TE Vfgh Erkenntnis 2022/9/22 G90/2022 (G90/2022-9)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2022
beobachten
merken

Index

25/01 Strafprozess

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StGG Art2
StPO §61, §259, §260, §381, §382, §388, §389, §390, §390a, §391, §393, 393a Abs2, §394, §395
VfGG §7 Abs1
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. StPO § 61 heute
  2. StPO § 61 gültig ab 01.06.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2020
  3. StPO § 61 gültig von 01.11.2016 bis 31.05.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 26/2016
  4. StPO § 61 gültig von 01.01.2016 bis 31.10.2016 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 112/2015
  5. StPO § 61 gültig von 01.01.2008 bis 31.12.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 19/2004
  6. StPO § 61 gültig von 31.12.1975 bis 31.12.2007
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung der StPO betreffend den Kostenbeitrag zur notwendigen Verteidigung; Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch Ersatz der Verteidigungskosten bei Verurteilung wegen einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung, kein Ersatz jedoch bei einer Verurteilung durch einen Einzelrichter des Landesgerichts

Spruch

I. 1. §393a Abs2 Strafprozessordnung (StPO), BGBl Nr 631/1975, idF BGBl I Nr 93/2007 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2022 in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

II. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

III. Der Hauptantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, die Wortfolge "in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte" in §393a Abs2 Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 93/2007, in eventu §393a Abs2 StPO, BGBl 631/1975, idF BGBl I 93/2007 zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975 idgF, lauten (die angefochtene Bestimmung, die seit BGBl I 93/2007 unverändert ist, ist hervorgehoben):

"Beigebung eines Verteidigers

§61. (1) In folgenden Fällen muss der Beschuldigte durch einen Verteidiger vertreten sein (notwendige Verteidigung):

1. im gesamten Verfahren, wenn und solange er in Untersuchungshaft oder gemäß §173 Abs4 in Strafhaft angehalten wird,

2. im gesamten Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach §21 StGB (§§429 Abs2, 430 Abs3, 436, 439 Abs1),

3. in der Hauptverhandlung zur Unterbringung in einer der in den §§22 und 23 StGB genannten Anstalten (§439 Abs1),

4. in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht,

5. in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter, wenn für die Straftat, außer in den Fällen des §129 Abs2 Z1 und 164 Abs4 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist,

5a. in der kontradiktorischen Vernehmung (§165), soweit in der Hauptverhandlung nach den Z3 bis 5 notwendige Verteidigung bestünde,

6. im Rechtsmittelverfahren auf Grund einer Anmeldung einer Nichtigkeitsbeschwerde oder einer Berufung gegen ein Urteil des Schöffen- oder des Geschworenengerichts,

7. bei der Ausführung eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens und beim Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über einen solchen (§§363a Abs2 und 363c).

(2) Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat das Gericht auf Antrag des Beschuldigten, in den Fällen der Z2 auch nach Ermessen des Gerichts von Amts wegen, zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil (§393 Abs1a) zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist (Verfahrenshilfeverteidiger). Die Beigebung eines Verteidigers ist in diesem Sinn jedenfalls erforderlich:

1. in den Fällen des Abs1,

2. wenn der Beschuldigte schutzbedürftig ist, weil er

a. blind, gehörlos, stumm oder in vergleichbarer Weise behindert ist oder

b. an einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfähigkeit leidet,

und er deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen,

3. für das Rechtsmittelverfahren auf Grund einer Anmeldung einer Berufung,

4. bei schwieriger Sach- oder Rechtslage.

(3) In den Fällen des Abs1 sind der Beschuldigte und sein gesetzlicher Vertreter aufzufordern, einen Verteidiger zu bevollmächtigen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Abs2 zu beantragen. Bevollmächtigt weder der Beschuldigte noch sein gesetzlicher Vertreter für ihn einen Verteidiger, so hat ihm das Gericht von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger), soweit nicht die Voraussetzungen des Abs2 erster Satz vorliegen.

(4) Die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gilt, wenn das Gericht nicht im Einzelnen etwas anderes anordnet, für das gesamte weitere Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss sowie für ein allfälliges Verfahren auf Grund einer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde oder eines Antrages auf Erneuerung des Strafverfahrens.

