TE Vwgh Beschluss 2022/10/5 Ra 2022/14/0222

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Veröffentlicht am 05.10.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Gnilsen, in den Revisionssachen 1. der N Y, 2. der M Y, und 3. der B Y, alle vertreten durch Mag. Kurt Kulac, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 27/4, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2022, 1. W175 2248703-1/4E, 2. W175 2248702-1/4E und 3. W175 2248701-1/4E, betreffend Erteilung eines Visums nach § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Islamabad), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberinnen sind Staatsangehörige von Afghanistan und Geschwister. Sie stellten am 31. Oktober 2019 schriftlich und am 18. Februar 2020 persönlich bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (ÖB Islamabad) Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gemäß § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Als Bezugsperson gaben sie ihre Mutter, ebenfalls eine afghanische Staatsangehörige, an, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2019 der Status der Asylberechtigten in Österreich zuerkannt wurde.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ersuchte die ÖB Islamabad um Amtshilfe betreffend eine Altersfeststellung der Revisionswerberinnen, weil sich die in ihren Anträgen angegebenen Geburtsdaten nicht mit jenen Altersangaben in der Erstbefragung und Einvernahme der Mutter der Revisionswerberinnen deckten.

3        Das von der ÖB Islamabad jeweils in Auftrag gegebene Gutachten zur Altersfeststellung inklusive Zahn- und Röntgenuntersuchung sowie einer körperlichen Untersuchung ergab, dass die Revisionswerberinnen im Untersuchungszeitpunkt im November 2020 mindestens 22 Jahre alt waren.

4        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte in einer Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten oder Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens nicht wahrscheinlich sei, weil die Revisionswerberinnen bereits volljährig seien.

5        Die ÖB Islamabad übermittelte den Revisionswerberinnen diese Mitteilung zur Stellungnahme. Daraufhin ersuchten die Revisionswerberinnen durch ihre rechtliche Vertretung sowohl beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch bei der ÖB Islamabad um Übermittlung des Gutachtens auf Altersfeststellung. Beide Behörden wiesen auf die Möglichkeit der Akteneinsicht bei der ÖB Islamabad hin. Die Revisionswerberinnen brachten eine Stellungnahme ein.

6        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte im Hinblick auf diese Stellungnahme der Österreichischen Botschaft Islamabad mit, dass die negative Wahrscheinlichkeitsprognose aufrechterhalten werde.

7        Mit Bescheid jeweils vom 16. August 2021, bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung jeweils vom 21. Oktober 2021, wies die Österreichische Botschaft Islamabad die Anträge der Revisionswerberinnen auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 unter Hinweis auf die negative Wahrscheinlichkeitsprognose des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl im Hinblick auf die Volljährigkeit der Revisionswerberinnen ab.

8        Mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 28. Juni 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden gemäß § 35 AsylG 2005 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Gutachten zur Altersfeststellung sei anhand jener Parameter und jener multifaktoriellen Untersuchungsmethodik erstellt worden, wie diese auch in Österreich Anwendung finden würde. Auf Grundlage der eingeholten multifaktoriellen Altersdiagnostik sei daher davon auszugehen, dass es sich bei den Revisionswerberinnen um im Zeitpunkt ihrer Antragstellung eindeutig volljährige Personen handle, sodass der Familienangehörigenbegriff nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 und damit die Voraussetzungen des Abs. 1 leg. cit. für die Erteilung der beantragten Einreisetitel nicht erfüllt seien. Dem Gutachten sei mit der bloßen Behauptung eines Geburtsdatums und der Vorlage afghanischer Dokumente nicht wirksam entgegengetreten worden, wobei selbst die in diesen Urkunden aufscheinenden Geburtsdaten den Angaben der Mutter zu den Geburtsdaten ihrer Töchter widersprächen.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Die Revisionen bringen zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, die belangte Behörde habe es bis zuletzt pflichtwidrig unterlassen, die Gutachten zur Altersfeststellung zu übermitteln und sie habe daher das Recht auf Parteiengehör verletzt. Die Bescheide wären daher aufzuheben gewesen. Dass sich die Revisionswerberinnen mit Kostenaufwand letztlich Zugang zu den Gutachten verschafft haben, könne der belangten Behörde nicht zum Vorteil gereichen.

14       Soweit die Revisionswerberinnen damit einen Verfahrensfehler geltend machen, ist darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, sondern dass auch deren Relevanz, weshalb also bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerberinnen günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss (vgl. VwGH 30.6.2022, Ra 2022/14/0095, mwN). Eine entsprechende Relevanzdarlegung ist den Zulässigkeitsbegründungen jedoch nicht zu entnehmen. Außerdem vermag dieses Vorbringen schon deswegen eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aufzuzeigen, weil darauf in den Revisionsgründen nicht mehr zurückgekommen wird (vgl. VwGH 12.10.2021, Ra 2021/14/0295; 28.2.2019, Ra 2018/14/0280, mwN).

15       Die Revisionswerberinnen wenden sich im weiteren Vorbringen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen gegen die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Altersfeststellungen, sie seien im Zeitpunkt der Antragstellung volljährig gewesen. Insbesondere monieren sie die Ausgestaltung und Schlüssigkeit der dazu eingeholten Gutachten.

16       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.7.2022, Ra 2022/14/0168, mwN). Ob ein Gutachten in seiner konkreten Ausgestaltung vom Verwaltungsgericht zu Recht als schlüssig qualifiziert wurde, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage, sondern eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, welche jedenfalls dann keine Zulässigkeit der Revision begründet, wenn sie zumindest vertretbar ist (vgl. VwGH 8.6.2022, Ra 2022/11/0060, mwN).

17       Dass sich die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, die vorliegenden Gutachten zur Altersfeststellung als schlüssig zu werten und diese daher in ihre beweiswürdigenden Überlegungen einzubeziehen, im vorliegenden Fall als unvertretbar dargestellt habe, wird in den Revisionen nicht aufgezeigt. Sie gehen auch nicht auf die weiteren Argumente des Bundesverwaltungsgerichts zur Untermauerung der angenommenen Volljährigkeit ein, das sich auch mit den Aussagen der Bezugsperson in der Erstbefragung bzw. der niederschriftlichen Einvernahme sowie den vorgelegten Dokumenten auseinandersetzte und diese Ergebnisse in seiner Beurteilung berücksichtigte.

18       Im Gesamten zeigen die Revisionswerberinnen daher nicht auf, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären.

19       Soweit die Revisionswerberinnen schließlich auf das Urteil des EuGH vom 1. August 2022, C-279/20 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung und den maßgeblichen Zeitpunkt der Altersfeststellung Bezug nehmen, wonach für die erforderliche Minderjährigkeit nicht der Zeitpunkt der eigenen Antragstellung, sondern der Zeitpunkt der Antragstellung der zusammenführenden Mutter ausschlaggebend sei, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 22. November 2017, Ra 2017/19/0218, ausführlich mit dem Verhältnis zwischen der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie) und35 AsylG 2005 auseinandergesetzt hat. Aus den im letztzitierten hg. Erkenntnis (vgl. dort insbesondere Rz 37-39) genannten Gründen ist es nicht geboten, den Anwendungsbereich des § 35 AsylG 2005 zu erweitern. Um dem Anliegen der Revisionswerberinnen, nämlich der Gestattung der Familienzusammenführung mit ihrer in Österreich lebenden Bezugsperson, in unionsrechtskonformer Weise Rechnung zu tragen, ist es hinreichend, dass sichergestellt ist, dass ihnen im Einklang mit den Vorgaben der Familienzusammenführungsrichtlinie ein Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt wird. Dass eine unionsrechtliche Verpflichtung bestünde, den Revisionswerberinnen eine über dieses Ziel hinausgehende Rechtsstellung, die die Familienzusammenführungsrichtlinie gar nicht zum Regelungsinhalt hat, zu verschaffen (nämlich letztlich den Status der Asylberechtigten), ist aus dem genannten Urteil des EuGH vom 1. August 2022, C- 279/20, nicht abzuleiten.

20       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 5. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140222.L00

Im RIS seit

24.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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