TE Lvwg Erkenntnis 2022/10/13 LVwG-2022/19/0528-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2022
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.10.2022

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

NAG 2005 §20 Abs4
AVG §58
AVG §59
VwGVG 2014 §24 Abs4
  1. AVG § 58a heute
  2. AVG § 58a gültig ab 15.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 57/2018
  3. AVG § 58a gültig von 20.04.2002 bis 14.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 65/2002

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Mag.a Lechner, LL.M, über die Beschwerde der AA, geb XX.XX.XXXX, StA Türkei, vertreten durch RA BB, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom 21.01.2022, Zl ***, betreffend eine Angelegenheit nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Über Antrag der Beschwerdeführerin vom 04.01.2022 stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid fest, dass der am 27.03.2007 von der Bezirkshauptmannschaft Z als zuständige Behörde erteilte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ für Frau AA, geb XX.XX.XXXX, gemäß § 20 Abs 3 und 4 NAG erloschen sei. Weiters sprach die Behörde aus, dass der Antrag auf Feststellung, dass der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“, ausgestellt von der Bezirkshauptmannschaft Z am 27.03.2007, nicht erloschen ist, abgewiesen werde.

Begründend führt die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin ihre Niederlassung im Bundesgebiet am 13.04.2017 ausgegeben habe und in die Türkei übersiedelt sei; dort habe sie bis zu ihrer Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Jahr 2021 gelebt.

Den festgestellten Sachverhalt stützte die belangte Behörde insbesondere auf eine erfolgte Abmeldung und Anmeldung im Zentralen Melderegister sowie auf einen im Verwaltungsakt einliegenden Aktenvermerk über ein Telefonat des Behördenvertreters mit der Tochter der Beschwerdeführerin, wonach sich die Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 13.04.2017 bis zum 30.11.2021 in der Türkei aufgehalten habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre rechtsfreundliche Vertretung rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der sie selbst unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache einzuvernehmen sei. Weiteres wird in der Beschwerde beantragt, den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde ersatzlos aufzuheben in eventu die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zu neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Als Beschwerdegründe bringt die Beschwerdeführerin zum einen vor, dass der Bescheid formal mangelhaft bzw nichtig sei, da die Feststellung, dass der Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin erloschen wäre, nicht Bestandteil des Spruches sei und daher nicht bekämpfbar sei. Zum anderen wird in der Beschwerde das Verfahren vor der belangten Behörde als mangelhaft moniert, da die Beschwerdeführerin zur Frage ihrer vermeintlichen Abwesenheit nicht persönlich einvernommen worden sei. Darüber hinaus sei die Tochter der Beschwerdeführerin nicht als Zeugin einvernommen, sondern lediglich informell und ohne Belehrung telefonisch befragt worden. Dies sei eine Umgebung der zwingend einzuhaltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Nur die Beschwerdeführerin selbst hätte die Frage ihres Aufenthalts im relevanten Zeitraum abschließend beantworten können. Auch aus diesem Grund sei die angefochtene Entscheidung jedenfalls mangelhaft und bedürfe es zwingend einer Verfahrensergänzung, um die Frage eines allfälligen Erlöschens des Aufenthaltstitels überhaupt abschließend beantworten zu können.

Mit Vorlageschreiben vom 25.02.2022 legte die belangte Behörde dem Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

Mit Schreiben vom 04.08.2022 forderte das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerdeführerin auf, binnen einer Frist von zwei Wochen mitzuteilen, wo sie sich in der Zeit vom 14.04.2017 bis 29.11.2021 aufgehalten habe und entsprechende Nachweise über ihren Aufenthalt vorzulegen. Nach einer („[a]ufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit“) beantragten und erteilten Fristerstreckung zur Beantwortung dieses Schreibens teilte die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin Folgendes mit:

In umseits bezeichneter Verwaltungsrechtsache wird binnen offener Frist mitgeteilt, dass es auch nach Fristerstreckung nicht möglich war – dies insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der bekämpften Entscheidung nicht mehr im Inland aufhältig sein darf – persönlich mit der Beschwerdeführerin Kontakt aufzunehmen, um die vom Gericht aufgeworfenen Fragen zu besprechen. Aus diesem Grund wird beantragt, die Beschwerdeführerin persönlich vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol zu ihrer Einvernahme zu laden.