[…]

§381. (1) Die Kosten des Strafverfahrens, die von der zum Kostenersatze verpflichteten Partei zu ersetzen sind, umfassen:

1. einen Pauschalkostenbeitrag als Anteil an den im Folgenden nicht besonders angeführten Kosten des Strafverfahrens, einschließlich der Kosten der Ermittlungen der Kriminalpolizei und der zur Durchführung von Anordnungen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts notwendigen Amtshandlungen;

2. die Gebühren der Sachverständigen;

2a. soweit nicht nach Abs6 vorzugehen ist, die Gebühren der Dolmetscher, im Fall einer Bestellung nach §126 Abs2a einen Pauschalbeitrag von 159 Euro;

3. eine Vergütung für Auskünfte, Befunde und Gutachten von Behörden (Ämtern, Anstalten) in der Höhe, wie sie für solche Auskünfte, Befunde und Gutachten in Privatangelegenheiten zu entrichten wäre;

4. die Kosten der Beförderung und Bewachung des Beschuldigten im Zusammenhang mit seiner Überstellung aus einem anderen Staat sowie die Kosten aus dem Ausland geladener Zeugen;

5. die Kosten einer Sicherstellung, einer Auskunft über Bankkonten und über Bankgeschäfte oder der Beschlagnahme von Briefen, der Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung und der Überwachung von Nachrichten gemäß §§111 Abs3, 116 Abs6 letzter Satz und 138 Abs3, soweit diese Ermittlungsmaßnahmen einen erheblichen Beitrag zur Aufklärung der Tat geleistet haben;

6. die Kosten der Vollstreckung des Strafurteiles einschließlich der Kosten der Überstellung von Strafgefangenen in den in- oder ausländischen Strafvollzug, ausgenommen die Kosten des Vollzuges einer Freiheitsstrafe;

7. die im Strafverfahren zu entrichtenden Gerichtsgebühren;

8. die Kosten der Verteidiger und anderer Vertreter;

9. einen Pauschalbetrag als Anteil an den Kosten der Prozessbegleitung (§66b) bis zu 1 000 Euro.

(2) Diese Kosten werden, soweit sich aus besonderen gesetzlichen Vorschriften nichts anderes ergibt, mit Ausnahme der unter Abs1 Z3 und 7 bis 9 bezeichneten Kosten vom Bunde vorgeschossen, vorbehaltlich des Rückersatzes nach den Bestimmungen der §§389 bis 391.

(3) Der Pauschalkostenbeitrag (Abs1 Z1) ist innerhalb der folgenden Grenzen zu bemessen (Abs5):

1. im Verfahren vor dem Landesgericht als Geschworenengericht von 500 Euro bis 10 000 Euro

2. im Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht von 250 Euro bis 5 000 Euro

3. im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts von 150 Euro bis 3 000 Euro

4. im Verfahren vor dem Bezirksgericht von 50 Euro bis 1 000 Euro

(4) Spricht ein Landesgericht lediglich eine Verurteilung wegen einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung aus, so darf der Pauschalkostenbeitrag den für das Verfahren vor den Bezirksgerichten vorgesehenen Betrag nicht übersteigen. Im Verfahren vor den Bezirksgerichten auf Grund einer Privatanklage ist ein Pauschalkostenbeitrag nicht zu bestimmen, wenn keine Hauptverhandlung stattgefunden hat und auch keine Zeugen- oder Sachverständigengebühren aufgelaufen sind.

(5) Bei Bemessung des Pauschalkostenbeitrages gemäß Abs3 sind die Belastung der im Strafverfahren tätigen Behörden und Dienststellen und das Ausmaß der diesen erwachsenen, nicht besonders zu vergütenden Auslagen sowie das Vermögen, das Einkommen und die anderen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ersatzpflichtigen maßgebenden Umstände zu berücksichtigen.

(5a) Bei Bemessung des Pauschalbetrages gemäß Abs1 Z9 sind die Belastung der mit der Prozessbegleitung beauftragten Einrichtung und das Ausmaß ihrer Aufwendungen sowie die im Abs5 bezeichneten Umstände der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Ersatzpflichtigen zu berücksichtigen.

