TE Vwgh Beschluss 2022/9/27 Ra 2022/22/0129

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Veröffentlicht am 27.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der S P, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 24. März 2022, LVwG-752530/7/BP/CK, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in einer Angelegenheit nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 21. Dezember 2021 nahm der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz (belangte Behörde) das Verfahren über den Antrag der Revisionswerberin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vom 3. März 2016 gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf und wies diesen Antrag ab. Den Antrag der Revisionswerberin vom 25. Mai 2021 auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ nach dem NAG wies die belangte Behörde zurück. Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, die Revisionswerberin, die sich auf die Stillhalteklausel nach Art. 13 ARB 1/80 berufen habe, habe die „Ausstellung der Daueraufenthaltskarte durch ihre Angaben vorsätzlich erschlichen“, indem sie einen Arbeitsvertrag vorgelegt und zudem angegeben habe, in Österreich als Köchin arbeiten zu wollen, ohne jedoch eine Erwerbsabsicht gehabt zu haben.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.

3        Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Revisionswerberin habe einen Erstantrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ gestellt und neben der Erklärung, dass sie beabsichtige, in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, auch einen Arbeitsvertrag betreffend eine Beschäftigung als Hilfskraft im Betrieb ihres Neffen vorgelegt. In der Folge sei ihr der beantragte Aufenthaltstitel erteilt worden. Über den Betrieb des Neffen der Revisionswerberin sei im November 2016 das Konkursverfahren eröffnet worden. Die Revisionswerberin habe bereits im Zeitpunkt ihrer Antragstellung im Jahr 2016 an Adipositas und Diabetes gelitten. Im September 2018 sei bei ihr eine Magenbypass-Operation durchgeführt worden; danach habe sie stark an Gewicht verloren und auch die „anfänglich diabetische Stoffwechsellage“ habe sich verbessert. Die Revisionswerberin habe nie Erwerbsabsicht gehabt und sei nie einer Arbeitstätigkeit nachgegangen.

4        Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, die fehlende Erwerbsabsicht ergebe sich daraus, dass sich die Revisionswerberin zu keinem Zeitpunkt (weder vor noch nach dem Konkurs des Betriebs ihres Neffen im November 2016) um eine Arbeitsmöglichkeit bemüht und somit keinen Arbeitswillen gezeigt habe. Die Revisionswerberin habe in der mündlichen Verhandlung versucht, die mangelnden Bewerbungen zunächst auf ihre Krankheiten, nach ihrer Operation auf Schwindel und Abgeschlagenheit und sodann auf Corona zurückzuführen. Dabei habe das Verwaltungsgericht den Eindruck gewonnen, dass die halbherzig vorgebrachten Angaben der Revisionswerberin die in Wahrheit vorliegende Arbeitsunwilligkeit verschleiern sollten. Soweit die Revisionswerberin ihre fehlende Erwerbstätigkeit mit dem über das Unternehmen ihres Neffen eröffneten Konkursverfahren im November 2016 gerechtfertigt habe, hielt dem das Verwaltungsgericht entgegen, dass die Revisionswerberin auch seit ihrer Einreise im Mai 2016 bis November 2016 dort keiner Beschäftigung nachgegangen sei. Die (von der Revisionswerberin für die unterbliebene Arbeitsaufnahme ebenfalls ins Treffen geführten) Krankheiten (Adipositas und Diabetes) seien bereits bei der Erstantragstellung vorgelegen. Auch die mangelnde Bereitschaft der Revisionswerberin, Deutschkenntnisse zu erwerben, spiegelten im Grunde den mangelnden Willen wider, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine Motivation zur Integration am Arbeitsmarkt könne keinesfalls erkannt werden. All diese Umstände würden die Irreführungsabsicht der Revisionswerberin hinsichtlich des Vorliegens ihrer Erwerbsabsicht bekräftigen.

5        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Relevanz - aus, die Revisionswerberin habe zum Zweck des Aufenthalts in Österreich in Irreführungsabsicht einen Arbeitsvertrag vorgelegt und ihre Arbeitswilligkeit und -fähigkeit vorgespielt. Die belangte Behörde habe die unrichtigen Angaben der Revisionswerberin der positiven Erledigung zugrunde gelegt, weshalb die entsprechende Kausalität vorliege. Die belangte Behörde sei zudem auf die Angaben der Revisionswerberin angewiesen gewesen, zumal die mangelnde Erwerbsabsicht im Hinblick auf die Vorlage eines Arbeitsvertrages nicht erkennbar gewesen sei. Folglich lägen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor.