II.      Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin, geb am XX.XX.XXXX, ist türkische Staatsangehörige. Am 27.03.2007 wurde der Beschwerdeführerin von der Bezirkshauptmannschaft Z der unbefristete Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ erteilt.

Nach erfolgter Abmeldung im Zentralen Melderegister am 13.04.2017 bis zur neuerlichen Anmeldung am 30.11.2021 hielt sich die Beschwerdeführerin nicht im Bundesgebiet, sondern in der Türkei auf.

III.     Beweiswürdigung:

Die Feststellungen betreffend den erteilten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ folgen aus dem vorgelegten und unbedenklichen Akt der belangten Behörde.

Die Feststellungen betreffend den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 14.04.2017 bis 29.11.2021 in der Türkei folgen aus dem unbedenklichen Akteninhalt in Zusammenschau mit der Beschwerde. Im angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass im Zentralen Melderegister in Bezug auf die Beschwerdeführerin eine Abmeldung des Wohnsitzes mit 13.04.2017 sowie eine (neuerliche) Anmeldung des Wohnsitzes mit 30.11.2021 eingetragen ist. Mangels einer Anmeldung eines Wohnsitzes im Zeitraum vom 14.04.2017 bis zum 29.11.2021 ist die belangte Behörde somit nachvollziehbar und schlüssig zur Feststellung gelangt, dass sich die Beschwerdeführerin in dieser Zeit nicht im Bundesgebiet aufgehalten hat. Den gegenüber dem Vertreter der belangten Behörde telefonisch getätigten Angaben der Tochter der Beschwerdeführerin folgend, ging die belangte Behörde weiters davon aus, dass sich die Beschwerdeführerin in dieser Zeit in der Türkei aufgehalten hat. Dem Aktinhalt sind keine Hinweise zu entnehmen, die im Widerspruch zu diesen – in einem Aktenvermerk festgehaltenen – Angaben der Tochter der Beschwerdeführerin stehen. In der Beschwerde ist die Beschwerdeführerin den Feststellungen der belangten Behörde auch nicht konkret entgegengetreten, insbesondere hat sie weder bestritten, sich im relevanten Zeitraum nicht in der Türkei aufgehalten zu haben, noch ein sonstiges Vorbringen zu ihrem Aufenthalt im relevanten Zeitraum erstattet. Schließlich hat die Beschwerdeführerin auch die ihr seitens des Landesverwaltungsgerichtes Tirol eingeräumte Möglichkeit, ein diesbezügliches Vorbringen zu erstatten, nicht genützt. Somit gelangte das Landesverwaltungsgericht Tirol, wie bereits die belangte Behörde, zur Feststellung, dass sich die Beschwerdeführerin im og Zeitraum in der Türkei und sohin außerhalb des EWR-Gebietes aufgehalten hat.

Mangels Erstattung eines entsprechenden Vorbringens ist der in der Beschwerde gestellte Antrag auf Einvernahme der Beschwerdeführerin als Erkundungsbeweis zu werten. Erkundungsbeweise, die nicht dazu dienen, ein konkretes Vorbringen der Partei zu untermauern, sondern es ihr erst ermöglichen sollen, dieses zu erstatten, sind allerdings nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Verwaltungsverfahren unzulässig (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG §46, Rn 16, rdb.at). Dem Antrag wird daher nicht entsprochen.

IV.      Rechtslage:

§ 20 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 110/2021, samt Überschrift lautet auszugsweise:

„Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln

§ 20. …..

(3) Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ (§ 45) sind in Österreich unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesen Aufenthaltstiteln entsprechenden Dokuments unbefristet niedergelassen. Dieses Dokument ist für einen Zeitraum von fünf Jahren auszustellen und, soweit keine Maßnahmen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 durchsetzbar sind, abweichend von § 24 auch nach Ablauf auf Antrag zu verlängern.

