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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art53Leitsatz
Zurückweisung des – unzulässigen – Antrags eines Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit (mit einem Bundesminister) wegen Nichtbefolgung einer – der Sache nach eine ergänzende Beweisanforderung darstellenden – Aufforderung zur Vorlage von Akten und Unterlagen unmittelbar auf Grundlage des grundsätzlichen Beweisbeschlusses; Einschränkung der Möglichkeit der Mehrheit des Untersuchungsausschusses, den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens nach ergänzenden Beweisanforderungen (eines Viertels der Mitglieder) zu prüfen nicht zulässig; Stellung eines Verlangens nach ergänzender Beweisanforderung vor der Aufforderung des informationspflichtigen Organs zur Vorlage von Akten und Unterlagen zur Wahrung des Rechts der Mehrheit des Untersuchungsausschusses auf Bestreitung des sachlichen Zusammenhangs geboten; keine beherrschende Stellung der Minderheit im Verfahren des UntersuchungsausschussesSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit ihrem auf Art138b Abs1 Z4 B-VG gestützten Antrag begehren die Einschreiter,
"der Verfassungsgerichtshof möge – mit Ausnahme Leitung des Fernmeldebüros; Veröffentlichung in der Wiener Zeitung am 26.11.2019 – feststellen,
• dass die Weigerung der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, der Aufforderung vom 14.07.2022 gemäß §27 Abs4 VO-UA in der 27. Sitzung des Untersuchungsausschusses, Blg. XC (Beilage ./3), nachzukommen[,] rechtswidrig ist,
sowie ferner,
• dass die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie dem grundsätzlichen Beweisbeschluss unverzüglich zu entsprechen hat und die Akten und Unterlagen, die in der – in der 27. Sitzung des Untersuchungsausschusses gemäß §27 Abs4 VO-UA eingebrachten – Aufforderung vom 14.07.2022, Blg. XC (Beilage ./3), bezeichnet sind, unverzüglich dem Untersuchungsausschuss zu übermitteln hat".
II. Rechtslage
1. Art53 und Art138b Abs1 Z4 B-VG, BGBl 1/1930, idF BGBl I 101/2014 lauten:
"Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. Darüber hinaus ist auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder ein Untersuchungsausschuss einzusetzen.
(2) Gegenstand der Untersuchung ist ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes. Das schließt alle Tätigkeiten von Organen des Bundes, durch die der Bund, unabhängig von der Höhe der Beteiligung, wirtschaftliche Beteiligungs- und Aufsichtsrechte wahrnimmt, ein. Eine Überprüfung der Rechtsprechung ist ausgeschlossen.
(3) Alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ihre Akten und Unterlagen vorzulegen und dem Ersuchen eines Untersuchungsausschusses um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung Folge zu leisten. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art52a Abs2 gefährden würde.
(4) Die Verpflichtung gemäß Abs3 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung oder von einzelnen ihrer Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.
(5) Nähere Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates. In diesem können eine Mitwirkung der Mitglieder der Volksanwaltschaft sowie besondere Bestimmungen über die Vertretung des Vorsitzenden und die Vorsitzführung vorgesehen werden. Es hat auch vorzusehen, in welchem Umfang der Untersuchungsausschuss Zwangsmaßnahmen beschließen und um deren Anordnung oder Durchführung ersuchen kann.
[…]
Artikel 138b. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über
[…]
4. Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, auf Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs;
[…]"
2. §56f des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (in der Folge: VfGG), BGBl 85/1953, idF BGBl I 101/2014 lautet:
"d) Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel seiner Mitglieder und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen
§56f. (1) Ein Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit zwischen einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates, einem Viertel der Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses und informationspflichtigen Organen über die Verpflichtung, dem Untersuchungsausschuss Informationen zur Verfügung zu stellen, ist nicht mehr zulässig, wenn seit dem Ablauf der Frist gemäß §27 Abs4 der Anlage 1 zum Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates: 'Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse' zwei Wochen vergangen sind.
(2) Bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
(3) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet auf Grund der Aktenlage ohne unnötigen Aufschub, tunlichst aber binnen vier Wochen, nachdem der Antrag vollständig eingebracht wurde."
3. §24, §25 und §27 der Anlage 1 (Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse – VO-UA) zum Bundesgesetz vom 4. Juli 1975 über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975 – in der Folge: GOG-NR), BGBl 410/1975, idF BGBl I 99/2014 lauten:
"
Grundsätzlicher Beweisbeschluss
§24. (1) Der grundsätzliche Beweisbeschluss verpflichtet Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstands. Sie können zugleich um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand ersucht werden. Dies gilt nicht für die Vorlage von Akten und Unterlagen sowie Erhebungen, deren Bekanntwerden Quellen im Sinne des Art52a Abs2 B-VG gefährden würde.
(2) Die Verpflichtung gemäß Abs1 besteht nicht, soweit die rechtmäßige Willensbildung der Bundesregierung und ihrer einzelnen Mitglieder oder ihre unmittelbare Vorbereitung beeinträchtigt wird.
(3) Der grundsätzliche Beweisbeschluss ist nach Beweisthemen zu gliedern und zu begründen. Die vom Untersuchungsgegenstand betroffenen Organe sind genau zu bezeichnen. Die Setzung einer angemessenen Frist ist zulässig. Der Geschäftsordnungsausschuss kann Anforderungen an die Art der Vorlage beschließen. Sofern sich ein solcher Beschluss auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bezieht, ist nach Maßgabe von §58 vorzugehen.
