebauungsplan normiert ist.

b) Aus dieser Gesetzeslage ergibt sich, wie der Verfassungsgerichtshof in dem von den Beschwerdeführern zitierten Erkenntnis V196-198/91 vom 2. März 1992 ausgesprochen hat, daß die Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung durch die Baubehörde im Einzelfall dann ausgeschlossen ist, wenn - wie hier - bereits eine generelle Festlegung durch einen Bebauungsplan oder eine eigene Verordnung gemäß §30 Vbg. RPG erfolgt ist.

Wie im Falle des genannten Erkenntnisses vom 2. März 1992 scheint es nun mit diesem System nicht übereinzustimmen und insbesondere §5 Abs5 des Vbg. BauG zu widersprechen, wenn der Gesamtbebauungsplan der Gemeinde Höchst die Baubehörde dazu ermächtigt, Abweichungen - und seien diese auch nur geringfügig - von der mittels Verordnung generell festgesetzten Baunutzungszahl zuzulassen. An diesem Ergebnis scheint auch nichts zu ändern, daß die von der Baubehörde im Einzelfall bewilligte Abweichung laut Z9 des Gesamtbebauungsplanes den Zweck des Bebauungsplanes nicht beeinträchtigen darf, was laut der genannten Bestimmung auch durch ein Sachverständigengutachten zu belegen ist."

3. Im Verordnungsprüfungsverfahren - die Gemeindevertretung der Gemeinde Höchst und die Vorarlberger Landesregierung haben, wie schon erwähnt, keine Äußerung erstattet - haben sich keine Anhaltspunkte für das Fehlen von Prozeßvoraussetzungen ergeben; es ist auch nichts hervorgekommen, was das im Einleitungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 1993 dargelegte Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des in Prüfung gezogenen Satzteiles hätte entkräften können:

Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, es widerspreche §5 Abs5 des Vbg. BauG, wenn der Bebauungsplan die Baubehörde ermächtige, Abweichungen von der mittels Verordnung generell festgesetzten Baunutzungszahl zuzulassen, trifft zu. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 2. März 1992, V196-198/91, ausgesprochen hat, zeigt der Zusammenhang der einschlägigen Vorschriften des Vbg. RPG und des Vbg. BauG deutlich, daß das Gesetz überall dort, wo eine generelle Festlegung erfolgt, eine Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung durch die Baubehörde im Einzelfall nicht vorsieht. An diesem Ergebnis vermag auch nichts zu ändern, daß nach Z9 des Textes eine Abweichung von den Festsetzungen der Z3 und 4 nur zugelassen werden darf, wenn sie geringfügig ist und durch sie der Zweck des Bebauungsplanes nicht beeinträchtigt wird: Gemäß §26 Abs3 Vbg. RPG sind die Bebauungsgrundlagen, soweit es nach §26 Abs2 leg.cit. erforderlich ist, durch den Bebauungsplan festzulegen. Der Umstand, daß der Bebauungsplan in diesem Fall von Gesetzes wegen die Bebauungsgrundlagen selbst (endgültig) festzulegen hat, hat notwendig die Gesetzwidrigkeit der im Bebauungsplan - einer Verordnung - enthaltenen Ermächtigung, von den Festlegungen des Bebauungsplanes im Einzelfall abzuweichen, zur Folge, unabhängig davon, ob es sich um nur geringfügige Abweichungen handelt oder durch die Abweichung der Zweck des Bebauungsplanes nicht beeinträchtigt werden darf. Eine Regelung, die die Baubehörde ermächtigt, im Einzelfall von den im Bebauungsplan festgelegten Bebauungsgrundlagen (hier: dem Maß der baulichen Nutzung) abzuweichen, bedürfte eines - hinreichend determinierten (vgl. VfSlg. 12932/1991) - Gesetzes im formellen Sinn.

4. Da der in Prüfung gezogene Satzteil bewirkt, daß die Festlegung der Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung nicht (mehr) dem Verordnungsgeber, sondern der Baubehörde überlassen wird, ist er - als mit dem Gesetz nicht in Einklang stehend - aufzuheben.

Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung folgt aus Art139 Abs5 B-VG.

Diese Entscheidung kann gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:V76.1993

Dokumentnummer

JFT_10059699_93V00076_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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