(4) Ein Aufenthaltstitel nach Abs. 3 erlischt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht oder dem Zivildienst vergleichbaren Dienstes, kann sich der Fremde bis zu 24 Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalten. Liegt ein berechtigtes Interesse des Fremden vor, hat die Behörde auf Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist. Der Nachweis des Aufenthalts im EWR-Gebiet obliegt dem Fremden.

(4a) Abweichend von Abs. 4 erster Satz erlischt der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, der einem Inhaber eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ oder dessen Familienangehörigen erteilt wurde erst, wenn sich der Fremde länger als 24 aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält.

(5) Abs. 4 gilt nicht für Inhaber eines Aufenthaltstitels Daueraufenthalt – EU, wenn

         1.       sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, oder

         2.       sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft öffentlichen Rechts steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, soweit die Tätigkeit dieser Körperschaft im Ausland im Interesse der Republik liegt und

er die beabsichtigte Aufgabe der Niederlassung (§ 2 Abs. 2) der Behörde vorher mitgeteilt hat. Das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Z 1 oder 2 hat der Fremde nachzuweisen. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ ist auch nach Aufgabe der Niederlassung auf Antrag zu verlängern.“

V.       Erwägungen:

1. im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde festgestellt, dass der, der Beschwerdeführerin am 27.03.2007 von der Bezirkshauptmannschaft Z erteilte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ gemäß § 20 Abs 3 und 4 NAG erloschen ist und ihren Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist, abgewiesen. Dies begründete sie damit, dass sich die Beschwerdeführerin am 13.04.2017 ihre Niederlassung im Bundesgebiet aufgelassen habe und in die Türkei übersiedelt sei und dort bis zu ihrer Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Jahr 2021 gelebt habe. Die Abwesenheit vom Bundesgebiet habe somit mehr als zwölf aufeinander folgende Monate betrogen. Berücksichtigungswürdige Gründe, die die zulässige Abwesenheit auf 24 Monate verlängern würden, lägen nicht vor. Der Aufenthaltstitel sei somit ex lege erloschen.

2. In der vorliegenden Beschwerde wird zunächst moniert, der angefochtene Bescheid sei formal mangelhaft bzw nichtig, da die Feststellung, dass der Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin erloschen wäre, nicht Bestandteil des Spruchs sei. Die belangte Behörde habe daher keinen Feststellungsbescheid iSd § 20 Abs 4 NAG erlassen und im Spruch nicht über die Feststellung abgesprochen, weshalb ein wesentlicher Verfahrensmangel bzw Nichtigkeit vorläge. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

Gemäß § 58 Abs 1 AVG ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist allerdings das Fehlen von Rechtsmittelbelehrung und Begründung sowie der Gliederung der Erledigung nach Spruch und Begründung für deren Bescheidcharakter nicht entscheidend, wenn eine Erledigung eindeutig einen normativen Abspruch enthält (VwGH 30.05.1988, 87/12/0103; 23.10.1996, 96/03/0257; vgl auch VwSlg 9698 A/1978)

Gemäß § 59 AVG hat der Spruch eines Bescheides den Gegenstand des Verfahrens mitsamt den darauf bezogenen Anträgen der Parteien zu erledigen. Im Spruch kommt die individuelle Norm zum Ausdruck, die rechtskräftig und vollstreckbar wird. Das Vorliegen eines Spruches mit normativen Inhalt ist konstitutiv für das Vorliegen eines Bescheides (VwGH 25.09.1995, 95/10/0165). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist allerdings eine ausdrückliche Bezeichnung des Spruchs als solcher nicht erforderlich (VwGH 13.10.2004, 2003/12/002).

Schließlich hat die Beurteilung, ob und inwieweit eine Behörde über einen Antrag abgesprochen hat, auf Grund des Inhalts des Bescheides zu erfolgen, wobei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes davon auszugehen ist, dass der Bescheidwille nicht allein aus dem Spruch oder einem „Vorspruch“ zum Bescheidspruch abzuleiten ist, sondern sich aus dem Gesamtzusammenhang ergeben kann (VwGH 16.12.2010, 2007/16/0188).