(6) Die Kosten für Übersetzungshilfe (§56) bilden keinen Teil der vom Angeklagten zu ersetzenden Kosten. Weitergehende Rechte, die sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumt sind, bleiben unberührt.

(7) Die durch eine Festnahme verursachten Kosten und die Kosten der Untersuchungshaft sind bei Bemessung des Pauschalkostenbeitrages nicht zu berücksichtigen.

§382. Die Gebühren der Organe der Kriminalpolizei für die Anfertigung von Kopien für Zwecke der Akteneinsicht, Zustellungen, Ladungen, Bewachung oder Beförderung des Beschuldigten oder anderer Personen werden durch besondere bundesgesetzliche Bestimmungen geregelt.

[…]

§388. (1) Der vorläufige Rücktritt von der Verfolgung und die vorläufige Einstellung des Verfahrens unter Bestimmung einer Probezeit setzen die Leistung eines Beitrages zu den nach §381 Abs1 Z1 bis 3 zu ersetzenden Kosten bis zu 250 Euro voraus.

(2) Im Fall gemeinnütziger Leistungen oder eines Tatausgleichs kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung erst zurücktreten oder das Gericht das Strafverfahren erst einstellen, nachdem der Beschuldigte einen Pauschalkostenbeitrag bis zu 250 Euro bezahlt hat.

(3) Für die Bemessung der Kostenbeiträge gilt §381 Abs5 sinngemäß. Die Zahlung ist insoweit nachzusehen, als dadurch der zu einer einfachen Lebensführung notwendige Unterhalt des Beschuldigten und seiner Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, Schadensgutmachung, Tatfolgenausgleich oder die Erfüllung des Tatausgleichs gefährdet würde.

§389. (1) Im Fall eines Schuldspruchs ist der Angeklagte auch zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens zu verpflichten (§260 Abs1 Z5).

(2) Wird das Strafverfahren gegen einen Angeklagten wegen mehrerer Straftaten teils mit Schuld-, teils mit Freispruch erledigt, so ist der Angeklagte nur zum Ersatz jener Kosten zu verpflichten, die sich auf den Schuldspruch beziehen.

(3) Die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten trifft jedoch den rechtskräftig Verurteilten nur für seine Person; sie geht nicht auf die Erben über. Von mehreren Angeklagten ist jeder einzelne zur Tragung des Pauschalkostenbeitrages, der dem gegen ihn gefällten Erkenntnis entspricht, sowie der Kosten zu verurteilen, die durch seine Verteidigung oder durch besondere, nur bei ihm eingetretene Ereignisse oder durch sein besonderes Verschulden entstanden sind. Zur Bezahlung aller anderen Kosten des Strafverfahrens sind sämtliche Angeklagten zur ungeteilten Hand zu verurteilen, sofern das Gericht nicht besondere Gründe findet, eine Beschränkung dieser Haftung eintreten zu lassen.

§390. (1) Wird das Strafverfahren auf andere Weise als durch einen Schuldspruch beendigt, so sind die Kosten in der Regel vom Bunde zu tragen. Soweit aber das Strafverfahren auf Begehren eines Privatanklägers oder gemäß §72 lediglich auf Antrag des Privatbeteiligten stattgefunden hat, ist diesen der Ersatz aller infolge ihres Einschreitens aufgelaufenen Kosten in der das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung aufzutragen. Den Privatbeteiligten trifft jedoch kein Kostenersatz, wenn das Strafverfahren nach dem 11. Hauptstück beendet wird.

(1a) In Strafverfahren wegen übler Nachrede (§111 StGB), Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung (§113 StGB), oder Beleidigung (§115 StGB), die im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems begangen wurden, ist der Privatankläger oder Antragsteller (§71 Abs1) nur zum Kostenersatz verpflichtet, wenn er den Vorwurf wissentlich falsch erhoben hat.

(2) Haben mehrere Privatankläger oder Privatbeteiligte wegen derselben Handlung erfolglos Bestrafung derselben Person begehrt, so haften sie für die Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand. Haben sie erfolglos die Bestrafung verschiedener Personen oder die Bestrafung derselben Personen wegen verschiedener Handlungen begehrt, so haftet jeder für die besonderen Kosten, die nur durch seinen Antrag entstanden sind, und für den Pauschalkostenbeitrag, der zu entrichten gewesen wäre, wenn seine Anklage den einzigen Gegenstand des Verfahrens gebildet hätte; die Anteile der einzelnen Ankläger an den gemeinsamen Kosten hat das Gericht nach dem Maß ihrer Beteiligung am Verfahren zu bestimmen.