(4) Im Fall eines aufgrund eines Verlangens gemäß §1 Abs2 eingesetzten Untersuchungsausschusses kann die Einsetzungsminderheit nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses den Verfassungsgerichtshof gemäß Art138b Abs1 Z2 B-VG zur Feststellung über den hinreichenden Umfang des grundsätzlichen Beweisbeschlusses anrufen. Gleiches gilt hinsichtlich einer Ergänzung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß Abs5.
(5) Stellt der Verfassungsgerichtshof gemäß §56d VfGG fest, dass der Umfang des grundsätzlichen Beweisbeschlusses nicht hinreichend ist, hat der Geschäftsordnungsausschuss binnen zwei Wochen eine Ergänzung zu beschließen. Der Beschluss ist gemäß §39 GOG bekannt zu geben.
(6) Im Fall einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zur Feststellung des nicht hinreichenden Umfangs der Ergänzung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß Abs5 wird diese in dem vom Verfassungsgerichtshof gemäß §56d Abs7 VfGG festgestellten erweiterten Umfang wirksam. Der grundsätzliche Beweisbeschluss samt Ergänzung ist gemäß §39 GOG bekannt zu geben.
Ergänzende Beweisanforderungen
§25. (1) Der Untersuchungsausschuss kann aufgrund eines schriftlichen Antrags eines Mitglieds ergänzende Beweisanforderungen beschließen.
(2) Ein Viertel seiner Mitglieder kann ergänzende Beweisanforderungen verlangen. Das Verlangen wird wirksam, wenn die Mehrheit der Mitglieder in dieser Sitzung nicht den sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand mit Beschluss bestreitet.
(3) Eine ergänzende Beweisanforderung hat ein Organ gemäß §24 Abs1 und 2 im Umfang des Untersuchungsgegenstands zur Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen zu verpflichten oder um Erhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand zu ersuchen. Die Beweisanforderung ist zu begründen. Die Setzung einer angemessenen Frist ist zulässig. Der Untersuchungsausschuss kann Anforderungen an die Art der Vorlage beschließen. Sofern sich ein solcher Beschluss auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bezieht, ist nach Maßgabe von §58 vorzugehen.
(4) Bestreitet die Mehrheit der Mitglieder des Untersuchungsausschusses den sachlichen Zusammenhang eines Verlangens gemäß Abs2 mit dem Untersuchungsgegenstand, kann das verlangende Viertel der Mitglieder den Verfassungsgerichtshof gemäß Art138b Abs1 Z3 B-VG zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses gemäß Abs2 anrufen. Mit der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes über die Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses wird das Verlangen gemäß Abs2 wirksam.
[…]
Vorlage von Beweismitteln
§27. (1) Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben Beweisbeschlüssen gemäß §24 und ergänzenden Beweisanforderungen gemäß §25 unverzüglich zu entsprechen. Im Fall einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß §24 Abs4 hat die Übermittlung von Akten und Unterlagen jedoch erst mit Unterrichtung gemäß §26 Abs2 über die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu erfolgen.
(2) Akten und Unterlagen, die sich auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden beziehen, sind vom Bundesminister für Justiz vorzulegen.
(3) Wird einem Beweisbeschluss oder einer ergänzenden Beweisanforderung nicht oder nur teilweise entsprochen, ist der Untersuchungsausschuss über die Gründe der eingeschränkten Vorlage schriftlich zu unterrichten.
(4) Kommt ein informationspflichtiges Organ nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder der Verpflichtung gemäß Abs1 oder Abs3 nicht oder ungenügend nach, kann der Ausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder das betreffende Organ auffordern, innerhalb einer Frist von zwei Wochen diesen Verpflichtungen nachzukommen. Die Aufforderung ist schriftlich zu begründen.
(5) Der Verfassungsgerichtshof entscheidet gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG über die Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage oder der Beweiserhebung, wenn ihn das aufgeforderte Organ oder ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses nach Ablauf der Frist gemäß Abs4 anruft oder der Ausschuss eine Anrufung aufgrund eines schriftlichen Antrags nach Ablauf der Frist gemäß Abs4 beschließt.
(6) Werden klassifizierte Akten oder Unterlagen vorgelegt, ist der Untersuchungsausschuss über den Zeitpunkt und die Gründe der Klassifizierung schriftlich zu unterrichten."
III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. 46 Mitglieder des Nationalrates haben am 13. Oktober 2021 ein Verlangen auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder (in der Folge: ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss) mit folgendem Untersuchungsgegenstand im Nationalrat eingebracht (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Untersuchungsgegenstand
Untersuchungsgegenstand ist das Gewähren von Vorteilen an mit der ÖVP verbundene natürliche und juristische Personen durch Organe der Vollziehung des Bundes im Zeitraum von 18. Dezember 2017 bis 11. Oktober 2021 sowie diesbezügliche Vorbereitungshandlungen auf Grundlage und ab Beginn des 'Projekts Ballhausplatz' auf Betreiben eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses einer größeren Anzahl von in Organen des Bundes tätigen Personen, bestehend aus der ÖVP zuzurechnenden Mitgliedern der Bundesregierung, StaatssekretärInnen sowie MitarbeiterInnen ihrer politischen Büros, zu parteipolitischen Zwecken und die damit gegebenenfalls zusammenhängende Umgehung oder Verletzung gesetzlicher Bestimmungen sowie der dadurch dem Bund gegebenenfalls entstandene Schaden.