Aus dem Inhalt der verfahrensgegenständlichen – als Bescheid ausdrücklich bezeichneten und in Spruch, Rechtsmittel und Begründung gegliederten – schriftlichen Erledigung geht deutlich der Wille der belangten Behörde hervor, normativ über den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin, dass ihr Aufenthaltstitel nicht erloschen sei, gemäß § 20 Abs 4 NAG abzusprechen.

Im „Vorspruch“ zum Bescheidspruch lautet es nämlich wie folgt:

Die Bezirkshauptmannschaft Z stellt auf Grund der gemäß § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und Aufenthalt in Österreich erteilten Ermächtigung des Landeshauptmannes, die mittels mit Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 16.12.2005 erfolgte, folgendes fest:

Festgestellt wird, dass der am 27.03.2007 von der Bezirkshauptmannschaft Z als zuständige Behörde erteilte Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EG für Frau AA, geb. XX.XX.XXXX, gemäß § 20 Abs. 3 und 4 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt erloschen ist.“

Diesem Vorspruch folgt die Überschrift „Spruch“ und darunter folgender Satz:

Der Antrag auf Feststellung, dass der Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EG, ausgestellt von der

Bezirkshauptmannschaft Z am 27.03.2007, nicht erloschen ist, wird abgewiesen.“

Aus dem Wortlaut und der sprachlichen Gestaltung des „Vorspruchs“ und des Spruchs kommt vorliegend objektiv die klare Absicht der belangten Behörde zum Ausdruck, rechtsverbindlich über den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin abzusprechen. Konkret hat die belangte Behörde damit – entgegen dem Beschwerdevorbringen – rechtsfeststellend gegenüber der Beschwerdeführerin über das Erlöschen ihres Aufenthaltstitels abgesprochen und – damit im Einklang – ihren Antrag auf Feststellung, dass ihr Aufenthaltstitel nicht erloschen ist, abgewiesen.

Auf Grund dieses eindeutigen normativen Abspruchs, vermag der Umstand, dass dieser (teilweise) im Vorspruch und nicht zur Gänze unter der Überschrift „Spruch“ erfolgte, die Bescheidqualität der vorliegenden Erledigung – mit Blick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichthofes, wonach im Fall eines eindeutigen normnativen Abspruchs selbst das Fehlen der Gliederung in Spruch und Begründung nicht für den Bescheidcharakter einer Erledigung entscheidend ist – nicht zu berühren. Ebenso wenig ist darin ein wesentlicher Verfahrensmangel, wie in der Beschwerde vorgebracht, zu erkennen.

3. Weiters wird in der Beschwerde vorgebracht, dass die Erhebungen der belangten Behörde jedenfalls unzureichend gewesen seien. Zur Feststellung des Sachverhaltes sei eine formlose telefonische Befragung der Tochter der Beschwerdeführerin sowie Erkundigungen bei Verwandten nicht ausreichend. Es hätte jedenfalls eine förmliche Einvernahme der Beschwerdeführerin durch die belangte Behörde zu erfolgen gehabt. Nur sie selbst hätte die Frage ihres Aufenthaltes im relevanten Zeitraum abschließend beantworten können.

Mit diesem Vorbringen macht die Beschwerde die Mangelhaftigkeit des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahren geltend und wirft Rechtsfragen betreffend die Zulässigkeit bzw Unzulässigkeit von bestimmten Beweismitteln und die Erforderlichkeit der Aufnahme eines bestimmten Beweises auf.