(3) Die Staatsanwaltschaft kann nie zum Ersatz der Kosten verurteilt werden.

(4) Wurde endlich das Strafverfahren durch eine wissentlich falsche Anzeige veranlaßt, so hat die Kosten der Anzeiger zu ersetzen.

§390a. (1) Den nach den §§389 und 390 zum Kostenersatze Verpflichteten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last, sofern sie nicht durch ein ganz erfolglos gebliebenes Rechtsmittel des Gegners verursacht worden sind. Ist ein solches Rechtsmittel vom Privatankläger oder vom Privatbeteiligten ergriffen worden, so ist ihm der Ersatz der dadurch verursachten Kosten unabhängig vom Ausgange des Verfahrens aufzuerlegen.

(2) Für die durch ein erfolgloses Begehren um Wiederaufnahme des Verfahrens verursachten Kosten haftet der Antragsteller.

§391. (1) Die Kosten des Strafverfahrens sind jedoch vom Ersatzpflichtigen nur insoweit einzutreiben, als dadurch weder der zu einer einfachen Lebensführung notwendige Unterhalt des Ersatzpflichtigen und seiner Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, noch die Erfüllung der aus der strafbaren Handlung entspringenden Pflicht zur Schadensgutmachung gefährdet wird.

(2) Ist nach den im Verfahren hervorgekommenen Umständen mit Grund anzunehmen, daß die Kosten des Strafverfahrens wegen Mittellosigkeit des Zahlungspflichtigen auch nicht bloß zum Teile hereingebracht werden können, so hat das Gericht, soweit tunlich, gleich bei Schöpfung des Erkenntnisses die Kosten für uneinbringlich zu erklären; andernfalls entfällt eine Entscheidung über die Einbringlichkeit der Kosten. Der Beschluß, womit die Kosten für uneinbringlich erklärt werden, kann jederzeit aufgehoben und, wenn später Umstände der bezeichneten Art hervorkommen, nachträglich gefaßt werden.

(3) Gegen Entscheidungen der Gerichte, womit ein Antrag abgelehnt wird, die Kosten für uneinbringlich zu erklären, ist kein Rechtsmittel zulässig.

§393. (1) Wer sich im Strafverfahren eines Vertreters bedient, hat in der Regel auch die für diese Vertretung auflaufenden Kosten, und zwar selbst in dem Falle zu zahlen, wenn ihm ein solcher Vertreter von Amts wegen beigegeben wird.

(1a) Ein Angeklagter, dem ein Verteidiger nach §61 Abs2 beigegeben wurde, hat einen Pauschalbeitrag zu dessen Kosten zu tragen, wenn ihm der Ersatz der Prozeßkosten überhaupt zur Last fällt und sein und seiner Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zur einfachen Lebensführung notwendiger Unterhalt dadurch nicht beeinträchtigt wird. Für die Bemessung dieses Pauschalbeitrages gelten die im §393a Abs1 angeführten Grundsätze und die dort genannten Höchstbeträge.

(2) Einem nach §61 Abs2 beigegebenen Verteidiger sind, soweit nicht nach §56 Abs2 vorzugehen ist, auf sein Verlangen die nötig gewesenen und wirklich bestrittenen baren Auslagen vom Bund zu vergüten. Zu diesen Auslagen gehören auch die Kosten eines Dolmetschers, soweit dessen Beiziehung zu den Besprechungen zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten notwendig war; solche Kosten sind bis zu dem Ausmaß zu vergüten, das sich in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des Gebührenanspruchsgesetzes 1975 ergibt.

(4) In den Fällen, in denen dem Beschuldigten, dem Privatankläger, dem Privatbeteiligten (§72) oder dem, der eine wissentlich falsche Anzeige gemacht hat, der Ersatz der Prozeßkosten überhaupt zur Last fällt, haben diese Personen auch alle Kosten der Verteidigung und der Vertretung zu ersetzen.

