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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
BauO Wr §60 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 5. Juli 1993, Zl. MD-VfR - B XIX - 27 u. 28/93, betreffend einen Bauauftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Eckparzelle Nr. nn/11 (W, K-Gasse 40/S-Gasse 12) wird von einem Maschendrahtzaun eingefriedet, auf welchem der Beschwerdeführerin gehörige Schilfmatten, und zwar über eine Länge von 10 m in der K-Gasse und 8 m in der S-Gasse, angebracht wurden.
Bei der am 11. Februar 1993 durch den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, amtswegig abgehaltenen mündlichen Verhandlung sprach sich die Beschwerdeführerin gegen den beabsichtigten Auftrag zur Entfernung dieser Schilfmatten aus.
Mit Bescheid vom 4. März 1993 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, MA 37, "den Eigentümern der Schilfmatten und dem Eigentümer der ... Liegenschaft" den Auftrag, innerhalb einer Frist von 3 Wochen nach Rechtskraft des Bescheides die Schilfmatten von der Einfriedung entlang der Straßenfronten K-Gasse und S-Gasse zu entfernen. Die Schilfmatten hinderten entgegen den Bestimmungen des § 86 der Bauordnung für Wien den freien Durchblick. In ihrer dagegen erstatteten Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, daß die Schilfmatten aus lose aneinandergebundenen Schilfstäben bestünden, welche durch Ritzen "nicht nur beim Vorbeifahren, sondern bereits bei normaler Schrittgeschwindigkeit" die Durchsicht ermöglichten. Die Schilfmatten seien bereits zum Teil bewachsen und würden ca. binnen eines Jahres nicht mehr sichtbar sein. § 86 Abs. 3 der Bauordnung für Wien werde für verfassungswidrig erachtet.
Mit dem angefochtenem Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge. Es könne dahingestellt bleiben, in welchem Ausmaß die Schilfmattenverkleidung an der Einfriedung den freien Durchblick verhindere und daher nach § 86 Abs. 3 der Bauordnung für Wien zur Einfriedung von Vorgärten unzulässig wäre. Durch die Anbringung der Schilfmatten sei das äußere Ansehen der Einfriedung jedenfalls verändert und damit eine bewilligungspflichtige Bauführung i.S.d. § 60 Abs. 1 lit. c der Bauordnung für Wien vorgenommen worden. Die Änderung hätte somit der vorherigen baubehördlichen Bewilligung bedurft. Eine solche sei bisher nicht erteilt worden. Die Bewilligungsfähigkeit dieser Anlage sei im Verfahren nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien nicht zu beurteilen.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde mit Beschluß vom 11. Oktober 1993 abgelehnt und die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In der ergänzten Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht verletzt, nicht entgegen den Bestimmungen der Bauordnung für Wien, insbesondere deren §§ 129, 86 und 60, zur Entfernung der von ihr angebrachten Schilfmatten verhalten zu werden. Es wird Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 129 Abs. 10 erster Satz der Bauordnung für Wien LGBl. Nr. 11/1930 i.d.F. der Novelle LGBl. Nr. 18/1976 (im folgenden: BO) sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. Die belangte Behörde hat den Entfernungsauftrag nicht auf eine Abweichung von der Bestimmung des § 86 Abs. 3 BO (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1964, Zl. 1594/64, mit welchem der Gerichtshof einer Beschwerde gegen einen Entfernungsauftrag bezüglich einer Schilfmattenverkleidung an einer Drahtgittereinfriedung keine Folge gab) gestützt, sodaß die Feststellung unterblieb, ob die Schilfmattenverkleidung den freien Durchblick hindere. Der Entfernungsauftrag stützt sich vielmehr auf eine durch die Anbringung der Schilfmatte verwirklichte konsenslose Bauführung.
Vorschriftswidrig ist jeder Bau, für den im Zeitpunkt seiner Errichtung eine baubehördliche Bewilligung erforderlich war (und weiterhin erforderlich ist), und für den aber eine Baubewilligung nicht vorliegt (siehe die Nachweise bei Geuder-Hauer, Wiener Bauvorschriften, S. 506).
Gemäß § 60 Abs. 1 lit. b BO ist vor Beginn der Errichtung baulicher Anlagen über und unter der Erde, zu deren Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine kraftschlüssige Verbindung gebracht werden und wegen ihrer Beschaffenheit geeignet sind, öffentliche Rücksichten zu berühren, die Bewilligung der Behörde zu erwirken. Öffentliche Rücksichten werden jedenfalls berührt, wenn Einfriedungen gegen Verkehrsflächen errichtet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1988, Zl. 88/05/0184, BauSlg. Nr. 1197).
Gemäß § 60 Abs. 1 lit. c BO sind Änderungen von baulichen Anlagen bewilligungspflichtig, wenn durch sie das äußere Ansehen geändert wird.
Allein die letztgenannte Bestimmung bildete die Grundlage für den Entfernungsauftrag durch die belangte Behörde, die sich aber mit der Frage, ob eine gemäß § 60 Abs. 1 lit. b BO bewilligungspflichtige bauliche Anlage vorlag, nicht auseinandersetzte. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Maschendrahtzaun bestehe aus lose in das Erdreich gerammten Holzstangen, an welchen der Maschendraht befestigt sei und sei somit einfach ausgeführt, ist keine gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unzulässige Neuerung, weil aufgrund des erstinstanzlichen Bescheides für die Beschwerdeführerin kein Anlaß bestand, Behauptungen hinsichtlich der Bewilligungspflicht des Zaunes aufzustellen.
Die belangte Behörde hat offenbar verkannt, daß die Bewilligungspflicht einer Änderung gemäß § 60 Abs. 1 lit. c BO nur dann zum Tragen kommt, wenn die bauliche Anlage gemäß § 60 Abs. 1 lit. a oder b BO baubewilligungspflichtig war oder erst durch die Änderungen die Voraussetzungen eintreten würden, die die Anlage gemäß § 60 Abs. 1 BO bewilligungspflichtig machen würde. Der Versuch in der Gegenschrift, dieses fehlende Begründungslement nachzuholen, scheitert schon deshalb, weil die für die Beurteilung der Rechtsfrage erforderlichen Tatsachengrundlagen im verwaltungsbehördlichen Verfahren unerörtert blieben.
Dadurch, daß sich die belangte Behörde mit der Bewilligungspflicht des Zaunes nicht auseinandersetzte und insbesondere nicht beurteilte, ob zu dessen Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich war, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die Beschwerde erwies sich somit als berechtigt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Gemäß § 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG sind dem Beschwerdeführer nur die Stempelgebühren zu ersetzen, die er im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu entrichten hatte.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1993050236.X00Im RIS seit
11.07.2001