Diesbezüglich ist zunächst auf den im AVG geltenden Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel zu verweisen (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG §46 Rn 1). Zur Heranziehung der telefonischen Befragung der Tochter der Beschwerdeführerin, an Stelle einer förmlichen Zeugeneinvernahme, war die belangte Behörde nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol berechtigt, da keine widersprechenden Beweisergebnisse vorlagen (vgl VwGH 19.11.2002, 2001/12/0065). Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin der belangten Behörde gegenüber kein gegenteiliges bzw mit diesen Angaben nicht in Einklang zu bringendes Vorbringen erstattet. Schließlich ist nicht zu erkennen, dass sich die belangte Behörde durch die von ihr aufgenommenen Beweise nicht die erforderliche Überzeugung vom Vorliegen der für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente verschafft hat, so dass sie auch nicht zur Aufnahme weiterer Beweise verpflichtet gewesen ist. Im Lichte dessen ist ein Verfahrensmangel, wie in der Beschwerde geltend gemacht, nicht zu erkennen.

4. Wie bereits die belangte Behörde, ist auch das Landesverwaltungsgericht Tirol – insbesondere mangels gegenteiligem Vorbringen der Beschwerdeführerin (vgl die Beweiswürdigung oben) – zu Auffassung gelangt, dass sich die Beschwerdeführerin nach erfolgter Abmeldung im ZMR am 13.04.2017 bis zur neuerlichen Anmeldung am 30.11.2021 in der Türkei und somit mehr als zwölf (bzw 24) aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufgehalten hat. Dementsprechend hat die belangte Behörde zurecht auf Grund des Feststellungantrages der Beschwerdeführerin gem § 20 Abs 4 NAG bescheidmäßig festgestellt, dass der der Beschwerdeführerin erteilte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“, gemäß § 81 Abs 29 NAG übergeleitet in einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, erloschen ist.

Die Beschwerde ist somit abzuweisen.

VI.      Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl Nr C 83 vom 30.03.2010 S 389, entgegenstehen.

Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird.

Im vorliegenden Fall geht es um ein Verfahren über eine ausländerrechtliche Maßnahme und damit weder um eine strafrechtliche Anklage noch um civil rights iSd Art 6 EMRK (vgl EGMR 10.1.2012, G. R. gegen Niederlande, 22251/07, Rz 48). Allerdings ist der angefochtene Feststellungsbescheid als Maßnahme nach der Richtlinie 2003/109/EG zu werten, sodass es gegenständlich um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte geht (vgl VwGH 14.06.2012, 2011/21/0278).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es zum Entfall der Verhandlungspflicht, wenn Verfahrensgegenstand nur die Lösung einer Rechtsfrage ist, weil Gegenstand des Verfahrens nicht die Klärung einer Tatfrage, sondern einer Rechtsfrage ist (vgl VwGH 11.03.2016, Ra 2016/11/0025, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 18.07.2013, Nr 56422/09, Schädler-Eberle gegen Liechtenstein).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Auffassung vertreten, dass eine Verhandlung nicht in jedem Fall geboten ist, und zwar insbesondere dann nicht, wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann (vgl VwGH 26.04.2016, Ra 2016/03/0038, mit Verweis auf EGMR 18.07.2013, Nr 56422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein, Rz 97 ff, und weitere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Der EGMR hat auch dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche Fragen betrifft (vgl iZm § 39 Abs 2 Z 6 VwGG VwGH 22.06.2016, Ro 2014/03/0067, mit Verweis auf EGMR 18.07.2013, Nr 56422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein, Rn 97 ff; vgl auch EGMR 08.11.2016, Nr 64160/11, Pönkä, Rn 32).

So hat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung eines Verwaltungsgerichtes, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen zu können, weil der Verwaltungsakt erkennen lasse, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse, nicht beanstandet, weil eine rein rechtliche Beurteilung maßgeblich war. Ausgehend davon stand auch Art 47 Abs 2 GRC dem Unterbleiben einer Verhandlung nicht entgegen (vgl VwGH 19.04.2016, Ro 2015/22/0004, mwN).

Gegenständlich wird in der Beschwerde beanstandet, dass die belangte Behörde nicht im „Spruch“ des angefochtenen Bescheides über die beantragte Feststellung, ob der Aufenthaltstitel erloschen sei oder nicht, abgesprochen habe (vgl dazu die Ausführungen oben unter Punkt IV.2.). Darüber hinaus wird das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren als mangelhaft erachtet, da zur Feststellung des Sachverhaltes eine telefonische Befragung der Tochter der Beschwerdeführerin nicht ausreiche, vielmehr hätte die Beschwerdeführerin selbst förmlich einvernommen werden müssen, da nur sie die Frage ihres Aufenthaltes im relevanten Zeitraum abschließend beantworten könne.