(4a) Wird ein Strafverfahren wegen übler Nachrede (§111 StGB), Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung (§113 StGB) oder Beleidigung (§115 StGB), die im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems begangen wurden, auf andere Weise als durch einen Schuldspruch beendigt, so hat im Haupt- und Rechtsmittelverfahren der Privatankläger dem Angeklagten alle Kosten der Verteidigung zu ersetzen, sofern nicht ohnedies eine Ersatzpflicht nach Abs4 vorliegt.

(5) Soweit jedoch der Privatbeteiligte mit seinen privatrechtlichen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden ist, bilden die zur zweckentsprechenden Geltendmachung seiner Ansprüche im Strafverfahren aufgewendeten Kosten seines Vertreters einen Teil der Kosten des zivilgerichtlichen Verfahrens, in dem über den Anspruch erkannt wird.

§393a. (1) Wird ein nicht lediglich auf Grund einer Privatanklage oder der Anklage eines Privatbeteiligten (§72) Angeklagter freigesprochen oder das Strafverfahren nach Durchführung einer Hauptverhandlung gemäß §227 oder nach einer gemäß den §§353, 362 oder 363a erfolgten Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens eingestellt, so hat ihm der Bund auf Antrag einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung zu leisten. Der Beitrag umfaßt die nötig gewesenen und vom Angeklagten wirklich bestrittenen baren Auslagen und außer im Fall des §61 Abs2 auch einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers, dessen sich der Angeklagte bedient. Der Pauschalbeitrag ist unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen. Er darf folgende Beträge nicht übersteigen:

1. im Verfahren vor dem Landesgericht als Geschworenengericht 10 000 Euro,

2. im Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht 5 000 Euro,

3. im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts 3 000 Euro,

4. im Verfahren vor dem Bezirksgericht 1 000 Euro.

(2) Wird ein Angeklagter in einem Strafverfahren, in dem die Vertretung durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben war (§61 Abs1 Z4 und 5), lediglich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt, so gebührt ihm ein angemessener Teil des im Fall eines Freispruches oder einer Einstellung nach Abs1 Z1, 2 oder 3 zustehenden Betrages.

(3) Der Ersatzanspruch ist ausgeschlossen, soweit der Angeklagte den das Verfahren begründenden Verdacht vorsätzlich herbeigeführt hat oder das Verfahren lediglich deshalb beendet worden ist, weil der Angeklagte die Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen hat oder weil die Ermächtigung zur Strafverfolgung in der Hauptverhandlung zurückgenommen worden ist. Der Ersatzanspruch steht auch dann nicht zu, wenn die Strafbarkeit der Tat aus Gründen entfällt, die erst nach Einbringung der Anklageschrift oder des Antrages auf Bestrafung eingetreten sind.

(4) Der Antrag ist bei sonstigem Ausschluß innerhalb von drei Jahren nach der Entscheidung oder Verfügung zu stellen.

(5) Einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem über den Antrag entschieden worden ist, kommt aufschiebende Wirkung zu.

(6) Weitergehende Rechte des Angeklagten nach diesem Bundesgesetz und dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz bleiben unberührt.

§394. Gebührt dem Verteidiger oder dem Vertreter gemäß §73 eine Belohnung, so ist ihre Bestimmung sowohl in dem Falle, wenn sich der Beschuldigte, der Privatankläger oder der Privatbeteiligte selbst einen solchen wählen, als auch dann, wenn dem Angeklagten ein Verteidiger von Amts wegen beigegeben wurde, dem freien Übereinkommen zwischen dem Vertreter und dem Zahlungspflichtigen überlassen.

§395. (1) Wird über die Höhe der gemäß §393 Abs4 oder Abs4a zu ersetzenden Kosten keine Einigung erzielt, so hat das Gericht, das in erster Instanz entschieden hat, auf Antrag eines der Beteiligten die zu ersetzenden Kosten mit Beschluss zu bestimmen. Vor der Bemessung der Gebühren ist dem Gegner des Antragstellers Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Wird der Antrag von der zum Ersatz der Kosten verurteilten Partei gestellt, so hat das Gericht dem Gegner aufzutragen, seine Gebührenrechnung binnen einer angemessenen Frist vorzulegen, widrigenfalls die Gebühren auf Grund der vom Antragsteller beigebrachten und sonst dem Gerichte zur Verfügung stehenden Behelfe bestimmt würden.

