TE Vwgh Erkenntnis 1996/3/21 95/18/0519

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Veröffentlicht am 21.03.1996
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Index

21/03 GesmbH-Recht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11 Abs1;
GmbHG §17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte

Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Rutter, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 10. November 1994, Zl. IV-248.510/FrB/94, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde) vom 10. November 1994 wurde der dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, von dieser Behörde am 12. Oktober 1987 erteilte unbefristete Sichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, für ungültig erklärt.

Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer, der sich seit 31. Juli 1976 in Österreich aufhalte, wegen sieben Verwaltungsübertretungen (zweimal wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, dreimal wegen unbefugter Konzessionsausübung, je einmal nach dem Wiener Jugendschutzgesetz und dem Bazillenausscheidergesetz) bestraft worden sei (wobei nach Ausweis der vorgelegten Akten sämtliche Bestrafungen aus dem Jahr 1992 datieren). Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer in den Jahren 1988 und 1991 je einmal wegen Verstoßes gegen § 64 (§ 63 Abs. 1 Z. 1) Lebensmittelgesetz gerichtlich verurteilt worden.

"Lt. Aktenlage" sei der Beschwerdeführer verheiratet; aus den "ha. Unterlagen" sei jedoch nicht ersichtlich, ob sich die Ehegattin bzw. weitere Familienangehörige im Bundesgebiet aufhielten. Aufgrund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich könne ihm jedenfalls eine "gewisse Bindung zum österreichischen Bundesgebiet" nicht abgesprochen werden. Nach Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Privatinteressen des Beschwerdeführers sei die belangte Behörde zur Ansicht gelangt, daß die erstgenannten unverhältnismäßig schwerer wögen als die mit der Aberkennung des Sichtvermerkes verbundenen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, da die angeführten Verurteilungen bzw. Bestrafungen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten. Die Aberkennung des Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erscheine im Hinblick auf die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, insbesondere die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, eines geregelten Fremdenwesens und der Volksgesundheit, dringend geboten.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 11 Abs. 1 FrG ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2) rechtfertigen würden.

Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

2.1. Nach Meinung des Beschwerdeführers ist der angefochtene Bescheid inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde zu Unrecht eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie der Volksgesundheit angenommen habe. Sie habe keine Zukunftsprognose angestellt und sich demnach auch nicht damit auseinandergesetzt, daß der Beschwerdeführer seine Funktion als Geschäftsführer der F-Gesellschaft m.b.H. (auf welche sämtliche Bestrafungen zurückzuführen seien) niedergelegt habe. Aufgrund des zuletzt genannten Umstandes sei in Zukunft "mit weiteren einschlägigen Verurteilungen nicht mehr zu rechnen".

Der belangten Behörde sei eine "weitere falsche Auslegung" der "§§ 10 und 11 FrG" insofern anzulasten, als sie nicht berücksichtigt habe, daß vom Gesetz "unzweifelhaft auf den Zeitpunkt der Erteilung des Sichtvermerkes Bezug genommen (wird)". Der unbefristete Sichtvermerk des Beschwerdeführers stamme vom 12. Oktober 1987; zu diesem Zeitpunkt habe sich dieser bereits elf Jahre in Österreich aufgehalten, ohne Verstöße gegen die Rechtsordnung gesetzt zu haben, sodaß die Erteilung des Sichtvermerkes zu Recht erfolgt sei, da zu diesem Zeitpunkt keine Versagungsgründe vorgelegen seien. Es sei somit unzulässig, nunmehr gerichtliche Verurteilungen aus den Jahren 1988 und 1991 sowie Verwaltungsübertretungen aus den Jahren 1991 und 1992 heranzuziehen.

Im übrigen habe die belangte Behörde offensichtlich eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie der Volksgesundheit "ohnedies nicht ernsthaft angenommen", da sie ansonsten mit der Bescheiderlassung nicht bis 10. November 1994 zugewartet hätte.

2.2.1. Wesentlich für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist, ob das (gesamte) Verhalten des Fremden die Annahme rechtfertigt, sein Aufenthalt gefährde die (oder zumindest eines der) in dieser Bestimmung genannten Rechtsgüter (vgl. dazu etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 1995, Zl. 95/18/0086). Der Beschwerdeführer wurde - unbestritten - im Jahr 1992 zweimal wegen eines Verstoßes gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz, dreimal wegen unbefugter Konzessionsausübung sowie je einmal wegen Übertretung des Wiener Jugendschutzgesetzes und des Bazillenausscheidergesetzes bestraft, darüber hinaus zweimal wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz gerichtlich verurteilt (1988 und 1991). Die belangte Behörde hat das diesen Bestrafungen und Verurteilungen zugrunde liegende Verhalten des Beschwerdeführers als auf der "gleichen schädlichen Neigung beruhend" bezeichnet. Sie wollte damit im gegebenen Zusammenhang erkennbar den rechtlich relevanten Umstand zum Ausdruck bringen, daß der Beschwerdeführer wiederholt durch gleichartiges Verhalten, bezogen auf das beeinträchtigte Rechtsgut der öffentlichen Ordnung, strafbare Handlungen begangen hat: Allein die wiederholte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet der Arbeitsmarktverwaltung (hier: durch Beschäftigung von Fremden ohne die hiefür erforderliche Bewilligung nach dem AuslBG) ist im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Hintanhaltung von "Schwarzarbeit" (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 5. April 1995, Zl. 94/18/1030, und vom 23. November 1995, Zl. 95/18/0603) geeignet, den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG (in Ansehung der öffentlichen Ordnung) zu verwirklichen. Das Hinzutreten einer mehrmaligen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Gewerberechtes läßt die Subsumtion des verpönten Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers unter § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG durch die belangte Behörde umso mehr gerechtfertigt erscheinen. Angesichts dessen schadet die überschießende Wertung durch die belangte Behörde dahin, daß das Fehlverhalten des Beschwerdeführers auch die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Volksgesundheit gefährde, nicht. Daß der Beschwerdeführer seine Geschäftsführertätigkeit im Rahmen der F-Gesellschaft m.b.H. beendet hat, führt zu keiner anderen Beurteilung, wird doch durch diese Maßnahme allein keineswegs ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer künftig neuerlich ein die öffentliche Ordnung in der besagten Weise beeinträchtigendes Verhalten setzt.

2.2.2. Die Beschwerdemeinung, die belangte Behörde habe die maßgebliche Bestimmung des § 11 Abs. 1 FrG falsch ausgelegt, ist verfehlt. Das dazu erstattete Vorbringen zeigt vielmehr, daß der Beschwerdeführer die Rechtslage verkennt. Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 leg. cit. läßt keinen Zweifel daran, daß für die Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes nicht auf die Sachlage im Zeitpunkt der seinerzeitigen Sichtvermerkserteilung, sondern darauf abzustellen ist, ob zu einem späteren Zeitpunkt Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die nunmehr, wäre über einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes abzusprechen, insoweit zu einer negativen Entscheidung führen würden. Daß dies aber aufgrund des vom Beschwerdeführer im Jahr 1992 gesetzten gesamten Fehlverhaltens im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG der Fall wäre, wurde von der belangten Behörde, wie dargetan, zutreffend bejaht.

2.2.3. Wenngleich die von der Beschwerde angesprochene zeitliche Dimension gewiß nicht unbeachtlich ist, so ist der Zeitraum zwischen dem sich über das ganze Jahr 1992 erstreckenden erheblichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers und der Erlassung des die Ungültigerklärung aussprechenden bekämpften Bescheides doch keinesfalls von solchem Ausmaß, daß eine Gefährdung durch den (weiteren) Aufenthalt des Beschwerdeführers im Grunde des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht (mehr) angenommen werden dürfte.

Die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit liegt demnach nicht vor.

3. Die Verfahrensrüge, wonach es die belangte Behörde nicht für notwendig erachtet habe, zur Zurücklegung der Geschäftsführertätigkeit in der F-Gesellschaft m.b.H. "irgendwelche Erhebungen durchzuführen", und derzufolge dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen worden sei, sich "zum Gefährdungstatbestand" zu äußern, ist nicht zielführend. Daß die Zurücklegung der Funktion des Geschäftsführers in der genannten Gesellschaft durch den Beschwerdeführer im vorliegenden Zusammenhang ohne Relevanz ist, wurde oben

II. 2.2.1. dargelegt; Ermittlungen hiezu waren mithin entbehrlich. Zur Rüge der Verletzung des Parteiengehörs ist darauf hinzuweisen, daß diesem ausschließlich der von der Behörde als maßgeblich festgestellte Sachverhalt, nicht aber (auch) dessen rechtliche Beurteilung unterliegt (§ 45 Abs. 3 AVG).