Beweisthemen und inhaltliche Gliederung des Untersuchungsgegenstands
1. Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren
Aufklärung über Vorwürfe der parteipolitischen Beeinflussung der Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Beratung, Forschung, Kommunikation und Werbung einschließlich Eventmanagement sowie von Aufträgen und Förderungen mit einem Volumen von 40.000 Euro oder mehr zu mutmaßlichen Gunsten von mit der ÖVP verbundenen Personen und den dem Bund daraus entstandenen Kosten, und insbesondere über
? Einflussnahme auf Vergabeverfahren zu Gunsten politisch nahestehender Unternehmen mit dem mutmaßlichen Ziel, indirekte Parteienfinanzierung zu tätigen, insbesondere in Hinblick auf die Vergabe von Kommunikations- und Meinungsforschungsaufträgen und sonstigen wahlkampfrelevanten Dienstleistungen;
? Beauftragung von Studien und Umfragen zu mutmaßlichen Gunsten politischer Entscheidungsträger der ÖVP durch Bundesministerien sowie durch Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist;
? Beauftragung von Unternehmen, die auch für die ÖVP oder verbundene Personen tätig sind, insbesondere das Campaigning Bureau, die Blink Werbeagentur, die GPK GmbH, die Media Contacta GmbH, Schütze Positionierung, Research Affairs und das tatsächliche Erbringen der gewünschten Leistungen; allfällige Mängel in der Dokumentation der Leistungserbringung; die mögliche Umgehungskonstruktion, diese Unternehmen als Subunternehmer zu tarnen;
? Buchungen von Inseraten, insbesondere den sprunghaften Anstieg der Inseratenausgaben im Jahr 2017 im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, des Bundeskanzleramts im Jahr 2020 sowie Einflussnahme auf die Vergabe von Media-Agenturleistungen im Ausmaß von insgesamt 180 Millionen Euro und der Vergabe dieses Auftrags an die Unternehmen mediacom, Wavemaker und Group M sowie eines korrespondierenden Werbeetats im Ausmaß von 30 Mio. Euro über die Bundes-Beschaffungsgesellschaft an ua Jung von Matt im Jahr 2021; Buchung von Inseraten im Zusammenhang mit dem sogenannten 'B[.] ÖSTERREICH Tool' im Bundesministerium für Finanzen und ab 2018 im Bundeskanzleramt sowie parteipolitisch motivierte Tätigkeiten der 'Stabsstelle Medien' im Bundeskanzleramt, insbesondere die Einflussnahme auf Inseratevergaben von Organen des Bundes;
? mögliche Kick-Back-Zahlungen zu wirtschaftlichen Gunsten der ÖVP oder mit ihr verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, insbesondere in Hinblick auf die indirekte Finanzierung von Wahlkampfaktivitäten durch das Verlangen eines Überpreises gegenüber Organen des Bundes bei Auftragsvergaben, insbesondere bei Aufträgen des Bundesministeriums für Inneres an Werbeagenturen in der Amtszeit von Wolfgang Sobotka;
? mögliche Umgehung der vergaberechtlichen Bestimmungen zu Gunsten von mit der ÖVP verbundenen Personen, insbesondere im Wege von Rahmenverträgen der Bundes-Beschaffungsgesellschaft sowie von Aufträgen an das Bundesrechenzentrum;
? Vorwürfe des 'Maßschneiderns' von Ausschreibungen der Bundesministerien auf bestimmte mit der ÖVP verbundene AnbieterInnen und allfällige außergerichtliche Absprachen (zB Verzicht auf Rechtsmittel) mit den unterlegenen BieterInnen;
? Vergabe von Förderungen der Bundesministerien und mit Förderzwecken des Bundes betrauten Einrichtungen an mit der ÖVP verbundene natürliche und juristische, insbesondere über die Rechtfertigung des Förderzwecks und über die Erbringung der erforderlichen Nachweise durch die FördernehmerInnen sowie die Angemessenheit der Förderhöhe im Vergleich zu gleich gelagerten Förderanträgen;
? Ausmaß und Einsatz der im Bundesfinanzgesetz vorgesehenen Mittel für Werbemaßnahmen in ÖVP-geführten Bundesministerien, insbesondere im Vorfeld und in Zusammenhang mit Wahlkämpfen;
? Schaffung und Gestaltung von Finanzierungsprogrammen des Bundes für Unternehmen spezifisch in Hinblick auf eine spätere Gegenleistung in Form einer Begünstigung von politischen Parteien oder WahlwerberInnen einschließlich von damit zusammenhängenden gesetzlichen Änderungen wie etwa im Falle des Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfondsgesetzes.