(2) Bei der Bemessung der Gebühren ist auch zu prüfen, ob die vorgenommenen Vertretungshandlungen notwendig waren oder sonst nach der Beschaffenheit des Falles gerechtfertigt sind. Die Kosten des Bemessungsverfahrens sind als Kosten des Strafverfahrens anzusehen.

(4) Einer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß Abs1 kommt aufschiebende Wirkung zu.

(5) Die vorhergehenden Absätze sind auch anzuwenden, wenn zwischen dem von Amts wegen bestellten Verteidiger und dem von ihm vertretenen Angeklagten über die Entlohnung kein Übereinkommen erzielt wird. Das Gericht hat die Entlohnung des von Amts wegen bestellten Verteidigers festzusetzen und dem Beschuldigten die Zahlung aufzutragen. Der rechtskräftige Beschluß ist vollstreckbar."

III. Sachverhalt und Antragsvorbringen

Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1. Dem Antragsteller wurden mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Eisenstadt vom 7. Juli 2021 das Verbrechen nach §84 Abs4 StGB und die Vergehen nach §107 Abs1, §107b und §125 StGB zur Last gelegt. Für das Hauptverfahren (§§210 ff StPO) war zunächst der Einzelrichter des Landesgerichtes Eisenstadt zuständig (§30 Abs1 Z2, §31 Abs4 Z1 iVm §37 Abs1 und 2 StPO).

2. In der Hauptverhandlung vom 20. August 2021 herrschte auf Grund der angeklagten strafbaren Handlung nach §84 Abs4 StGB notwendige Verteidigung (§61 Abs1 Z5 StPO).

3. In dieser Hauptverhandlung erhob eine dritte Person gegen den Antragsteller auch den Vorwurf des Verbrechens der Vergewaltigung (§201 Abs1 StGB), woraufhin die Staatsanwaltschaft den Strafantrag um dieses Faktum ausdehnte.

4. Da für die strafbare Handlung der Vergewaltigung (§201 Abs1 StGB) im Hauptverfahren nicht der Einzelrichter des Landesgerichtes zuständig ist, sondern das Schöffengericht (§31 Abs1a Z4 StPO), fällte der Einzelrichter ein Unzuständigkeitsurteil (§488 Abs3 StPO).

5. In der Hauptverhandlung vom 20. Jänner 2022 vor dem Schöffengericht des Landesgerichtes Eisenstadt wurde der Angeklagte von den Vorwürfen des Verbrechens nach §201 Abs1 StGB und des Vergehens nach §107b Abs1 StGB freigesprochen. Zum Faktum nach §84 Abs4 StGB erfolgte ein von der Anklage abweichender Schuldspruch nach §83 Abs1 StGB und zu den Fakten nach §107 Abs1 und §125 StGB anklagekonforme Schuldsprüche. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

6. Der Antragsteller stellte daraufhin gemäß §393a Abs2 StPO einen Antrag auf Beitrag zu den Verteidigerkosten. Dieser wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom 25. Februar 2022 abgewiesen.

7. Aus Anlass der dagegen erhobenen Beschwerde stellte der Antragsteller unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt er seine Bedenken wie folgt dar:

§393a Abs2 StPO gewähre dem Verurteilten nur dann einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, wenn seine Vertretung durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben gewesen sei (§61 Abs1 Z4 und 5 StPO), er letztlich aber nur einer in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt worden sei. Dem Gesetzgeber sei es aber gerade darum gegangen, in Fällen notwendiger Verteidigung in der Hauptverhandlung und darauffolgender Verurteilung nach einem Tatbestand, der keine notwendige Verteidigung begründet hätte, einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu gewähren. Dann könne es aber keinen Unterschied machen, wenn die letztlich abgeurteilte Tat zwar nicht in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes falle, aber in die Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichtes. Diese Differenzierung verstoße daher gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG).

8. Die Bundesregierung hat sich lediglich dahingehend geäußert, dass sie den Hauptantrag für unzulässig erachte. Zur Zulässigkeit des Eventualantrages und in der Sache selbst hat sie keine Stellungnahme erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zu Zulässigkeit des Antrages

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt vom 25. Februar 2022 gestellt. Mit diesem Beschluss wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG).

1.3. Als Angeklagter ist der Antragsteller Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht (vgl etwa §255 StPO), womit er zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG berechtigt ist.

1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).

Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Landesgerichtes Eisenstadt davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

1.5. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).

1.6. Das Erstgericht hat §393a Abs2 StPO idF BGBl I 93/2007, dessen Verfassungswidrigkeit der Antragsteller behauptet, angewendet. Die angefochtene Bestimmung ist somit präjudiziell.

1.7. Der Antragsteller begehrt in seinem Hauptantrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolge "in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte" in §393a Abs2 StPO idF BGBl I 93/2007 als verfassungswidrig aufheben.

1.7.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

1.7.2. Wie der Antragsteller offenbar selbst erkennt und auch von der Bundesregierung vorgebracht wird, würde im Fall einer antragsgemäßen Aufhebung der genannten Wortfolge "in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte" der verbleibende Teil des §393a Abs2 StPO unverständlich werden ("lediglich einer fallenden strafbaren Handlung"). Aber selbst wenn man den verbleibenden Teil der Vorschrift als Bezugnahme auf alle strafbaren Handlungen verstünde, würde dies zu einem Ergebnis führen, das dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbar wäre. Der Hauptantrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

1.8. Demgegenüber erweist sich der Eventualantrag auf Aufhebung des §393a Abs2 StPO idF BGBl I 93/2007 – da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind – zur Gänze als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Soweit zulässig, ist der Antrag auch begründet.

2.3. Das Gesetz sieht einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung grundsätzlich nur im Falle eines Freispruches (§259 StPO) vor (§393a Abs1 StPO). Eine Ausnahme besteht für den Fall eines Schuldspruches (§260 StPO) insoweit, als ein Angeklagter in einem Strafverfahren, in dem die Vertretung durch einen Verteidiger in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben war (§61 Abs1 Z4 und 5 StPO), lediglich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt wurde (§393a Abs2 StPO).

2.4. Aus den Gesetzesmaterialien (Erläut zur RV 924 BlgNR 18. GP, 41) und dem systematischen Zusammenhang des §393a Abs2 StPO mit den Vorschriften über die notwendige Verteidigung (§61 Abs1 Z4 und 5 StPO) ergibt sich, dass der Gesetzgeber dem Verurteilten in derartigen Fällen (Schuldspruch) dann einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung gewähren wollte, wenn er zunächst kraft Gesetzes zur Bestellung eines Verteidigers gezwungen worden war, dessen Kosten er auch in der Regel zu tragen hat (vgl §61 Abs3 StPO), obwohl sich letztlich herausgestellt hat, dass es einer solchen notwendigen Verteidigung gar nicht bedurft hätte.

2.5. Vor diesem Hintergrund und angesichts der weitgehenden Gleichförmigkeit des Strafverfahrens vor dem Bezirksgericht (§§487-480 StPO) und vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes (§§484-490 StPO) ist es dann aber ein unerklärlicher Wertungswiderspruch, einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung nur dann zu gewähren, wenn der Angeklagte lediglich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung für schuldig erkannt wurde, für die niemals notwendige Verteidigung herrscht, nicht aber auch dann, wenn ein solcher Schuldspruch wegen einer strafbaren Handlung gefällt wird, für die zwar nicht das Bezirksgericht, sondern der Einzelrichter des Landesgerichtes zuständig ist, für die aber ebenfalls keine notwendige Verteidigung besteht. Dies verstößt somit gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG; vgl VfSlg 10.365/1985, 12.566/1990; VfGH 3.3.2022, G324/2021).

V. Ergebnis

1. §393a Abs2 StPO, BGBl 631/1975, idF BGBl I 93/2007 ist wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Hauptantrag ist hingegen als unzulässig zurückzuweisen.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 20.102/2016, 20.112/2016)

Schlagworte

Strafprozessrecht, Verteidigung, Kosten, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, Auslegung historische, Auslegung systematische, Verhandlung mündliche, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Fristsetzung, Gericht Zuständigkeit, Bezirksgericht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G90.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten