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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
ABGB §229 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. August 2020, W101 2150448-1/9E, betreffend Gerichtsgebühren (mitbeteiligte Partei: M B in W, vertreten durch Dr. Reinhard Rosskopf, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 4 top 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Beschluss des Bezirksgerichts I vom 9. Jänner 2014 wurde der Vertreter des Mitbeteiligten zu dessen Sachwalter (nunmehr: gerichtlicher Erwachsenenvertreter) für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten bestellt.
2 Mit Jahresbericht vom 1. August 2016 legte der Erwachsenenvertreter dem Bezirksgericht I die Einnahmen- und Ausgabenrechnung für den Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 1. August 2015 bis zum 31. Juli 2016 vor. Darin waren Einnahmen iHv 23.040,30 €, Ausgaben iHv 24.303,28 € sowie ein Sparguthaben iHv 4.108,97 € ausgewiesen.
3 Mit Beschluss vom 10. August 2016 bestätigte das Bezirksgericht I die Pflegschaftsrechnung und bestimmte die Entschädigung des Erwachsenenvertreters antragsgemäß mit 1.800 €.
4 Mit Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) vom 20. September 2016 schrieb die Kostenbeamtin des Bezirksgerichts I für die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien dem Mitbeteiligten eine Pauschalgebühr nach TP 7 I lit. c Z 2 GGG iHv 450 € sowie eine Einhebungsgebühr nach § 6a Abs. 1 GEG iHv 8 € vor.
5 Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2016 beantragte der Erwachsenenvertreter die Gebührenbefreiung nach TP 7 Anmerkung 8, weil die ausgewiesenen jährlichen Einkünfte des Mitbeteiligten 13.244 € nicht übersteigen würden.
6 Mit Bescheid vom 1. März 2017 schrieb die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien dem Mitbeteiligten die Pauschalgebühr nach TP 7 I lit. c Z 2 GGG iHv 450 € sowie eine Einhebungsgebühr nach § 6 Abs. 1 GEG iHv 8 € vor. Da in der Pflegschaftsrechnung des Mitbeteiligten ein Sparguthaben iHv 4.108,97 € sowie ein Jahreseinkommen iHv 23.040,30 € für das Jahr 2015/2016 ausgewiesen sei, komme die Gebührenbefreiung nicht zur Anwendung.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und hob den Bescheid ersatzlos auf. Es sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, im Jahresbericht vom 1. August 2016 seien für den Berichtszeitraum vom 1. August 2015 bis zum 31. Juli 2016 Einnahmen des Mitbeteiligten iHv 23.040,30 € sowie Ausgaben iHv 24.303,28 € ausgewiesen, woraus sich nach Saldierung negative „Einkünfte“ iHv 1.262,98 € ergeben würden. Da weder das Sparguthaben noch die jährlichen Einkünfte die für die Gebührenbefreiung nach TP 7 Anmerkung 8 GGG festgelegten Schwellenwerte (Vermögen bis 20.000 €, Einkünfte bis 13.244 €) übersteigen würden, sei der Mitbeteiligte von der Entrichtung der Pauschalgebühren für die mit Beschluss vom 10. August 2016 erfolgte Bestätigung der Pflegschaftsrechnung vom 1. August 2016 befreit.
9 In der dagegen erhobenen Amtsrevision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob für die Ermittlung des Schwellenwerts für die Gebührenbefreiung nach TP 7 Anmerkung 8 GGG die in der Pflegschaftsrechnung ausgewiesenen jährlichen Einkünfte gemäß §§ 229, 276 ABGB ohne die Saldierung der ausgewiesenen jährlichen Ausgaben heranzuziehen seien oder ob eine solche Saldierung zu erfolgen habe.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens gemäß § 36 VwGG und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Gemäß TP 7 Anmerkung 8 GGG (in der im Revisionsfall maßgeblichen Fassung der Gerichtsgebühren-Novelle 2015 - GGN 2015, BGBl. I Nr. 19) sind Verfahren über die Bestätigung der Pflegschaftsrechnung auf Antrag der Partei gebührenfrei, wenn aus der Pflegschaftsrechnung als einziges Vermögen Sparguthaben bis zu 20.000 € ersichtlich sind und die ausgewiesenen jährlichen Einkünfte (§§ 229, 276 ABGB) 13.244 € nicht übersteigen.
13 Nach den Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010 - mit dem diese Gebührenbefreiung eingeführt wurde -, sei die Höhe des Schwellenwertes derart gewählt worden, dass Bezieher von Mindestpensionen von der Gebührenbefreiung erfasst seien. Bei den Einkünften seien - wie in § 276 Abs. 1 ABGB geregelt - auch Bezüge nicht zu berücksichtigen, die kraft gesetzlicher Anordnung ausschließlich zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienten. Als wichtigste Beispiele für derartige Bezüge wurden in den Materialien das Pflegegeld und die Mietzinsbeihilfe genannt (vgl. ErlRV 981 BlgNR 24. GP 62).
14 Nach § 276 Abs. 1 ABGB beträgt die jährliche Entschädigung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters (früher: des Sachwalters) „fünf Prozent sämtlicher Einkünfte der vertretenen Person nach Abzug der davon zu entrichtenden Steuern und Abgaben, wobei Bezüge, die kraft besonderer gesetzlicher Anordnung zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienen, nicht als Einkünfte zu berücksichtigen sind“. Diese Bestimmung geht auf den mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 - KindRÄG 2001, BGBl. I Nr. 135/2000, neu geschaffenen § 266 ABGB - nunmehr § 229 ABGB - zurück (vgl. ErlRV 1420 BlgNR 22. GP 6, 14).
15 Nach § 266 ABGB idF des KindRÄG 2001 betrug der Entschädigungsanspruch für die mit der Obsorge betraute Person - sofern das Gericht nicht aus besonderen Gründen eine geringere Entschädigung für angemessen fand - „fünf vom Hundert sämtlicher Einkünfte nach Abzug der hievon zu entrichtenden gesetzlichen Steuern und Abgaben“. Weiters wurde bestimmt, dass „Bezüge, die kraft besonderer gesetzlicher Anordnung zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienen, [...] nicht als Einkünfte zu berücksichtigen“ waren. Nach den Materialien zum KindRÄG 2001 sollte die Entschädigung „im Regelfall 5% aller Einkünfte vor Abzug der Unterhaltskosten“ ausmachen; die „einer besonderen gesetzlichen Zweckwidmung unterliegenden Bezüge (etwa Pflegegeld oder Familienbeihilfe)“ sollten bei Ermittlung der Einkünfte unberücksichtigt bleiben (vgl. ErlRV 296 BlgNR 21. GP 78). § 266 ABGB erhielt mit dem Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 - KindNamRÄG 2013 - bei von einer Verweisanpassung abgesehen, unverändertem Inhalt - die Paragraphenbezeichnung „§ 229“ (vgl. BGBl. I Nr. 15/2013 Art. 1 Z 29); auf diese Bestimmung wird - neben § 276 ABGB - in Anmerkung 8 zu TP 7 GGG hinsichtlich des Einkünftebegriffs verwiesen.
16 Nach dem Gesagten zeigt sich, dass die Ermittlung der „Einkünfte“ gemäß TP 7 Anmerkung 8 GGG durch reine Saldierung sämtlicher Einnahmen mit sämtlichen Ausgaben - wie vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommen - nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Dies schon deshalb, weil bestimmte Einnahmen - gesetzlich zweckgewidmete Bezüge (vgl. § 229 Abs. 2 zweiter Satz und § 276 Abs. 1 zweiter Satz ABGB) - nicht zu berücksichtigen sind. Weiters dürfen auch nicht sämtliche Ausgaben - insbesondere keine Unterhaltskosten, somit die Kosten zur Deckung des Unterhaltsbedarfs bzw. der Lebensführung der vertretenen Person (vgl. Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 276 Rz 8, sowie Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4, § 276 Rz 3) - in Abzug gebracht werden (vgl. auch OGH 22.10.2001, 1 Ob 298/00f, zur Nichtberücksichtigung der Unterhaltskosten bei der Ermittlung der „reinen Einkünfte“ gemäß § 266 ABGB idF vor dem KindRÄG 2001).
17 Indem das Bundesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage keine Feststellungen zur Art der bei der Ermittlung der Einkünfte gemäß TP 7 Anmerkung 8 GGG berücksichtigten Einnahmen und Ausgaben des Mitbeteiligten getroffen hat, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 10. Oktober 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020160150.L00Im RIS seit
27.10.2022Zuletzt aktualisiert am
27.10.2022