2. Einflussnahme auf Beteiligungen des Bundes
Aufklärung über (versuchte) Einflussnahme auf Unternehmen, an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist, einschließlich der Bestellung der jeweiligen Organe, dem Zusammenwirken mit weiteren EigentümerInnen und jeweiligen OrganwalterInnen sowie der Ausübung von Aufsichtsrechten durch Mitglieder des Zusammenschlusses mit dem mutmaßlichen Ziel, die Geschäftstätigkeit dieser Unternehmen im Sinne der ÖVP zu steuern, und insbesondere über
? (vorzeitige) Abberufung von Organen ausgegliederter Gesellschaften, insbesondere in Hinblick auf die Bestellung von B[.] G[.]-K[.] als ÖVP-Kandidatin in den Vorstand der Casinos Austria AG und das Bestehen eines politischen Hintergrunddeals für diese Bestellung; den durch vorzeitige Abberufungen entstandene Schaden für die Republik;
? den Informationsfluss in Angelegenheiten des Beteiligungsmanagements zwischen dem Bundesministerium für Finanzen und den Bundesministern Blümel, Löger sowie Bundeskanzler Kurz, insbesondere in Hinblick auf die Auswahl von Organen der ÖBIB und ÖBAG und der Entstehung der Vorschläge für die Besetzung des Aufsichtsrats der ÖBAG sowie den Vorstand der ÖBAG;
? Motive für Vorbereitungen für einen Verkauf (Privatisierung) von Anteilen an Beteiligungen des Bundes sowie entsprechende Szenarienentwicklung und Analyse, insbesondere von Anteilen der Austrian Real Estate als Tochter der Bundesimmobiliengesellschaft, und das Zusammenwirken mit ParteispenderInnen der ÖVP aus dem Immobiliensektor sowie die Rolle von R[.] B[.] in Hinblick auf die Geschäftstätigkeit der BIG und der ARE, insbesondere die Hintergründe des 99-jährigen Mietvertrags mit der BIG für das Gebäude der Postsparkasse.
3. Beeinflussung von Ermittlungen und Aufklärungsarbeit
Aufklärung über (versuchte) Einflussnahme auf die Führung von straf- und disziplinarrechtlichen Verfahren und die Verfolgung pflichtwidrigen Verhaltens von mit der ÖVP verbundenen Amtsträgern sowie über den Umgang mit parlamentarischen Kontrollinstrumenten zum mutmaßlichen Zweck der Behinderung der Aufklärungsarbeit im parteipolitischen Interesse der ÖVP, und insbesondere über
? Einflussnahme durch Justiz- bzw InnenministerInnen, deren jeweilige Kabinette sowie durch C[.] P[.] einerseits und M[.] K[.], F[.] L[.] sowie A[.] H[.] andererseits auf Ermittlungsverfahren mit politischer Relevanz, insbesondere in Folge des Bekanntwerdens des 'Ibiza'-Videos sowie gegen (ehemals) hochrangige politische FunktionsträgerInnen der ÖVP wie Josef Pröll und Hartwig Löger; Vorwürfe der politisch motivierten Einflussnahme auf Strafverfahren gegen mit der ÖVP verbundenen Personen wie (potentielle) SpenderInnen, insbesondere Ermittlungen gegen R[.] B[.] in der Causa Chalet N;
? Informationsflüsse über Ermittlungen in politisch für die ÖVP relevanten Verfahren an politische EntscheidungsträgerInnen und deren MitarbeiterInnen, insbesondere den Informationsstand des/der jeweiligen BundesministerIn für Justiz und des/der jeweiligen BundesministerIn für Inneres über laufende Ermittlungen im 'Ibiza'-Verfahrenskomplex; Weitergabe von vertraulichen Informationen an nicht-berechtigte Personen, insbesondere über Hausdurchsuchungen bei Hartwig Löger, Gernot Blümel, T[.] S[.] und S[.] B[.], sowie bei der ÖVP Bundespartei;
? Pläne von mit der ÖVP verbundenen Personen für die Erlangung von Daten der WKStA, den Informationsfluss zwischen dem damaligen Bundesminister, seinem Kabinett und dem ehemaligen Bundeskanzler Kurz;
? Einflussnahme auf aus der Veranlagung von Parteispenden an die ÖVP oder ihr nahestehende Organisationen resultierende Finanzstrafverfahren bzw die mögliche Verhinderung der Einleitung solcher Verfahren; Einflussnahme auf gegen (potentielle) SpenderInnen der ÖVP geführte Finanzstrafverfahren;
? die Ausübung der Fach- und Dienstaufsicht gegenüber der WKStA, insbesondere durch die Oberstaatsanwaltschaft Wien und deren Leiter J[.] F[.], und die mutmaßlich schikanöse Behandlung der WKStA in für die ÖVP politisch relevanten Fällen;
? Vorwürfe der Behinderung der Beweiserhebungen des Ibiza-Untersuchungsausschusses, insbesondere die interne Vorbereitung und Kommunikation zur Frage der Erfüllung der Beweisanforderungen und Erhebungsersuchen des Ausschusses im Bundesministerium für Finanzen einschließlich der Einbindung des Bundesministers für Finanzen und der Finanzprokuratur in diese Angelegenheiten zum mutmaßlichen Zwecke des Schutzes von mit der ÖVP verbundenen Personen einschließlich des Bundesministers Blümel selbst.
4. Begünstigung bei der Personalauswahl
Aufklärung über Bestellung von Personen in Organfunktionen des Bundes oder Ausübung von Nominierungsrechten des Bundes abseits jener in Beteiligungen des Bundes sowie Aufnahme von Personen in Beratungsgremien (insbesondere Think Austria) oder Delegationen mit dem mutmaßlichen Ziel, einen kontrollierenden Einfluss für mit der ÖVP verbundene Personen auf die Tätigkeiten dieser Organe zu erreichen, oder Bestellungen als mutmaßliche Folge oder in Erwartung einer Begünstigung der ÖVP, und insbesondere über
? Einhaltung der Bestimmungen des Ausschreibungsgesetzes bei der Vergabe von Leitungsfunktionen in ÖVP-geführten Bundesministerien;
? Interventionen für (ehemalige) PolitikerInnen der ÖVP und deren Versorgung mit Beschäftigungsverhältnissen; möglichen Schaden für den Bund durch Ermöglichung solcher Begünstigung insbesondere durch frühzeitige Abberufung anderer OrganwalterInnen oder die Schaffung neuer Funktionen;
? Vorwürfe des 'Maßschneiderns' von Ausschreibungen von Leitungsfunktionen auf parteipolitisch loyale KandidatInnen durch Mitglieder des ÖVP-Zusammenschlusses;
? Einhaltung der Qualifikationserfordernisse bei der Besetzung von Planstellen durch mit der ÖVP verbundene Personen, insbesondere durch MitarbeiterInnen politischer Büros von ÖVP-Regierungsmitgliedern.
[…]"
1.2. Der vom Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates am 2. Dezember 2021 (mit näherer Begründung) gefasste grundsätzliche Beweisbeschluss lautet auszugsweise wie folgt (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Gemäß §24 Abs1 VO-UA hat der Geschäftsordnungsausschuss in einem grundsätzlichen Beweisbeschluss Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper zu bezeichnen, die vom Untersuchungsgegenstand betroffen und daher zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes verpflichtet sind.
Unter dem Begriff 'Akten und Unterlagen' versteht der Geschäftsordnungsausschuss nicht nur Akten im formellen Sinn, sondern sämtliche schriftliche oder automationsunterstützt gespeicherte Dokumente, 'Handakten', Berichte, Korrespondenzen aller Art inkl. E-Mails, Entwürfe und sonstige Aufzeichnungen einschließlich Deckblätter, Einsichtsbemerkungen, Tagebücher, Terminkalender, Antrags- und Verfügungsbögen, Weisungen, Erlässe, Aktenvermerke, Sprechzettel, Entscheidungen, schriftliche Bitten, Berichte, Protokolle von Besprechungen und Sitzungen aller Art, Gedächtnisprotokolle, Notizen, Inhalte elektronischer Aktenführung und dergleichen, unabhängig von Art und Ort der Aufbewahrung oder Speicherung. Gleichzeitig sind die für die Auslesbarkeit erforderlichen Programme, Passwörter, Verfahren und dergleichen mitvorzulegen, sofern diese nicht in der Parlamentsdirektion verfügbar sind.
Im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes genügt es, dass solche Akten und Unterlagen abstrakt für die Untersuchung von Relevanz sein könnten.
Die Übermittlung hat (auf Grund der dazwischenliegenden Feiertage) binnen sechs Wochen, spätestens jedoch am 26. Jänner 2022 zu erfolgen.
Die Übermittlung der Akten und Unterlagen hat soweit möglich geordnet nach den Beweisthemen 1-4 zu erfolgen.
Darüber hinaus sind alle öffentlichen und nicht öffentlichen Dokumente sowie alle Dokumente der Klassifizierungsstufe 1 'EINGESCHRÄNKT' gemäß Informationsordnungsgesetz in elektronischer Form (im Originaldateiformat oder ansonsten mit 300dpi texterfasst gescannt) auf Datenträgern (nicht per E-Mail – mit Ausnahme von Leermeldungen) zu übermitteln.
Akten und Unterlagen der Klassifizierungsstufe 2 'VERTRAULICH', der Klassifizierungsstufe 3 'GEHEIM' und der Klassifizierungsstufe 4 'STRENG GEHEIM' gemäß InfOG sind ausschließlich in Papierform (sofern dies nicht auf Grund ihrer Beschaffenheit ausscheidet wie insb. bei Video- und Audiodateien bzw Augenscheingegenständen) und jeweils in zweifacher (Stufe 2) bzw sechsfacher (Stufe 3 und 4) Ausfertigung anzuliefern.
Klassifizierungen gemäß InfOG sind nur in dem Ausmaß und Umfang vorzunehmen, als dies unbedingt notwendig ist. Zu schützende Aktenteile sind exakt zu kennzeichnen, gegebenenfalls zu trennen und jedenfalls nicht pauschal zu klassifizieren. Klassifizierungen sind im Einzelnen nachvollziehbar zu begründen, insbesondere in Hinblick auf die drohende Schädigung gemäß §4 Abs1 InfOG (§27 Abs6 VO-UA, §5 Abs2 InfOG). Es wird außerdem auf §27 Abs3 VO-UA und §5 Abs2 InfOG hingewiesen.
Jeder Vorlage ist ein Inhaltsverzeichnis beizufügen. Für die Abwicklung der Vorlage trifft die Parlamentsdirektion entsprechende Vorkehrungen und übermittelt nähere technische Anforderungen. Diese werden der Beschlussausfertigung beigeschlossen.
Akten und Unterlagen sind fortlaufend für die Dauer der Untersuchung zu übermitteln, selbst wenn diese erst nach Wirksamwerden dieses Beschlusses entstehen oder hervorkommen. Die Übermittlung hat alle zwei Monate jeweils zum Monatsletzten gesammelt zu erfolgen (somit erstmals mit 31. März 2022) bzw auf Grund ergänzender Beweisanforderungen (§25 VO-UA) in der in diesen enthaltenen Fristen.
Wird die Vorlage von Akten- und Unterlagen (teilweise) abgelehnt, ist im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs der Akten- und Unterlagenbestand zu umschreiben und die Gründe für die Ablehnung im Einzelnen und substantiiert zu begründen.
Der Wortlaut des Untersuchungsgegenstands und der Beweisthemen ist der Beilage zu entnehmen.
Bezeichnung der betroffenen Organe
Folgende Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper sind gemäß §24 Abs3 VO-UA vom Untersuchungsgegenstand betroffen und haben daher gemäß §24 Abs1 VO-UA unter Bedachtnahme auf §24 Abs3 letzter Satz und §27 VO-UA ihre Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes im Sinne der Anforderungen an die Vorlage von Akten und Unterlagen vollständig vorzulegen:
[…]
3. Die Mitglieder der Bundesregierung jeweils samt aller nachgeordneten
Organe und sonstige ihnen unterstehenden Einrichtungen sowie ihrer
etwaigen Vorgänger- und Nachfolgeorgane und -einrichtungen.
[…]"
1.3. In der 27. Sitzung des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses am 14. Juli 2022 forderte das vor dem Verfassungsgerichtshof einschreitende Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (in der Folge: BMK) gemäß §27 Abs4 VO-UA auf (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen),
"ihrer – sich aus dem grundsätzlichen Beweisbeschluss ergebende[n] Verpflichtung – zur Vorlage aller Akten und Unterlagen betreffend
- die Ausschreibung von dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen und
- die Betrauung von Personen mit dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen
des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend die folgenden Veröffentlichungen in der Wiener Zeitung
06.09.2017
Leitung der Abteilung Präs 5 'Budget, Controlling und Support'
21.09.2018
Leitung der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes
12.01.2019
Leitung der Abteilung IV/IVVS 3 'Rechtsbereich Bundesstraßen'
29.01.2019
Leitung der Abteilung IV/ L 4 'Safety-Management und Flugsicherung'
20.03.2019
Leitung der Abteilung IV/L 1 'Strategie und Internationales'
03.07.2019
Leitung der Abteilung III/I 1 'Grundsatzangelegenheiten'
20.07.2019
Leitung der Abteilung I/2 Präs 1 'Personal und Organisation'
26.11.2019
Leitung des Fernmeldebüros
08.10.2019
Leitung der Abteilung IV/E2 'Oberste Eisenbahnbehörde Genehmigung Infrastruktur und Fahrzeuge'
nachzukommen. Alle angeführten Vorgänge liegen im Untersuchungszeitrum bzw ist davon auszugehen, dass diese im Untersuchungszeitraum begonnen wurden.
Die gesetzlich eingeräumte Frist, dieser Aufforderung zu entsprechen, beträgt zwei Wochen.
Begründung
1. Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) bzw das damalige Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie hat im Untersuchungszeitraum für die Besetzung von Funktionen Ausschreibungen gemäß dem Ausschreibungsgesetz 1989 durchgeführt (siehe oben). Die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie hat aufgrund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses (AB 1215 BlgNR 27. GP, Anlage 2, wirksam geworden am 09.12.2021) weder Akten und Unterlagen zu diesen angeführten Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren von hochrangigen Leitungsfunktionen in der Zentralstelle und nachgeordneten Dienststellen […] dem Untersuchungsausschuss vorgelegt noch die Nicht-Vorlage begründet.
2. Das vierte Beweisthema des Untersuchungsgegenstandes des Untersuchungsausschusses 4 US/27. GP (AB 1215 BlgNR 27. GP, Anlage 1) lautet:
[…]
3. Der Untersuchungsgegenstand des Untersuchungsausschusses 4 US/27. GP ist außerordentlich weit gefasst und betrifft eine große Anzahl von unterschiedlichen Vorgängen im Bereich der Vollziehung des Bundes. Damit der Untersuchungsausschuss sein Ziel, Aufklärung zu politischen Zwecken, erreichen kann, muss er über eine umfassende Informationsgrundlage zu all den im Untersuchungsgegenstand angeführten Vorgängen verfügen. Das B-VG räumt dem Untersuchungsausschuss ein die Legislative einseitig begünstigendes Recht zur Selbstinformation ein, um in der Lage zu sein, die zu untersuchenden – aufgrund des Untersuchungsgegenstandes sehr zahlreichen – Sachverhalte umfassend zu beleuchten und aufzuklären.
So hält auch Univ.-Prof. Dr. A[.] J[.] in seinem im Auftrag des Bundeskanzleramtes erstellten und dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Gutachten vom 17.11.2021 zusammengefasst fest, dass es dem Untersuchungsausschuss möglich sein muss, das Vorliegen der im Einsetzungsverlangen genannten Kriterien, die im Einsetzungsverla[n]gen bzw im Untersuchungsgegenstand umschr[ie]ben sind, selbst zu ermitteln. Dazu ist aber die vollständige Vorlage der Akten und Unterlagen betreffend das vierte Beweisthema notwendig.
4. Hinsichtlich der Akten und Unterlagen, auf die sich diese Aufforderung bezieht, ist [an]zuführen, dass eine Vorteilsgewährung an mit der ÖVP verbundene natürliche oder juristische Personen selbstverständlich auch in Bundesministerien stattgefunden haben kann, die nicht vo[n] einem Bundesminister oder von einer Bundesministerin geleitet werden, der oder die mit der ÖVP verbunden ist. Dementsprechend hat auch der Geschäftsordnungsausschuss einstimmig beschlossen, den grundsätzlichen Beweisbeschluss an alle Bundesministerien zu richten, unabhängig davon, ob deren Leitung mit Organwalterinnen oder -waltern besetzt sind, die der ÖVP zurechenbar sind.
5. Darüber hinaus muss es dem Untersuchungsausschuss möglich sein[,] zu prüfen, ob bei der Ausschreibung von dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen und bei der Betrauung von Personen mit dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen mit der ÖVP verbundene Personen an der Entscheidungsfindung beteiligt gewesen sind und Handlungen gesetzt wurden, wie sie im Untersuchungsgegenstand umschrieben sind.