Mit diesem Vorbringen tritt die Beschwerdeführerin den im angefochtenen Bescheid getroffenen Tatsachenfeststellungen jedoch nicht entgegen. Insbesondere erstattet sie kein Vorbringen, das dem festgestellten Sachverhalt widerspricht. So behauptet sie in der Beschwerde nicht, dass sie sich im relevanten Zeitraum nicht in der Türkei bzw nicht außerhalb des EWR-Gebietes aufgehalten habe. Die vom Landesverwaltungsgericht Tirol im Rahmen des Parteiengehörs eingeräumte Möglichkeit, ein entsprechendes Vorbringen zu ihrem Aufenthalt im relevanten Zeitraum zu erstatten, ließ sie – trotz Fristerstreckung – ungenützt verstreichen.

Zur Mitteilung des Rechtsanwaltes der Beschwerdeführerin, es sei auch nach Fristerstreckung nicht möglich gewesen – dies insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin „aufgrund der bekämpften Entscheidung“ nicht mehr im Inland aufhältig sein darf – persönlich mit der Beschwerdeführerin Kontakt aufzunehmen, um die vom Gericht aufgeworfenen Fragen zu besprechen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Feststellungsbescheid nur Auskunft darüber gibt, dass der Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin gem § 20 Abs 4 NAG erloschen ist, wobei die Erlöschung selbst bereits ex lege eingetreten ist. Über die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts der Beschwerdeführerin wird damit jedoch nicht abgesprochen. Ebenso wenig wird mit dem angefochtenen Bescheid eine (durchsetzbare) Rückkehrentscheidung erlassen bzw die Beschwerdeführerin zur Ausreise verpflichtet. Eine allfällige Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes bzw eine Ausreiseverpflichtung kann somit nicht Folge des angefochtenen Bescheides, wie vorgebracht, sein. Im Übrigen wäre im Fall einer persönlichen Abwesenheit der Beschwerdeführerin auch eine Kommunikation unter Heranziehung verschiedener (moderner) Kommunikationsmittel denkbar. Im Ergebnis hat die Beschwerdeführerin weder in der Beschwerde noch auf ausdrückliche Aufforderung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol ein Vorbringen zu ihrem Aufenthalt im relevanten Zeitraum erstattet. Sie hat somit auch keine Tatsachen behauptet, die dem von der belangten Behörde festgestelltem Sachverhalt widersprechen und deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit in einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen bzw unter Beweis zu stellen wären.

Mit dem Vorbringen in der Beschwerde, das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren sei mangelhaft, da zur Feststellung des Sachverhaltes eine telefonische Befragung der Tochter der Beschwerdeführerin sowie Erkundigungen bei Verwandten nicht ausreichten, sondern jedenfalls eine förmliche Einvernahme der Beschwerdeführerin zu erfolgen gehabt hätte, werden die Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde nicht bestritten, sondern Rechtsfragen betreffend die Zulässigkeit bzw Unzulässigkeit von bestimmten Beweismitteln und die Erforderlichkeit der Aufnahme eines bestimmten Beweises aufgeworfen (vgl dazu die Ausführungen oben unter Punkt V.3.)

Da in der Beschwerde somit nur rechtliche Fragen aufgeworfen und die im angefochtenen Bescheid getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht bestritten worden sind und die Beschwerdeführerin – trotz Aufforderung im Beschwerdeverfahren – kein (entgegenstehendes) Vorbringen erstattete, das in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern wäre, hat das Landesverwaltungsgericht Tirol in Einklang mit der dargestellten Judikatur von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

VII.     Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag.a Lechner, LL.M.

(Richterin)

Schlagworte

Feststellungsbescheid
Bescheidcharakter
Spruch
Absehen von der mündlichen Verhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2022.19.0528.4

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten