TE Vwgh Erkenntnis 2022/9/26 Ra 2021/01/0296

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.2022
beobachten
merken

Index

Auswertung in Arbeit!

Norm

Auswertung in Arbeit!

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Röder, über die Revision des R W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das am 22. April 2021 mündlich verkündete und mit 7. Juni 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW-152/022/14253/2020-23, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Wiener Landesregierung (belangte Behörde) leitete aus Anlass des Antrags des Revisionswerbers vom 5. Februar 2018 auf Ausstellung eines österreichischen Reisepasses ein Feststellungsverfahren betreffend die Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers ein und stellte mit Bescheid vom 21. September 2020 gemäß §§ 39 und 42 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) fest, dass der am XX.XX 1958 geborene Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft weder durch Abstammung noch auf andere Weise erworben habe und nicht österreichischer Staatsbürger sei.

2        Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Vater des Revisionswerbers von 1946 bis 1949 in Frankreich und von 1956 bis 1958 in Spanien jeweils an einer öffentlichen Sekundarschule unterrichtet habe. Der Vater des Revisionswerbers sei somit vor der Eheschließung mit der Mutter des Revisionswerbers, einer damals US-amerikanischen Staatsangehörigen, im Jahr 1957 freiwillig in den öffentlichen Dienst eines fremden Staates getreten und habe dadurch gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1949 (StbG 1949) seine österreichische Staatsbürgerschaft verloren. Somit habe auch die Mutter des Revisionswerbers durch die Eheschließung nicht die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben können. Die Eltern des Revisionswerbers seien somit bei seiner Geburt im Jahr 1958 nicht österreichische Staatsbürger gewesen, weshalb er die österreichische Staatsbürgerschaft nicht kraft Abstammung habe erwerben können. Der Revisionswerber sei daher nicht österreichischer Staatsbürger.

3        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe, dass die Feststellung gemäß § 42 Abs. 3 StbG erfolge, als unbegründet ab (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4        Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung die nachfolgenden wesentlichen Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde:

Der 1917 in Wien geborene Vater des Revisionswerbers sei in näher genannter Gemeinde in Vorarlberg heimatberechtigt gewesen. Am 5. Dezember 1945 sei er aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und am 15. Dezember 1945 aus dem Heeresdienst entlassen worden. In der Folge sei der Vater nach Frankreich zurückgekehrt. Dort sei er von 1946 bis 1949 neben seinem Studium an der Universität M. als Deutschlehrer an einem Lycée in B. tätig gewesen. 1954 sei er in die USA gezogen und habe neben seinem Studium an der Y Universität 1954 zugleich als Englisch- und Französischlehrer an einer High School in einer näher genannten Stadt in Connecticut gearbeitet. Dabei sei er jeweils als Lehrer an einer staatlichen Schule tätig gewesen. Diese Lehrtätigkeiten seien nicht durch eine besondere finanzielle Not bedingt gewesen. Demgegenüber habe es sich bei den Tätigkeiten als Englischlehrer in einem Lycée in A. in Frankreich im Jahr 1953 sowie in Madrid von 1956 bis 1958 um Tätigkeiten an Privatschulen gehandelt. Am 24. Dezember 1957 habe der Vater die Mutter des Revisionswerbers, eine US-amerikanische Staatsangehörige, geheiratet.

Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, die Tätigkeiten des Vaters des Revisionswerbers als Englischlehrer an Privatschulen 1953 in Frankreich sowie von 1956 bis 1958 in Madrid ergäben sich aus im Wege der österreichischen Botschaften in Madrid und Paris eingeholten Auskünften näher genannter französischer und spanischer Stellen. Laut diesen Auskünften hätten keine Aufzeichnungen über die Tätigkeit des Vaters bei einer staatlichen Schule gefunden werden können. Dies spreche dafür, dass der Vater in diesen Regionen nicht bei einer staatlichen Schule beschäftigt gewesen sei.

Hinsichtlich der Lehrtätigkeit des Vaters von 1946 bis 1949 in Frankreich sowie 1954 in den USA gebe es keine weiteren Informationen im Wege der diplomatischen Beziehungen.