Soweit die Revisionswerberin erstmals in der Beschwerde vorgebracht habe, „in eventu“ die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 6 NAG zu beantragen, sei dem entgegenzuhalten, dass Sache des Beschwerdeverfahrens nur die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 21. Dezember 2021 sei. Das Verwaltungsgericht sei daher nicht zuständig, über den Zweckänderungsantrag abzusprechen. Abschließend legte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung dar, weshalb der Antrag auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels im wiederaufgenommenen Verfahren abzuweisen gewesen sei.

6        Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 14. Juni 2022, E 1210/2022, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der Folge erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, die Voraussetzungen des § 69 AVG für die Wiederaufnahme des vor mehr als drei Jahren abgeschlossenen Verfahrens seien nicht gegeben, weil der Aufenthaltstitel nicht erschlichen worden sei. Die belangte Behörde und das Verwaltungsgericht hätten das Vorbringen der Revisionswerberin ignoriert, wonach es lediglich aufgrund des Konkurses über das Unternehmen des Neffen als auch in der Folge aufgrund der gesundheitlichen Probleme sowie Sprachschwierigkeiten dazu gekommen sei, dass sie keiner Arbeit habe nachgehen können. Die Revisionswerberin habe auch dezidiert angegeben, arbeiten zu wollen, was sich auch darin zeige, dass es ihr, nachdem sie ihre gesundheitlichen Probleme durch eine Operation und den nachfolgenden Gewichtsverlust gelöst habe, gelungen sei, einen Arbeitsplatz zu finden (Verweis auf eine mit der Revision vorgelegte Einstellungszusage).

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein „Erschleichen“ eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Zudem erfordert ein „Erschleichen“, dass die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Ermittlungen durchzuführen (vgl. etwa VwGH 18.11.2021, Ra 2021/22/0207, Rn. 9, mwN).

10       Die für die „Erschleichung“ eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ferner voraus, dass die Partei wider besseres Wissen gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde (und vom Verwaltungsgericht) in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. etwa VwGH 18.6.2021, Ra 2021/22/0078, Rn. 20, mwN).

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2020/22/0064, Rn. 6, mwN).

12       Eine derartige vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung zeigt die Revisionswerberin mit ihrem Vorbringen nicht auf, zumal sich das Verwaltungsgericht auch mit den in der Revision behaupteten Gründen für das Nichteingehen einer Arbeitstätigkeit wie dem Konkurs des Betriebs des Neffen der Revisionswerberin, den (bereits bei Antragstellung vorliegenden) gesundheitlichen Problemen sowie den Sprachschwierigkeiten nachvollziehbar auseinandersetzte und aus den zuletzt genannten Aspekten sowie den unterbliebenen Bemühungen um eine Arbeitsmöglichkeit in schlüssiger Weise das Fehlen einer Erwerbsabsicht ableitete. Auf die mit der Revision vorgelegte Einstellungszusage vom 3. Mai 2022 war schon im Hinblick auf das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nach § 41 VwGG maßgebliche Neuerungsverbot nicht weiter einzugehen.

13       Die Revisionswerberin moniert weiters, das Verwaltungsgericht habe den Umstand, dass die Revisionswerberin nunmehr seit 2016 durchgehend in Österreich aufhältig sei und sich ein entsprechendes Privat- und Familienleben aufgebaut habe, gänzlich unberücksichtigt gelassen. Die Revisionswerberin lebe gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, der sie auch unterstütze; zudem lebten auch ihre Kinder in Österreich. Diesbezüglich seien keine Feststellungen getroffen worden.

14       Soweit die Revisionswerberin damit das Unterbleiben einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK anspricht, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die Antragsabweisung im wiederaufgenommenen Verfahren nicht auf das Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung, sondern - der Sache nach erkennbar - auf das Fehlen der besonderen Erteilungsvoraussetzung für den beantragten Aufenthaltstitel stützte. Bei Fehlen einer für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG aber nicht durchzuführen (vgl. VwGH 19.10.2021, Ra 2020/22/0160, Rn. 15, mwN). Ausgehend davon kommt es vorliegend auch auf die geltend gemachten fehlenden Ermittlungen zu den genannten Aspekten nicht an.

15       Schließlich rügt die Revisionswerberin, es sei keine Überprüfung vorgenommen worden, ob ihr ein Aufenthaltstitel nach § 41a Abs. 6 NAG erteilt werden könne.

16       Dem ist entgegenzuhalten, dass Sache des Beschwerdeverfahrens nur jene Angelegenheit ist, die den Inhalt des bescheidmäßigen Spruchs der belangten Behörde gebildet hat. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts ist daher die Sache des bekämpften Bescheids (vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ra 2016/22/0011, Pkt. 5.2.). Das Verwaltungsgericht war demnach - wie es richtig erkannte - nicht zur Entscheidung über die erstmals in der Beschwerde beantragte Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 6 NAG zuständig.

17       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

18       Somit erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Wien, am 27. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220129.L00

Im RIS seit

24.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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