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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des E in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Jänner 1995, Zl. 4.329.561/7-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Jänner 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Ghana, der am 26. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am selben Tag den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 5. Oktober 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.
Die belangte Behörde stützte sich dabei im wesentlichen auf die vom Beschwerdeführer anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 4. Juni 1992 gemachten Angaben:
Der Beschwerdeführer sei seit dem Jahr 1985 Mitglied der "Ghana Democratic Movement" (GDM). Seine Aufgabe innerhalb dieser Gruppierung habe in der Aufklärung der Bevölkerung über die wahre Demokratie, in der Organisation von Versammlungen bzw. in der Verteilung von Flugzetteln bestanden. Die von der Regierung praktizierte Demokratie sei nicht aufrichtig, da es in Ghana viele politische Gefangene gäbe. Am 18. Juni 1991 sei er von Regierungstruppen kontrolliert worden, wobei bei ihm Propagandamaterial sichergestellt worden sei. Daraufhin habe man ihn festgenommen und ohne Gerichtsverfahren bis 13. November 1991 in einem Militärlager gefangengehalten. Während dieser Zeit sei er verhört und mißhandelt worden. Er habe derartige Verletzungen erlitten, daß er 34 Tage im Krankenhaus habe verbringen müssen. Anschließend sei er wieder in das Militärlager rücküberstellt worden. Am 11. November 1991 sei ein hochrangiger Offizier in seine Zelle gekommen und habe ihm mitgeteilt, daß er ihm, nach einer Intervention des Onkels des Beschwerdeführers, bei der Flucht helfen würde. Am 13. November 1991 sei er von demselben Offizier und zwei weiteren Soldaten in eine andere Zelle gebracht worden, wo man ihm eine Militäruniform übergeben habe. Dadurch habe er die Möglichkeit gehabt, das Lager ungehindert zu verlassen. Die beiden Soldaten hätten ihn mit einem Militärflugzeug nach Denu gebracht, von wo aus er von drei weiteren Personen nach Togo überstellt worden sei. Von Togo sei er mit einem Bus nach Nigeria gefahren. Beide Grenzen habe er ohne Reisepaß passieren können. Anschließend sei er auf dem Luftweg nach Bulgarien, von dort nach Jugoslawien und am 26. November 1991 illegal nach Österreich gereist.
Der Beschwerdeführer legte Kopien seines Mitgliedsausweises der GDM, eine Liste von in Ghana inhaftierten Personen, seines Antrages auf Mitgliedschaft bei der Ghanaischen Demokratiebewegung in London, einen Auszug aus den "Amnesty International Nachrichten" und eines am 6. Juni 1991 im "Pioneer" veröffentlichten Briefes vor.
Der von der belangten Behörde im ersten Verfahrensgang erlassene Bescheid vom 19. Jänner 1993 wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0276, aufgehoben.
Im fortgesetzten Verfahren legte der Beschwerdeführer ergänzend einen Zeitungsartikel betreffend Verhaftungen wegen eines Umsturzversuches und eine Kopie eines Briefes betreffend Bemühungen, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers auszuforschen, vor.
Im nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid resümierte die belangte Behörde, daß der Beschwerdeführer nicht Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Gründen zu gewärtigen gehabt bzw. derzeit für den Fall einer etwaigen Rückkehr in seine Heimat zu befürchten habe, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und die Asylgewährung ausgeschlossen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß sie bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden hatte. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof - zu § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 mit dem Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, sind Asylverfahren, die in erster Instanz am 1. Juni 1992 noch anhängig sind, nach dem Asylgesetz (1968) zu Ende zu führen. Im gegenständlichen Fall war das Asylverfahren bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark am 1. Juni 1992 anhängig. Aus dieser Rechtswidrigkeit resultiert jedoch nicht jedenfalls die Notwendigkeit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides, entspricht doch der Begriff des Flüchtlings in § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991, welcher fast wörtlich mit dem ersten Absatz des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention übereinstimmt, inhaltlich dem Flüchtlingsbegriff des Asylgesetzes (1968).
Flüchtling ist unter anderem, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Zentraler Aspekt ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht ist dann wohlbegründet, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht im engsten Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff in die zu schützende Sphäre geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.
Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit nicht versagt. Sie hat seinen Angaben lediglich entgegengehalten, daß wohlbegründete Furcht alleine deswegen noch nicht zuzubilligen sei, weil er in seiner Heimat als Mitglied für eine, dort verbotene, Partei Flugblätter verteilt bzw. regimefeindliches Propagandamaterial bei sich geführt habe. Die belangte Behörde übersieht völlig, daß es im konkreten Fall nicht alleine auf die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers zur GDM ankam, sondern wesentlich auf die aufgrund des bei ihm aufgefundenen Propagandamaterials dieser Gruppierung erfolgte Inhaftierung von erheblicher Dauer (18. Juni 1991 bis 13. November 1991) samt Mißhandlungen. Diese Haft erfüllt alle zuvor genannten Bedingungen einer Verfolgung aufgrund ausgeübter und den Behörden bekanntgewordener politischer Gesinnung, sodaß lediglich der Ergänzung halber darauf hinzuweisen ist, daß es ebenfalls rechtswidrig ist, daß die belangte Behörde in genereller Weise die in der Haft erlittenen Mißhandlungen lediglich als "Übergriffe von Einzelpersonen" zu werten versucht. Denn jeder Übergriff eines Organwalters ist zunächst ein "Übergriff einer Einzelperson", das Organhandeln ist jedoch in der Regel den staatlichen Behörden zuzurechnen. Die Zurechnung kann nur in seltenen Fällen, zB wenn die Mißhandlung rechtswidrig erfolgte und der Organwalter auch hiefür zur Verantwortung gezogen wird, durchbrochen werden. Ebenfalls lediglich der Ergänzung halber ist darauf hinzuweisen, daß auch die Begründung der belangten Behörde, die Strenge und Art der angedrohten Strafe sei nicht maßgeblich, zumal der Beschwerdeführer sich einer eventuellen Bestrafung durch seine Deliktsetzung, nämlich das Mitführen und Verteilen von regimefeindlichem Propagandamaterial, wissentlich ausgesetzt habe, rechtswidrig ist. Denn dies würde bedeuten - worauf der Beschwerdeführer auch zu Recht hinweist -, daß eine politische Tätigkeit etwa unter der Herrschaft eines diktatorischen Regimes nie zur Anerkennung als Flüchtling führen könnte, da solche Tätigkeiten kaum fahrlässigerweise, sondern immer nur wissentlich und somit vorsätzlich begangen werden können. Es kommt hingegen wesentlich darauf an, ob der Heimatstaat auf die regimefeindliche Propagandatätigkeit in einer asylrechtlich relevanten Weise - wie im konkreten Fall durch langfristige Inhaftierung - reagiert.
Aus obigen Gründen kann auch dem Schluß der belangten Behörde, daß dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat keine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohe, nicht gefolgt werden, zumal er von den Behörden seines Heimatstaates nicht aus der Haft entlassen wurde, sondern auf Intervention seines Onkels durch Mithilfe von Soldaten aus der Haft flüchten konnte und sich unmittelbar in das Ausland begeben hat.
Deshalb erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Zurechnung von OrganhandlungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995190032.X00Im RIS seit
20.11.2000