Aus näher genannten Quellen ergebe sich, dass in Frankreich im Schuljahr 1960/1961 etwa 60.000 Lehrer an öffentlichen Schulen und nur etwa 26.000 an Privatschulen der höheren Sekundarstufe beschäftigt gewesen seien. In den USA sei ein noch stärkeres Gewicht auf den öffentlichen Schulen gelegen. Im Schuljahr 1951/1952 habe es etwa 23.700 öffentliche Sekundarschulen und nur 3.322 private Sekundarschulen gegeben. Dass der Vater des Revisionswerbers sowohl in B./Frankreich als auch in den USA an einer Privatschule tätig gewesen sei, erscheine angesichts dessen „als äußerst unwahrscheinlich“. Konkrete dafürsprechende Anhaltspunkte seien seitens des Revisionswerbers nicht vorgebracht worden.

Nach § 45 Abs. 2 AVG sei eine Tatsache nicht erst dann als erwiesen anzunehmen, wenn sie mit „absoluter Sicherheit“ erweislich sei. Angesichts der in diesem Fall vorliegenden weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Vater des Revisionswerbers an einer staatlichen Schule tätig gewesen sei, könne dies gemäß § 45 Abs. 2 AVG als erwiesen erachtet werden. Schließlich stütze sich die Beweiswürdigung auf den vom Vater eigenhändig verfassten Lebenslauf sowie die statistischen Daten über die Verbreitung von Privatschulen als taugliche Beweismittel.

Rechtlich legte das Verwaltungsgericht dar, der in einer vorarlberger Gemeinde heimatberechtigte Vater des Revisionswerbers sei gemäß § 2 des Bundesgesetzes vom 30. Juli 1925 über den Erwerb und den Verlust der Landes- und Bundesbürgerschaft, BGBl. 285/1925 (StbG 1925), Landesbürger gewesen. Er habe gemäß § 13 leg.cit. durch den Erwerb der Landesbürgerschaft auch die Bundesbürgerschaft erworben. Gemäß § 1 Abs. 1 lit. a des Gesetzes vom 10. Juli 1945 über die Überleitung in die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetz - St-ÜG.), StGBl. Nr. 59/1945, seien österreichische Staatsbürger ab 27. April 1945 die Personen, die am 13. März 1938 die österreichische Bundesbürgerschaft besessen hätten.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1945 habe die Staatsbürgerschaft durch Ausbürgerung verloren, wer freiwillig in den öffentlichen Dienst oder Militärdienst eines fremden Staates getreten sei, mit Ausnahme des Antritts der Stelle eines Hochschullehrers im Ausland, sofern nach den Gesetzen dieses Staates mit dem Antritt des Hochschullehramtes der Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft nicht verbunden gewesen sei.

Nach näher dargestellter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei unter dem Begriff „öffentlicher Dienst“ die Verwendung als Bediensteter bei einer staatlichen Dienststelle, die behördliche Aufgaben und damit Aufgaben der Hoheitsverwaltung zu besorgen habe, zu verstehen. Nach der damaligen Rechtslage sei es unerheblich gewesen, ob der Betroffene in einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienstverhältnis zum fremden Staat gestanden sei und ob es sich um ein definitives oder zeitlich begrenztes Dienstverhältnis gehandelt habe. Ebenso sei unerheblich gewesen, ob der Betroffene nur untergeordnete Dienste verrichtet habe. Nach näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur damaligen Rechtslage stelle die Tätigkeit als Lehrer an einer staatlichen Schule den Eintritt in den öffentlichen Dienst eines fremden Staates dar, unabhängig davon, ob der Betreffende mit seinem Dienstantritt die Absicht bekundet habe, seine Zugehörigkeit zum Heimatstaat zu lösen und sich an den fremden Staat zu binden. Es sei auch ohne Belang, ob die Lehrtätigkeit in einem Bundesstaat für eine formal einem Gliedstaat zuzurechnende Schule erfolge. Wenn zur Beseitigung oder Vermeidung einer Notlage für den Betreffenden nur der Weg des Eintritts in den Dienst des fremden Staates offengestanden sei, könne nicht mehr von „Freiwilligkeit“ des Eintritts in den Dienst eines fremden Staates gesprochen werden.

Vorliegend habe der Vater des Revisionswerbers durch seine Tätigkeit als Lehrer an einer staatlichen Schule in Frankreich von 1946 bis 1949 bzw. 1954 in den USA, die nicht durch eine besondere finanzielle Notlage bedingt gewesen sei, gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1945 bzw. 1949 verloren. Die Heirat der Eltern des Revisionswerbers 1957 habe daher nicht zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Mutter gemäß § 4 Abs. 1 StbG 1949 geführt. Zum Zeitpunkt der Geburt des Revisionswerbers am XX.XX 1958 seien seine Eltern nicht österreichische Staatsbürger gewesen, weshalb er die Staatsbürgerschaft nicht durch Abstammung habe erwerben können. Überdies seien keine sonstigen Umstände des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Revisionswerber zu einem späteren Zeitpunkt hervorgekommen. Der Revisionswerber habe daher die österreichische Staatsbürgerschaft nie besessen.