4.1. Begündungsmängel erblickt die Beschwerde darin, daß die belangte Behörde nicht dargelegt habe, weshalb Verurteilungen aus den Jahren 1988 und 1991 iVm "einigen Verwaltungsübertretungen" aus dem Jahr 1992 "nunmehr, nämlich am 10.11.1994", öffentliche Interessen gefährden sollten, und im Fehlen einer Auseinandersetzung damit, daß sich der Beschwerdeführer seit 1976 wohlverhalten habe, weshalb ihm im Jahr 1987 ein unbefristeter Sichtvermerk erteilt worden sei. Diese Begründungsmängel seien insofern wesentlich, als die öffentlichen Interessen an der nachträglichen Ungültigerklärung des Sichtvermerkes "gegenüber der Unbilligkeit der nachträglichen Beseitigung des Sichtvermerkes" jedenfalls zurückzutreten hätten, "weil durch den angefochtenen Bescheid die Entfaltung und Wirksamkeit der Rechtskraft der Erteilung des Sichtvermerkes beeinträchtigt wird".

4.2.1. Hinsichtlich des erstgenannten Einwandes genügt es auf die obigen Ausführungen unter II. 2.2.3. zu verweisen, aus denen sich dessen mangelnde Relevanz ergibt. Was den zweitgenannten Vorwurf anlangt, so ist die Beschwerde darauf hinzuweisen, daß vorliegend nicht die rechtliche Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers in der Zeit von 1976 bis 1987 zur Diskussion steht, sondern allein die Frage, ob und inwieweit das Verhalten des Beschwerdeführers nach Erteilung des Sichtvermerkes im Jahr 1987 - unter Bedachtnahme auf dessen private und familiäre Interessen - ein behördliches Vorgehen gemäß § 11 Abs. 1 FrG rechtfertigt. Daß bei der Prüfung dieser Frage auch auf das zeitliche Moment Bedacht zu nehmen ist, und zwar derart, daß jedenfalls lang zurückliegendes Fehlverhalten nicht mehr als den Tatbestand des § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG verwirklichend herangezogen werden darf, führt freilich nicht dazu, daß das vorliegend zu beurteilende, lediglich zwei Jahre zurückliegende Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers diesem Tatbestand rechtens nicht subsumiert werden könnte.

4.2.2. Zu der vom Beschwerdeführer schließlich angesprochenen Notwendigkeit der Abwägung der öffentlichen Interessen mit seinen gegenläufigen persönlichen Interessen ist festzuhalten, daß die belangte Behörde eine solche, im Grunde des Art. 8 Abs. 2 MRK gebotene, Interessenabwägung vorgenommen hat. Deren Ergebnis blieb in der Beschwerde unbekämpft. Auch der Gerichtshof hegt insoweit keine Bedenken, zumal der Beschwerdeführer mit seiner Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe hinsichtlich seines Personalstandes keine Erhebungen vorgenommen, nicht dartut, welche für den Ausgang des Verfahrens bedeutsame diesbezügliche Feststellungen sie zu treffen unterlassen habe. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer nach Ausweis der Akten (übereinstimmende Angabe in mehreren Sichtvermerksanträgen) nicht wie im angefochtenen Bescheid festgestellt verheiratet, sondern ledig ist. Auch dieser Umstand im Zusammenhalt damit, daß der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet hat, in Österreich private oder familiäre Bindungen zu haben, spricht dafür, das von der belangten Behörde gewonnene Ergebnis, daß die maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Ungültigerklärung des Sichtvermerkes schwerer wögen als die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Unterbleiben dieser Maßnahme, als rechtlich einwandfrei zu beurteilen. Der langjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet allein vermag jedenfalls kein Übergewicht seiner Privatinteressen gegenüber den durch ihn in erheblichem Maß verletzten öffentlichen Interessen zu begründen.

5. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 VwGG iVm der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995180519.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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