Das diese Aufforderung unterstützende Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses geht davon aus, dass die in dieser Aufforderung näher umschriebenen Akten und Unterlagen Informationen enthalten bzw es zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass [in den] in dieser Aufforderung näher umschriebenen Akten und Unterlagen Informationen enthalten sind, die
- zur Aufklärung über Bestellung[en] von Personen in Organfunktionen des Bundes oder Ausübung von Nominierungsrechten des Bundes abseits jener in Beteiligungen des Bundes sowie Aufnahme von Personen in Beratungsgremien (insbesondere Think Austria) oder Delegationen mit dem mutmaßlichen Ziel, eine kontrollierenden Einfluss für mit der ÖVP verbundene Personen auf die Tätigkeiten dieser Organe zu erreichen, oder Bestellungen als mutmaßliche Folge oder in Erwartung einer Begünstigung der ÖVP beitragen können; oder
- Informationen betreffend mögliche Interventionen für (ehemalige) Politikerinnen und Politiker der ÖVP und deren Versorgung mit Beschäftigungsverhältnissen, die möglicherweise einen Schaden für den Bund durch Ermöglichung solcher Begünstigung, insbesondere durch frühzeitige Abberufung anderer Organwalterinnen oder -walter oder die Schaffung neuer Funktionen, verursacht haben,
- Informationen betreffend Vorwürfe des 'Maßschneiderns' von Ausschreibungen von Leitungsfunktionen auf parteipolitisch loyale KandidatInnen durch Mitglieder des ÖVP-Zusammenschlusses oder
- Informationen betreffend die Einhaltung der Qualifikationserfordernisse bei der Besetzung von Planstellen durch mit der ÖVP verbundene Personen, insbesondere durch MitarbeiterInnen politischer Büros von ÖVP-Regierungsmitgliedern enthalten.
Eine abstrakte Relevanz der von dieser Aufforderung umschriebenen Akten und Unterlagen [wäre] zB dann nicht auszuschließen, wenn mit der ÖVP verbundene Personen an der Vorbereitung der Ausschreibung mitgewirkt haben, wenn mit der ÖVP verbundene Personen Mitglieder von Besetzungskommissionen waren, wenn mit der ÖVP verbundene Personen sich beworben haben, oder wenn seitens politische[r] Entscheidungsträgerinnen bzw -träger zu Gunsten mit der ÖVP verbundenen Personen bei Personen, die nicht mit der ÖVP verbunden sind, interveniert wurde.
Vor diesem Hintergrund erscheint es – nicht zuletzt angesichts des in Bezug auf die 'Verbundenheit' mit der ÖVP ebenfalls überaus weiten Untersuchungsgegenstandes – nahezu ausgeschlossen, dass bei keinem der aufgezählten Vorgänge mit der ÖVP verbundene Personen involviert waren.
6. In der Begründung des Einsetzungsverlangens (4/US 27. GP) wird zum Umstand, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass eine Person mit der ÖVP verbunden ist, Folgendes ausgeführt:
'Der Begriff der 'Verbundenheit' beschreibt das erforderliche Naheverhältnis zur ÖVP, wobei dessen Grundlage vielfältig sein kann. Der Begriff der Verbundenheit erfasst in der Rechtsordnung unterschiedliche Formen der gegenseitigen Abhängigkeit, insbesondere wirtschaftlicher, aber auch rechtlicher Art. Gemeinsam ist den damit erfassten Sachverhalten ein Abhängigkeitsverhältnis, das gerade dadurch entsteht, dass jeweils eine Seite einen Vorteil anstrebt, der von der anderen Seite zur Verfügung gestellt werden kann, da er sich in dessen Ingerenz befindet. Die Verbundenheit mit der ÖVP indiziert bereits das Vorliegen des parteipolitischen Interesses. […]
Verbunden sind ebenso Personen, die auf parteipolitisches Wohlwollen angewiesen sind, um ihr berufliches Fortkommen zu fördern. Dies wird insbesondere dort der Fall sein, wo Personalentscheidungen (wenn nicht formell, dann faktisch) von ÖVP-PolitikerInnen getroffen werden.'
Schon aus dieser Formulierung wird ersichtlich, dass der Umstand, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass eine Person mit der ÖVP verbunden ist, in unterschiedlichsten Konstellationen gegeben und die Verbundenheit unterschiedlichster Natur sein kann. Keinesfalls genügt daher, die Prüfung der Verbundenheit mit der ÖVP rein auf die Mitgliedschaft bei der ÖVP zu beschränken (ganz abgesehen davon, dass es öffentlichen Stellen schon aus datenschutzrechtlichen Erwägungen untersagt wäre, derartige Informationen zu erheben und zu verarbeiten).
Daher ist es den vorlagepflichtigen Stellen anhand der im Einsetzungsverlangen enthaltenen Determinanten nicht möglich, Akten und Unterlagen mit Bezug zu[m] vierten Beweisthem[a] mit der Begründung auszusondern und dem Untersuchungsausschuss vorzuenthalten, dass diese keine Auskünfte über eine Vorteilsgewährung an mit der ÖVP verbundene Personen enthalten oder lediglich eine Gewährung derartiger Vorteile betreffen, die nicht durch den im Einsetzungsverlangen angesprochenen Zusammenschluss aus ÖVP-Regierungsmitgliedern und Mitarbeiterinnen bzw Mitarbeiter deren politischer Büros unter der Leitung von Sebastian Kurz veranlasst wurde.
Es muss vielmehr dem Untersuchungsausschuss selbst möglich sein, Bewerbungsverfahren und Besetzungen dahingehend zu prüfen, ob die im Untersuchungsgegenstand umschriebenen Umstände vorliegen, weil ausschließlich der Untersuchungsausschuss aufgrund seiner vielfältigen ihm zur Verfügung stehenden Informationen (Akten und Unterlagen, Erhebungsersuchen, Befragung von Auskunftspersonen) in der Lage ist, auf Grundlage von ihm selbst anhand politischer Wertungen entwickelter Maßstäbe zu beurteilen, ob eine Person mit der ÖVP verbunden ist bzw ob die anderen im Einsetzungsverlangen angeführten Kriterien vorliegen.
Anders gewendet: Im Rahmen des vierten Beweisthemas hat der Untersuchungsausschuss zu prüfen, ob eine Person mit der ÖVP verbunden ist, ob diese Person begünstigt wurde und ob schließlich diese Begünstigung in einem Zusammenhang mit der Verbundenheit zur ÖVP steht. Eine solche Prüfung kann aber nur durch Vorlage der Unterlagen im beschriebenen Umfang erfolgen.
So kommt auch Univ. Prof. Dr. J[.] in seinem vorhin zitierten Gutachten zum Ergebnis, dass es gemäß Art53 Abs3 B-VG geboten ist, dass die im grundsätzlichen Beweisbeschluss genannten vorlagepflichtigen Organe – somit auch die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie – prinzipiell alle Akten und Unterlagen vorlegen [müssen], die die Bestellung von Personen in Organfunktionen des Bundes im Untersuchungszeitraum betreffen.
7. Darüber hinaus muss es dem Untersuchungsausschuss möglich sein, bei der Klärung der Frage, ob es bei der Ausschreibung von dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen und bei der Betrauung von Personen mit dem Ausschreibungsgesetz unterliegenden Funktionen und Arbeitsplätzen der Zentralstelle und der nachgeordneten Dienststellen zu den im vierten Beweisthema umschriebenen Handlungen gekommen ist, die Vorgehensweise unterschiedlicher Zentralstellen und nachgelagerter Dienststellen zu vergleichen, um anhand festgestellter Unterschiede zu untersuchen, ob diese Unterschiede auf das Vorliegen von Vorgängen im Sinn des Untersuchungsgegenstandes schließen lassen.
So hat auch die Vorsitzende in der 24. Sitzung des Untersuchungsausschusses am 29.06.2022, Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, eine Frage, die auf einen derartigen Vergleich gerichtet war, für zulässig erklärt und damit festgestellt, dass eine derartige Frage durch das in der Ladung festgelegte Beweisthema gedeckt ist (vgl vorläufiges stenographisches Protokoll, Mag. J[.] P[.], ÖVP-Korruptions-UsA-XXVII.GP, 24. Sitzung, 29.06.2022, Seite 16).
8. Genauso muss es dem Untersuchungsausschuss möglich sein, aufgrund der eigenen Untersuchungen anhand der in dieser Aufforderung umschriebenen Akten und Unterlagen festzustellen, dass darin keine Hinweise auf die im vierten Beweisthema behaupteten und umschriebenen Handlungen enthalten sind, weil damit der Schluss nahe liegen könnte, dass die im vierten Beweisthema behaupteten und umschrieben[en] Vorgänge nicht stattgefunden haben, was das Ergebnis des Untersuchungsausschusses sein kann. Dazu benötigt er aber zwingend die von dieser Aufforderung umfassten Akten und Unterlagen.
Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass bei von dieser Aufforderung umfassten Besetzungsverfahren Personen zum Zug gekommen sind, weil sie mit einer anderen Partei als der ÖVP verbunden sind. Unter dieser Voraussetzung könnte die Vorteilsgewährung an mit der ÖVP verbundene Personen ausgeschlossen werden. Es muss dem Untersuchungsausschuss daher möglich sein, auch derart gelagerte Sachverhalte zu prüfen, um sich ein Bild darüber machen zu können, ob die im vierten Beweisthema behaupteten und umschrieben[en] Vorgänge stattgefunden haben.
9. Schließlich verlangt das vierte Beweisthema 'Aufklärung über Bestellung von Personen […] mit dem mutmaßlichen Ziel, einen kontrollierenden Einfluss für mit der ÖVP verbundene Personen auf die Tätigkeiten dieser Organe zu erreichen, oder Bestellungen als mutmaßliche Folge oder in Erwartung einer Begünstigung der ÖVP, […]' (4/US 27. GP, Seite 5). Jedenfalls für die Aufklärung hinsichtlich einer '[Bestellung] als mutmaßliche Folge oder in Erwartung einer Begünstigung der ÖVP' ist es keineswegs erforderlich, dass die im Rahmen der Bestellung zum Zug gekommene Person eine 'mit der ÖVP verbundene Person ist'. Ob eine Bestellung einer nicht mit der ÖVP verbundenen Person – ausschließlich oder unter anderem – in Erwartung einer solchen Vorteilsgewährung vorgenommen wurde, kann der Untersuchungsausschuss daher nur klären, wenn ihm die Akten und Unterlagen zu allen Bestellungen im Untersuchungszeitraum vorgelegt werden.
10. Weil es die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie bis jetzt unterlassen hat, aufgrund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes zu übermitteln oder zu begründen, warum aus ihrem Verantwortungsbereich keine A