Den Ausspruch über die mangelnde Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Hinweis auf die näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Verlust der Staatsbürgerschaft gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1945 bzw. 1949 sowie zu § 45 Abs. 2 AVG.

5        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde brachte in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung ein.

6        Überdies erhob der Revisionswerber gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), deren Behandlung der VfGH mit Beschluss vom 22. September 2021, E 2234/2021-13, ablehnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zulässigkeit

7        Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision zusammengefasst vor, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gründe sich auf aus Statistiken abgeleitete abstrakte Wahrscheinlichkeiten, ohne auf die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere auf entsprechendes Vorbringen des Revisionswerbers einzugehen. So habe der Revisionswerber entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts darauf hingewiesen, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass sein Vater lediglich ein Jahr nach seiner Entlassung aus der französischen Kriegsgefangenschaft in Frankreich als Lehrer an einer öffentlichen Schule tätig gewesen sei. Ebenso sei sein Vater Katholik gewesen und habe mehrmalig seine Tätigkeit an Schulen über Landesgrenzen hinweg gewechselt, insbesondere ins katholische Spanien. Dies sei nur bei Integration in die katholischen Bildungseinrichtungen nicht ungewöhnlich gewesen. Die vom Verwaltungsgericht auf Basis von Statistiken vorgenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnungen entsprächen nicht dem maßgeblichen Beweismaß der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ bzw. der „überragenden Wahrscheinlichkeit“.

8        Zusammengefasst habe das Verwaltungsgericht aktenwidrig angenommen, der Revisionswerber hätte keine Anhaltspunkte für die Tätigkeit seines Vaters an Privatschulen vorgebracht, diesbezüglich gegen seine amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen und seine entscheidungswesentlichen Feststellungen auf eine unvertretbare Beweiswürdigung gestützt.

9        Damit richtet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0281, Rn. 5, mwN).

11       Dies vermag die Revision in ihren im Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Gründen aufzuzeigen. Die Revision ist insofern zulässig und berechtigt.

Rechtslage

12       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind staatsbürgerschaftsrechtlich relevante Sachverhalte nach den staatsbürgerschaftsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, die zum betreffenden Zeitpunkt in Geltung standen (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0331, Rn. 9, mwN). In Bezug auf die im vorliegenden Verfahren über die amtswegige Feststellung nach § 42 Abs. 3 StbG gegenständliche Frage, ob der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft kraft Abstammung erlangt hat, ist dies die Rechtslage zum XX.XX 1958 (vgl. etwa VwGH 19.9.2012, 2009/01/0003, mwN) bzw. auf die diesbezüglich wesentliche Vorfrage, ob der Vater des Revisionswerbers vor dessen Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft - infolge freiwilligen Eintritts in den öffentlichen Dienst eines fremden Staates - verloren hat, die im Zeitraum 1946 bis 1949 bzw. 1954 geltende Rechtslage (vgl. etwa VwGH 22.6.1994, 93/01/0016, mwN).

13       Im Zeitpunkt der Geburt des Revisionswerbers am XX.XX 1958 stand gemäß Anlage 2 der „Kundmachung der Bundesregierung vom 4. November 1949 über die Wiederverlautbarung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiete des Staatsbürgerschaftsrechtes“ das Staatsbürgerschaftsgesetz 1949, BGBl. Nr. 276 (StbG 1949), in Geltung, dessen maßgeblichen Bestimmungen der §§ 2 und 3 Abs. 1 lauteten:

Erwerb der Staatsbürgerschaft

§ 2. Die Staatsbürgerschaft wird erworben:

1.   durch Abstammung (Legitimation);

2.   durch Verehelichung;

3.   durch Verleihung;

4.   durch Antritt eines öffentlichen Lehramtes an einer inländischen Hochschule.

