Index
27/01 RechtsanwälteNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die Unvereinbarkeit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft ausschließlich bei Beamten – im Gegensatz zu Vertragsbediensteten – auf Grund einer Bestimmung der RAO; Zulässigkeit der Anfechtung einzelner Bestandteile einer Legaldefinition auf Grund Bereinigung der Rechtslage für den Anlassfall sowie Beibehaltung des Sinngehalts der verbleibenden Wortfolge; Ungleichbehandlung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Dienstverhältnissen nicht sachlich begründet; Bindung der Beamte und Vertragsbedienstete an die Weisungen der obersten Organe ist mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft auf Grund deren Verpflichtungen gegenüber den Parteien unvereinbar und besteht unabhängig von der Art der entgeltlichen dienstrechtlichen Stellung als Beamter oder VertragsbediensteterRechtssatz
Aufhebung der Wortfolge "durch ernannte berufsmäßige Organe" in §20 lita Rechtsanwaltsordnung (RAO) idF BGBl I 19/2020. Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 31.10.2023. Im Übrigen: Abweisung des Antrags des OGH.
Zulässigkeit der Anfechtung einzelner Bestandteile einer Legaldefinition: Die vom OGH in seinem Antrag dargelegten Bedenken richten sich gegen die aus der Legaldefinition des Begriffes "besoldetes Staatsamt" in §20 lita RAO. Unter der Prämisse, dass der VfGH den Bedenken des OGH folgt, würde die Aufhebung der Legaldefinition genügen, um die behauptete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Gegen den ebenfalls präjudiziellen Teil des §20 lita RAO, der festlegt, dass die Führung eines besoldeten Staatsamtes (mit der Ausnahme des Lehramtes) als mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar gilt, hegt der OGH keine Bedenken. Vielmehr würde die Beseitigung der angefochtenen Wortfolge ausreichen, um die Rechtslage für den Anlassfall so weit zu bereinigen, dass die geltend gemachten Bedenken des OGH nicht mehr bestünden. §20 lita RAO würde durch eine etwaige Aufhebung der angefochtenen Wortfolge auch keinen anderen Sinngehalt erhalten.
Die durch die Legaldefinition in §20 lita RAO bewirkte unterschiedliche Behandlung ernannter berufsmäßiger Organe und vertraglich bestellter Organe im Hinblick auf die Unvereinbarkeit ihrer Tätigkeiten mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz:
Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Dienstverhältnissen bildet nicht der Aufgabenkreis des Dienstnehmers, sondern die Art der Entstehung des Dienstverhältnisses. Öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse werden durch einen Akt der Hoheitsverwaltung begründet, privatrechtliche Dienstverhältnisse durch einen Vertrag.
Die Unvereinbarkeit mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft besteht für ernannte berufsmäßige Organe aber nicht auf Grund ihrer dienstrechtlichen Stellung, sondern auf Grund ihrer an die Weisungen der obersten Organe des Bundes oder der Länder, des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft oder des Präsidenten des Rechnungshofes gebundenen entgeltlichen Tätigkeit für den Staat. Sie steht mit den Vorgaben des §9 Abs1 RAO, wonach Rechtsanwälte dazu verpflichtet sind, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte der Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten, in einem Spannungsverhältnis.
Dieses Spannungsverhältnis besteht unabhängig davon, ob die weisungsgebundene entgeltliche Tätigkeit für den Staat von einem ernannten berufsmäßigen oder einem vertraglich bestellten Organ ausgeübt wird. Es sind keine sachlichen Gründe erkennbar, weshalb die Unvereinbarkeit mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft allein von der dienstrechtlichen Stellung des Organs abhängig sein soll. Der VfGH teilt daher die Bedenken des OGH, wonach die unterschiedliche Behandlung ernannter berufsmäßiger und vertraglich bestellter Organe im Hinblick auf die Unvereinbarkeit ihrer Tätigkeiten mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft im vorliegenden rechtlichen Kontext nicht sachlich begründet ist.
Zur Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes ist es ausreichend, jene Wortfolge in der angefochtenen Legaldefinition des Begriffes "besoldetes Staatsamt" aufzuheben, die die unterschiedliche Behandlung von ernannten berufsmäßigen Organen und vertraglich bestellten Organen bewirkt. Es wird daher die Wortfolge "durch ernannte berufsmäßige Organe" in §20 lita RAO wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz aufgehoben.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Rechtsanwälte, Vertragsbedienstete, Unvereinbarkeit, Weisung, Dienstverhältnis, Oberste Organe der Vollziehung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Gerichtsantrag, Dienstrecht, Vertreter, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G173.2022Zuletzt aktualisiert am
25.10.2022