TE Vwgh Beschluss 2022/9/29 Ra 2020/22/0250

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Veröffentlicht am 29.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie Hofrat Dr. Mayr und Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des M A, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 13. August 2020, VGW-151/063/9487/2020-5, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Dem Revisionswerber, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde erstmals mit 15. Juli 2011 eine Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ erteilt, die in der Folge mehrmals, zuletzt bis zum 11. Februar 2020, verlängert wurde.

2        Am 4. Februar 2020 stellte der Revisionswerber einen weiteren Verlängerungsantrag und am 28. Februar 2020 einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 5. Juni 2020 wurden beide Anträge abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

3        Mit Spruchpunkt I. des Erkenntnisses vom 13. August 2020 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Abweisung des Zweckänderungsantrags ab; hinsichtlich des Verlängerungsantrags wurde der Beschwerde mit Spruchpunkt II. des Erkenntnisses Folge gegeben und der angefochtene Bescheid diesbezüglich behoben. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Abweisung des Zweckänderungsantrags wies das Verwaltungsgericht begründend darauf hin, der Revisionswerber hätte bislang in Österreich ausschließlich über Aufenthaltsbewilligungen „Student“ verfügt und sei somit zu keinem Zeitpunkt tatsächlich niedergelassen im Sinn des § 45 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gewesen. Damit habe der Revisionswerber keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“.

5        Gegen Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit seiner Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 8.7.2020, Ro 2020/22/0004) ins Treffen. Der Revisionswerber erfülle die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, weshalb er als niedergelassen anzusehen sei. Weiters wird dargetan, dass der Revisionswerber über einen Befreiungsschein nach § 4c AuslBG verfüge. Es bestehe keine eindeutige Rechtsprechung zur Frage, ob ein türkischer Staatsangehöriger, dem ein Befreiungsschein erteilt wurde, als niedergelassen gelte.

10       Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage kann nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt. Zwar sind Rechtsausführungen, die sich auf den festgestellten Sachverhalt beziehen, nicht vom Neuerungsverbot erfasst; diesem unterliegen Rechtsausführungen jedoch dann, wenn zu deren Beurteilung zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen erforderlich wären, die aber wegen Untätigkeit der Partei im Verwaltungsverfahren unterblieben sind (VwGH 28.2.2019, Ra 2018/16/0215).

11       Fallbezogen hatte die belangte Behörde in ihrem Bescheid vom 5. Juni 2020 unter anderem festgehalten, dass der Revisionswerber seit 19. Oktober 2017 durchgehend für denselben Arbeitgeber beschäftigt sei und noch nicht die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) erfülle. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wies der Revisionswerber gleichfalls darauf hin, dass er seit 19. Oktober 2017 durchgehend für denselben Arbeitgeber beschäftigt sei. Aufgrund der von ihm ausgeübten Beschäftigung habe er „zwar keine Rechtsposition gemäß Art. 6 [Abs. 1] dritter Spiegelstrich [ARB 1/80] erlangt“, dessen ungeachtet sei er als niedergelassen anzusehen.

12       Erstmals verweist der Revisionswerber in der vorliegenden Revision darauf, dass er bei einem weiteren Arbeitgeber seit 18. März 2016 durchgehend beschäftigt sei, weshalb er im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die Voraussetzungen des dritten Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt habe.

13       Soweit der Revisionswerber nunmehr einen (sekundären) Feststellungsmangel des Verwaltungsgerichtes in der Unterlassung von Feststellungen über die bisherige Beschäftigungsdauer des Revisionswerbers erblickt, gründet sich dieses Vorbringen auf Tatsachenfragen, die der Revisionswerber im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht aufgeworfen hatte bzw. hinsichtlich derer er gerade Gegenteiliges behauptet hatte, weshalb die darauf aufbauenden Überlegungen des Revisionswerbers dem Neuerungsverbot widersprechen.

14       Ausgehend von der Feststellung im angefochtenen Erkenntnis, wonach der Revisionswerber seit 19. Oktober 2017 durchgehend bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, die das Verwaltungsgericht auf Grund des diesbezüglichen Vorbringens des Revisionswerbers im Verfahren getroffen hat, kam dem Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 (noch) nicht zu. Damit liegt das vom Revisionswerber behauptete Abgehen des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor.

Er zeigt aber auch mit dem Vorbringen, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob türkische Staatsbürger, denen ein Befreiungsschein erteilt wurde, als niedergelassen gelten, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits klargestellt, dass die Erteilung eines Befreiungsscheins nach § 4c AuslBG kein Beschäftigungs- oder Aufenthaltsrecht verschafft, sondern ihr für die Anerkennung der unmittelbar aus dem ARB 1/80 gewährten Rechte nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion zukommt (vgl. dazu etwa VwGH 24.3.2022, Ro 2021/22/0002, Rn. 19 mwN). Fallbezogen kann vor diesem Hintergrund daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber bereits auf Grund der Ausstellung eines Befreiungsscheins als niedergelassen im Sinn des § 2 Abs. 2 NAG anzusehen war.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020220250.L00

Im RIS seit

24.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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