§ 3. (1) Nicht eigenberechtigte eheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft nach dem Vater. Ist der Vater staatenlos, so erwirbt das Kind die Staatsbürgerschaft, wenn die Mutter die Staatsbürgerschaft besitzt. Nicht eigenberechtigte uneheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft nach der Mutter. Werden uneheliche Kinder legitimiert, so erwerben sie die Staatsbürgerschaft nach dem Vater.“

14       Die für die Vorfrage des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft des Vaters vor der Geburt des Revisionswerbers im vorliegend relevanten Zeitraum 1946 bis 1949 sowie 1954 maßgeblichen jeweils gleichlautenden Bestimmungen des § 7 Z 2 und des § 9 Abs. 1 Z 2 erster und zweiter Satz des Gesetzes vom 10. Juli 1945 über den Erwerb und Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz), StGBl. Nr. 60/1945, bzw. des StbG 1949 lauteten wie folgt:

Verlust der Staatsbürgerschaft

§ 7. Die Staatsbürgerschaft wird verloren

...

2.   durch Ausbürgerung.“

§ 9. (1) Durch Ausbürgerung verliert die Staatsbürgerschaft, soweit nicht wehrgesetzliche Bestimmungen entgegenstehen:

...

2.   wer freiwillig in den öffentlichen Dienst oder Militärdienst eines fremden Staates tritt. Der Verlust der Staatsbürgerschaft tritt nicht ein, wenn der Staatsbürger die Stelle eines Hochschullehrers im Auslande antritt und wenn nach den Gesetzen dieses Staates mit dem Antritt des Hochschullehramtes der Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft nicht verbunden ist.“

Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1949

15       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1949 ist das Merkmal des „Eintritts in den öffentlichen Dienst eines fremden Staates“ gegeben, wenn der Dienst bei einer staatlichen Einrichtung wie etwa an einem staatlichen Gymnasium, demnach an einer Staatsanstalt erfolgt. Die Erteilung von Unterricht an Schulen gegenständlicher Art ist als öffentlicher Dienst zu werten, wie dies durch die im § 9 Abs. 1 Z 2 zweiter Satz StbG 1949 bezüglich der Hochschullehrer getroffene Regelung klar zum Ausdruck kommt. Auch der Hochschullehrer erteilt in erster Linie Unterricht, er hat in der Regel Angelegenheiten, die in den engeren hoheitlichen Bereich der Schulbehörden fallen, nicht zu besorgen. Wäre das Gesetz von dem Gedanken ausgegangen, dass die Erteilung von Unterricht kein „öffentlicher Dienst“ sei, so erschiene die in der angeführten Gesetzesstelle getroffene Regelung für Hochschullehrer wohl als überflüssig.

Als öffentlicher Dienst im Sinne dieser Bestimmung kommt nicht nur eine öffentlich-rechtliche Stellung in Betracht. Vielmehr kommt es nur auf die Verwendung im öffentlichen Dienst eines fremden Staates an. Es ist also ohne Belang, ob es sich um einen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienstvertrag handelt.

Der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1949 ist davon unabhängig, ob der betreffende Staatsbürger mit seinem Dienstantritt die Absicht bekundet, seine Zugehörigkeit zum Heimatstaat zu lösen und sich an den fremden Staat zu binden. Eine derartige Voraussetzung ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, vielmehr gründet sich diese Gesetzesbestimmung auf die Erwägung des Gesetzgebers, dass die Übernahme von Verpflichtungen gegenüber einem fremden Staatswesen zu einem Widerstreit mit den Pflichten des österreichischen Staatsbürgers führen kann (vgl. zu alldem VwGH 18.11.1959, 999/58).

Fallbezogene Beurteilung

16       Demnach kommt dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt, wonach der Vater des Revisionswerbers von 1946 bis 1949 in Frankreich sowie 1954 in den USA - somit vor der Geburt des Revisionswerbers - jeweils an einer staatlichen Schule als Lehrer tätig war, rechtlich entscheidende Bedeutung zu, weil der Vater durch diese Tätigkeit im öffentlichen Dienst eines fremden Staates gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 StbG 1949 vor der Geburt des Revisionswerbers die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hätte und der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht gemäß § 2 Z 1 iVm § 3 Abs. 1 StbG 1949 kraft Abstammung erworben hätte, zumal auch die Mutter des Revisionswerbers die österreichische Staatsbürgerschaft durch die Eheschließung mit dem Vater im Jahr 1957 nicht erwerben hätte können.

