TE Vwgh Beschluss 2022/9/21 Ra 2022/19/0147

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Veröffentlicht am 21.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des A B, vertreten durch Dr. Stephan Heckenthaler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Sterngasse 13, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch die RIHS Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das am 25. Oktober 2021 mündlich verkündete und am 4. Jänner 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, L519 2234057-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 16. Jänner 2004 einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 22. März 2005 abgewiesen wurde. Das BAA stellte jedoch fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 nicht zulässig sei und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Diese wurde zuletzt mit Bescheid vom 14. Mai 2018 verlängert (bis 22. März 2020).

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 18. Februar 2020 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs. 1 (fünfter und sechster Fall) und Abs. 4 Z 3 SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 (erster und zweiter Fall) und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

3        Mit Bescheid vom 16. Juli 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Zudem erließ das BFA ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Das BVwG begründete die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowohl mit der Verwirklichung des Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005, dem Wegfall der Voraussetzungen zur Zuerkennung subsidiären Schutzes, als auch des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, der rechtskräftigen Verurteilung des Revisionswerbers durch ein inländisches Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB).

5        Mit Beschluss vom 29. April 2022, E 403/2022-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe es verabsäumt, seinem Erkenntnis aktuelle Länderberichte zugrunde zu legen. Das BVwG hätte einen nach mündlicher Verkündung und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses veröffentlichten Bericht, der die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers neu bewerte, berücksichtigen müssen. Der Entscheidungszeitpunkt bestimme sich nämlich nach der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eines Erkenntnisses.

Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass das BVwG seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hatte. Dieser Zeitpunkt ist bei der Entscheidung durch einen Einzelrichter der Zeitpunkt der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung oder (falls eine solche stattgefunden hat) der mündlichen Verkündung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0163, mwN).

Die mit der Revision vorgelegten Berichte datieren erst nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG (nämlich der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses) und können daher bei der Entscheidung über die Revision keine Berücksichtigung finden (vgl. dazu auch VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0387, mwN).

9        Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe auch die im Erkenntnis selbst getroffenen Länderfeststellungen nur unzureichend berücksichtigt und außer Acht gelassen, dass die Sicherheits- und Versorgungslage in Kirkuk, der Herkunftsregion des Revisionswerbers, prekär sei, übersieht sie, dass das BVwG die Aberkennung auch auf das (nunmehrige) Vorhandensein einer (zumutbaren) innerstaatlichen Fluchtalternative in der irakischen Hauptstadt Bagdad gegründet hat (zur Zulässigkeit dieser Erwägung im Aberkennungsverfahren nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 siehe VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153).

Der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative hält die Revision nichts entgegen.

10       Schließlich wendet sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung und bringt vor, das BVwG habe die überlange Dauer des Beschwerdeverfahrens sowie den langjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers und seine Deutschkenntnisse nicht berücksichtigt.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden. Das persönliche Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 3.3.2021, Ra 2021/19/0023, mwN).

Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt (vgl. etwa VwGH 21.4.2022, Ra 2022/19/0004, mwN).

12       Das BVwG berücksichtigte vorliegend alle entscheidungswesentlichen Umstände, darunter auch die Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers, seine Deutschkenntnisse sowie seine strafgerichtliche Verurteilung und kam unter besonderer Berücksichtigung des hohen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.

13       Der Revision, die sich lediglich pauschal auf Aspekte bezieht, die das BVwG in seiner Interessenabwägung ohnehin berücksichtigt hat, gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre.

14       Einer überlangen Verfahrensdauer käme lediglich dann Relevanz für den Verfahrensausgang zu, wenn sich während der Verfahrensdauer schützenswerte familiäre oder private Interessen herausgebildet hätten (vgl. VwGH 30.12.2021, Ra 2021/19/0446, mwN).

Auch dies wird von der Revision nicht ausreichend dargelegt.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

16       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 21. September 2022

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190147.L00

Im RIS seit

24.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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