Entscheidungsdatum
04.08.2022Norm
B-VG Art139Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Mag. Gibisch als Einzelrichter in der Beschwerdesache des A, vertreten durch die B Rechtsanwälte GmbH, gegen den Berufungsbescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 20. April 2022, Zl. ***, betreffend Versagung der Baubewilligung auf der Liegenschaft EZ ***, KG ***, den
BESCHLUSS:
I. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm Art. 139 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, die Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes der Stadtgemeinde ***, beschlossen am 29.09.2000, kundgemacht mit Verfügung vom 8. Mai 2002, Geschäftszahl ***, durch Anschlag an der Amtstafel, im Umfang der mit ihrem § 3 verfügten Aufhebung der drei dort näher bezeichneten „Geb-Listen“ als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Das Beschwerdeverfahren wird nach Abschluss des Verordnungsprüfungsverfahrens fortgesetzt werden.
Begründung:
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer der Liegenschaft EZ ***, KG ***, mit den inneliegenden Grundstücken Nr. *** und *** (in der Folge: Grundstück).
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung seines Antrags auf Erteilung der Baubewilligung für sein auf dem Grundstück gelegenes Wohnhaus im Wesentlichen wie bereits die Baubehörde erster Instanz mit der Begründung als unbegründet ab, dass die bewilligungspflichtigen Maßnahmen auf dem im Grünland gelegenen Grundstück gemäß § 20 Abs. 4 NÖ Raumordnungsgesetz 2014 (NÖ ROG) nur in dem für die widmungsgemäße Nutzung erforderlichem Umfang zulässig seien.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde begehrt der Beschwerdeführer die Erteilung der versagten Baubewilligung und begründet dies unter anderem mit der Gesetzwidrigkeit der die geltende Flächenwidmung tragenden Entwidmung seines zuvor als erhaltenswertes Gebäude im Grünland gewidmeten Wohnhauses. Die Gesetzwidrigkeit der erfolgten Entwidmung ergäbe sich aus der falschen Annahme von Konsenslosigkeit.
Im Beschwerdeverfahren öffnete die belangte Behörde über die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 2.8.2022 verbundene Aufforderung des Landesverwaltungsgerichtes zur Urkundenvorlage dem Gericht befristet den elektronischen Zugang zu folgenden Unterlagen:
? Planauszug aus dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan mit Bezugsklausel auf den Bescheid des Amtes der NÖ Landesregierung vom 30. Mai 1989 (Anmerkung: Hier ist das verfahrensgegenständliche Gebäude auf dem Grundstück als erhaltenswertes Gebäude im Grünland ausgewiesen.)
? Planauszug aus dem Bebauungsplan der KG *** in der Fassung der 13. Änderung 2000 mit Verweis auf den Beschluss des Gemeinderates vom 29.09.2000 (Anmerkung: Hier ist die Streichung der Widmung als erhaltenswert ausgewiesen.)
? „Grundlagenforschung zu Gebäuden im Grünland“ aus dem Jahr 2000
? Bescheid der NÖ Landesregierung vom 29. April 2002, ***, mit dem die am 29.09.2000 vom Gemeinderat beschlossene Änderung gemäß den Bestimmungen des NÖ ROG 1976 genehmigt wird.
? Kundmachungsmuster (Anmerkung: leer)
? Raumordnungsfachliches Gutachten vom 17. April 2002 zum Beschluss des Gemeinderates vom 29.09.2000
? Datenblatt zum Grundstück; Stand April 1998
? Textteil der Flächenwidmungsplan-Änderung 2000
? Kundmachung des Änderungsentwurfs zur Einsicht vom 17. Juli bis 28. August 2000 (angeschlagen am 13. Juli 2000, abgenommen am 29. August 2000)
? Kundmachung der Flächenwidmungsplan-Änderung 2000, datiert mit 8. Mai 2002
? Prüfung der Kundmachung vom 8. Mai 2002 durch die NÖ Landesregierung
? Feststellungsbescheid des Stadtamtes vom 1. Juli 2020 an den Beschwerdeführer, dass das Wohngebäude auf dem Grundstück wegen vermutetem Konsens als baubewilligt gilt.
? Bestandsplan für das Einfamilienhaus auf dem Grundstück (mit Eingangsstempeln aus dem Jahr 2020 und mit Bezugsklausel ohne Datum)
? Zwei Planauszüge ohne Datum (Fotografie eines Plans offenbar aus 1979 mit Einlaufstempel vom 4.8.2020)
? Eingangsbestätigung vom 6.8.2020 für den Antrag des Beschwerdeführers vom 4.8.2020 auf Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans
? Mitteilung vom 30.11.2020, dass der zuständige Ausschuss den Antrag vom 4.8.2020 auf neuerliche Festlegung des Gebäudes als erhaltenswert abgelehnt hat.
Der Beschwerdeführer nahm über Einladung des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich zu diesen Urkunden im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass durch diese die Gesetzwidrigkeit der mit 29.09.2000 vom Gemeinderat beschlossenen Entwidmung des gegenständlichen Gebäudes als erhaltenswert schon deshalb erwiesen sei, weil die diese Entwidmung einzig tragende Annahme eines fehlenden Konsenses durch den Feststellungsbescheid vom 1. Juli 2020 über den zu vermutenden Konsens widerlegt sei.
Am 1. August 2022 führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in deren Zuge die nachfolgend darzustellenden Bedenken gegen die Gesetzeskonformität der entscheidungswesentlichen Entwidmung erörtert wurden.
II. Rechtslage und Bedenken:
§ 5 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 (NÖ ROG 1976), LGBl. 8000, lautete auszugsweise:
„§ 5
Änderung der Raumordnungsprogramme
(1) Ein Raumordnungsprogramm darf nur abgeändert werden:
1. …
2. wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen (§ 3 Abs. 3)
3. …“
III. Zu Zulässigkeit und Umfang des Antrages
Gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag eines Gerichts. Nach Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 2 B-VG hat ein Verwaltungsgericht den Antrag auf Aufhebung von Verordnungsbestimmungen beim Verfassungsgerichtshof zu stellen, wenn es gegen deren Anwendung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit den aufzuhebenden Verordnungsteilen untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Verordnungsprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf. Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Gesetzwidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Gesetzwidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (vgl. zuletzt VfGH 26.11.2018, V 120/2017, und 14.06.2018, V 11/2018, jeweils mwN).
Das Landesverwaltungsgericht hat über die Beschwerde im vorliegenden Fall gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG grundsätzlich in der Sache zu entscheiden.
Dabei hat es zunächst die für das Grundstück geltenden planlichen Festlegungen des ÖRP anzuwenden. Dazu gehört die Widmung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks als Grünland – Landwirtschaft ohne Widmung des Gebäudes als erhaltenswertes Gebäude im Grünland, sodass diese präjudiziell sind.
Gemäß § 20 Abs. 5 NÖ Raumordnungsgesetz 2014 (NÖ ROG 2014) sind für erhaltenswerte Gebäude im Grünland über bewilligungs- und anzeigefreie Instandsetzungsmaßnahmen hinaus in dort näher definiertem Umfang, der im Anlassfall nicht offenkundig überschritten werden soll, bewilligungspflichtige Maßnahmen auch ohne die den angefochtenen Bescheid tragende Voraussetzung des § 20 Abs. 4 NÖ ROG 2014 bewilligungsfähig. Im Anlassfall ist daher die Frage präjudiziell, ob die im Jahr 2000 beschlossene Entwidmung des Gebäudes als erhaltenswert im Licht des rechtskräftigen Bescheides vom 1. Juli 2020 gesetzeskonform erfolgte oder nicht.
Das für das Grundstück bis zur antragsgegenständlichen Änderung in Geltung gestandene ÖRP der Stadtgemeinde *** sah für das im Anlassverfahren gegenständliche Gebäude die Widmung als erhaltenswertes Gebäude im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 4 NÖ ROG 1976 vor. Die mit 29.09.2000 vom Gemeinderat beschlossene Entwidmung dieses Gebäudes war gemäß der Grundlagenforschung einzig von der damaligen Annahme getragen, dass das Gebäude konsenslos sei. Diese Annahme ist mit dem Feststellungsbescheid vom 1. Juli 2020 über den zu vermutenden Konsens widerlegt. Aus Sicht des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich wirkt dieser Feststellungsbescheid auf den Zeitpunkt der zur Prüfung angeregten Entwidmung des bis dahin als erhaltenswert gewidmeten Gebäudes zurück. In diesem Umfang ist das Beschwerdevorbringen im Anlassfall aus Sicht des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich berechtigt.
Über das im Anlassfall gegenständliche Grundstück hinaus ist der „Grundlagenforschung zu Gebäuden im Grünland“ zumindest in jenen Fällen, in denen die Entwidmung vormalig als erhaltenswert gewidmeter Gebäude einzig aus dem Grund eines (vermeintlich) fehlenden Konsenses erfolgte, keine „Änderung der Grundlagen“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Z. 2 des NÖ ROG 1976 zu entnehmen, zumal in allen Fällen, in denen nicht ein zuvor bestandener Konsens untergegangen ist, sondern – wie im Anlassfall vom Verordnungsgeber fälschlich angenommen – ein solcher niemals bestanden hat, eben keine Änderung eingetreten. Abgesehen davon ist der „Grundlagenforschung zu Gebäuden im Grünland“ auch keine Interessensabwägung zwischen den öffentlichen Interessen und jenen der von der Entwidmung betroffenen Liegenschaftseigentümer zu entnehmen. Aus diesen Gründen wird der gegenständliche Prüfungsantrag über den Anlassfall hinaus auf alle Entwidmungen vormalig erhaltenswerter Gebäude ausgedehnt.
IV. Ergebnis
1. Gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 iVm 135 Abs. 4 und Art. 89 Abs. 2 B-VG sieht sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verpflichtet, die Aufhebung der Bestimmungen des ÖRP, gegen deren Gesetzmäßigkeit es Bedenken hegt, sowie der damit in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.
2. Gemäß § 57 Abs. 3 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (VfGG), BGBl. 85 idF BGBl. I 92/2014, dürfen in dem beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Beschwerdeverfahren bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
Daher ist das Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu unterbrechen und erst danach fortzusetzen.
3. Der von der belangten Behörde vorgelegte Verwaltungsakt in seinen wesentlichen Bestandteilen in gescannter Form sowie die oben erwähnten Urkunden und die Verhandlungsschrift vom 1.8.2022 sind dem Antrag in Kopie angeschlossen.
Schlagworte
Bau- und Raumordnungsrecht; Baubewilligung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.760.002.2022Zuletzt aktualisiert am
25.10.2022