17       Diesbezüglich gelingt es der Revision aus folgenden Erwägungen, eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Beweiswürdigung aufzuzeigen:

18       Das Verwaltungsgericht stützt seine Beweiswürdigung einerseits auf Statistiken über den Anteil der in Frankreich im Schuljahr 1960/1961 an öffentlichen Schulen der höheren Sekundarstufe tätigen Lehrer an der Gesamtzahl der damals in Schulen der höheren Sekundarstufe beschäftigten Lehrer bzw. über den Anteil öffentlicher Sekundarschulen in den USA im Schuljahr 1951/1952 an der Gesamtzahl von Sekundarschulen und andererseits darauf, dass der Revisionswerber keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass sein Vater in Frankreich und den USA an Privatschulen tätig gewesen sei, vorgebracht habe. Beides spräche für eine Tätigkeit seines Vaters an einer öffentlichen Schule in den beiden hier in Rede stehenden Zeiträumen.

19       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verwaltungsgericht in Feststellungsverfahren nach § 42 StbG entsprechend dem Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG verpflichtet, den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0484, Rn. 34, mwN). Nach dem damit maßgebenden Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit hat das Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig vom Parteivorbringen und von den Parteianträgen den wahren Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise vollständig zu ermitteln. Dabei hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteienvorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge darf sich das Verwaltungsgericht nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/03/0131, Rn. 7, mwN).

20       In diesem Zusammenhang ist auf den mit § 45 Abs. 2 AVG normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung hinzuweisen, wonach die Behörde bzw. iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat. Dabei gilt das Beweismaß der „größeren inneren Wahrscheinlichkeit“ (vgl. wiederum VwGH Ra 2019/01/0484, Rn. 35, mwN).

21       Ausgehend von diesen Grundsätzen genügt der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf Statistiken über den Anteil von an öffentlichen Schulen der höheren Sekundarstufe in Frankreich tätigen Lehrern bzw. über die Anzahl von öffentlichen Sekundarschulen im Verhältnis zur Anzahl privater Sekundarschulen in den USA nicht, um die Tätigkeit des Vaters des Revisionswerbers an einer staatlichen Schule während der relevanten Zeiträume in Frankreich und den USA beweiswürdigend vertretbar zu begründen.

22       Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass das Verwaltungsgericht die konkreten Umstände des Einzelfalls, wonach der Vater des Revisionswerbers als ehemaliger Soldat der deutschen Wehrmacht bis etwa ein Jahr vor der maßgeblichen Tätigkeit als Lehrer an einer französischen Schule in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen war, unbeachtet ließ. So hat das Verwaltungsgericht jegliche Ermittlungen zur Frage, inwiefern es fremden Staatsangehörigen, insbesondere ehemaligen kriegsgefangenen Angehörigen der deutschen Wehrmacht, in Frankreich und den USA grundsätzlich überhaupt möglich war, an einer öffentlichen Schule als Lehrer tätig zu sein, unterlassen. Ebenso wenig setzte es sich in diesem Zusammenhang mit dem Vorbringen des Revisionswerbers über die Religionszugehörigkeit seines Vaters und dessen mehrmaligen Wechsel seiner Tätigkeit an Schulen auch über Staatsgrenzen hinweg auseinander.

23       Allein auf Grund des Umstandes, dass das Verwaltungsgericht im Wege der Amtshilfe seitens der österreichischen Botschaften in Frankreich und den USA zu den Tätigkeiten des Vaters als Lehrer von 1946 bis 1949 in Frankreich und im Jahr 1954 in den USA keine Auskünfte erhielt, kann aus den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Statistiken, die überdies nicht die hier relevanten Zeiträume betreffen, nicht mit „größerer innerer Wahrscheinlichkeit“ auf eine Tätigkeit an einer staatlichen Schule geschlossen werden.

24       Entgegen dem Schluss, den das Verwaltungsgericht aus der Statistik über die Verteilung der Lehrer an öffentlichen und privaten Schulen in Frankreich im Schuljahr 1960/1961 zog, war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts der Vater des Revisionswerbers 1953 als Lehrer an einem privaten Lycée in Frankreich tätig. Auch diesen mit der Annahme des Verwaltungsgerichts im Widerspruch stehenden Umstand ließ das Verwaltungsgericht unbeachtet.

25       Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts entspricht daher nicht den oben dargelegten Grundsätzen und stellt somit eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Fehlbeurteilung dar.

Ergebnis

26       Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

27       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

28       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010296.L00

Im RIS seit

24.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten