TE Vwgh Beschluss 2022/9/26 Ra 2022/18/0223

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Veröffentlicht am 26.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. K N, 2. D N und 3. A N, alle vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2022, 1. L515 2193784-2/25E, 2. L515 2193781-2/24E und 3. L515 2193778-2/18E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Georgiens. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind die Eltern des minderjährigen Drittrevisionswerbers. Sie stellten am 23. Dezember 2017 Anträge auf internationalen Schutz, die sie im Wesentlichen mit der Krankheit des Erstrevisionswerbers begründeten.

2        Diese Anträge wurden im ersten Rechtsgang hinsichtlich des begehrten Status von Asylberechtigten rechtskräftig abgewiesen. Offen blieb für das fortgesetzte Verfahren, ob ihnen allenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG den Antrag der revisionswerbenden Parteien (auch) hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Erstrevisionswerber leide an einer Lähmung beider Beine, davon abgeleitet an einer Blasenstörung sowie an Hypertonie, Bluthochdruck und psychischen Problemen. Er bedürfe primär einer näher festgestellten medikamentösen Therapie sowie rehabilitativer Maßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts und eines operativen Eingriffs zur Magenverkleinerung. Bei der Verrichtung von Alltagshandlungen sei er weitgehend auf die Hilfe einer Begleitperson angewiesen. Die benötigte Behandlung sei in Georgien verfügbar, medizinische Versorgung grundsätzlich flächendeckend gewährleistet und dem Erstrevisionswerber auch zugänglich. Der Erstrevisionswerber beziehe eine Invaliditätspension und habe zudem einen Pensionsanspruch. Weiters könne eine volljährige (Stief-)Tochter in Österreich die revisionswerbenden Parteien finanziell unterstützen und würden diese auch über ein familiäres Unterstützungsnetzwerk durch weitere enge Familienangehörige in Georgien verfügen. Soweit für die Behandlung des Erstrevisionswerbers ein Selbstbehalt zu tragen sei, verwies das BVwG zudem auf die Möglichkeit eines Kostenersatzes durch eine eigens dafür eingerichtete Kommission sowie darauf, dass die revisionswerbenden Parteien zu Beginn Rückkehrhilfe und ein medizinisches Programm von IOM in Anspruch nehmen sowie darüber hinaus auf Unterstützung durch karitative Einrichtungen zurückgreifen könnten. Hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin führte das BVwG zudem aus, dass diese trotz der Pflege des Erstrevisionswerbers und der Beaufsichtigung des Drittrevisionswerbers schon vor der Ausreise aus Georgien sowie in Österreich Gelegenheitsarbeiten geleistet habe, weshalb davon auszugehen sei, dass sie diese auch stundenweise bei ihrer Rückkehr fortsetzen könnte.

5        Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dg. Beschluss vom 14. Juni 2022, E 656-658/2022-7, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof über nachträglichen Antrag der revisionswerbenden Parteien mit Beschluss vom 12. Juli 2022, E 656-658/2022-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten wurde.

6        In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht, das BVwG habe aufgrund erheblicher Ermittlungs- und Begründungsmängel gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen. Das BVwG habe unberücksichtigt gelassen, ob der Erstrevisionswerber zu einer COVID-19-Risikogruppe gehöre und welche Folgen eine Erkrankung im Herkunftsstaat für ihn hätte. Darüber hinaus habe sich das BVwG nicht mit den Kosten der Medikamente und der Behandlung, der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem sozialen Netzwerk der revisionswerbenden Parteien, der konkreten Entfernung, welcher der Erstrevisionswerber zur Behandlung zurücklegen müsse, anfänglichen Schwierigkeiten beim Zugang zu angemessener Behandlung sowie der Verfügbarkeit therapeutischer Maßnahmen auseinandergesetzt. Auch mangle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob die von Österreich ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen sei.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.7.2021, Ra 2021/18/0208, mwN und Hinweis auf das Urteil EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien).

11       Die Revision macht geltend, das BVwG habe im Lichte dieser Rechtsprechung das reale Risiko einer Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte des kranken Erstrevisionswerbers fehlerhaft beurteilt und seine Ermittlungspflichten verletzt.

12       Dem ist entgegen zu halten, dass sich das BVwG sowohl mit der Erkrankung des Erstrevisionswerbers, den erforderlichen Therapien und Medikamenten sowie deren Verfügbarkeit in Georgien im Allgemeinen und für den Erstrevisionswerber im Besonderen umfangreich auseinandergesetzt hat. Dass ihm dabei eine vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsverfahren wahrzunehmende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, vermag die Revision nicht hinreichend darzutun.

13       Sofern die Revision auch im Zusammenhang mit einer möglichen COVID-19-Infektion des Erstrevisionswerbers Verfahrensmängel des BVwG rügt, ist erneut auf die soeben dargestellte Judikatur des EGMR und die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK zu verweisen. Darüber hinaus vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass hinsichtlich der COVID-19-Pandemie, entgegen den Feststellungen des BVwG, wonach Georgien ausreichende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gesetzt habe und es dem Erstrevisionswerber freistehe, eine Schutzimpfung in Anspruch zu nehmen, exzeptionelle Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/01/0273, mwN).

14       Die Revision bringt darüber hinaus vor, es fehle Rechtsprechung zur Beachtlichkeit der UN-Behindertenkonvention, räumt jedoch selbst ein, dass vom Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen wurde, dass die von Österreich ratifizierte Konvention nicht unmittelbar anwendbar ist und keine Verpflichtung der Staaten zur Einräumung eines Rechtsanspruches auf bestimmte Maßnahmen der Behindertenhilfe vorsehe (vgl. VwGH 29.2.2012, 2011/10/0035, mwN).

15       Davon abgesehen ist zu den Rückkehrentscheidungen festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 18.7.2022, Ra 2022/18/0154, mwN). Die Revision legt nicht dar, dass das BVwG bei seiner Abwägung den ihm nach der dargestellten Rechtsprechung eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hätte.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 26. September 2022

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180223.L00

Im RIS seit

24.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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